Samstag, 21. Juli 2012

Das gönnerhaft-teuflische und das untertänige Grinsen

Da zieht es einem wieder einmal die Schuhe aus. Freitagabend im TV-NDR, 20.15 Uhr. Das Schloß Wendorf und seine neuen - einst alten - Besitzer. Im Programmtipp unter der Überschrift „Das Schloss für Prinzen und Promis – Luxus in der Mecklenburgischen Provinz“ ist u.a. zu lesen: „Udo M. Chistée und seine Frau Monika haben das Schloss 2004 gekauft. Eigentlich wollten die Österreicher es selbst bewohnen. Doch schnell merken sie: zu viel Platz für zwei, zu hohe Betriebs-Kosten. Das Unternehmerpaar aus dem Hotelbusiness entscheidet sich, das Haus zur Luxus-Herberge zu machen - mit edlen Antiquitäten aus England und handbestickten seidenen Tapeten.“
Ach so ist das!! Für Betuchte. Warum nicht…

Wären da nicht so manche Bedenken im Spiel. Schnell wird im TV-Beitrag ersichtlich, dass dies Schloss einst das Zuhause des neuen „Herrn“ war. Und so kommen über seine Lippen schmerzerfüllte Erinnerungstöne seiner Kindheit und über die bedauerliche Flucht 1945. Krokodilstränen? Angesichts der Kriegsverbrechen und der notwendigen Korrektur in der Geschichte? Doch das kann man vielleicht noch verstehen, nicht zu weit blicken zu wollen.

Nicht ganz begreiflich ist der verlorene Stolz der einstigen Volks-Besitzer: Das Schloß war zu DDR-Zeiten u.a. ein Internat und schließlich ein Heim für schwer erziehbare Kinder. War das etwa verkehrt?

Der Kraftfahrer der neuen Schloßherren: Er war einst Tischler, jetzt Promi-Chauffeur. Die Augen dieses Mannes glänzen beim Anblick der Oldtimer und dass er sie auch fahren darf, um die „Herrschaften“ kutschieren zu dürfen. Er hat einen nahezu festen Arbeitsplatz – da darf man auch fröhlich in die Kamera grinsen. Und aus dem Maurer Andreas wurde ein Mädchen für alles. Diejenige, die die ehemaligen Schwererziehbaren im einstigen alten Schloß betreute: Sie ist voller Bewunderung für die Schönheit des wiedererstandenen Gebäudes, innen wie außen, was durchaus nachzuempfinden ist. Und nicht ohne innere Bewegung verweist sie in dessen Räumen den Fernsehzuschauer darauf: „Hier habe ich einst gearbeitet“. Und hat doch ebenfalls ein fast unterwürfiges Lächeln im Gesicht.

Die Demut vor den neuen und alten Besitzenden feiert Triumphe. Die Arbeiter, Bauern und Handwerker des Dorfes aus DDR-Zeiten sind nicht mehr Gebende, sondern Nehmende – aus der Hand der gönnerhaften Oberen. Die Käuflichkeit gegenüber der Vormundschaft des Geldes hat wieder Einzug gehalten. Die Würde ist dahin. Und sie merken nicht, wie das Lächeln der Besitzenden pure Heuchelei ist und einem teuflischen Grinsen gleicht. Die das Geld haben sitzen immer hoch zu Roß... Und die anderen?

Dienstag, 3. Juli 2012

Zwischen Froschgesang und Revolte

„Unter Piraten“ / Erkundungen in einer neuen politischen Arena     

Buchtipp von Harry Popow

Ins Reich der Märchen fällt das „vernetzte Froschgequake“, mit dem diese empört die Trockenlegung ihres Heimattümpels durch Immobilienhaie verhindern wollen. Ins Reich der unsterblichen Illusionen fällt der versöhnlerische „vernetzte Menschenprotest“, mit dem endlich menschliche Verhältnisse gegenüber der Macht des Kapitals erkämpft werden sollten.

Versprüht die im Aufschwung befindliche Piratenpartei Hoffnung und „Erlösung“? Immerhin: Sie wolle im Kleinformat  und im kommunalen Bereich jedwege Bürgerinitiative – je nach Projekt – zum Durchbruch verhelfen -  stramm vernetzt, Massen mobilisierend und in Minutenschnelle in unserer so sehr schnelllebigen Zeit.

