Sonntag, 30. Dezember 2012

Herbstlandschaft

Acryl auf Leinwand, 50X70 cm, hier habe ich einen ukrainischen Maler kopiert und meine farblichen Vorstellungen umgesetzt.

Dienstag, 25. Dezember 2012

Salbungsvolles


Wenn jemand eine Ansprache hält, gegen Gewalt aufruft, für Solidarität und Nächstenliebe, für Gottesgläubigkeit, für Frieden und Wohlgefallen, dann predigt er – wie seit tausenden Jahren – nur Salbungsvolles, denn kein Wort fließt über schmalzige Lippen, jeglichem Unverstand und jeglichem Krieg ein Ende zu gebieten. Nicht grundsätzlich Veränderungen anzumahnen – was das ist? Verarschung. Und das heißt Verletzung der Menschenrechte: Abwarten und Nichtstun, auf Gott vertrauen! Es ist genug Geschwätz in der Welt. Genug, Herr Abgesandter…
Harry Popow

Da sprach Stunden später jemand in Rom zur Neujahrsansprache jenes Wort aus, wovor sich "unser" Gauckler und die marktkonforme Großchefin fürchten - Profitmaximierung. Nun also doch: Gotteshilfe, ausgerechnet vom obersten Würdenträger!! Richtig ketzerisch! Einfach toll.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Hans-Dieter Mäde: Fragmente einer Motivation

  „Nachricht aus Troja"

Buchtipp von Harry Popow                                   

Wer tief schürft, wird manches finden. Das betrifft bei Weitem nicht nur die damaligen Wismutleute im Erzgebirge, die nach der Befreiung 1945 im Interesse des Weltfriedens nach Uranerz (notwendig für den Bau von A-Bomben in der UdSSR) suchten und fündig wurden. Das geht wohl jedem Menschen so, der nach Erkenntis sucht, nach größerem Wissen forscht, sein Leben zurückblickend neue Nuancen seines Denkens, Fühlens und Tuns abzuklappern gedenkt. Wichtig dabei sei, so Thomas Mann, „daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der Gegenstand unseres Interesses.“

Hans-Dieter Mäde hat das getan. Ein bekannter DDR-Regisseur, geboren 1930 in Krakow, aufgewachsen in Schwerin, als Generalindendant und Chefdramaturg an verschiedenen Theatern tätig in der DDR, zuletzt u.a. Regisseur am Maxim Gorki Theater Berlin und Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme Potsdam-Babelsberg. (Nach langer schwerer Krankheit 2009 verstorben.)

Was er in seinem Buch (der Text, entstanden seit Mitte der 90er Jahre unter Mitarbeit seiner Frau Karin Lesch und seines Sohnes Michael Mäde, wurde aus dem Nachlaß herausgegeben) „Nachricht aus Troja“ ans Tageslicht förderte, wird all jene begeistern, die ebenso wie er nach 1945 nach neuen Wegen suchten, aus dem Dilemma der Kriegs- und Nachkriegswirren herauszukommen und sich dort einzubringen, wo endlich etwas Neues entstehen sollte: Und das war zweifellos im Osten Deutschlands der Fall.

Bemerkenswert, wie Mäde bereits als Jugendlicher seine Lebensbahnen in die Richtung von Literatur und Theater gerichtet hat und – das ist nicht zu bestreiten – im neuen gesellschaftlichen Milieu den Nährboden und seine Chancen sah, an der großen Umwälzung teilzuhaben. Jedoch nicht nur als Nehmender, als inaktiver Mitarbeiter, sondern als stets Suchender. Eine Position, die ihm wohl Glück in der Arbeit als auch manche Unbequemlichkeiten mit den Staatenlenkern einbrachte. So schreibt Mäde auf Seite 169: „ Das von mir für zeitgemäß gehaltene Losungswort vom Ideal, für das ich Hamlet antreten ließ, ging von diesem Gorkischen Glaubenssatz aus“, der da lautete, der forschende, suchende Held sei für ihn unvergleichlich wertvoller als der, der bereits fest in seinem Glauben steht und sich dadurch „vereinfacht“ habe.

