Samstag, 28. Januar 2012

"Friede den Hütten! ..."

„Friede den Hütten!...“

Eine ganz persönliche Beobachtung / Von Harry Popow

26. Januar 2012: Marktplatz Friedrichshagen. Sonderaktion der Montagsdemonstranten gegen Fluglärm. Über tausend in der Januarkälte. Hochgeschlagene Kragen. Schilder: Menschen- und Klimakiller! Nicht über unsere Köpfe hinweg. Spontane Reden. Lügner. Lügner!! Lügnerpack. Ein Redner: Es habe nie eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Flüge über den Müggelsee gegeben. Und weiter: Man hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen. Wir haben ihn aufgenommen. Wowereit weg! Wütende, aufgebrachte Bürger. Der Ruf „Wir sind das Volk!“ Rbb dabei. Reporter Ulli Zelle. Scheinwerfer, Trillerpfeifen. Buh-Rufe! Wir sind die Krieger – ein selbstgebasteltes Lied. Warum? Heute war entschieden worden: Die Flugrouten – vor allem über den Müggelsee – bleiben erhalten. Unter fadenscheinigen Ausreden, ja Lügen. Alles dahin: Dreißig Montagsdemos seit 2011. Menschenkette um den Müggelsee. Müggelsee ist überall, so ein weiteres Plakat. Stimmung, eine nicht durch noch mehr Lügen zu beschwichtigende Masse. Eine Zündschnur ist gelegt, seit langem? Wohin führt sie? Wohin muß sie führen? Ein kostspieliger Rechtsstreit wird kommen. Sein Ausgang ungewiß. Aber der Kampf geht weiter.

Persönlicher Rückblick auf das Jahr 1949: Berlin-Friedrichshagen. In der Bölschestraße, der Hauptstraße, wird ein Jugendklub gegründet. Der gehört der neuen Pionierorganisation. Dort trifft man sich und bekommt auch blaue Halstücher. Ich will auch mitmachen. Gehe  einfach hin. Der soeben gegründete Fanfarenzug zieht mich an, vor allem das Trommeln. Wir üben oft. Erst im Keller des Klubs, dann auf der Straße, wo viele Leute interessiert zusehen. Das gefällt mir. Und dann heißt es: „Wir bereiten uns auf eine große Sache vor ...“ Nach der Schule wird tüchtig geprobt. Fast jeden Abend. Dann ist es soweit. Ein neuer Staat wird am 7. Oktober gegründet – die DDR! Der Fanfarenzug trifft sich am 11. Oktober mit Tausenden anderen im Berliner Lustgarten. Fackeln, Fanfaren, Menschen über Menschen. Und alle fröhlich und voller Erwartung. Extra für diesen Anlaß wurden viele kleine Bäumchen am Rande des Platzes gepflanzt. Dieser historische Abend war ein unauslöschliches Erlebnis für mich.

Zurück in die Gegenwart: Am nächsten Tag lese ich im Internet Worte von Kristian-Peter Stange, Pressesprecher des BVBB: „…Die zynischen und höhnischen Aufforderungen, die gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen zugunsten einer politischen Standortfehlentscheidung hinzunehmen, sind unerträglich. Was sich Platzeck und Wowereit mit solchen Aufforderungen erlauben, liegt außerhalb ihrer verfassungsgemäßen Verpflichtungen. Sie treten damit die Grund – und Menschrechte mit Füßen und dürfen sich darum nicht wundern, wenn sie als Verfassungsfeinde bezeichnet werden. (…)“

Was aber raunen die uns zu? „Findet euch ab“…

Richtig, Wowereit, wir sind ein unmündiges Volk. Mit uns könnses ja machen. Wie lange noch? Es ist unglaublich, wie das Volk verarscht wird. Die Oberen schaufeln sich selbst das Grab. Irgendwann. Sie wissen es nur noch nicht… Die mutigen Friedrichshagener und die Anlieger – sie haben Ausdauer… Georg Büchner: Friede den Hütten!... Danke für den Fehdehandschuh. Man weiß, mit wem man es zu tun hat…

Donnerstag, 12. Januar 2012

Der Mensch vor dem Supermarkt / Die Nachdenklichkeit - sie hockt im letzten Wagen des Zeitenzuges / von Harry Popow

Da gerinnt das Blut in den Adern: In der ZDF-Serie „Reich und obdachlos“, in der Begüterte in der Kluft Obdachloser für einige Tage Probleme der Armen kennenlernen sollten, „erkannte“ eine Hamburger Galeristin empörend, ja, Obdachlose werden mißachtet, werden als der letzte Dreck angesehen, nicht als Menschen. Man merkte es ihr an, ihr war nach Heulen zumute. Sie fragte aber nicht, warum das so ist. Warum diese sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich? Keiner der teilnehmenden Millionäre dachte darüber nach. Warum eigentlich nicht?