Indessen sind auch mögliche Zweifel der mitunter im politischen Halbschlaf befindlichen Wähler für die Piratenpartei wie weggewischt: die jungen und forschen Leute können unbefleckt von Häme und Nerds-Vorwürfen auch weiterhin in die Parlamente einziehen. Dank der ersten wissenschaftlichen Erkundung in dem Sachbuch „Unter Piraten“ ist nun nachgewiesen – nein, die Piraten sind keine Biertrinker, keine einseitig bekloppten, sondern einfach andersartig. Ernst zu nehmende Internetmacher. Zunehmend politisch engagiert. Nicht säbelrasselnd, sondern eben leise bewaffnet mit  Laptops. Ja, sie wollen Breschen schlagen in des politischen Stumpfsinns Mauern. Für mehr Bürgerrechte und mehr persönliche Freiheit. Scheint die Freude verfrüht? Denn nur 10% habe die Partei auf Grund der Inhalte gewählt, 80% geben als Wahlmotiv die „Unzufriedenheit“ mit den anderen Parteien“ an (S. 218).

„Unter Piraten“ weist nach – akribisch belegt mit Fakten und Tabellen und auf der Grundlage von Umfragen – die Piratenpartei ist in der Welt keine Einzelerscheinung. Sie kommt nicht aus dem Nichts. Schweden hatte sie zuerst im Parteienspektrum, anfängliche Bewegungen gab es in den 80er Jahren in den USA.

Schon im Vorfeld war sichtbar: Einerseits wirft man den Piraten vor, die politische Landschaft entpolitisieren zu wollen, andererseits schwören jene, eindeutig antikapitalistische Positionen zu vertreten. Was stimmt? Liegt die Wahrheit genau in der Mitte? Wer Neues wagt, dem sollten keine Steine in den den Weg gelegt werden.

Lesen wir, was die 24 Autorinnen und Autoren zu dem Phänomen der Piratenpartei für den Leser entdeckt haben.  In 18 Beiträgen – unterteilt in die Abschnitte Entern, Ändern und Neustart – erkunden sie u.a. das Milieu, die geschichtliche Einordnung, das politische Denken sowie den demokratischen Veränderungswillen der Piratenpartei.  

Nicht nur Politverdrossenheit…

Der Häme ist einer Bewunderung gewichen: Innerhalb von sechs Jahren (formale Gründung am 10. September 2006) habe die Piratenpartei Land gewinnen können und sitzen bereits in Länderparlamenten, so der Herausgeber Christoph Bieber bereits in seiner Einleitung (S. 9). Erstaunlicher als die Erfolge an der Urne erscheine jedoch die Organisationsentwicklung sowie die immer hitziger werdende öffentliche Debatte. Es sei eine Bewegung von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie zu verzeichnen (S. 10). Weder neue Themen noch neue Inhalte wären die Ursache des Aufstiegs gewesen, sondern möglicherweise hätte die Internetsperrung zur Politisierung geführt sowie das  „Versprechen auf eine neue Form der Teilhabe am politischen Prozess“ (S. 13).  Und weiter: „Nicht so sehr die inhaltliche Auseinandersetzung (…) konturieren den Markenkern der Partei, sondern eher Arrangement und Stil der innerparteilichen Meinungs- und Willensbildung.“ (S. 15) Kurz: Nicht nur Politikerverdrossenheit sei im Spiel gewesen, sondern die Andersartigkeit: Das Alter der Mitglieder, deren Sozialisation hätte besonders Jung- und Nichtwähler angezogen. Vor allem auch die Offenheit, das Sichtbar-Machen -Wollen politischer Prozesse, die Infragestellung gängiger Routinen des politischen Systems… (S.17) Die Piratenpartei verstehe sich als Bürgerrechtspartei. Es gehe „nicht um Computer und Internet an sich, sondern um uneingeschränkten Zugang zu Sozialstrukturen.“ Politische Forderungen im Bereich Bildung, kostenloser Nahverkehr, Versammlungsrecht, Freigabe von Drogen etc.  – das ist von starkem Interesse für Jungwähler, auch wenn kein konkretes Programm existiert, wie solche Forderungen gegen den Widerstand von Staat und Kapital durchgesetzt werden könnten. Und genau dies ist es, was genauer unter die Lupe zu nehmen ist.