Das Grundgefühl nach der endlichen Befreiung vom Faschismus, ausgehend von den Bedürfnissen der Zuschauer, charakterisiert der Autor so: „Das Ideal von einem vernunftgelenkten Zusammenleben hatte Chance durchzubrechen. Das hieß auch: Wir stehen erst am Anfang. Jetzt kann es beginnen.“ (S. 164) Mit seinen Nachrichten aus dem Vergangenen wolle er, Hans-Dieter Mäde, Wege rekonstruieren, die ihn ans Regiepult führten und Motiven nachspüren, die seine ersten selbständigen Theaterentscheidungen beeinflußten.

Und das tut er so umfassend, dass es den Lesern eine reinste Freude sein kann, den alten Bekannten an Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern und Theaterstücken in diesem Buch wiederzubegegnen, u.a. Goethe, Thomas Mann, Tschechow, Brecht, Puschkin,  Winterstein, Gorki, Ostrowski, Felsenstein, Shakespeare, Pasternak, Belinski, nicht zu vergessen Ernst Bloch, von dem sich der Autor in philosophischen Fragen an „die Hand nehmen ließ zu einer Wanderung durch die ´menschliche Wunschlanschaft´.“

Wer Ähnliches durchlebt hat, wird verstehen, welch ein Genuß es ist, sich mit Erkenntnissen – sowohl aus der umgebenden Realität als auch aus denen der gelesenen Literaturen jene Motivationen herauszusaugen, die einem Mut machten, immer nach vorne zu sehen, aber auch Kritisches in den Focus zu nehmen. So nennt Mäde Hamlets Ideale, die er in sein „Motivationsarsenal“ aufgenommen hatte, ebenso – um nur ein Beispiel zu nennen – sein persönliches Zusammentreffen mit Walter Felsenstein, dessen Vorstoß auf das Totale, nämlich das „gesamte Beziehungsgeflecht von Werk – Zeit – Wirklichkeit – Darstellung – Zuschauer“ neu zu befragen und Antworten vorzuschlagen. Und: Glück sei ohne Prüfung und Standhaftigkeit nicht zu gewinnen. Felsenstein habe uns mit unseren Halbheiten und unserem alltäglichen Opportunismus konfrontiert.

Felsenstein zitierend schreibt der Autor auf Seite 88: „Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit, weil Form ohne Wahrheit Dreck ist.“ Mäde gesteht, den Ensembles, in denen er arbeitete, oft auf die Nerven gefallen zu sein mit seinen „unermüdlichen Ermahnungen und Beispielen, wie man sich ideelle Bereicherung“ aus der Komischen Oper in der Behrenstraße holen könne. „…für das, was ich an der Sache für das Wesentliche hielt, war ich bereit, mich herumzuprügeln, es war für mich zu einer Gesinnungs- und Weltanschauungsfrage geworden“, so der Autor. Schließlich ging es, meint Mäde, um unglaubliche Überanstrengungen im Kalten Krieg, um keine andere Alternative als um „Wer – Wen?“. Doch mit Widerstand hatte es, so Mäde, in keiner seiner Lebensphasen zu tun. Er wolle das anmerken in einer Zeit,, „in der man sich von einer nie geahnten Schar von Regimekritikern und Reformpolitikern umgeben sieht“. Vermittelt durch Lehrer und Künstler der unmittelbaren Kriegsgeneration spricht er Klartext: „Die antifaschistische Position ging als erstes, grundlegendes Element in meine Motivation ein, sie war eine erworbene, durch Erlebnis und Anschauung gestützte, durch gedankliche Verarbeitungsanstrengung fundierte Konstante…“

Im tiefen Schmerz den Untergang „Trojas“, der DDR, bedauernd, kreidet er die politischen Floskeln an, die „bei der Verdrängung mancher individueller Konflikte Hilfsdienste leisteten“ (S. 28), die Verdrängung der Generationsfrage als einer Abart der bürgerlichen Ideologie, die totale Ratlosigkeit der Macht vor den „Ansprüchen und Affekten der Generation, die den Krieg nicht mehr gesehen und den gewöhnlichen Kapitalismus nur aus primitiv-vereinfachendem Hörensagen … kennengelernt hatte“ (S. 110), das Festhalten an der liebgewordenen linearen Fortschrittsvorstellung (S.121), dass „die sozialistischen Gesellschaften den Platz nicht auszumachen wußten, den die Lüste, Freuden, Späße und Genüsse in der dynamisch-hierarchischen Struktur der Antriebe“ einnehmen (S. 275) und schließlich, dass die „Hypothesen über die Wechselwirkung von veränderten Lebensumständen und Erziehung“ nicht stand hielten. (S. 276)

