Donnerstag, 17. November 2011

Dieser Geist unter´m Helm / Buchtipp von Harry Popow

„Ich habe in der Bundeswehr gedient. Die hat mit ihrem Auftrag und ihrer Präsenz den Krieg damals verhindert und sichert Deutschland weiterhin! Auch im Einsatz!! Mir jedenfalls genügt das und es macht mich stolz!“

Schön für ihn. Es ist ein User, der diese Zeilen in einem Forum schreibt.
Sicher, jeder hat so seine eigene Sicht, das muß man wohl jedem zugestehen. So auch dem einstigen Bundesgrenzschutz, seit dem 01.März 2008 umbenannt in Bundespolizei. Das betrifft vor allem die Aufgaben und Ziele. Nach der Lesart und Überzeugung der Unterführer und Dienstanfänger dienten sie der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ der BRD gegen „innere und äußere Feinde“. Wenn alleine das genügend Fragen aufwirft, dann macht doch folgendes bereits stutzig: Der BGS besitzt zwei Helme. Den blankgeputzten Helm aus der Nazizeit und den Polizeihelm mit klappbarem Visier für den inneren Notstand.

In einem Aphorismus heißt es: „Jeder hat seine eigene Sicht, aber nicht jeder sieht etwas.“

Es ist einem ehemaligen DDR-Grenzer seiner Sehstärke zu verdanken, dass er als Autor des Sachbuches „Zwei Helme im Spind“ (Verlag Wiljo Heinen, 282 Seiten, 2011, ISBN 978-3939828-84-6) diesen Nebelvorhang über dieses Machtinstrument der Regierung der BRD durchleuchtet und Fakt für Fakt nachweist: Der BGS war und ist nicht das, wofür er sich ausgibt, nämlich friedfertig.

Horst Liebig ist in der Literatur kein unbekannter. Vor Jahren schrieb er seine Autobiografie „Ein Leben in Reih und Glied“. Der 1929 in Leipzig geborene überlebte den Zweiten Weltkrieg als Flak-Helfer. In der SBZ und später in der DDR sieht er als Grenzer und u.a. als Militärjournalist seine Hauptaufgabe darin, dem Kriegsgebaren der Westzonen und der BRD einen Riegel vorzuschieben. Hautnah also dran an einem aggressiven Gegenüber erlebte er den wahren Charakter des BGS.

Und nun, mit über achtzig Jahren, holt er noch einmal aus und reißt den scheinheiligen Friedensengeln mit seinem Enthüllungsbuch die Maske vom Gesicht.

Mit einer erstaunlichen Akribie sucht und findet er in Büchern, Zeitungen und im Internet die vor allem selbstentlarvenden Fakten. Dabei holt er weit aus: Von der Gründung der BRD im Jahre 1949 bis zur Umformierung als Bundespolizei. Dies ist nachzuvollziehbar: „… der Bundesgrenzschutz (war) ein äußerst wichtiges Machtorgan … und diente vor allem der Sicherung und Aufrechterhaltung der monopolistischen Eigentumsverhältnisse und der Herrschaft des Großkapitals.“ (Seite 281)

Adenauer in einem Tagesbefehl: Er bezeichnet die Angehörigen des BGS „als Träger bester deutscher Tradition (…) bei der Wiedergeburt deutschen Soldatentums. (…) Der im BGS lebende Geist möge auch ihre fernere Arbeit (…) beseelen bis zu dem Tag, an dem ein wiedervereinigtes Deutschland ihnen danken wird.“ (Seite 49)

Welch eine gefährliche Ignoranz, den tatsächlichen Charakter der Grenze zwischen der BRD und der DDR lediglich in „innerdeutsch“ bzw. in „Zonengrenze“ umzudichten. Dazu ein Zitat aus dem Buch mit dem Titel „Wir tragen den Adler des Bundes am Rock…“ von einem Hans-Jürgen Schmidt. Zur Planung, den BGS per Gesetz in die Streitkräfte zu überführen, sagt er: „Damit wäre gleichzeitig auch seine sogenannte ,Pufferfunktion‘ an der Nahtstelle zwischen den beiden Machtblöcken entfallen und Soldaten beider Paktsysteme, der NATO und des Warschauer Paktes, hätten sich im Krisenfall unmittelbar gegenüber gestanden.“ Ein nicht gewolltes Eingeständnis?

Der gleiche Schmidt läßt die Katze aus dem Sack, indem er die Leistungen der Väter und Großväter in den beiden Weltkriegen gewürdigt wissen will. Man solle wachsam sein gegen alle Versuche, „unsere Freiheit zu untergraben“. (Seite 145)

Noch schlimmer. Er markiert den künftigen Weg des BGS, indem er aus dem letzten Wehrmachtsbericht des Oberkommandos zitiert. Da hieß es: „Die einmaligen Leistungen von Front und Heimat wird in einem späteren Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden… (…) Horst Liebig kommentiert: Kein Wort vom Autor zu den Verbrechen der Faschisten zum millionenfachen Mord (…) Schmidt beklage nur die deutschen Verluste an Menschen und Territorium. Und: Keine Frage nach den Ursachen! (Seite 118)

Wofür die Angehörigen des BGS der aggressiven Zielstellung zufolge nicht alles gut waren: Als NATO-Späher, als Zünder zum Konflikt, als Grenzprovokateure, als Fluchthelfer, als Truppe des ersten Schusses, als Sprachrohr des Kalten Krieges und nicht zuletzt als Unterdrücker jeglicher friedlicher Demonstrationen gegen die Macht der Monopole im Innern des deutschen Landes.

Hasserziehung auch gegen Andersdenkende. So forderte der ehemalige Bundesinnenminister Genscher von den BGS-Leuten, „mit aller Konsequenz gegen jene“ vorzugehen, „die nicht Reformen wollen, sondern Revolution“. (Seite 95)

Für Kenner der Materie kein Wunder, u.a. auch auf folgende bezeichnende Schlagworte zu stoßen: Gefahr des Kommunismus, nuklearer Erstschlag, Feindbilder, Anwendung des ersten Schusses, präventive Aufstandsbekämpfung, Rammkurs auf der Elbe, Seelsorge. Genug davon.

Zu danken sind dem Autor vor allem die Aussagen über die Geisteshaltung der Männer und Frauen des BGS. Charakterisiert dies doch ohne jeden Zweifel am stärksten deren Absichten und Motive, die ihnen aufdoktroiert und in manipulierender Weise eingetrichtert wurden. Auf den Seiten 32 bis 38 zählt der Autor allein dreizehn Offiziere und Generäle namentlich auf, die als Stammväter des BGS bezeichnet werden. Man hat nichts dagegen, wenn sie allesamt der faschistischen Wehrmacht entstammten und deren Geist nun in die Köpfe der Jüngeren einfließen ließen.

Wenn Ende der siebziger Jahre laut Aussagen des Autors allein an den Grenzen zur DDR und zur CSSR 93 Prozent des BGS standen und sie einer Geisteshaltung entsprachen, die nicht weniger als stockreaktionär,weitgehend demokratiefeindlich und als aggressiv bezeichnet werden kann, dann Hut ab vor den jungen DDR-Grenzsoldaten, die – auch trotz mitunter fehlerhafter Handlungen – im Grunde zuerst ihren Kopf hingehalten haben für alle Bürger im Hinterland der DDR. Die bei Gefahr ihres eigenen Lebens standhaft ihren Mann an dieser Systemgrenze gestanden haben, die klug und sehr besonnen zig Provokationen abgewehrt haben, denn jede einzelne hätte zu einem Weltbrand führen können. Darauf waren diese ja kaltblütig angelegt. Den Mutigen und Standhaften also sei dies Buch empfohlen und auch sonst allen politisch aufgeweckten und geschichtsinteressierten Leuten.

Das Buch des Autors, in einem sachlichen Stil geschrieben, nur mit kurzen Kommentaren bestückt und die Schlußfolgerungen weitgehend den Lesern überlassend, reiht sich ein in die Literatur der wiederzugewinnenden Deutungshoheit der DDR-Geschichte und ihrer Widersacher. Man denke dabei nur an das heiße Diskussionen herausfordernde Buch „Ohne Mauer hätte es Krieg gegeben“ von den beiden NVA Generälen Heinz Keßler und Fritz Streletz. Auch diesmal, so ist zu vermuten, werden die Fetzen um diese Veröffentlichung fliegen. Gemach: Es ist wie es ist: Der Invasion der Vernebelungen und Lügen über die Ursachen des Kalten Krieges kann nicht genug Paroli geboten werden. Um der Zukunft willen!

Nicht jeder sieht etwas? Die Frage erübrigt sich in diesem Fall. Der Autor – ein ehemaliger Grenzer der DDR – er hatte in seinem Spind nur einen Helm. Ohne Visier, versteht sich. Und unter diesem – wie unter allen Helmen der Soldaten des Friedens - herrschte wahrlich ein anderer Geist. Ein ganz anderer…