Ziele im Klartext

Was die Autoren ausgegraben haben, liest sich in Auszügen so: (S.176-177):  Es gehe u.a. um „… Protest gegen das politische Establihment, das als ´nicht-(mehr)-responsiv´ gegenüber den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung wahrgenommen wird.“ Piraten seien Teil der weltweiten „Facebook-Revolutionen“, deren gemeinsames Merkmal es ist, mit Hilfe digitaler Kommunikation und Vernetzung in kürzester  Zeit , ohne zentrale Steuerung und ohne hierarchische Koordination, große Empörungs- und Mobilisierungswellen hervorzurufen und zu bündeln.“ (Nur Feuerwehr- und Löscheinsätze? H.P.) Politik habe ihre Funktion als „Schrittmacher“ sozialer Entwicklungen längst eingebüßt, (…) Verdienst derPiratenpartei - sie stelle ein „Instrument zur experimentellen Lösung oder Überwindung der demokratischen Dynamisierungskrise in Aussicht….“ (S. 178)

Piraten seien allerdings „eine politische Sammlungsbewegung, deren programmatische und organisatorische Strukturbildung noch weitgehend offen ist.“ (S. 180-185) „Sie erinnern daran und sensibilisieren dafür, dass jenseits von Staat und Markt, die mit den Mitteln der Autorität und des Geldes operieren, noch andere Formate sozialer Ordnungsbildung existieren, (…)“  Die Mittelposition der Piraten: sie  beteiligen sich an staatlicher Rechtsetzung „wenn auch als Opposition , die sich zunächst darauf konzentriert, die Lösungsansätze der Regierungen als einseitige Parteinahme für Wirtschaftsinteressen oder als autoritären und intransparenten Missbrauch der neuen Medien für Überwachungszwecke öffentlich zu kritisieren…“

                                      Transparenz und Illusionen

 „Zeitarmut ist das Kennzeichen einer digital beschleunigten Demokratie…“, schreibt Karl-Rudolf Korte auf den Seiten 200-205. „Regieren im Minutentakt“, der Piraten Querschnittsthema sei Transparenz. Sie sei „die erste Partei, die historisch aus Kommunikationstechnologie und der zugehörigen Nutzerkultur hervorgegangen ist.“ Nicht die Nutzung des Internets sei dabei von Bedeutung, sondern die Haltung der Nutzer gegenüber einem gesellschaftlichen Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheit.“ Die Teilhabe am politischen Dskurs sei oft wichtiger als die Übereinstimmung mit dem Ergebnis der politischen Entscheidung.“ „Piraten spiegeln Bürgerinitiativen-Klientelismus wider.“ … „Mehr ernsthafte Beteiligung, mehr sichtbaren Nutzen (…), mehr Bewegung und Netzbarkeit als hierarchische Großorganisation.“ „So könnte politische Repräsentation in Deutschland modernisiert werden.“ (S. 206/207)

(S.76/77): Technik habe uns passiver gemacht, Technologie habe den Amateur zurück in die politische Arena gebracht. Siehe Open-Source-Politik. (S.78/79): Wir leben im Zeitalter des Open-Source-Prinzips: bei der Technologie, in der Kultur und nun auch in der Politik. Es zeichnet die gesellschaftlichen Bewegungen aus, ,,die mit Hilfe vernetzter Technologien möglich machen, dass wir Gemeinschaft anders (er)leben. Dies sei der ´Reichtum von Netzwerken´, die Yochai Benkler vor fünf Jahren beschrieb (vgl. Benkler 2007). Er wächst und gedeiht überall, und so ist es endlich  an der Zeit, dass die Menschen ihn als das erkennen, was er ist: die Macht von heute.“ Ergänzend heißt es auf der Seite 94 hierzu: „Das Internet hat die Zugangsmöglichkeiten zu Wissen schlagartig erweitert… Aber eben nicht auf einer gesicherten Eigentumsbasis, sondern als gewährten Zugang.“ Der werde also „die zentrale politische Forderung der Zukunft werden.“ Der Autor Michael Seemann bezieht sich dabei auf Jeremy Rifkin, der dies bereits zur Jahrtausendwende in seinem Buch „Access“ formuliert und hellsichtig darauf hingewiesen habe, „dass der Zugang zu Ressourcen aller Art immer weniger über Eigentum (…) organisiert wird, sondern über Modelle des Zugangs.“

(Randbemerkung von H.P.: Wer hat Zugang, wer kann sich das leisten, welche Mitwirkung ist dadurch gegeben? Denn, so lesen wir es auf Seite 98: „Die gleichen technischen Möglichkeiten bedingen noch nicht den gleichen Zugang.“)

Falltüren

Auf Gefahren bei der Nutzung des Internet für die Piraten verweist Alexander Hensel auf  Seite 47: Es seien die Unverbindlichkeiten und die Flüchtigkeit, die bewältigt werden müssen, denn die Piraten würden „kaum über Mechanismen der Steuerung oder gar Disziplinierung ihres Milieus verfügen.“ Der Druck werde wachsen, sich an Bedürfnisse neuer Wählerschichten anzupassen.

Weiter lesen wir auf den Seiten 108-110 u.a.: Die Piraten wollen eine Partei sein, die „nicht einfach Elemente direkter Demokratie stärker in die gegenwärtige Politik einbringt, sondern die für die Demokratie konstitutiv grundlose Spaltung in Regierende und Regierte auf neue Weise in den Bürger_innen verankert und dynamisiert.“ Mal herrschen, mal beherrscht werden. So würde die innere Spaltung der Bürger in Regierende und Regierte individualisiert und zugleich dynamisiert. Eine Demokratie, „deren Herrschaftausübung zu jeder Zeit mit dem zählbaren Volkswillen übereinstimmt: eine totale Identität der Gesellschaft mit ihren Herrschaft ausübenden Institutionen.“ In der totalen Sichtbarkeit bleibe kein Raum für Subjektivierung des Volkes, es kann in der Falle der Transparenz nicht mehr entkommen. Alles ziele „auf eine entpolitisierte Verwaltung im Namen der öffentlichen Meinung.“  Die Piraten würden sich in der Rolle der Vermittlerin sehen, die „Bedingungen der restlosen Versöhnung der Bürger_innen mit ihrer Herrschaft produziert.“

Gefahren und Visionen

 (S. 235): „Und hier bleiben Fragen, ob die Piraten mit dem politischen Produktionsmittel Internet dieses als Distributionsmittel nicht falsch einschätzen und so einen Hauptgegner unterschätzen, nämlich die Produzenten und Eigentümer der Netzmedien.“ (S.237): Keiner dürfe die Zensur- und Kontrollmacht der Medienkonzerne übersehen, das wäre fahrlässig und fatal, „bei ihnen konzentrieren sich schon ökonomisch alle Mittel, die öffentliche Meinung zu formatieren.“ Klar erkennbar hier der wesentliche Punkt:  „Die Machtfrage wird nicht gestellt.“ 

Zur nahen Zukunft der Piratenpartei wird festgestellt: (S. 132): „Zunächst wird es darum gehen,, bundesweit in sämtliche Parlamente … einzuziehen.“ Sie muß Farbe bekennen, muss eine Koevolution anstoßen, „die Schritt hält mit dem Wandel, dem sie, nicht zuletzt durch sich selbst, fortlaufend ausgesetzt ist.“

Hier sei folgender Einschub gestattet: Joachim Paul, Medienpädagoge und promovierter Biophysiker in einem Interview mit dem „neuen deutschland“ am 16. Mai 2012: Der Kapitalismus sei tot -  juhuu!! Aber er denke, es dauert noch ein bischen, bevor er seine letzten Zuckungen mache. Er würde sich wünschen,  dass die Linken und die Piraten in naher Zukunft zusammenarbeiten und so eine starke Front für eine neue Gesellschaft schaffen könnten. Er stelle sich vor, dass die Menschheit bei diesem System nicht sehenbleibe, „so dumm kann der Mensch nicht sein oder?"

Kritisch sei angemerkt: Im Umschlagtext ist zu lesen: Auch die Wissenschaft sei gefordert, „ihren Beitrag zu einer anspruchsvollen Zeitdiagnose zu leisten.“ Es ist nachzuhaken, ob durch Umschreibungen (wie z. B. Protestkulturen statt Klassenkampf) wahre Sachverhalte wieder einmal in Nebelschwaden verschwinden und dem Versöhnlertum mit den Herrschenden Tor und Tür weiter geöffnet werden. Das wahre Konfliktpotential bleibt im Verborgenen. Transparenz? Was würden die Piraten selbst dazu sagen?

Auf Seite 110 gesteht Frieder Vogelmann: Offen bleibe, „ob wir diese Gegenwart tatsächlich zu unserer Zukunft machen wollen.“ Der Rezensent würde das so formulieren: Alles ist offen… alles befindet sich in der Schwebe zwischen Froschgesang und echter und wirksamer Revolte. Quo vadis Deutschland? Dies könnte eine Antwort sein: „Die Piraten positionieren sich (…) mit den Parteien des linken Spektrums.“ (S. 229)

Frösche haben es gut – sie wissen nichts von ihrem sinnlosen empörten Gequake.

          
(„Unter Piraten“ Erkundungen in einer neuen politischen Arena, Herausgeber: Christoph Bieber, Claus Leggewie, transcript Verlag, Bielefeld, 248 Seiten, ISBN 978-3-8376-2071-9, Preis: 19,80 Euro, broschiert)

(U.a. veröffentlicht in "Neue Rheinische Zeitung" und LinkeZeitung)