Der Autor Mäde resümiert: Heute regeln sich die Dinge wieder über die Brieftasche. Ihn erstaune, in welchem Tempo sich die Neue Ordnung – den Kommerz als einzigen Maßstab zu akzeptieren – durchgriff. (S. 221) Schlimmer noch: Das Ende der europäischen sozialistischen Staaten habe ein Ende der Gewalt nicht näher gebracht, „auch keine Zunahme von Güte und Toleranz.“ Die „neue Weltordnung“ ziehe eine frische, mörderische Spur von Blut und Gewalt aus dem vorigen ins gerade angebrochene Jahrhundert…“ (S. 121)

Dem Autor Mäde stellt der Rezensent den Schauspieler Eberhard Esche (Deutsches Theater) zur Seite, der in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ zu den neuen Mißständen u.a. formulierte: „Die Zeitläufe sind so geraten, daß kleinbürgerliche Seelchen die großstädtischen Theater Europas … beherrschen.“ Es lohne nicht einmal die Polemik gegen diese Vize-Lümpchen, die die Zerstörung der Theater und damit unserer Kultur betreiben. Er beklage sich nicht, denn er – Eberhard Esche - hatte das Glück, Maßstäbe zu lernen. So ergänzen sich ein Regisseur und ein Schauspieler, die beide – und mit ihnen viele Millionen DDR-Bürger – ihr behütetes Glück lebten. (S. 102)

Gleich dem Autor Mäde nimmt wohl auch mancher Leser im tiefsten Inneren wahr: Was jetzt Wirklichkeit ist, hat ferngerückt, mit welchen Absichten wir angetreten sind. Immer noch liege Gorki dem Autor mit der Frage in den Ohren, die seine Gestalten mit stoischer Hartnäckigkeit wiederholen: „Und so wollt ihr also tatsächlich leben?“ (S. 239)

„Nachricht aus Troja“ ist ein anstrengendes aber lohnenswertes Buch. Es steht dem Zeitgeist entgegen und ordnet sich gerade deshalb würdevoll in die Reihe der bereits aus über tausend Bänden bestehenden Erinnerungsliteratur zur DDR-Geschichte und ihren Erfolgen und Versäumnissen ein.

Diesem Satz des Autors ist wohl erst recht zuzustimmen: „Die Gründlichkeit, mit der Troja geschleift wurde, konnte nicht verhindern, daß Nachrichten an die Späteren kamen von denen, die trotz allem ´Mut schöpften und gute Hoffnung´.    

Tief schürfen - das muß man also erst einmal wollen. Ohne das läuft gar nichts. Ohne dem bist du ein Anhängsel, ein nur Gläubiger, eine Marionette in den Händen anderer. Es sei denn, man gibt sich selbstzufrieden mit einem ewigen Taumel zwischen hoher Sinngebung und Barbarei…

 
Hans-Dieter Mäde: „Nachricht aus Troja“, Fragmente einer Motivation, Taschenbuch: 292 Seiten, Verlag: Edition Schwarzdruck; Auflage: 1 (8. März 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3935194498, ISBN-13: 978-3935194495, 24 Euro

 Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung

 

Dienstag, 18. Dezember 2012

NEUES von ALEX


Alex ist mein Freund. Reiner Zufall: Habe ihn per Mausklick im Internet kennengelernt. Etwas älter als ich. Mit einem ganzen Rucksack voller Erlebnisse und Erfahrungen. Ein einstiger DDR-Bürger, der sein Hirn noch voll in Gebrauch hat und – das vor allem – das Herz auf dem rechten Fleck. Mit seinem Einverständnis nehme ich gelegentlich diese oder jene Zeilen, die er mir per E-Mail sendet, in meinem Blog auf. Warum nicht?


Mail vom 18. Dezember 2012:

Guten Tag lieber Freund, ich habe soeben in Deinem Blog gelesen und bin fasziniert von dieser Rezension. (Er meint die über das Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“, H.P.) Mann, Du hast was drauf .... Ich gäbe was drum, könnte ich mich so ausdrücken. Aber leider ...