Unglaublich: Sie sehen mit eigenen Augen das Elend, spüren aber auch den Reststolz der am Rande der Gesellschaft lebenden. Machen also persönliche Erfahrungen – und doch bleibt ihr Denken in der bloßen Anschauung stecken, im Symptom. (Auch im Falle des Bundespräsidenten.) Warum? Wegsehen, weil man angeblich nichts bewirken könne, Zufriedenheit, die einen zudeckt? Wo doch täglich aufs Neue Pleiten in der Gesellschaft passieren. Taube Ohren? Taube Augen? Tote Seelen?

Fahre mit der S-Bahn, gehe in die U-Bahnschächte, laufe durch die Straßen: Überall triffst du sie: Die Ärmsten der Armen. Manchmal eine zu verkaufende Obdachlosenzeitung unterm Arm, manchmal ein Musikinstrument spielend, oft knieend auf dem Bürgersteig und einen Hut oder Teller vor sich. Und diese Augen!! Sie sprechen Bände. Sie schreien stumm: Bitte, bitte…! Und das deutschlandweit, weltweit. Im „Schattenblick“ war per Internet zu lesen: „250 000 Menschen gelten in Deutschland als wohnungslos - Tendenz steigend. Jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet, könnte abrutschen und - wenn es ganz schlimm kommt, auf der Straße landen. Das Risiko zu verarmen hat längst die Mittelschicht erreicht. So weit die Fakten. Grund genug für Journalisten, das Thema Obdachlosigkeit aufzugreifen und darüber zu berichten. Aber wie?“

Nun, das ZDF - und nicht nur dieses Medium - hat es versucht – und ist erbarmungslos in den Augen wohl der meisten Zuschauer abgerutscht, weil die Serie zu flach und oberflächlich daherkam. Ohne Tiefe, ohne ein gesellschaftliches Resümee zu ziehen. Schade um die Steuergelder!

Auch ich sehe oft einen, der bettelnd vor dem Eingang des Supermarktes steht. Einen Menschen. Nahezu täglich, nun schon Jahre, da man ihn sieht, bei Wind und Wetter. Nicht die Hände ausgestreckt. Keinen Hut vor sich auf dem Erdboden. Ruhig und lächelnd steht er da wie eine Statue. Jeden höflich „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“  ansprechend. Blaue Augen, tränenlos. In unseren Taschen finden wir etwas Kleingeld. Jedesmal. Er bedankt sich.

Wie gerne würde ich mehr über ihn erfahren. Woher er kommt, wie er in diese entwürdigende Lage gekommen ist. Wie schwer er es hatte. Ob er Angehörige hat. Und und und… Ist es Mitleid? Eher Mitgefühl. Und was würde es ändern an seinem Zustand? Könnte man etwas über ihn schreiben? Würde er das befürworten? Und wer soll das veröffentlichen? Das ist doch keine Sensation, die sich gut verkaufen läßt.

Da steht er also, was mir vorkommt, er stünde er auf einem Bahnhof und dürfte und könnte nicht in einen Zug steigen, der ihn mitnähme in ein menschenwürdiges Dasein. Und die an ihm Vorübereilenden: Da er öfter dort steht, ist er kein unbekannter. Sicher, einige reichen ihm Almosen. Und gehen befriedigt weiter, etwas Gutes getan zu haben. Warum nicht? Andere senken verschämt die Köpfe, sausen schnell vorbei an einem für sie unfaßbaren Häuflein Unglück. Ihm ein paar Cent geben? Ist das die Lösung? Vor Jahren fragte ich mal einen Obdachlosen: Gibst du mir auch etwas, wenn ich arbeitslos bin? Aber ja, antwortete er und wir lachten beide und ich steckte ihm einen Almosen zu.

Wegschauen! Verächtlich dreinschauend! Flink vorübergehen! Feigheit? Sich als etwas Besseres fühlend, trotz der glitzekleinen „Erfahrungen“ wie der Frau in der ZDF-Serie? Ist das zur Gewohnheit geworden? Hat sich Kälte eingefressen in unser noch wohlbehütetes Dasein? Die Macht der Selbstzufriedenheit! Wie stark muß die Mauer um einen sein, wenn man außerhalb seines Ichs, außerhalb seiner „Geschäfte“ nichts mehr sieht, nichts mehr wahrnehmen will? Ist es nicht an der Zeit, diese sehr schwerwiegenden inneren Widerstände einzureißen? Schauen wir etwas genauer hin: Wer macht es denn den Leuten schwer, mehr Kopfarbeit zu leisten?

Ist es die Gewöhnung an die nahezu täglichen Abstürze, an die andauernden Misere? Nicht nur. Keinem kann man es verübeln, jeder hat seine eigene Sicht. Die Wahrheit ist auch: Aber nicht jeder sieht etwas!! Etwa dies zur Auswahl: Arbeitslosigkeit, geheuchelte Bewerbungsschreiben, , wackelnde und stürzende Minister- und Präsidentensessel, Vertuschungen, Lügen über die Geschichte, Reduzierungen auf Unwesentliches, Lieblosigkeiten, geheuchelte Liebe, Verdummungsprozesse per Medien, Betrug der Massen, Fluglärm der Wirtschaftlichkeit wegen, „Reparaturkolonnen“ statt „Demokratie“, Schönheitsoperationen, um sich besser verkaufen zu können, Bettler, hungrige Augen, Gewalt, Messerstecher, Autoanzünder, Mieter, die wegen steigender Mieten hinausgeekelt werden, Mütter, die bei kriegerischen Auslandseinsätzen ihre Söhne verlieren, Finanzpleiten, die das ganze System der Gesellschaft ins Wanken bringen. Menschen, die von Pleite zu Pleite torkeln und das Vertrauen in die Politik mehr und mehr verlieren!!! Ein Sumpf, der täglich neue Blüten produziert!

Die flunkernden Medien, die Politik - alle machen sie einen großen Bogen um tiefere gesellschaftliche Ursachen. Nicht, daß das Wort Profitmaximierung nicht fiele, das vor Jahren noch stets totgeschwiegene Wort „Kapitalismus“. In allen Tolk-Shows hört man es, hin und wieder. Und dann? Wie weiter? Keine Lösung angedacht? Sind die Deutschen zu feige, an der Macht zu rütteln? In der DDR ging das doch so einfach, aber aus ganz anderen Gründen. Und nun? Keiner glaubt doch mehr an ein Land des Aufblühens. Niemand. Eine Alternative muß her, so unverzüglich wie möglich! Da ist aber die Sperre im Kopf: Die wird nichts angedacht. Komplexes Denken, dies hat Gesine Lötzsch (die Partei Die Linke) mal in einer TV-Gesprächsrunde auf den Punkt gebracht. Man verstand sie erst gar nicht… Wo sind wir gelandet? Wohin fährt der Zeitenzug?

Bleiben wir beim Symbol des Bahnhofs. Der Zug fährt ein. Alle wollen und müssen mitkommen. Die Egoisten, die Ereiferer, die Arroganten, die Narzisten, die Herrschenden, die Volksverdummer. Sie haben nur ein Ziel: Nichts zu verpassen. Weder den noch existierenden Arbeitsplatz noch den Anschluß an die Gesellschaft. Mithalten ist die Devise. Sich verkaufen müssen. Die Furcht vor Verlusten treibt sie voran, der Konkurrenzkampf. Ganz oben sein. Auf Biegen und Brechen. Zurückschauen auf den zurückbleibenden Obdachlosen? Warum? Jeder muß zusehen, dass er über die Runden kommt. „Das Bewußtsein der Vielen fuhr immer im letzten Wagen des Zeitenzuges“, schreibt Maximilian Scheer in seinem Buch „Paris-New York“.

Einst kam ich mit einer „feinen“ Dame aus dem künstlerischen Bereich über die Arbeitslosigkeit ins Gespräch. Sie schwörte unverdrossen auf die Kultur ihres Abendlandes. Und die am Straßenrand hockenden, die Ausgestoßenen, was ist mit denen, fragte ich sie. „Die interessieren mich nicht“, war ihre furchtbare arrogante Antwort. Und ein Geistlicher äußerte im persönlichen Gespräch auf die Frage nach Kriegen und den Leuten, die ganz unten stehen, das sei Gottes Fügung…

Wie weit muß eine Gesellschaft noch sinken, um so viel Ignoranz den Bedürftigen gegenüber  für ewig zu akzeptieren? Welch eine Gefühlskälte spielt da mit? Sicher, nicht jedem Außenstehenden kann man Almosen zustecken, aber haben sie nicht mindestens unsere Achtung verdient,  wie sie sich durchs Leben durchboxen zu müssen? Und nochmals: Wohin führt unser Zeitenzug?

Was sagt zum Beispiel der französische Philosoph  Lucien Sève  in seinem Artikel „Der Mensch im Kapitalismus“ (siehe „Das Blättchen“, 14. Jahrgang | Nummer 26 | 26. Dezember 2011) zu diesem sehr menschlichen Problem? „Wir stehen an der tragischen Schwelle zu einer Welt, in der der Mensch nichts mehr wert ist.(2) Das drückt sich im „Schicksal“ derer aus, die arbeitslos, obdachlos, heimatlos oder perspektivlos sind. Aimé Césaire hat in diesem Zusammenhang von der „Fabrikation von Wegwerfmenschen“ gesprochen. Dabei werden diejenigen fett, die alles zu Geld machen – unvorstellbar hohe Gehälter, goldener Handschlag – , aber es läuft auch bei ihnen auf dasselbe hinaus: den Verfall aller Wertmaßstäbe. Der einzige „Wert“, der sich zum Maß aller anderen macht, ist nur noch selbstbezüglich und ohne jeden eigenen Wert. Der Finanzsektor hört nicht auf, sich mit virtuellen Nullen aufzublähen, die milliardenweise verschwinden, sobald die Blase platzt. Zurück bleibt die harte Wirklichkeit für die Produzenten des Realen. Ist diese Auflösung der Werte weniger schlimm als das Abschmelzen der Pole? Unsere Menschlichkeit selbst steht auf dem Spiel – ist uns das in vollen Ausmaß bewusst?“

Der Mensch im Kapitalismus. Na schön, sagen viele Zeitgenossen. Wir leben, und ändern können wir ohnehin nichts. Daniil Granin stellte in seiner interessanten Reisereportage „Garten der Steine“  u.a. fest, daß der Kapitalismus auf der Straße recht unsichtbar ist und nicht so leicht zu entlarven, womit er recht hat. Aber die Bettelnden – sind sie nicht ein augenfälliges Beispiel für die seelische und physische Armut dieser Gesellschaft, die überdies immerfort von der Einhaltung der Menschenrecht faselt?

Ich sehe ihn noch vor mir: Den Bettler vor der schwedischen Kirche in Karlskrona, als wir einst für viele Jahre in Schweden wohnten. Da steht eine Holzfigur, genannt der „Gubben Rosenbom“. Durch den Roman „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson“ von Selma Lagerlöf weltberühmt geworden, jetzt der meistfotografierte Alte in Schweden und das Erkennungsmerkmal von Karlskrona. Was mich aber sehr bewegte, das ist der Spruch auf einer kleinen Tafel: „Demütig ich bitte sehr, die Stimme ist nicht gut, gib mir ein Taler her, doch lüpf dafür den Hut.“ Wie würdevoll!

Ich hoffe, später einmal, da werden die  – aus welchen Gründen auch immer - ,rücksichtslos aus der Lebensbahn Geworfenen ihren Bettelplatz mit einem Arbeitsplatz vertauschen können. Dann erst zieht auch unser einstiger Mann vor dem Supermarkt seinen Hut vor denen, die die Welt verändert haben. (Jeder Kapitalanbeter und Nutznießer lacht sich dabei kaputt...)

Zunächst aber bitte Hut ab vor den Armen. Ja, sind wir denn ganz von Sinnen, nur das Geld und dessen Allmacht zu akzeptieren? Man sagt zurecht: die auffälligste Fehlentwicklung unserer Zivilisation ist die Vermarktung alles Menschlichen. Wohin führt uns also der Zeitenzug, da heute uralte kulturelle Werte der Kälte des Kokurrenzkampfes geopfert werden – und zwar weltweit? Und die meisten Medien spielen da ohne Zögern mit.

Da schreibt die Moskauerin Ljubow Pribytkowa im Internet über die Medien, die ja nach bürgerlichem Verständnis wachen müssten über den Zustand der Gesellschaft: „Sie produzieren gefälschte `Erinnerungen`, schreiben unbequemen Politikern fiktive Reden zu, starten provokatorische Verhöre, verbreiten schmutzige Anekdoten usw.… Politische Ereignisse und gesellschaftliche Tatsachen werden gerade so interpretiert, wie es der Bourgeoisie von Vorteil ist. Vom kritischen oder sozialistischen Realismus in der Kunst, von der Wahrhaftigkeit der politischen Propaganda können wir jetzt nur träumen. Rundfunk und Fernsehen überfluten in breiten Strömen die Welt mit Lüge, Irreführung und Verleumdung. Da werden Tatsachen unterstellt, Begriffe verzerrt, falsche Videos produziert. Die Demagogie wurde zu einem Hauptinstrument der Bearbeitung des Bewußtseins der Massen. Nur mit Mühe kann man im Internet ein Programm mit objektiven Interpretationen über die Ereignisse in der Welt finden.“

Der Zeitenzug! Er rast wohin? Eines steht fest: Die Oberflächlichkeit, die menschliche Kälte, die Diktatoren des Geldes  – sie fahren in den vordersten Waggons. Die Nachdenklichkeit, das Bewußtsein vom schlimmen Zustand unserer Welt, sie werden auf den letzten Waggon verbannt. Da sollte man doch schnellstens die Lokomotivführer wechseln und ihnen die Weichen stellen zur Fahrt in eine humanistischere Welt. Nicht die Ausgestoßenen, die auf dem Bahnsteig zurückbleibenden, sind die Ärmsten, nicht sie…

Vielmehr hochgradig jene, die mit politischer Blindheit Geschlagenen, die Finanzkraken dieser Welt, die personifizierte Gier  – noch sitzen sie bequem in der ersten Klasse, verteufeln jegliche Alternativen und träumen vom „Kohlemachen“, vom nächsten Extraprofit, die Welt in den Abgrund schleudernd… Und ahnen nicht einmal, wie gefährlich, wie verbrecherisch und überflüssig sie in einer nur finanzbeherrschten globalisierten Welt geworden sind…

"Die Unwissenheit läßt die Völker nicht nur in Schlaffheit versinken, sondern erstickt in ihnen selbst das Gefühl der Menschlichkeit."

(Helvétius)


Veröffentlicht u.a. in der Zeitschrift "RotFuchs" (Dez. 2012)

Dienstag, 10. Januar 2012

Flachgebürstet


Ich denke ich lüge. Wieder einmal wurden wir von den Medien – wie bereits üblich – inhaltlich flachgebürstet. Es geht um die Serie im ZDF “Reich und obdachlos.“ Gut so: Reiche probieren das Armsein. Aber nur für paar Tage. Eine erste Erkenntnis einer Teilnehmerin dieses „epochemachenden Experimentes“: Man ist als Armer ein Nichts. So eine Verachtung, die dir entgegengeschleudert wird, so eine Mißachtung des anderen Menschen. Du bist als Obdachloser der letzte Dreck. Und der Reiche: Er bescheißt, erschwindelt sich Geld, um den „Obdachlosen“ zu helfen und geht in ein Hotel mit dem erschwindelten Geld der „nichtsahnenden Leute“, um dort endlich wieder - nach der ersten Nacht im Freien - richtig zu nächtigen. Eine „Urwaldstory“, extra vom TV organisiert. Welches Fazit wird es vom ZDF geben? Stoßen sie nach – in das Problem der immer stärker klaffenden Schere zwischen Arm und Reich? Oder bleibt alles im flachen Bereich? Ein Hingucker allemal! Und dann…? Der Reiche – widerlich in seiner Arroganz und mit seiner Meinung, jeder kann was aus sich machen, er müsse es nur tun… Keiner fragte nach den tieferen Ursachen, keiner übte Systemkritik. Warum eigentlich nicht? (Die Diskussion zum Beitrag wurde verschoben.) Blödeleien und kein Ende. Da soll man sich noch empören? Hauptsache, die Quote stimmte wieder beim ZDF. Herzlichen Glückwunsch.