Seit geraumer Zeit sitze ich über einer Niederschrift eines mich nie mehr loslassenden Ereignisses meines Lebens. Der 19. März 1945. An diesem Tag haben 436 B-17- Bomber (Fliegende Festung) 1103,4 t Spreng -und Splitterbomben auf Plauen (i.Vogtland, H.P.) mit Ziel VOMAG (Vogtländische Maschinen-AG, H.P.) abgeworfen . Da zumeist Wohngebiete betroffen waren, wurde auch unser Wohnhaus voll getroffen und stürzte ein. Wir wurden verschüttet. Aber wir überlebten. Im Nachbarhaus 11 Tote. Insgesamt 304 Tote in Plauen an diesem Tag durch die Bomben. Hinzu kamen noch 20 Tote infolge einer im Hammerkeller (Brauerei in der Brunnenstrasse) ausgebrochenen Panik. Diese Menschen hatten sich selbst erdrückt .

Ich habe dieses und andere damit im Zusammenhang stehende Erlebnisse noch in Erinnerung. Sie haben mich nie losgelassen. Sie blieben prägend für mein ganzes Leben. Bis in die Gegenwart. Es fällt mir schwer, das alles niederzuschreiben. Aber ich muß es tun. Nur langsam komme ich voran. Ich gerate immer wieder an eine Art Barriere im Beschreiben. Kannst Du das verstehen ?

 Wenn ich das fertig habe, dann bekommst Du das. Und wir werden dann mal über alles sprechen. Bevor es in Vergessenheit gerät .

 Ich wollte Dich nur wissen lassen, was mich zur Zeit so bewegt und weshalb es bissel ruhig geworden ist. Es geht auf Weihnachten zu.

 1944 vor Weihnachten bastelte mir mein Vater auf meinen Wunsch hin einen Panzer und einen Bomber. Beides bekam ich kleiner „Pimpf im Jungvolk des Führers“ als Weihnachtsgeschenk . Und dann der 19. März 45, eine Ohrfeige von einem Wehrmachtsoffizier kurz vor Kriegsende in Plauen an der Süd-Insel (Sau-Insel). Eine total zerstörte Stadt. Die Kriegsfolgen. Ich wollte nie Soldat werden ... und wurde Offizier (KVP/NVA). Dieser ganze Spannungsbogen beschäftigt mich als Letztes von dem, was ich noch aufschreiben und für mein Sippe festhalten möchte.

 Verstehst Du, was zur Zeit in mir abläuft? Das muß noch raus! Und dann höre ich auf, mich kennenzulernen.

 So, mein lieber Harry. Das wars wieder einmal…

Machs gut!

 Alex

Montag, 10. Dezember 2012

"Die Jäger im Schnee", Pieter Bruegel d. Ä., gemalt 1565, Kunsthistorisches Museum Wien,
kopiert von Harry Popow, Acryl auf Leinwand, 70x50 cm



Stimmungsvolles zur Winterzeit 2012!

Mittwoch, 5. Dezember 2012

"Auf Rehwildjagd mit Jesus"


Meldungen aus dem amerikanischen Klassenkampf

„Auf Rehwildjagd mit Jesus“ / Joe Bageant

Buchtipp von Harry Popow

Das nenne ich Glück - das Erlebnis des Ensembles Cirque du Soleil (Im Zirkus der Sonne). Du fühltest dich wie in eine andere Welt versetzt, gleichsam auch emporgehoben. Wieviel menschliche Leistungsfähigkeit, Akrobatik, Schwung, anmutige Leichtigkeit, begleitet von einer Musik-Produktion, die sich laut Programmheft u.a. von den Beatles inspirieren ließ, von herrlichen Farben, von tollen Lichteffekten. Ein Kunstwerk, was wohl mehr Sehnsucht nach Menschlichkeit nicht ausstrahlen kann. Das Schöne, die Grösse des Menschen wirbelte den vor Beifall tobenden Zuschauern entgegen. Im Programmheft steht: „Der Cirque du Soleil macht sich Gedanken über die Welt von morgen und richtet sein Engagement vor allem auf den weltweiten Kampf gegen die Armut.“ Das trifft nicht nur die Amüsier- und Spassstrecke der Zuschauer, sondern gleichermaßen deren Hirn und Herz, stimmt nachdenklich. Fragt sich, wie weit ist der reale Weg vom Zirkus zur Welt der Sonne?

Dazu hat der amerikanische Autor Joe Bageant (1946-2011) etwas zu sagen. In seinem  Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“ beschreibt er ebenfalls eine Welt – allerdings mit weniger Sonne, eine Welt, die uns in Europa nicht so fremd sein dürfte. Die Größe des Autors: Er besingt förmlich die Schönheit des Menschen, seine Sehnsucht nach Erfüllung und Frieden, abzulesen an den Schicksalen derjenigen, die der Autor in seinen acht Essays vorstellt, darunter eine Karaoke-Sängerin, eine Putzfrau, ein Vorarbeiter, eine Hühner-Schlacht-Gehilfin, ein Folter-Girl oder die verarmte Witwe eines Kurzstrecken-Truckers. Er webt deren Leben ein in die gesellschaftlichen Umstände, in die Widrigkeiten dieses so gelobten Landes, in die angeblich „klassenlose Gesellschaft“. Das alles beschreibt er mit einem gekonnten Schreibstil, mit Liebe, mit Wärme für die Benachteiligten dieser kapitalistischen Gesellschaft, Spannung inklusive.

Auf Seite 27 bekennt er: Ich möchte dem Leser „das Leben der amerikanischen Arbeiter näherbringen, näher, als dies unsere Medien jemals tun würden.“ Sarkastisch beantwortet er sich die Frage, was ihn berechtigt, sich derart gesellschaftskritisch zu äußern: „Eigentlich nichts, bis auf die Tatsache, dass ich der eingeborene Sohn eines Landes von Arbeitern bin, das auf den Hund gekommen ist.“

Joe Bageant – einer, der das Schuften und Mühen Auge in Auge mit der Arroganz der links-liberalen Elite kennengelernt hatte: Als Marinesoldat, Arbeiter, Journalist, Pferdezüchter, Kneipenwirt, Redakteur, Mitwirkender in Sendungen des Radio und in Dokumentarfilmen und im Internet.

Gerade deshalb wird der Autor bissig und wütend, wenn er ganz unbarmherzig die sozialen Zustände dieses großen Amerika anprangert, aufdeckt, entlarvt. Ja, er reißt förmlich die Maske herunter von dem angeblich so tollen auf hohem Pferd sitzenden Amerika. Der oft propagierte „Amerikanische Traum“ bekommt – nicht erst jetzt – einen gewaltigen Kratzer.

Den Titel des Buches könnte man nach dem ersten Lesen bereits abwandeln: Mit der Waffe in der Hand und Jesus im Kopf verteidige ich mein arg geschütteltes Vaterland. In den acht Kapiteln berichtet der Autor u.a. von den Konsequenzen der Globalisierung für die Einwohner einer Stadt, von der Abzockerei beim Erwerb von mobilen Eigenheimen, vom Waffenkult, vom tiefen Glauben an Gott, von den Verwerfungen im Gesundheitswesen. Und, und und…

Dem Autor geht es vor allem um das untere Drittel der amerikanischen Gesellschaft, Menschen, „die sich wie folgt beschreiben lassen: konservativ, politisch fehlinformiert oder passiv und patriotisch, auch wenn es zu ihrem eigenen Schaden ist.“ Viele glauben noch an den Amerikanischen Traum, der sich „ausschließlich über Geld definiert“. (S. 60) Dieser Traum besage auch, „unsere aus dem Bauch kommenden, uninformierten Meinungsäußerungen seien so etwas wie ungeschminkte und fundamentale politische Wahrheiten.“ (S. 231) Es fehle die „Befähigung zum kritischen Denken“, schreibt der Autor auf Seite 287.

Als ein Mensch, der komplex denken gelernt hat, erwähnt er dabei zunächst auch die „Errungenschaften“ dieses Amerika, z.B.: Cineplex-Kinos, Outlet Stores, dreistöckige Straßen, extragroße Wegwerf-Bierdosen Hummers, Honda, Game Boys, Dale-Earnhardt-Gedenk-Dampfkochtöpfe … „die ganze dynamische, blinkende, digitale Phantasmagonie.“