Harry Popow

Freitag, 6. Januar 2012

TV-Film "Die lange Welle hinterm Kiel" - ein Flachmann


Darf man als Regisseur in der Verfilmung eines Romans nicht ein wenig mehr Tiefe und Gegenwartsbezogenheit hineinlegen? Angesichts der Neonaziszenerie im heutigen Deutschland? Die Schuld am Kriegsgeschehen auch hier nicht nur auf einzelne Personen reduzieren? Nein, da stelzen zwei Alte über das Deck des Schiffes und giften sich wegen damaliger Geschehnisse an. Schuldzuweisungen, die sie sich letztendlich selbst zufügen müssen. So etwas konstruiertes!! Zuerst hoffte ich auf Gedankentiefe, setzte mich im Sessel gar aufrecht hin - und dann diese unglaubhaft in Szene gesetzte Geschichte. Der Film - ein einziger Flachmann!! So kann sich denn der kleine Philister beruhigt zurücklehnen und die Hände in Unschuld waschen: Ich bin aus allem raus, und was die heute da ganz oben in Sachen Kriegsbeteiligung verzappen oder gar den Neonazis hier und dort noch freie Hand gewähren, da kann ich als "Normalbürger" ohnehin nichts ändern. Und so torkeln wir in Deutschland und anderswo nach wie vor von Pleite zu Pleite. Wann kommt das Erwachen? Doch ein "Traumschiff", auf dem man ein Fazit ziehen müßte, wird es dann nicht mehr geben - auch ein Später nicht... 
Harry Popow

Motiverkundung / Gedankensplitter von Harry Popow


Wer kennt sie wohl nicht, diese furchtbar entlarvend wollende Frage: „Warum hast du das getan?“ Eltern fragen so. Auch Richter, allerdings mit einem „Sie“. Die Frage aller Fragen: Warum? Motive, Beweggründe, die stehen bei jeder Tat, bei jedem Verhalten, bei jeder Erforschung des Denkens eine große Rolle. Jeder weiß das. Und doch: Wer schreibt, kommt an diesen menschlichen Erkundungen nicht vorbei. Denn was sollen lediglich äußere Vorgänge, wenn du nicht verstehst, warum einer so und nicht anders gehandelt hat. Entschuldigt, daß ich auch aus persönlicher Erfahrung als Journalist spreche. Und da ist festzustellen, das ist die schwierigste Phase bei der Charakterisierung eines Menschen: Du mußt ihn aufschließen können. Er soll aus sich herausgehen. Was geht in seinem Inneren vor? Welche Wofür und welche Dagegen spielen sich in seinem Kopf und in seinen Emotionen ab? Und um in die Gefühls- und Gedankenwelt eines Gesprächspartner eindringen zu können, kanst du nicht so simpel fragen wie eingangs erwähnt. Es ist eine Kunst, tief in die Seele deines Gesprächspartners eindringen zu können.
Warum?

Lassen wir unsere Klassiker mal sprechen: So Thomas Mann in „Es geht um den Menschen, Prosa aus fünf Jahrzehnten“, Seite 286/287 (sich auf Walter Scott beziehend): „Die Kunst besteht darin, daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der Gegenstand unseres Interesses. Die Aufgabe des Romanschreibers ist nicht, große Vorfälle zu erzählen, sondern kleine interessant zu machen.“ Und Maxim Gorki: „Nichts Wichtigeres und Aufschlußreicheres gibt es im Leben als die Motive menschlicher Handlungen.“ Ihr habt mir mit dem Thema „Motive“ die Eröffnung eines Themas nahegelegt. Ich tue es hiermit und frage, wer hat bei der Motivbefragung und Motivdarstellung welche Erfahrungen gemacht? Schließlich können Beweggründe ja nicht nur in direkter Rede dargestellt werden…

http://cleo-schreiber.blogspot.com