Arbeitslosigkeit? Die nationale Mythologie (S. 35) propagiere Amerikaner, die „schrecklich gesund, gebildet, reich und glücklich sind.“ Der Autor setzt dagegen: Mit mindestens 19 Millionen Arbeitslosen oder arbeitenden Armen unter den Weißen habe man es zu tun, wobei der gewiß höhere Prozentsatz bei den Schwarzen liege. Die Armen und die an der Armutsgrenze angesiedelten Arbeiter unter den Weißen bewegen sich, so der Autor, „analog zu den Schwarzen und Latinos, die in Ghettos ums Dasein kämpfen, innerhalb einer mit einer Sackgasse vergleichbaren sozialen Matrix, bei der ein Scheitern vorprogrammiert zu sein scheint.“ (S. 19) Den Blick auf die Arbeiterklasse richtend, stellt Joe Begeant resignierend fest: „Die Krise, in der die Arbeiterschaft steckt, ist ebenso schrecklich wie unspektakulär. Die Passivität der Arbeiterklasse, ihre Abneigung gegenüber allem, was sie für zu intellektuell halten, und ihre Aggressivität gegenüber der Welt“ würden sich bereits zu Hause und in der Grundschule bemerkbar machen. (S. 46)

Die Folge: „Eine lausige Bildung und ein Leben in der Gladiatoren-Arena einer Marktwirtschaft, in der jeder gezwungenermaßen gegen jeden kämpft, sind ungeeignete Voraussetzungen, um Grundeinstellungen wie Optimismus oder Unvoreingenommenheit zu entwickeln, die den Liberalismus kennzeichnen.“ Ein solcher Hintergrund, meint der Autor, münde in einer Art von düsterer Grobheit und emotionaler Verrohung. Sie führe dazu, dass die betroffenen Arbeiter Kriege des amerikanischen Imperiums hinnehmen, „ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.“ (S. 87) Was Wunder, wenn die mitunter sehr gottgläubigen Menschen darauf hören, was die radikale christliche Konservative predigen, „dass Frieden niemals zur ersehnten Wiederkunft Christi führen kann und dass jeder, der sich um Frieden bemüht, ein Werkzeug Satans ist.“ (S. 186)

Unter dem Dach des peitschenschwingenden Großunternehmentums (S. 294) entpuppe sich die viel gepriesene amerikanische Freiheit größtenteils als Fiktion. (S. 295) Die Kultur basiere auf Fernsehen und Öl. (S. 294) Das Fernsehen entmündige den amerikanischen Durchschnittsbürger, indem es ihm „die politische und intellektuelle Sphäre aus den Händen nahm.“ (S. 296)

Ohne Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern. Und dann haut er wieder einen sehr persönlichen Satz rein, der ihn ebenfallls sympathisch macht: „Was meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“

Auswege? An die Linke gewandt mahnt er, echte Bewegungen sollten das Protestpotenzial, das unter unzufriedenen und enttäuschten Leuten vorhanden ist, für ihre Ziele im Interesse der Menschen nutzen. (S. 99) Sein persönliches Fazit drückt der Autor auf Seite 213 so aus: „Ich warte begierig darauf, dass mein Streben nach einer besseren Gesellschaft endlich Früchte trägt…“

Alles in Allem: Das Buch ist eine politisch-soziale Fundgrube, auch wenn vieles bekannt ist. Aber nach dem Lesen dieser gesellschaftskritischen Arbeit ist einem die amerikanische Seele näher gekommen. Das liegt auch an der sehr gründlichen Recherche durch den Autor, seinen zahlreichen Konsultationen mit Freunden und Wissenschaftlern. Fremdwörter, spezifischen Vokabeln aus der amerikanischen Geschichte, findet man in den Anmerkungen wider.

Amerika in diesem interessanten und aufschlußreichen Buch - welch ein Erkenntnisgewinn! Dass der bundesdeutsche Leser manches wiedererkennen wird beim Lesen an Zuständen in seinem eigenen Land mag durchaus kein Zufall sein. Solch einen Spiegel vor der Nase möchte man da rufen: „Ach wie gut, dass niemand ahnt, dass wir gar nicht soweit weg sind vom gelobten Land…“ Cirque du Soleil!! Was heißen soll „Im Zirkus der Sonne“. Der Weg ist noch weit von diesem herrlichen Zirkus zu einer Welt der Sonne…

 

Joe Bageant: „Auf Rehwilsjagd mit Jesus“, gebundene Ausgabe: 350 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (9. Oktober 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3940884928, ISBN-13: 978-3940884923, Originaltitel: Deer Hunting with Jesus. Dispatches from America's Class War , Größe und/oder Gewicht: 21,4 x 13,2 x 2,4 cm

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung