Samstag, 29. Februar 2020

DAS FERNZIEL ANSTEUERN - Werner Seppmann



Illusionäre Ignoranz


Die Partei Die Linke wandelt auf falschen Pfaden. Was aber sollten Sozialisten wissen, wenn sie die Gesellschaft verändern wollen? Theoretische Voraussetzungen progressiver Politik


Von Werner Seppmann

Besser mal die richtigen Baupläne studieren. Anstatt der akademischen Milieuforschung Glauben zu schenken, täte ein realistischer Blick auf die Klassenverhältnisse gut. Denn für eine Bereitschaft zum Streik ist unerheblich, ob jemand in seiner Freizeit Motorrad fährt oder sich als Stormtrooper verkleidet
Von Werner Seppmann ist soeben in einer erweiterten und aktualisierten Ausgabe die Broschüre »Ist der Kapitalismus überhaupt noch reformierbar? Die Linkspartei zwischen Systemkritik, Reformismus und Selbstaufgabe« erschienen, Pad-Verlag, ca. 70 Seiten. Die Broschüre kann unter pad-verlag@gmx.net zum Preise von 6 Euro bestellt werden.


»Der Bruch mit dem Kontinuum der Herrschaft muss ebenso ein Bruch mit deren Vokabular sein.«

(Herbert Marcuse)

In der mittlerweile zweihundertjährigen Geschichte des modernen Sozialismus hat sich als Alleinstellungsmerkmal herausgebildet, dass seine politischen Konzepte in mehr oder weniger gelungene Versuche eingebettet sind, die Gesellschaften, in denen die politischen Akteure mit Veränderungsabsicht agieren, umfassend zu verstehen. Lenin hat diesen Aspekt mit der Formel auf den Punkt gebracht, dass es keine revolutionäre Bewegung ohne revolutionäre Theorie gibt. Nun ist es mit der revolutionären Praxis noch nicht so weit her, aber die Erfahrung lehrt, dass sich eine reformistische Politik ohne entwickelte Vorstellungen über die sozioökonomischen Verhältnisse schnell in ideologischen und konzeptionellen Sackgassen verirrt. Denn um sozialistische Ziele durchsetzen zu können (vorausgesetzt, dass man das überhaupt noch will), muss man wissen, wie die gegebene Gesellschaft funktioniert. Ohne ein kritisches Gegenwartsverständnis verfangen sich auch politische Akteure mit alternativen Zielsetzungen sehr schnell in einem Netz aus Selbsttäuschungen.

Defizite beim Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse existieren bei der bundesdeutschen Linken oft schon bei grundlegenden sozioökonomischen Fragestellungen. Es dominieren Desorientierungen, die meist unkritisch aus den Gebetsbüchern einer akademischen Soziologie übernommen und aus denen oft weitreichende politisch-konzeptionelle Konsequenzen gezogen werden, die sich als nicht besonders klug erweisen.

Abschied von der Arbeiterklasse?



Da wird bedenkenlos davon gesprochen, bei der BRD handele es sich inzwischen um eine postindustrielle Gesellschaft, weil angeblich durch die Verallgemeinerung der Computertechnologie eine immaterielle Produktion für das Wirtschaftsgeschehen prägend geworden sei. Katja Kipping hat vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung betont, dass sie gerade die »Multitude«-Theoretiker Michael Hardt und Antonio Negri (die eifrige Kolporteure dieses Theorems mit bürgerlich-akademischem Ursprung sind) gelesen habe und nun über die Tendenzen einer immateriellen Wirtschaftsentwicklung Bescheid wisse.

Sonderlich weit kann es mit dieser angeblich »schwerelosen Ökonomie« (die auch zur Grundlage eines »Grünen Kapitalismus« verklärt wird) allerdings nicht her sein, wenn sich der Ressourcenverschleiß alle fünf bis zehn Jahre verdoppelt, also beständig mehr Rohstoffe und Energie verbraucht werden. Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist der expandierende Güterverkehr, dessen unmittelbarer Ausdruck die mit Lkw verstopften Autobahnen sind. Ein Ende dieser Entwicklung ist übrigens nicht abzusehen. Nicht zuletzt die IT-Technologien sind ein Grund dafür: Die digitalen Geräte sind zwar meist Leichtgewichte – aber nur bei oberflächlicher Betrachtung, denn alleine für die Herstellung eines Laptops müssen sechs bis sieben Tonnen Material bewegt werden.

Mit der Ignoranz gegenüber den tatsächlichen technologischen Grundlagen der bundesrepublikanischen Ökonomie wird letztlich der Klassenfrage aus dem Weg gegangen und über die Stellung der Lohnabhängigen geschwiegen. Zwangsläufig resultiert daraus, dass weder über die gesellschaftlichen Strukturen (einschließlich der realen Machtverhältnisse) noch über den Charakter des Produktionssystems als Ausbeutungsmechanismus klare Vorstellungen herrschen. Widerstandslos können sich deshalb desorientierende Sichtweisen verbreiten: Während bei der »poststrukturalistischen« Philosophin Chantal Mouffe und ihren Vorstellungen von einem »linken Populismus« an die Stelle eines strukturell definierten Handlungssubjekts ein diffuses »Volk« tritt, behaupten Hardt und Negri, dass die industrielle Arbeiterklasse politisch völlig bedeutungslos geworden sei.

Es gehört schon eine gehörige Portion Realitätsverweigerung dazu, wenn die Tatsache verdrängt wird, dass selbst nach den (problematischen) Kriterien der amtlichen Statistik mehr als neun Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter im Industriesystem der BRD beschäftigt sind. Zwar sind sie in den vergangenen Jahren als politische Subjekte nicht sonderlich aufgefallen, aber dennoch verkörpern sie noch immer ein strukturelles Gegenprinzip zur bürgerlichen Gesellschaft. Denn sie sind in einer Intensität wie keine andere gesellschaftliche Gruppe einer historischen Dauerattacke des Kapitals auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt. Und trotz aller Spaltungstendenzen (u. a. durch den Gegensatz von Kern- und »Randbelegschaften«) ist die betriebliche Realität immer noch durch kollektive Strukturen geprägt, die eine effektivere Organisation von Widerstand als in anderen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht. Deshalb sind die Arbeitenden, vor allem in den Großbetrieben, ein entscheidender Machtfaktor. Es wird zwar keine ernsthaften Veränderungen nur durch Aktionen der Arbeiterklasse geben – aber ohne sie erst recht nicht. Denn es trifft zu, wie es der Industriesoziologe Michael Schumann formuliert hat, dass »das Industriesystem als die entscheidende Stütze materieller Produktion ein Machtzentrum der Gesellschaft« ist. Immer noch gelte: »Hat man im industriellen Sektor das Sagen, so hat man eine gesamtgesellschaftliche Schlüsselposition inne«.

Wer nach den strukturellen Voraussetzungen realer Gegenmacht fragt, kommt um die Arbeiterklasse und deren prinzipielle Aktionsfähigkeit in den zentralen Zonen des Industriesystems nicht herum. Aber nach einer konkreten Gegenmacht zu fragen, kommt vielen strategisch Denkenden innerhalb der Partei Die Linke gerade auch dann nicht in den Sinn, wenn sie sich mit ihren sogenannten Transformationskonzepten beschäftigen. Es gehe gerade nicht darum, so versichert uns beispielsweise Michael Brie, wie staatliche und ökonomische Macht gewonnen werden könne, sondern, wie sich im Prozess der Transformation, freie Formen der Vergesellschaftung herausbildeten, denn durch einen nicht näher bestimmten Vorgang würde dann »der Kapitalismus ›aufgehoben‹. Er würde aufgrund seiner inneren Widersprüche so unterhöhlt, dass Gutes erhalten bleiben, während Schlechtes abgeschafft werden kann«.

Bei solchen »Transformations«-Vorstellungen wird offensichtlich von der Möglichkeit eines allmählichen Hinüberwachsens in einen nachkapitalistischen Gesellschaftszustand ausgegangen. Das ist illusorisch. Alle historische Erfahrung lehrt, dass die Lösung von Zukunftsfragen nicht gemeinsam mit den herrschenden Kräften möglich ist, sondern, wenn es zur Sache geht, mit deren vehementem Widerstand zu rechnen ist. Veränderungsorientierte Politik bedeutet aber auch, sich nicht nur auf ökonomische Verteilungsproportionen zu konzentrieren, sondern die Perspektive der Selbstbestimmung der Produzenten zu thematisieren, also, wie es in einem alten Arbeiterlied heißt, dem sozialistischen Anspruch, »die Arbeit zu befreien«, wieder Geltung zu verschaffen.

Strukturen der Gegenmacht



Aber gerade um solchen Konsequenzen zu entgehen, gibt es Kräfte in der Partei Die Linke, die einen realistischen Blick auf die Klassenverhältnisse meiden, beispielsweise indem sie die Formeln einer akademischen Milieuforschung akzeptieren, mit der allerdings die Aufmerksamkeit von den gesellschaftlichen Konfrontationslinien auf Nebenschauplätze verlagert wird. Konkret konstruiert diese Theorie eine Gesellschaftsvorstellung, die auf den sozialen Reproduktionsbereich (also das Verhalten jenseits der Arbeitswelt) fokussiert ist. Sie stützt sich dazu vorrangig auf ein aus der Konsumforschung stammendes Datenmaterial, mit deren Hilfe die soziale Strukturierung weitgehend auf Lebensstilmuster und Konsumpräferenzen sowie auf die damit korrespondierenden ideologischen Widerspiegelungsformen reduziert wird. Dadurch geraten die tatsächlichen Probleme von Macht und (potentieller) Gegenmacht nicht mehr in den Blick.

Sobald allerdings den zentralen gesellschaftlichen Konfliktzonen (vorrangig dem betrieblichen »Kampffeld«) Aufmerksamkeit geschenkt wird, zeigt sich schnell, dass sie nach wie vor die Basis eines entwicklungsfähigen Widerspruchsbewusstseins der Lohnabhängigen sind: Vorrangig hängt die Bereitschaft zum Streik nicht davon ab, ob jemand in der Freizeit Motorrad fährt, seinen Kleingarten pflegt, durch ökologische Orientierungen geprägt und durch eine bestimmte Zigarettenmarke seine »Freiheitsvorstellungen« demonstriert, fußballbegeistert oder modefixiert ist.

Auch führt es in handlungstheoretischer Sichtweise nicht weit, die Klassenfrage kon­stitutiv mit sexuellen Identitätsfragen zu verbinden. Ein solcher Blickwinkel lenkt von den tatsächlichen Problemen ab, denn wenn man es mit dem Klassenkampf ernst meint, ist es evident, dass die Bereitschaft zum Streik nicht davon abhängt, ob jemand schwul, trans- oder heterosexuell ist.

Von der Welt realer Konflikte wollen die Milieutheoretiker (deren Schlagworte und reduktionistische Sichtweisen durch viele Positionspapiere von Die Linke und durch Stellungnahmen aus dem Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung geistern) ausdrücklich nichts wissen. Denn als Quintessenz ihrer Vorgehensweise betonen sie, dass »Wirtschaftsimperien großer Familien schon lange keine herrschende Klasse mehr« konstituieren würden. Begründet wird diese erstaunliche Feststellung (die aus der Veröffentlichung »Soziale Millieus im gesellschaftlichen Strukturwandel« von Michael Vester und Mitarbeitern aus dem Jahre 2001 stammt) damit, dass »die Entscheidungsspitzen der Gesellschaft winzig klein und teilweise unsichtbar« und in einer Milieugruppe von 20 Prozent der Bevölkerung eingebettet seien, die allein durch »ihren Geschmack und ihre Umgangsformen dingfest zu machen« sei, also dadurch, dass ihre Repräsentanten sich Reisen im Luxussegment gönnen können, repräsentative Autos fahren und über einen Abgrenzung markierenden Habitus verfügten. Damit bleibt unausgesprochen, was den Kern der Machtfrage ausmacht, nämlich dass die Kapitalelite mit ihren Investitionsstrategien über die Existenzgrundlagen und Lebensperspektiven der abhängig Beschäftigten entscheiden können. Die milieutheoretische Präformierung des Gesellschaftsbildes gründet in einer geradezu skandalösen Ignoranz gegenüber einem real existierenden herrschenden Block, der u. a. die 45 reichsten Familien der BRD umfasst, die jeweils über ein Vermögen von knapp fünf Milliarden Euro verfügen – also zusammen mehr besitzen als die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung – woraus sich ein entsprechender wirtschaftlicher, kultureller und auch politischer Einfluss ableiten lässt.

Wege ins politische Abseits



Wenn sich heute einflussreiche Kräfte der Partei Die Linke auf die Gewinnung sogenannter progressiver urbaner Schichten orientieren und sich gleichzeitig tendenziell von den »Mühseligen und Beladenen« abwenden, so geschieht das in Abhängigkeit von den fragwürdigen Weisheiten dieser Milieuforschung, der auch die Sozialdemokratie verfallen war, als sie sich vor zwei Jahrzehnten auf die Suche nach einer »Neuen Mitte« machte – und damit ihr kontinuierlicher Niedergang begann. In diesen Abwärtssog ist mittlerweile auch Die Linke geraten.

Da trotz aller pseudowissenschaftlichen Verdrängungsbemühungen die gesellschaftliche Realität jedoch nicht verschwindet, sondern sich immer wieder (oft schmerzhaft) zur Geltung bringt, muss zu abenteuerlichen Konstruktionen gegriffen werden, um im Diskursgelände linker Selbstpositionierungen intellektuell über die Runden zu kommen. Beispielsweise durch die Behauptung, dass »die kapitalistische Gesellschaft nicht total durch das Kapitalverhältnis und seine staatsmonopolistische Gestalt bestimmt« sei (wie der einflussreiche Stichwortgeber des ­Linkspartei-Revisionismus Dieter Klein postuliert), und es deshalb möglich sei, auch die »entfesselten« Momente »unserer Gesellschaft« sozial und kulturell wünschenswerten Regeln zu unterwerfen. Es wird davon ausgegangen, dass durch »Reformalternativen« die destruktiven Seiten der Marktdynamik abgemildert und der Kapitalismus »domestiziert« werden könnten.

Doch widerspricht die Realität solch frommen Wünschen, weil die Marktvergesellschaftung einen totalitären, alles vereinnahmenden Charakter besitzt: Statt lebensfreundlicher Verhältnisse produziert sie kaum zu bändigende Zerstörungskräfte. Der hegemonial gewordene Kapitalismus entfaltet keine »zivilisatorischen Potentiale«, er droht vielmehr in monströser Destruktivität zu versinken, von der die wachsende Zahl von Amokläufen, der Rechtsterrorismus und autoritäre Formierungstendenzen einen Vorgeschmack geben. Längst ist die Fähigkeit zur Regulation der globalen Widerspruchsentwicklung und der vielfältigen innergesellschaftlichen Konflikte verlorengegangen. Die Illusion einer »Befriedung« des Kapitalismus wird tagtäglich von seiner realen Entwicklung verhöhnt.

Den manifesten Entzivilisierungstendenzen könnte nur durch fundamentale Veränderungen der Vergesellschaftungsformen Einhalt geboten werden. Aber eine solche Notwendigkeit soll es nach dem »Gesellschaftsverständnis« der »modernen Sozialisten« überhaupt nicht mehr geben, weil dem Kapitalismus grundsätzlich die Möglichkeit seiner »Pazifizierung« inhärent sei.

Um diese weltfremde Auffassung vertreten zu können, bedarf es jedoch einiger theoretischer Verrenkungen. Von grundlegender Bedeutung ist die »Entsorgung« der Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein Systemzusammenhang mit destruktiver Grundtendenz ist. Begründet wird die jedem realistischen Gesellschaftsverständnis spottende Positionierung mit Versatzstücken, die von Karl Polanyi (»The Great Transformation«) übernommen wurden und die in der bereits erwähnten »modern-sozialistischen« Auffassung münden, dass »die kapitalistische Gesellschaft nicht total durch das Kapitalverhältnis und seine staatsmonopolistische Gestalt bestimmt« sei. Deshalb sei es möglich, auch die »entfesselten« Momente des Kapitalismus sozial und kulturell wünschenswerten Regeln zu unterwerfen. Aber schon bei Polanyi wird eine solche vorgebliche Chance bloß postuliert, nicht jedoch begründet. Die Einsicht, dass zur »Befriedung« der Sozialverhältnisse an den Herrschafts- und Verfügungsstrukturen Grundlegendes geändert werden müsste, wird ignoriert: Die Eigentumsfrage bleibt ausgeklammert, oder es wird ihr keine Relevanz beigemessen.

Bedeutsam erscheint dagegen die Vorstellung vom »Markt« als »evolutionäre Basisinstitution« (Klein), die es zu bewahren gelte. Der »Markt« wird – aller Erfahrung zum Trotz – zu einer im Prinzip neutralen Organisation des Sozialen stilisiert. Tatsächlich jedoch sind die Folgen der Marktdynamik im wahrsten Sinne des Wortes »überwältigend«: Kaum ein Bereich des Gesellschaftlichen und Kulturellen bleibt von ihr unberührt, kaum eine Nische existiert, in die Marktimperative nicht mit sozial-destruktiven Konsequenzen eingedrungen sind, weil durch den warengesellschaftlichen Vermittlungsmechanismus alle Aspekte menschlicher Existenz auf die quantitativen Maßeinheiten des Tauschprozesses reduziert werden.

Politische Selbstaufgabe



Was hier mehr angedeutet als hinreichend dargestellt werden konnte, sind nur wenige Beispiele dafür, dass Wortführer der Partei Die Linke – bedingt durch gesellschaftsanalytische Defizite – Positionen vertreten, die angesichts der Sachlage nur als intellektuelle und politische Selbstaufgabe gewertet werden können. Das ist in besonders dramatischer Weise der Fall, wenn dem Internet von der »Netzexpertin« der Partei die Eigenschaft zugeschrieben wird, »die latent bestehenden sozialen Schranken in der Demokratie zu überwinden«. Das hätte ein intellektueller Mietkopf im Dienste der IT-Industrie nicht eleganter ausdrücken können. Aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, wirkt die Netzkommunikation als sozialer Absonderungsmechanismus. Und schon lange geht es nicht mehr nur um die tendenziell totalitäre Erfassung und Überwachung fast aller Lebensbereiche, sondern auch um immer gravierendere Versuche der Verhaltenssteuerung.

Die Steuerung des Konsumverhaltens ist nur die allgemeine Basis dieser Manipulationsvorgänge. Denn mittlerweile gibt es ja die skrupellosen Initiativen, die Computer in den Grundschulen, wenn nicht gar schon in den Kindergärten einzuführen. Und zwar ohne, dass ausreichende Konzepte existierten und ohne dass über den pädagogischen Sinn der Digitalisierungsmaßnahmen Rechenschaft abgelegt würde. Statt dessen wird nach der Maxime »Ohne Rücksicht auf Verluste« gehandelt. Erhalten Computer eine zentrale Bedeutung bei der Wissensvermittlung, sind die Folgen für die Schülerinnen und Schüler bedenklich bis dramatisch. Das ist der Erkenntnisstand aller kritischen Studien über die Konsequenzen einer Privilegierung des Computers in den Schulen.

Nur einige Aspekte dieser Konsequenzen: Die Phantasie der Kinder bleibt unentwickelt, und die Lerneffekte bleiben oberflächlich. Im Vergleich mit Schülerinnen und Schülern, die selektiv und nach pädagogisch sinnvollen Regeln mit Computern als Lernmedium in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen umgehen, schneiden intensive Computernutzer auf der Grundlage von standardisierten Softwarevorgaben auf allen relevanten Feldern schlecht ab. Schon die bisherige Tabletnutzung im außerschulischen Bereich hat dazu geführt, dass immer weniger Jugendliche in der Lage sind, komplexere Texte zu verstehen. Und die Smartphone-Manie lässt die Fähigkeit schrumpfen, sich in der realen Welt zurecht zu finden und sich sachgerecht über sie äußern zu können.

Nach allen vorliegenden Erkenntnissen dient Digitalisierung des Lernens nicht zur Vorbereitung der Kinder auf ihre Zukunft, sondern ist Bestandteil eines sozialen Großexperiments mit dem Ziel einer funktionalistischen Zurichtung von Subjektivität. Letztlich geht es um die Anpassung von Kindern und Jugendlichen an die Erfordernisse des Kapitalismus auf seiner hochtechnologischen Entwicklungsstufe. Und das soll nach den Worten der »netzpolitischen Sprecherin« von Die Linke, Anke Domscheit-Berg, konsequent geschehen. Denn während sich in Helsinki im vergangenen Jahr eine weltweite Initiative von mehr als 2.000 Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Bildungsforschern gegründet hat, um auf die dramatischen Konsequenzen der Mechanisierung des Lernens hinzuweisen, fordert Domscheit-Berg (im Berliner Tagesspiegel vom 17.9.2019) die Einführung des Computers schon in den Grundschulen. Die netzpolitische Sprecherin betreibt also weiter das Geschäft, das sie jahrelang als Lobbyisten von Microsoft betrieben hat. Es ist eine politische Katastrophe, wenn solche, von Kapitalinteressen geprägten Initiativen von einer Sprecherin einer (wie auch immer) linken Partei gefordert werden.

»Alternative Erzählungen«



Solche Vorgänge faktischer Selbstaufgabe sind von einem Verzicht auf die Entwicklung und Propagierung einer alternativen »Erzählung« begleitet. Es fehlt die nachdrückliche Beschäftigung mit Fragen nach einem anderen Leben, einem Leben ohne Konsumismus und konkurrenzgeprägten Profilierungszwang. Es fehlt, um eine Wendung von Ernst Bloch zu gebrauchen, die Präsenz von Fernzielen in den Nahzielen und damit die Stimulierung einer das elende Jetzt überschreitenden Phantasie. Würde Rosa Luxemburg heute auf einer Veranstaltung von Die Linke auftreten, würde sie das gleiche sagen, was sie bei ihrer ersten Rede auf einem Parteitag der SPD betont hat: Woran es der Politik der Partei Die Linke mangelt, ist die organische Verbindung von begrüßenswerten reformerischen Aktivitäten mit der Propaganda für das sozialistische Fernziel. Rosa Luxemburg vertrat diese Auffassung übrigens aus dem Bewusstsein heraus, dass tagespolitische Aktivitäten nicht etwa eine Alternative zur Gesellschaftsveränderung seien, sondern als deren Voraussetzung begriffen werden müssten.

 
 
 





Mittwoch, 26. Februar 2020

US-Großmachtmanöver gestartet - Jörg Kronauer



»GROSSMACHTKONKURRENZ“


BRD mitten im Kriegsspiel


Manöver »Defender Europe 2020« läuft: US-Militärfrachter entladen Panzer und schweres Gerät, Bundeswehr errichtet Zeltstadt und Tanklager


Von Jörg Kronauer

Sie hat begonnen, die Hauptphase des US-Großmanövers »Defender Europe 2020«. Waren die ersten Transporte von Kriegsgerät bereits Ende Januar in Richtung Osten gestartet, hatten die ersten US-Vorauskommandos und ihre militärischen Helfer aus mehreren NATO-Staaten, darunter die Bundesrepublik, sich in den vergangenen Wochen daran gemacht, an unterschiedlichen Stationen letzte Vorbereitungen für die Kriegsübung stattfinden zu lassen. So sind in den vergangenen Tagen die ersten größeren Truppen- und Materialkontingente aus den USA in Deutschland eingetroffen, weitere werden nun in den kommenden Wochen folgen. Von der Bundesrepublik aus verlegen sie dann weiter – auf Truppenübungsplätze in Deutschland, insbesondere aber nach Polen, Litauen, Lettland und Estland, also in größtmögliche Nähe zur russischen Westgrenze, wo von Ende April bis Ende Mai eine Reihe von Gefechtsübungen abgehalten wird. Rund 37.000 Soldaten aus 18 Staaten sind beteiligt am größten US-Manöver in Europa seit mehr als einem Vierteljahrhundert.

Knotenpunkte



Einige Knotenpunkte für die Truppen- und Materialverlegung sind inzwischen deutlich erkennbar. Bremerhaven ist einer. Dort kam am vergangenen Donnerstag mit der »ARC Endurance« der erste US-Frachter mit schwerem Kriegsgerät an: »Abrams«-Kampfpanzer, gepanzerte Mannschaftswagen und Tankfahrzeuge, Kettenraupen und Container mit anderem Material wurden entladen, alles in allem 1.200 sogenannte Frachteinheiten. Drei weitere Schiffe werden folgen. Am Freitag landete eine Boeing 747 mit rund 300 US-Soldaten auf dem Flughafen in Hamburg; von dort ging es nach Bremerhaven, um das Kriegsgerät von der »ARC Endurance« in Empfang zu nehmen. Schon zuvor waren zwei Flieger mit US-Militärs in Hamburg eingetroffen; weitere werden folgen: Mit rund 7.000 wird ein gutes Drittel der insgesamt 20.000 Soldaten, die aus den Vereinigten Staaten nach Europa kommen, über den Flughafen der Hansestadt einreisen. Um sie unterzubringen, bis jeweils ein US-Militärfrachter zur Entladung in Bremerhaven eintrifft, hat die Bundeswehr eine Zeltstadt für bis zu 2.000 Personen an ihrer Logistikschule in Garlstedt zwischen Bremen und Bremerhaven aufgebaut.

Zu den Ankunftsknotenpunkten kommen wichtige Anlaufstellen und Zwischenstationen auf dem Weg nach Osten hinzu. In Bergen (Landkreis Celle) beispielsweise hat die Bundeswehr das größte mobile Tanklager Europas errichtet; dort werden 1.350 Kubikmeter Kraftstoffe gebunkert, um die Fahrzeuge von US-Einheiten betanken zu können, die auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne Kriegsübungen abhalten sollen. Ein weiteres Beispiel bietet das vorpommersche Torgelow. In der dortigen Greifen-Kaserne sollen US-Konvois auf dem Weg aus Bremerhaven nach Polen Rast einlegen und übernachten können. Vom heutigen Mittwoch bis zum 6. März wird mit gut 200 US-Soldaten täglich gerechnet. Oder etwa Duisburg: Kriegsmaterial, das nicht in Bremerhaven, sondern im niederländischen Vlissingen vom Atlantikfrachtschiff entladen wird, soll dort per Binnenschiff ankommen und auf Züge oder auf Lkw gepackt werden, um nach Osten transportiert zu werden. Details werden freilich geheimgehalten.

»Großmachtkonkurrenz«



Wozu der Aufwand getrieben wird, den sich die Vereinigten Staaten laut Informationen aus Militärkreisen immerhin 340 Millionen US-Dollar kosten lassen, das hat am 10. Januar auf einem Medienbriefing General Tod Wolters erläutert, der Kommandant des U.S. European Command. Letztlich gehe das Manöver auf die »National Defense Strategy« zurück, erklärte Wolters. Darin heißt es – Stand: 2018 –, »die Hauptpriorität« des Pentagon sei eindeutig »die langfristige strategische Konkurrenz mit China und Russland«, die umfassende Investitionen erfordere – »wegen des Ausmaßes der Bedrohungen«, die sie für die Vereinigten Staaten und ihren Wohlstand mit sich brächten, und wegen »des Potentials, dass diese Bedrohungen künftig noch größer werden« könnten. US-Verteidigungsminister Mark Esper müsse mit Blick darauf in der Lage sein zu demonstrieren, dass er große US-Verbände über weite Strecken verlegen könne, konstatierte Wolters. Esper selbst hat sich erst kürzlich auf der Münchner »Sicherheitskonferenz« zu der Thematik geäußert. »Wir befinden uns nun in einer Epoche der Großmachtkonkurrenz«, hatte er gesagt; »unsere wichtigsten Herausforderer« seien »erst China und dann Russland«: »Wir müssen uns also wegbewegen von Konflikten mit niedriger Intensität und uns wieder vorbereiten auf hochintensive Kriegführung«. Dazu dient nun auch »Defender Europe 2020«.

Wobei bei dem Manöver sozusagen der vorbereitende Teil im Mittelpunkt steht: die Logistik, auf die angewiesen ist, wer seine Truppen erst über einen Ozean und dann noch über einen halben Kontinent verfrachten muss, um gegen den Feind kämpfen zu können. Ihn interessiere »vor allem, ob unsere Verfahren geeignet sind, Belastungen auch dieser Größenordnung zu bestehen«, erklärte kürzlich Bundeswehr-Generalleutnant Martin Schelleis, der als Inspekteur der Streitkräftebasis maßgebliche Verantwortung für das Gelingen von »Defender Europe 2020« auf der deutschen »Drehscheibe« für die US-Verlegung Richtung Russland trägt. Beteiligt sei ja diesmal nicht nur eine erheblich größere US-Einheit; es gebe auch sonst »deutlich mehr handelnde Personen«: deutsche Soldaten – 1.500 in der Logistik, einige tausend bei den dazwischengeschalteten Gefechtsübungen –, nicht zuletzt »Akteure der zivil-militärischen Zusammenarbeit, beispielsweise in Straßenverkehrsämtern«, aber auch Polizisten. Diese würden sich übrigens auch um die Proteste gegen »Defender Europe 2020« kümmern: »Die Polizei ist darauf eingestellt, dies im üblichen Wege zu bereinigen.« Die Militärs haben das fest eingeplant; schließlich können sie auch im Ernstfall Widerstand nicht ausschließen. Sich darauf vorzubereiten, das gehört zur Übung dazu.

 
 
 





Samstag, 22. Februar 2020

OPFER DER KAPITALGESELLSCHAFT - Lotti


LOTTI, MITAUTORIN von „EISZEIT-BLÜTEN“ zu HANAU...

Harry, ich gebe Dir recht. Natürlich auch diesem glasklaren Beitrag von Rainer Rupp. In Hanau war nicht ein Irrer am Werk, sondern ein vom wild agierenden Geldkapital in den Bann von Hass und Antisemitismus gezogenes Wesen, von denen es offensichtlich immer mehr werden. Ich glaube, dass der weltweite Demokratieabbau und die Perspektivlosigkeit einfach folgerichtig sind, da die gemeinsame Produktion mit individueller Aneignung auf die Katastrophe zurast, die Menschen werden sich wohl selbst eines Tages abschaffen, siehe der Physiker Hawkins im Rollstuhl.

Die Widersprüche im menschlichen Leben spalten sich immer mehr auf zu dem Widerspruch Produzent kontra privater Aneignung, besonders ablesbar u.a. am Mietendeckel. Hinzu kommen die internationalen Widersprüche aus dem selben Grund. Westliches Großmachtstreben contra junge Nationalstaaten als Kämpfer gegen die Etablierten. Alle Konflikte in der Welt  sind letztlich auf den Grundwiderspruch zurückzuführen. Das ist schnell herauszufinden, wenn man die alte Frage "wem nützt das ?" ehrlich und konsequent stellt und beantwortet.

Übrigens muss ich am meisten über die gegenseitige Keiferei Schwarz contra Blau lachen. Das sind doch nur zwei bürgerliche Parteien, die um die bürgerliche Macht ringen, Blau gibt etwas mehr Konservativismus und rechte Haltung zu und kämpft unter dem Deckmantel der "wahren" bürgerlichen Opposition gegen Schwarz, die alles Rechte immer schön bemäntelt haben und empört tun, wenn etwas ans Licht der Öffentlichkeit dringt. Die Krokodilstränen kann sich Schwarz sparen, schließlich waren sie immer schon gegen rechts, einschließlich alte Nazis, blind, während sie gegen links alle Karten der bürgerlichen „Demokratie" ausgereizt und überzogen haben, siehe Verhalten bei Kommunistenprozessen, Berufsverboten etc.

Neueste Niedertracht: Entzug der Unterstützung des VdN. Da haben sie sich ins Knie geschossen, damit gehen sie auch gegen jüdische Mitbürger vor, die von den Nazis verfolgt wurden – peinlich - wo sie doch so viel für die Juden wiedergutmachen wollen. Also, schauen wir uns den Kampf schwarze gegen blaue Bürgerliche weiter an, sie wollen doch beide dasselbe: Erhaltung der bürgerlichen Macht, unter geschickter Ausnutzung der menschlichen Unzufriedenheit in der BRD durch die Blauen, um Ablösung der Schwarzen von der Macht und die Fetttöpfe für die Blauen. So, das war mein Credo fürs Wochenende.

GIPFEL DER HEUCHELEI - Rainer Rupp



Der Gipfel der Heuchelei


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 22. FEBRUAR 2020

von Rainer Rupp – https://kenfm.de

„Tabubruch“, „Dammbruch“, „Empörung“.

Angesichts der geheimen Absprache zur Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag am 5. Februar zwischen der national-konservativen CDU, der neoliberalen FDP und der neoliberal-nationalistischen AfD fand die moralische Entrüstung der selbst erklärten „politisch Anständigen“ kein Ende. Da spielte es keine Rolle, dass trotz großartig zelebrierter Entrüstung der etablierten Politikereliten und des nicht enden wollenden Mediengetöses die Wahl des Ministerpräsidenten unter strikter Einhaltung demokratischer Spielregeln abgelaufen ist. Der beste Beweis dafür ist, dass keiner der Kritiker das Wahlergebnisses unter Verweis auf Missachtung der demokratischen Regeln kritisiert hat.

Dennoch wurde die Regionalwahl in Thüringen von den großkopferten Parteieliten in Berlin und ihren medialen Hofschranzen als ein Putsch, eine Art von Staatsstreich der AfD gegen unsere geheiligte „liberale Demokratie“ dargestellt. Dabei hat doch Frau Merkel und ihre fleißigen Helfer in den letzten 15 Jahren unser Land längst in eine „marktgerechte“, neoliberal-globalisierte Demokratur verwandelt, zu der es die Wähler angeblich „keine Alternative“ mehr haben. Im Zusammenhang mit der griechischen Finanzkrise hatte diese der damalige Bundesfinanzminister Dr. Schäuble dem griechischen Volk unumwunden erklärt.

Damals hatte die linksgerichtete, EU-kritische Partei Syriza für die Beendigung der brutalen Politik der Rentenkürzungen und des Sozialhilfeabbaus bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen. Daraufhin hatte Schäuble die Griechen gewarnt, dass sie „wählen könnten, was sie wollten“, aber die TROIKA aus EU, EZB und IWF, würden unterstützt von Berlin dafür sorgen, dass die gleiche Politik fortgesetzt werde. Diese Aussage des Edeldemokraten Schäuble verurteilte später der Linke-Politiker Gregor Gysi in einer Rede im Bundestag (1) als „einen Angriff auf die Demokratie und auf demokratische Wahlen“.

Vielleicht sollte man auch Gysi in Bezug auf die Aufregung der Linken über die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen an seine damalige Rede erinnern. Aber – so lautet der empörte Einwand – das ist doch diesmal etwas ganz anderes, denn es ist die AfD, die davon profitiert. Aha, die demokratischen Spielregeln gelten also nicht für Parteien, die in Teilen des Volkes zwar populär sind, aber den selbsternannte Edeldemokraten nicht gefallen. Aber dann kommt als Rechtfertigung für das undemokratische Vorgehen das bekannte Totschlagargument, dass die AfD ja gar keine demokratische Partei sei und ihre Mitglieder und Wähler aus in der Wolle gefärbten Nazis und Rassisten bestehen.

Das wird einfach so von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Linken Parteigrößen behauptet und von den Medien tagein, tagaus nachgeplappert. Eine juristische Grundlage dafür gibt es nicht. Vielleicht bringt ein Blick auf die Kriterien etwas mehr Klarheit, die seinerzeit das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der NPD-Verbotsklage als verfassungsfeindlich herausgearbeitet hat.

Wenn die AfD tatsächlich – wie behauptet – verfassungsfeindlich wäre, müsste sie auf Grund der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts eine „auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ gerichtete Partei sein, und beabsichtigen, „die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten ‚Volksgemeinschaft‘ ausgerichteten autoritären Nationalstaat“ zu ersetzen. Außerdem müsste ihr politisches Konzept „die Menschenwürde“ verletzen und „mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“ sein. (Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17.01.2017).

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte seinerzeit „den zulässigen Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD … einstimmig als unbegründet zurückgewiesen.“ Als Begründung für die Zurückweisung wurde u.a. genannt, dass

a) die NPD bedeutungslos sei.
b) „dass es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht“ fehle, „die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt.”
und
c) dass die Führungsgremien der NPD so stark mit Agenten des Verfassungsschutzes durchsetzt waren, dass nicht mehr genau unterschieden werden konnte, welche Handlungen und politischen Positionen der NPD nun auch wirklich originär von der NPD und nicht vom Verfassungsschutz stammten. Deshalb hätte eigentlich der Verfassungsschutz verboten werden müssen, der die NPD de facto gelenkt und ihr Handeln zu verantworten hatte.



Wenn von der Alternative für Deutschland wirklich die von allen Seiten behauptete große Gefahr für unsere Demokratie ausgeht, dann ist die Frage gerechtfertigt, warum gibt es keinen neuen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht? Analog zum NPD-Urteil kann das verschiedene Gründe haben:

Da die AfD anders als die NPD von ihrer Größe und von ihrem politischen Handeln alles andere als bedeutungslos ist, greift dieser Punkt nicht.
Liegt es dann wie bei der NPD am Fehlen ausreichender, konkreter Anhaltspunkten von Gewicht?



Oder trifft auch das Beispiel NPD auch auf die AfD zu, dass nämlich die Unterwanderung ihres Führungspersonals durch Agenten des Bundesverfassungsschutzes derart stark ist, dass ein Verbotsantrag der AfD von vornherein keine Chance hat und deshalb auch keiner gestellt wird.
Solange aber die AfD nicht verboten ist, gehört sie zum Parteiensystem der bürgerlichen Demokratie wie jede andere Partei auch. Und zur Erinnerung: Demokratie ist, wenn der Bürger und Wähler der Souverän im Lande ist und nicht die Parteieliten. Zur Demokratie gehört auch, dass die Parteieliten Wahlergebnisse akzeptieren müssen, die ihnen nicht gefallen.

Wo im politischen Spektrum würde man z.B. ein System verorten, in dem der Regierungschef auf Staatsbesuch in Süden Afrikas weilt und von dort das Wahlergebnis in einer Provinz zu Hause für ungültig erklärt, woraufhin sofort alle untergeordneten Funktionsträger zu Hause den aus der Ferne diktierten Willen des Regierungschefs gehorsamst umsetzen? Ist das Demokratie? Und zu allem Überfluss wird dann dieses Beispiel einer autoritären Herrschaft auch noch von den angeblich freien und unabhängigen Medien bejubelt.

Man stelle sich nur mal vor, der russische „Bösewicht“ Putin und nicht unsere sakrosankte Kanzlerin Merkel hätte sowas gemacht.

Professor Mausfeld hat dazu auf den Nachdenkseiten bemerkt (2),  dass die aktuellen Empörungen über den „Dammbruch“ in Thüringen „in weiten Teilen vorgeschoben“ sind. Weiter führte er aus:

„Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt.“

Ohne nachzudenken haben sich viele, allzu viele Linke von dem immer noch anhaltenden Empörungsstrom mitreißen lassen. Sie waren sofort bereit, auf die Barrikaden zu gehen und die vom neo-liberalen Establishment gewünschten politischen Steine zu werfen. Leider sind die meisten fest überzeugt, auf der Seite der Guten zu stehen. Und es wurde auch alles getan, um sie in diesem Glauben zu bestärken.

Sogar die gewerkschaftliche Dachorganisation DGB bot in zahlreichen Orten in Hessen bequeme Busse zur kostenfreien Hin- und Rückfahrt (3) zur Empörungsdemo gegen Rechts nach Erfurt an. Daneben wurden zusätzlich Busse von Hessen nach Erfurt auch vom Förderverein Fritz Bauer Institut, von der Bernd-Reisig-Stiftung, Aufstehen gegen Rassismus Rhein-Main, von medico international, attac Frankfurt, Demokult e.V. vom Bündnis „Unteilbar“ und anderen finanziert.

Mit der Demonstration unter dem Motto „Nichtmituns -Kein Pakt mit Faschist*innen – niemals“ wollten die Gut-Wessis offensichtlich die rechtslastigen Thüringer Wähler zurück auf den Pfad der „demokratischen Tugenden“ bringen. Die von ihnen benutzten, arroganten Worthülsen waren für diesen Zweck jedoch denkbar schlecht geeignet, zumal sie aus jedem AfD-Wähler pauschal einen Nazi machten, mit dem man nicht redet und an dessen Meinung man auch nicht interessiert ist: Hier einige Zitate aus den linken Aufrufen:

„Innerhalb von FDP und CDU gibt es die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der AfD. Wir sind zutiefst empört. Die Konsequenz für alle Demokrat*innen muss sein: Mit der AfD darf es keine Kooperation geben – nicht im Bund, nicht in den Ländern und nicht auf kommunaler Ebene! Wer mit Faschist*innen paktiert, hat die ganze solidarische Gesellschaft gegen sich! Wir werden unseren Protest lautstark zum Ausdruck bringen.“

Viele der lautstark agitierenden Linken, bezeichnen sich selbst gerne als tolerant. Das äußert sich jedoch sehr einseitig. Die außerparlamentarische Linke scheint derart total auf den Kampf gegen die angeblichen Faschisten der AfD fokussiert zu sein, dass sie zu keinem nennenswerten Protest gegen die neoliberale Ausbeuter- und aggressive Außenpolitik der Bundesregierung und der Kanzlerin Merkel mehr fähig ist.

Sicherlich gibt es in der AfD bis in die Führungsspitze Leute, die mit faschistischem oder völkischem Gedankengut schwadronieren. Aber solche Leute gab es zuhauf über viele Jahrzehnte hinweg an den Spitzen der staatstragenden, angeblich so demokratischen Parteien der Bundesrepublik vor allem in der CDU/CSU und FDP. Bis tief in die Wolle gefärbte, echte Faschisten, mit echtem Blut an den Händen, erklommen höchste Positionen in Partei und Staat. Damals hätte niemand im staatstragenden Mainstream geschrieben: „Wer mit Faschist*innen paktiert, hat die ganze solidarische Gesellschaft gegen sich!“ Das Gegenteil war nämlich der Fall.

Bis weit in die 1980er Jahre hat die ganze „solidarische Gesellschaft“ der Bundesrepublik hervorragende mit Alt-Nazis paktiert. Spontan fällt mir hier der „Nazi-Richter“ Hans Filbinger ein, der es in der CDU bis zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg gebracht hatte – trotz seiner in engeren Kreisen bekannten Nazi-Vergangenheit, einschließlich der von ihm gefällten Todesurteile. Erst der Dramatiker Rolf Hochhuth hatte 1978 Filbinger als „furchtbaren Juristen“ öffentlich enttarnt.

Aber da wäre auch noch der ehemalige CDU-Bundespräsident Heinrich Lübke, der als Architekt und Bauleiter am Konzentrationslager Mittelbau-Dora gearbeitet hatte. Exakt nachgewiesen hat all dies der Historiker Jens-Christian Wagner 2001 in dem Buch „Produktion des Todes – Das KZ Mittelbau-Dora“. Daher stammt der Begriff vom Bundespräsidenten und ehemaligen KZ-Bauleiter Lübke.

Karl Carstens war ein weiterer Nazi der ersten Stunde, der es nach dem Krieg bis zum Bundespräsidenten gebracht hat. 1933 war er Mitglied des Nazi-Sturm Abteilung SA und dann bis 1945 in der NSDAP. Später hatte die „solidarische Gesellschaft“ der Alt-Nazis den CDU-Politiker zuerst zum Präsidenten des Deutschen Bundestages und dann von 1976–1979 zum Bundespräsident gemacht.

Ein Link zur Liste ehemaliger NSDAP-Mitglieder (4), die nach 1945 noch Jahrzehnte in der Bundesrepublik in hohen und höchsten Ämtern politisch tätig waren ist am Ende desTextes beigefügt:

Diese Liste zeigt, wie rechte oder rechtsextreme Haltungen seit Beginn der Bundesrepublik in den Parteien der sogenannten „Mitte“ fest verankert waren und sind. Aber auch SPD- und Grüne Spitzenpolitiker haben keine Probleme mit Faschisten, wie z.B. mit den waschechten faschistischen Verbrechern in der Ukraine zusammen zu arbeiten. Dort zeigten sich   die deutschen Musterdemokraten, einschließlich Bundespräsident Steinmeier (SPD), sogar auf Fotos aus der deutschen Botschaft in Kiew, in trauter Eintracht mit brutalen ukrainischen Nazis und Rassisten. Denen haben sie Millionen unserer Steuergelder zugeschustert, als Unterstützung für deren brutalen Kriegszüge gegen ihre andersdenkenden Mitbürger in der Ostukraine.

Die jetzt auf Seiten der Linken diskutierte Einbindung ihrer Partei in die so genannte „demokratische Mehrheit“ in Thüringen, unter Beteiligung der CDU, ignoriert fahrlässig die gefährliche Rolle, die diese Parteien der „Mitte“ in der Bundesrepublik gespielt haben. Erst durch sie war das Großkapital überhaupt in der Lage, auf allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen die zersetzende Ideologie des Neoliberalismus durchzusetzen. In der Person von Friedrich Merz (CDU) ist diese Verflechtung erst jüngst wieder offenkundig geworden, schreibt Andreas Wehr (5), Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin.

Auch in der Außenpolitik seien „die Unionsparteien die entschiedensten Verteidiger von NATO und massiver Aufrüstung“, so Wehr. „Sie befürworten die Ausdehnung von Bundeswehreinsätzen weltweit, und in ihrer aggressiven Haltung gegenüber Russland und China lassen sie sich von niemandem überbieten. Schließlich kontrollieren sie auch weiterhin die Nachrichtendienste und die Bundeswehr. Den Ausbau der EU als antidemokratisches Projekt treiben sie voran. Diese Kräfte sind weiterhin sehr viel stärker als die Gesamtheit der in der AfD organisierten 33.000 Mitglieder“, findet Wehr.

Das sollte sich jeder Aktivist vor Augen halten, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Die bei weitem größte Gefahr für unsere Gesellschaft für Demokratie und Frieden geht nämlich von der neoliberalen „Mitte“ aus und nicht von der AfD, die von dieser Mitte zum Popanz aufgebauscht wird.

Quellen:

https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/07/01/sehr-starke-rede-zur-griechen-tragoede-gysi-entzaubert-die-selbstgefaellige-kanzlerin
https://www.nachdenkseiten.de/?p=58488
https://frankfurt-rhein-main.dgb.de/termine/++co++a999a896-4c9f-11ea-82ec-52540088cada
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%A4tig_waren
https://www.andreas-wehr.eu/die-linke-thueringens-bestandteil-einer-demokratischen-mehrheit.html
https://kenfm.de/tagesdosis-21-2-2020-der-gipfel-der-heuchelei/






Freitag, 21. Februar 2020

STICHWORT HANAU


RÜHRSELIGKEIT CONTRA BARBAREI?

Stichwort Hanau: Blumengebinde, Tränen, Lichterketten, Umarmungen, Polizei, Verhöre, salbungsvolle Reden - „wir stehen zusammen und halten zusammen“, Verbote, mehr Überwachung auch im Internet, Mediengeschrei, Reduzierung von Morden auf Irrsinn, schwachsinnige Talkshows.

Nein, das greift nicht. Nicht grundsätzlich.

Die deutsch-private Großkotzwelt ist wieder einmal aus dem Häuschen. Wie kann das passieren? Abscheulich. Und es hört nimmer auf. Es geht Schlag auf Schlag. Und Brandstiftungen. Und Korruption. Und Verkehrstote wegen Übermut. Und Betrug im Einzelhandel. Und Werbung für finanzielle Unterstützungen vieler Vereine. Und weitere Morddrohungen gegenüber Politikern. Und Personalmangel überall wegen Unterbezahlung. Massenentlassungen wegen Fusionierungen. Ach, wir armen Sünder!

Man höre endlich mit dem Jammern auf. Sehen wir nicht, woher der Gestank des Hasses kommt? Des zunehmenden Rassismus? Der hervorquellenden Unzufriedenheit vieler unter der Gewaltherrschaft des Kapitals? Präziser: Unter dem Diktat des Privaten, siehe Mietendeckel? Unter dem gefährlich hochgepeitschten Kriegsgeschrei, diesmal mit dem Großmanöver der NATO gen Russland Mitte April bis Mai? Unter dem Kniefall vor dem US-Kapital, das drauf und dran ist, Europa im Drang nach Osten zu opfern?

Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui.
Im Epilog lehrt Brecht:
"Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt' einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Nein, wir haben es nicht nur satt. Der Sumpf muss bei Strafe des Untergangs der Zivilisation nach jahrzehntelanger Verspätung nach der Befreiung vom Faschismus 1945 endlich trocken gelegt werden. Wandelt die Schwerter um zu Pflugscharen! Holt nach, was in der DDR Staatsdoktrin war: Kampf für Frieden, beginnend mit der endgültigen Enteignung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln. Wer da drumrum redet vergisst das Wichtigste: Das Kapital ist es, das stets Kriege forciert hat. Solange man im Netz der Profitmaximierung gefangen gehalten ist, wer dem Kapital nach wie vor hörig und untertänig um der eigenen Ruhe willen den Kopf hinhält, muss in Kauf nehmen, endgültig untergebuttert zu werden... Mehr noch - dann bleibt Wahrheitsfindung in Richtung einer demokratischen Zivilgesellschaft – sprich Sozialismus – eine Utopie.

Und was hindert uns daran, trotz alledem ordentlich Fasching zu feiern, und zu klönen, und uns zu freuen, und zu tanzen, und das politische Gesabbel in der Tagesschau besser zu ignorieren? Und uns in Ruhe und Frieden zu wiegen?

Und nun sollte die kritische Frage gestellt werden – wie damals Goebbels an die 14.000 SA-Leute: Wollt ihr ein großes, militärisch starkes Europa mit Großdeutschland an der Spitze? Die Frage ist längst gestellt. Wer antwortet darauf? Mit einer Stimme? Die zu tausenden zählenden deutschen Vereine? Mit jeweils unterschiedlichen Interessen? Die bürgerlichen Parteien in der Bundesrepublik, zerstritten im Kampf um Macht und Diäten ohne klare Zukunftsprognosen?

Lassen wir noch einmal U. Gellermann sprechen:

Datum: 03. Februar 2020

Es wäre an der Zeit, die Gesellschaft der Krokodile zu verlassen, die gescheiterte Europäische Union aufzugeben und eine Kooperation souveräner Demokratien anzustreben, die sich von der Umklammerung der USA und ihrer NATO befreien. Eine Gemeinschaft, in der die Völker das Sagen haben und nicht Sprechautomaten wie Ursula von der Leyen. Eine Gemeinschaft, die in Frieden mit Russland leben will und den sozialen Frieden durch den Abbau des wirtschaftlichen Gefälles zwischen den Staaten zum Programm erhebt. Eine Gemeinschaft, deren Verfassung durch Volksabstimmungen demokratisch legitimiert wird und in der das Recht auf den politischen Streik verankert ist. Um den Krokodilen Grund zum Heulen zu geben.“


Zitat aus der Rede von Bettina Jürgensen (marxistische linke) in Kiel am Abend des 20. Februar 2020

Wann endlich werden wir in diesem Land einen antifaschistischen Grundkonsens haben? Einen, in dem NIE WIEDER auch wirklich NIE WIEDER heißt? In dem rassistische und faschistische Äußerungen umgehend und mehrheitlich abgelehnt werden, in dem diejenigen, die zündeln, Hass säen und Gewalt gegen »alles was anders ist« ausüben, die Konsequenzen dafür tragen. Und zwar sofort.“

Donnerstag, 20. Februar 2020

DER NEUE-MAUER-FALL


OPERATION AFFEN-DROHNE

Unter diesem Titel veröffentlichte der Autor Harry Popow, Jahrgang 1936, ein Satire-Buch im epubli-Verlag, dem er aus aktuellen Erwägungen den Untertitel „DER-NEUE -MAUER-FALL“ hinzufügte.


3. überarbeitete Auflage



Vorwort:

Zur Sache...

Die menschliche Rasse randaliert mit dem Smartphone vor den Glotzen und der Bronzezeit im Schädel durch die Gegend und die Geschichte. Der Homo sapiens hat diesen Planeten durch sehr frühe straffe Arbeitsteilung und eine scharfe Trennung zwischen Arm und Reich grundlegend verändert.
Ob wir nun zu einem neuen Erdzeitalter ausrufen sollten, bei dem es durch die weltweite Digitalisierung eine Anhäufung von ÜBERFLÜSSIGEN gibt, die man schnell loswerden könnte, wenn man wollte, darüber streiten sich die unablässig nach Maximalprofit strebenden zurückgebildeten „intelligenten“ Affen.
Vernichtet der arg geschundene Planet die HOCHGEBILDTEN oder sind es eher diejenigen, die mit ihren Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde das Ruder des Vernichtungs-Feldzuges an sich gerissen haben? Wer müsste und könnte da zurückstecken?
Wessen Rat ist da teuer und lebenswichtig? (BENNO)




Was soll man schon vom Tag erwarten, der mit Aufstehen anfängt? Gelächter. Schmunzeln. Daniil Granin schrieb diesen Satz, der russische Schriftsteller. Und was nach dem Aufstehen geschah, ist so umwerfend nicht immer. Wer täglich für andere schuften muss und Geld verdient, der ist gut dran. Wer mit knappem Geld einkaufen geht, muss tüchtig überlegen. Wer die Miete nicht mehr bezahlen kann, der fliegt unter Umständen auf die Straße und sucht seinen Unterschlupf unter Brücken. Wer in den Fernseher glotzt, der findet tausende Gewalttaten, Korruptionsfälle und sämtliche Sauereien. Aber nur im Miniformat. In Talkrunden zum Beispiel. Da befinden sechs Leutchen über zunehmende Taschendiebstähle in Berlin. Und das man aufpassen solle. Zwei Stunden Gequassel über Symptome und kein Wort über Ursachen, gesellschaftlicher Art natürlich. Klar, das alles passierte nicht im Osten vor dem Mauerfall. Und jetzt, im Jahre 2019?

Symptome, Symptome! Über Zustände wird offen und „ehrlich“ debattiert. Damit hat sich`s. Was Wunder, wenn die Glotzer zunehmen und keine Fragen nach Ursachen mehr stellen. Man ist so daran gewöhnt, zu stöhnen und festzustellen, es ist halt wie es ist... Beginnt mit zunehmender Ich-Bezogenheit und Gleichgültigkeit nicht der langsame Seelentod? Freiheit des Wortes. Freiheit der Meinung. Ob so oder so. Du schüttelst den Kopf, schaltest aus, gehst zu Bett. Das alles geht dir sozusagen am Arsch vorbei. Und niemand wird verschämt zurückblicken, als sehr viele bereits gedanklich gen Westen marschierten und dabei das Lied sangen „...und die Augen fest verschlossen“.

Was gibt es Wichtigeres als das einzigartige Leben? Mit all diesen Hoffnungen und auch Enttäuschungen? Mit all den Mühen und auch dem Spaß? Manchmal ist es zu viel des „Guten“. Gewalt, Korruption, Kriegsgefahr, Trauerspiel in Europa, nicht verfügbare Visionen, Resignation, Zerfallsprozesse, Theater und Filme, die oft genug nur Banales bieten, Talkrunden, die nur Symptome aufzählen. Inhaltsloses als Denkvorgabe. Was Wunder, dann droht Acedia: Gleichgültigkeit. Überdruss. Denkfaulheit. Trägheit des Herzens. Innere Leere. Langeweile. Ignoranz. Trostlosigkeit. Wer dem unterliegt, hat es schwer. Das Gegenteil von acedia: Sich rühren, zornigen Widerstand leisten, etwas tun. Frieden schaffen ohne Waffen. Im Bündnis mit anderen. Nicht vereinzelt. So wird ein Schuh draus.

Zukunft sieht dann anders aus. Dann droht Einsamkeit. Dann bist du ausgestoßen. Dann spürst du dein Alleinsein doppelt stark, abgehängt worden zu sein. Angewiesen auf Almosen, weil du ein außen vor bist, ein Arbeitsloser? Und dann heißt es noch, du bist selber Schuld an deinem „Missgeschick“. Und so tappst du ohnmächtig in die Falle der Selbstverschuldung, suchst nach Auswegen in dir selbst, gerätst immer tiefer in die Sackgasse der eigenen Ohnmacht, während sich der Staat aus sozialen Problemen immer mehr heraushält. Begehrst du aber auf, dann ist das dein gutes recht. Nur – das juckt niemanden. Dein Zorn verpufft wie der Schrei einer Nachteule.

Die Fragen nach dem WARUM haben den Abgang gemacht, die geistige Einengung nimmt ihren Lauf, nur wer tief gräbt hat Chancen, neue Blüten zu entdecken. Der Widerspruch liegt in allen Dingen – es kommt nur darauf an, die lösbaren zu finden, gute Ideen, neue Knospen zum Blühen zu bringen.

Unter einem Dach? Ein Volk, ein Führer. Brüder und Schwestern? Eine Nation? Eine Familie? Ein Staat? Du und ich? Die Liebe eint alle? Gut und Böse? Oben und unten? Geld und nicht Geld? Arm und reich? Gläubige und Ungläubige? Einheimische und Ausländer?

Selbst der unterschiedliche Drang nach Frieden spaltet jeden und alles!!!

Man betrachte dieses Buch „OPERATION AFFEN-DROHNE“ (siehe Cover) als einen Versuch, mit der Satire das Tagesdunkel am Himmel der Manipulierung ein klein wenig aufzuhellen. Wohl wissend, dass es seine Leser kaum finden wird, zu große Macht haben „Bestseller“, die nicht am Schlaf dieser Welt rühren.

Die folgenden Episoden zu BENNO, seiner Zauberfrau und dem Äffchen DIDA und ihrem Freund DADA sind Träumereien, die ihren Ausgangspunkt in der Wirklichkeit haben. Hier entwirft der Autor einen Text, mit dem er keinen Lorbeer ernten wird. Er ist alt und klug genug, um zu wissen, seine Schreiberei wird niemals an der großen Glocke hängen. Man nehme den Spaß als das, was es ist: Ein kleines Lächeln, ein kleines Nachdenken, ein wenig ungläubiges Kopfschütteln, ein wenig Zustimmung – auch gestützt mit goldenen Zitaten aus Politik und Literatur in der NACHLESE - , vielleicht ein eigenes Zupacken in Richtung einer neuen Morgenröte. Und am Ende doch eine des nachdenkenswerte „Überraschung“... 


Harry Popow: „OPERATION AFFEN-DROHNE“, epubli-Verlag, Erscheinungsdatum: 09.12.2019, ISBN: 9783750261105,
Bindungsart: Softcover, Format: DIN A 5 hoch, 288 Seiten, Einzelpreis: 18,99 €
https://www.epubli.de//shop/buch/OPERATION-AFFEN-DROHNE-Harry-Popow-9783750261105/93263?utm_medium=email&utm_source=transactional&utm_campaign=Systemmail_PublishedSuccessfully

Dienstag, 18. Februar 2020

DIGITALISIERUNG PROFITGETRIEBEN - rubikon



Die Herrschaft der Maschinen


Die profitgetriebene Digitalisierung versucht den Menschen seine Menschlichkeit auszutreiben — Sozialismus ist der Versuch, dies zu verhindern.


von Christa Schaffmann


Am 6. und 7. März 2020 findet in Berlin der diesjährige Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP) statt. Er trägt die Überschrift „Digitalisierung - Sirenentöne oder Schlachtruf der 'kannibalistischen Weltordnung'“. Aus diesem Anlass sprach Christa Schaffmann mit dem Philosophen und Politökonomen Prof. Dr. Friedrich Voßkühler. Nach Voßkühlers Ansicht sind sich Kapitalismus und Digitalisierung einig in dem Bestreben, den Menschen zu automatisiertem Verhalten im Sinne ökonomischer Verwertungsinteressen zu zwingen. Hierzu wird er schrittweise von sich selbst und der Welt entfremdet. Sozialismus im 21. Jahrhundert bedeutet auch, sich diesem Bestreben entschlossen entgegen zu stellen. Der Aufruf des Ökonomen ist deutlich: „Meine Handlungsempfehlung ist die Teilnahme an den laufenden Klassenkämpfen.“

Prof. Dr. Friedrich Voßkühler: Das mit der linken Vision ist so eine Sache. Die Vision, die ich habe, ist der Sozialismus. Es ist die Vision von selbstbestimmten Menschen in einer nicht mehr vom Profitprinzip dominierten Gesellschaft. Die Digitalisierung taugt nicht als Vision, die man als Sozialist hat. Sie ist eine Art und Weise, mit sich selbst umzugehen, die strategisch von den Verwertungsinteressen des Kapitals bestimmt ist.

Was mit der Digitalisierung als Technik möglich ist beziehungsweise dann möglich sein wird, wenn wir beginnen, unsere wesentlichen Probleme zu lösen, das ist ein anderes Ding. Die sozialistische Vision läuft jedoch nicht über die Digitalisierung. Diese kann nicht an die Stelle unseres eigentlichen Ziels treten.

Ist Digitalisierung unter sozialistischen Bedingungen für Sie vorstellbar? Oder müsste man sie dann abschaffen?

Das Verfahren als solches abschaffen zu wollen, das wäre albern. Es handelt sich um ein bestimmtes Verfahren zum Umgang mit numerischem Denken. Da kann keine Gesellschaft hingehen und sagen: „Das wollen wir nicht und das verbieten wir“. Das wäre Nonsens. Man kann aber das Verfahren umwerten, denn es kommt ja auf den Menschenbezug an. Technik ist immer auch ein menschliches Verhalten, eine Art des menschlichen Selbstbezugs. Eine Verhaltensänderung macht Sinn, aber nicht die Negation dieser Technik!

Worin sehen Sie die entscheidenden Unterschiede zwischen der Industriellen Revolution im 18./19. Jahrhundert, als es um den Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft ging, und der Digitalisierung heute?

Der Unterschied besteht ganz wesentlich in den benutzten Maschinen. Die industrielle Revolution hat Maschinen entwickelt, die durch Dampf, Verbrennungsmotoren und so weiter angetrieben wurden. Damals wurden Werkzeugmaschinen hergestellt, die mehr oder weniger das Handwerk ablösten, sodass man die Tätigkeit der Hand auf die Maschinen übertragen konnte. Die Digitalisierung ersetzt die Werkzeugmaschinen alten Typs. Die im engeren Sinne digitale Maschine ist nicht mehr in den materiellen Prozess einbezogen. Sie ist eine Simulationsmaschine, die über Programme die materiellen Maschinen steuert. Das ist ein riesiger Unterschied. Kurz gesagt: Die Industrialisierung bestand aus materiellen Prozessen, die Digitalisierung aber ist ein Prozess der Immaterialisierung.

Ein weiterer Unterschied ist der, dass sich die Industrialisierung im Kontext der Konzentration und Zentralisierung der materiellen Produktivkräfte entwickelte. Der Ingenieur war dabei die leitende menschliche Produktivkraft. Das ist heute so nicht mehr der Fall. Heute spielt die Programmierung die entscheidende Rolle. Die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft bleibt bei alledem das zentrale ökonomische Motiv. Da hat sich nichts verändert.

Kommen wir aber noch einmal auf den von mir eben benutzten Begriff der Immaterialisierung zu sprechen. Was ist unter ihm zu verstehen? Der Versuch, sich durch die Anwendung numerischen Denkens aus der Umklammerung durch die Materie zu lösen. Ich greife damit im Übrigen auf meine Weise Vilém Flusser auf.

Gleichwohl, das darf man bei alledem nicht vergessen, gehen Industrie und Digitalisierung heute — obwohl sie sich deutlich voneinander unterscheiden — Hand in Hand. Sie arbeiten zusammen, weil die Digitalisierung dazu benutzt wird, die materiellen Umformungsprozesse effektiver zu gestalten und die Ausbeutungsrate der menschlichen Arbeitskraft systematisch zu erhöhen.

Ihr Abstract im Kongressprogramm trägt die Überschrift „Kapitalismus, Schizophrenie, Digitalisierung“. Warum bringen Sie hier die Schizophrenie ins Spiel?

Es ist im Grunde der Diskussionsstand des „Anti-Ödipus“ von Félix Guattari und Gilles Deleuze, den ich da aufgreife. Diese beiden haben auf ihre Weise den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Schizophrenie darzustellen versucht.

Wenn Digitalisierung und Kapitalismus in dem Bestreben vereinigt sind, die Menschen zu entgegenständlichen und zu entwirklichen, sie also so weit als möglich von der Wirklichkeit loszubringen und sie im Sinne des Kapitals als „automatisches Subjekt“ beherrschbar zu machen, dann werden die Menschen von sich und der Welt, in der sie leben, abgespalten.

Diesen Abspaltungsprozess, der auch große Teile der Intellektuellen betrifft, versuche ich mit dem Begriff des Schizo zu fassen. Für mich ist das kein primär psychoanalytischer Begriff. Ich bin ein sich mit der marxistischen Politökonomie beschäftigender Philosoph. Mich interessiert unter anderem, was sich hinter psychologischen Begriffen an gesellschaftlicher Realproblematik verbirgt. Und wenn psychologische Begriffe dazu taugen, die gesellschaftliche Realproblematik zu beschreiben, dann benutze ich sie selbstverständlich.

Ich finde, dass der Schizo-Begriff sich ganz ausgezeichnet dafür eignet zu beschreiben, wie heute vermehrt die Virtualität an die Stelle der Wirklichkeit tritt. Im Alltag erleben Sie das zum Beispiel, wenn sie in Berlin mit der S-Bahn fahren. Da sitzen sich die Menschen gegenüber, starren auf ihr Smartphone, sprechen nicht miteinander und kümmern sich einen Dreck darum, woher das Brot für ihre Stulle, die Butter und die Wurst darauf kommen; abgesehen davon, dass viele von ihnen nicht mehr wissen, wie Rotkohl aussieht und wie man ihn zubereitet. Das ist die Entwirklichung, die ich meine. Die dort in der S-Bahn sitzen, fallen einem Entwirklichungsprozess anheim. Diesen Sachverhalt will ich mit dem Schizo-Begriff analytisch ansteuern.

Dieser Entwirklichungsprozess, der gleichzeitig ein Schizoidiesierungsprozess (Spaltungsprozess) ist, ist ein biopolitischer Akt. Was die revolutionäre Arbeiterbewegung einmal versuchte, nämlich die Menschen zu Herren ihrer eigenen Angelegenheiten zu machen, das können wir im Nachhinein als den frühen Versuch lesen, diesem verrückten — diesem verrückt machenden! — Prozess, schon im Ansatz entgegenzutreten. Und jetzt, da die revolutionäre Arbeiterbewegung eine Niederlage erfahren hat, ist der Kapitalismus dabei, diesen verrückt machenden Prozess auf breiter Front durchzusetzen. Dazu dient ihm unter anderem die Digitalisierung.

Aber, um dies noch einmal hervorzuheben: Ich argumentiere nicht per se gegen die Digitalisierung, sondern gegen die gesellschaftliche Form der Digitalisierung; gegen die Digitalisierung als biopolitische Maßnahme, um sich die arbeitende Bevölkerung gefügig zu machen.

Sie beziehen sich auf den französischen Philosophen Deleuze und den Psychoanalytiker Guattari und versprechen eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen. Worauf dürfen die Kongressteilnehmer da gespannt sein?

Die beiden beschreiben den Kapitalismus als sich selbst produzierende und reproduzierende Maschine. Unter Aufbietung aller Kräfte versuche der Kapitalismus, den Schizo als Subjekt zu erzeugen. Darauf beziehe ich mich.

Deleuze und Guattari sind — mit meinen Worten formuliert — folgender Auffassung: Wenn das Kapital als objektiver Prozess nur noch eine Axiomatik kennt, die Axiomatik des Geldes, dann kennt es nur noch eine Axiomatik der reinen Quantifizierung. Und wenn sich diese Axiomatik in der Herrschaft des Kapitals als dem „automatischen Subjekt“ aller realen gesellschaftlichen Verhältnisse niederschlägt, dann erzeugt das Kapital eine Gesellschaftsform, in der alle qualitativen Ressourcen ihrer quantitativen Berechenbarkeit unterworfen werden beziehungsweise ihre Qualität verlieren.

Das erzeugt, wie Deleuze und Guattari sagen, eine ungeheure „schizophrene Ladung“, die Ausbreitung eines hegemonial werdenden Spaltungsirreseins. Deleuze und Guattari sehen darin den Grund für die Freisetzung des Unbewussten in einem bisher unbekannten Ausmaß. Losgelöst von allen qualitativen, materiellen Grenzen kann sich nun das Unbewusste als sich selbst produzierende und reproduzierende Maschine äußern, als ein einziger Prozess sich miteinander verkoppelnder Wunschproduktion.

„Es atmet, wärmt, isst. Es scheißt, es fickt“. Es „funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen“. Wer? Das „Es“. Das schreiben Deleuze und Guattari. Und wenn das so ist, wenn der Kapitalismus das bewirkt, dann ist er eine sich von allen materiellen Begrenzungen befreiende Wunschmaschine. Diese Maschine setzt das Unbewusste frei und lässt die Gesellschaft durch es durchflutet und die Menschen durch es verkoppelt sein. Mag sein, dass diese Maschine auf ihre Explosion hindrängt, aber sie wird durch keine bewusste Steuerung zu beherrschen sein.

Was ist an dem zu kritisieren, was Deleuze und Guattari da sagen?

Dass sie die objektiven Gesetzmäßigkeiten der Kapitalakkumulation in das autonome Funktionieren einer Wunschproduktionsmaschine umtaufen, dass sie dem Kapital als „automatischem Subjekt“ den Charakter des alles bestimmenden „Es“ zuordnen, welches sich unter der Bedingung des Kapitals zu sich selbst befreit und nicht mehr zu beherrschen ist. Ich kritisiere, dass sie die Marx‘sche „Kritik der politischen Ökonomie“ psychologisch unterlaufen und im Grunde die Möglichkeit einer von der Hegemonie des Kapitals befreienden politischen Praxis negieren. Sie sind Protagonisten des nach 1968 nahezu üblich gewordenen Kotaus vor der Macht des Kapitals, Protagonisten der Kapitulation der Intellektuellen auf breiter Linie. In ihnen — und beileibe nicht nur ihnen! — kommt genau das zum Ausdruck, was sie als Befreiung des „Unbewussten“ interpretieren: das durch das Kapital aus strategischen Gründen geförderte gesellschaftliche Spaltungsirresein.

Flusser, auf den ich auch eingehen werde, sagt, dass in dem Prozess „vom Subjekt zum Projekt“ „alles um uns herum, Umwelt, Gesellschaft, Bewusstsein und damit alles in uns — Werte, Bedeutung, Entscheidung“ zerfallen würde. Das sei jedoch ganz und gar nichts Schreckliches. Denn damit fange das an, was per se wünschenswert sei. Was? Das Projizieren von Alternativen.

Genau das ist die, sagen wir einmal, „digitale Ideologie“, die Ideologisierung des Digitalen. Das numerische Denken, so Flussers Überlegung, zersetze zwar die Seinsgrundlagen, aber es ermögliche das projektive Computieren alternativer Welten. Diese alternativen Welten würden in der Tat nicht mehr auf der Wirklichkeitsauffassung von Marx beruhen, nicht mehr auf jener Wirklichkeitsauffassung, wonach wir Menschen uns in der Welt, die wir durch Arbeit selbst hervorbringen, verwirklichen. Das projektive Computieren entlaste uns von dieser allzu beschwerenden Wirklichkeitsauffassung und mache uns für die Welten unserer schöpferischen Einbildungskraft frei. Es sei ein Akt der Befreiung, der Welt und der Selbstschöpfung, jenseits des ganzen alten traditionellen Plunders.

Das sind für mich sowohl bei Guattari und Deleuze als auch bei Flusser nichts als Ausweichmanöver, mit denen sich bestimmte Intellektuelle den Problemen des Kapitalismus und ihrer Bewältigung mit — ich möchte es provokativ sagen — geradezu grandioser Geste zu entziehen versuchen.

Sie schreiben weiter, die Digitalisierung bewirke das Gegenteil von dem, was Marx unter dem reichen Menschen verstand und wofür die revolutionäre Arbeiterbewegung sich eingesetzt habe. Wie geschieht das?

Ich habe eine Vorstellung vom „reichen Menschen“, wie ihn Marx beschreibt und wie es darauf fußend Agnes Heller deutlich gemacht hat.

Marx sagt: Ein „reicher Mensch“ ist nicht der, der Zaster hat, nicht derjenige, der über Produktionsmittel und Finanztitel verfügt. Ein „reicher Mensch“ ist der, der seine Verwirklichungskräfte realisiert — der ein Haus baut, die Erde um Blühen bringt, eine Wissenschaft weiterentwickelt et cetera. Er ist „reich“, weil er an Fähigkeiten und Fertigkeiten „reich“ ist. Weil er das „höchste Bedürfnis“ empfindet — den anderen Menschen.

Beim frühen Marx ist dann noch von vielfältigen Naturbeziehungen als Zeichen wirklichen menschlichen Reichtums die Rede. Alls das ist für mich der marxistische Begriff des wirklichen Reichtums. Und ich halte ihn für normativ.

Die Voraussetzung ist, dass der, der jetzt verarmt ist, dem man alles weggenommen und den man „entfremdet“ hat, sich das alles wieder aneignet. Das Mittel, um das zu tun, ist eine demokratische und zentrale Planung der Güterproduktion, eine rationale Planung dessen, was, wo, zu welchem Zweck und wann gemacht wird. Das ist Rationalität, während der Kapitalismus Irrationalisierung bedeutet. Und zu dieser Irrrationalisierung gehört auch die Digitalisierung, solange sie unter kapitalistischen Vorzeichen stattfindet. Nur dann, denn wie man eine Dampfmaschine oder einen Hammer zu verschiedenen Zwecken nutzen kann — um jemanden zu töten oder um einen Nagel in die Wand zu schlagen —, können auch Digitalisierung und künstliche Intelligenz so oder anders eingesetzt werden.

Verstehe ich Sie richtig: Dem Kapitalismus als gesellschaftlicher Erscheinung wohnen bestimmte Gesetzmäßigkeiten inne und die sind verantwortlich dafür, dass die Digitalisierung in eine bestimmte Richtung geht? Verantwortlich dafür sind nicht Informatiker, Ingenieure, auch nicht Kapitalisten, sondern die Gesetzmäßigkeiten dieser Gesellschaftsordnung?

Auch wenn letztlich die von Ihnen genannten Gesetzmäßigkeiten die wesentliche Geige spielen, tragen immer noch die einzelnen Menschen die Verantwortung für das, was geschieht. Sie sind aufgefordert, sich dem Missbrauch ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten zu widersetzen und am gesellschaftlichen Kampf dagegen teilzunehmen.

Ich möchte aber noch etwas anders auf ihre Frage antworten. Wenn ich an der Universität in Philosophie Menschen ausbilde, die Informatiker oder Ingenieure werden wollen oder gar schon sind, dann sind das ja nun beileibe nicht meine Feinde. Ich muss ihnen helfen zu verstehen, warum sie darum kämpfen müssen, dass ihre Fähigkeiten nicht mehr ungehindert für das Kapital eingesetzt werden können. Sie sollen erkennen, dass sie systematisch durch die kapitalistischen Gesetze korrumpiert werden und sich nicht weiter korrumpieren lassen dürfen, auch wenn sie letztlich nicht darum herum kommen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Ich habe mich um ihre Zustimmung für die Einsicht zu bemühen, dass die ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten letztlich nur dann menschlich ausbilden können, wenn sie sich an dem Kampf gegen das Kapital beteiligen und ihn nach Möglichkeit gewinnen.

Heißt das, Sie werden in Ihrem Vortrag oder in der Diskussion auch so etwas wie eine Handlungsempfehlung geben?

Die größte Handlungsempfehlung ist die, an den laufenden Klassenkämpfen teilzunehmen! Tun wir dies, dann steht am Ende unserer Bemühungen vielleicht einmal der Sozialismus. Auf dem Weg dahin gibt es eine ganze Latte aktueller Themen, denen wir uns zu widmen haben, wie zum Beispiel die ökologische Krise, die wir jetzt erleben. Politisch bedeutet das für mich, dass ich mich in einer ökosozialistischen Initiative engagiere und an ihren Aktionen teilnehme. Es bedeutet, wenn möglich, bei den Kämpfen im Hambacher Forst anwesend zu sein und vieles anderes mehr.

Die Digitalisierung beschäftigt mich zwar sehr wohl, aber ich gehe nicht, wie ich schon sagte, gegen die Digitalisierung als Digitalisierung vor, sondern zum Beispiel gegen das Eigentum an Daten und Kenntnissen der numerisch gesteuerten Produktion durch kapitalistische Organisationen. Da bietet sich ja nun die Vergesellschaftung solcher Unternehmen geradezu an! Aber dazu, wenn wir dazu kommen, mehr in der Diskussion beim NGfP-Kongress.





Russlands neue Verfassung - Dr. Wolfgang Schacht

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus aktuellem Anlass sende ich Ihnen meinen  Beitrag

„Die neue Verfassung Russlands – mehr soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit“

unter dem Link


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Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Schacht

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Sonntag, 16. Februar 2020

FRIEDLICHE KRIEGSVORBEREITUNG - Wolfgang Bittner



Friedliche Kriegsvorbereitungen – Münchner Sicherheitskonferenz 2020


Von Wolfgang Bittner.

Die Eröffnungsrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die von wachen Zeitgenossen „Münchner Kriegskonferenz“ genannt wird, hielt am 14. Februar 2020 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Wie nicht anders zu erwarten, trat er gleich zu Anfang für Deutschlands „außenpolitische Verantwortung“ ein, die sich „konkret bewähren“ müsse.(1) Gegen wen? Nicht nur in Steinmeiers Fokus stehen Russland und China.

Nachdem er – unvermeidlich – in Demut auf die deutsche Schuld und auf Auschwitz hingewiesen hatte, kam Steinmeier unverzüglich auf die „zunehmend destruktive Dynamik der Weltpolitik“ zu sprechen, deren Spuren sich „bis in die endlosen, opferreichen Kriege im Mittleren Osten und in Libyen verfolgen“ ließen. Während diese Kriege offenbar vom Himmel gefallen sind, lastete Steinmeier dann die „destruktive Dynamik“ dem Hauptfeind an: „Russland … hat nicht nur ohne Rücksicht auf das Völkerrecht die Krim annektiert. Es hat militärische Gewalt und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik gemacht. Unsicherheit und Unberechenbarkeit, Konfrontation und Verlust von Vertrauen sind die Folge.“(2)

Und dann China, das natürlich ebenfalls dem Ziel einer „internationalen Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt“ entgegensteht, indem es „im Zuge seines eindrucksvollen Aufstiegs“ das Völkerrecht nur selektiv akzeptiere, „wo es den eigenen Interessen nicht zuwiderläuft“: „Sein Vorgehen im Südchinesischen Meer verstört die Nachbarn in der Region. Sein Vorgehen gegen Minderheiten im eigenen Land verstört uns alle.“ Dass die USA den gesamten Orient in Brand gesteckt, die Ukraine destabilisiert und Südamerika im Visier haben, verstörte von den sich gegenseitig ihre Friedfertigkeit bestätigenden westlichen Teilnehmern dieser Kriegskonferenz niemanden.

Schließlich kam Steinmeier zu den Vereinigten Staaten von Amerika: Nach wie vor „unser engster Verbündeter“, allerdings seit 2017 unter Trump, den Steinmeier schon Ende 2016 auf Seiten der kriegslüsternen Hillary Clinton einen Hassprediger genannt hat (was in der Berliner Politikerkaste legitim und kein Antiamerikanismus war). Die USA – so dieser Bundespräsident – „erteilen unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage“ und stellten ihre eigenen Interessen über die aller anderen. Dass der inzwischen auf Linie gebrachte, zeitweise offensichtlich psychisch gestörte Trump ursprünglich gegen weitere Interventionskriege und für Frieden mit Russland war, ist lange vergessen, ebenso wie die völkerrechtswidrigen Kriege seiner Vorgänger.

Scheinheilig und widersprüchlich

In Wirklichkeit ist Steinmeier aber ein Humanist und Friedensfreund, so empfindet er sich. Denn er forderte, „unser elementares Verständnis von der Würde eines jeden Menschen zu verteidigen und für unsere offenen Gesellschaften zu kämpfen“, für „das normative Projekt einer Welt, das die Würde des Menschen zum Maßstab staatlichen Handelns macht“. Dabei berief er sich auf die Präambel der Charta der Vereinten Nationen, wonach Krieg geächtet ist.

Das klang gut und wäre eine echte Perspektive, würde die deutsche Regierung diese Charta respektieren. Doch das ist bekanntlich nicht der Fall, wie sich bereits 1999 bei der Teilnahme an dem Angriffskrieg gegen die Republik Jugoslawien gezeigt hat. Auch am Krieg gegen Syrien sowie an Sanktionen gegen Venezuela, Iran, Russland usw. ist Deutschland im Gefolge der USA beteiligt. Was sich der deutsche Bundespräsident Steinmeier, der sich – wie schon sein erhabener Vorgänger Gauck – mit ideologischer Verve in die aktuelle Politik einbringt, in München herausgenommen hat, ist also Schall und Rauch.

Die amerikanischen Hardliner

Da wurden die Vertreter der USA deutlich konkreter. Vizepräsident Mike Pence erklärte unter dem Beifall der Konferenzteilnehmer: „Amerika führt wieder einmal auf der Weltbühne.“(3) Präsident Trump habe die stärksten Streitkräfte in der Welt noch stärker gemacht, die Modernisierung des Atomwaffenarsenals veranlasst und die europäischen Staaten dazu gebracht, ihre Militärausgaben zu erhöhen. Nach Pence erwarten die USA, dass sämtliche NATO-Bündnispartner das Zweiprozentziel bis 2024 erreichen und 20 Prozent der Verteidigungsausgaben in Beschaffung investieren. Der Westen werde „niemals gebrochen“, betonte Pence abschließend, und dass „unsere Werte überdauern“ und „unsere Zivilisation triumphiert“.

Dem stimmte US-Außenminister Mike Pompeo in seiner Rede mit den Worten zu: „Der Westen gewinnt, zusammen gewinnen wir.“(4) Er unterstrich noch einmal die „Führungsrolle Amerikas in der freien Welt“ und rief die westlichen Partner zur Geschlossenheit auf. „Achtung der Souveränität anderer Länder, das ist das Geheimnis und zugleich der Grundstein unseres Erfolges“, so Pompeo, „aber es gibt immer noch Länder, die unsere Souveränität bedrohen.“ Russland zum Beispiel missachte die territoriale Integrität anderer Staaten, aber auch China und der Iran seien aggressiv.

Wie schon mehrmals zuvor, wandte sich Pompeo gegen die Verwendung chinesischer Huawei-Technologie sowie gegen die Fertigstellung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, wodurch Deutschland in Abhängigkeit von Russland geriete. Ausdrücklich rügte er Steinmeiers Unterstellung, die USA erteilten der internationalen Gemeinschaft eine Absage (allerdings war die Rede von der „Idee einer internationalen Gemeinschaft“ gewesen).

Da mochte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zurückstehen. Russland bedränge europäische Staaten, sagte sie. Deutschland bleibe „der nuklearen Teilhabe der NATO verpflichtet, deren Schutzschirm für uns ein wesentliches Element europäischer Sicherheit ist“. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, ihre Ausrüstung und Kampfkraft, werde spürbar verbessert, der Verteidigungshaushalt kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes erhöht. Kramp-Karrenbauer bekräftigte, Deutschland werde „mehr leisten“ und sich beispielsweise in der Sahelzone und in der Straße von Hormus mehr einbringen.(5)

Maas für eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion

Den Ausführungen Steinmeiers zur wesentlichen Frage eines Zusammengehens mit den USA entsprechen die von Heiko Maas, der am selben Tag in München sagte: „Wir müssen mehr tun.“(6) Und er fügte sogleich hinzu, Deutschland habe damit ja bereits angefangen, zum Beispiel fast drei Milliarden Euro in die Stabilität der Sahel-Zone investiert, außerdem sei Deutschland in Afghanistan der zweitgrößte Truppensteller. Aber die internationale Zusammenarbeit stecke „seit Jahren in einer beispiellosen Rezession“. Neu sei nicht etwa der Aufstieg Chinas, den man beobachte, oder die „schrumpfende strategische Bedeutung Europas nach dem Kalten Krieg“. Vielmehr gehe „die Ära der omnipräsenten amerikanischen Weltpolizisten für alle sichtbar zu Ende …, weil sich das Engagement der Verantwortlichen im Weißen Haus für die von den USA geschaffene Weltordnung verändert hat“.

In Übereinstimmung mit den Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron plädierte Maas für „den Aufbau einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion – als starken, europäischen Pfeiler der NATO“. Europa werde seine Stärken künftig ausspielen müssen und Deutschland sei bereit, dabei eine tragende Rolle zu spielen. Maas: „Um es klar zu sagen: Deutschland ist bereit sich stärker zu engagieren, auch militärisch.“

Lawrow wirbt für Abrüstung und Verständigung

Demgegenüber plädierte der russische Außenminister Sergej Lawrow, dem am 15. Februar lediglich sieben Minuten Redezeit zur Verfügung standen, für Abrüstung und Diplomatie.(7). Er sprach von einer „Barbarisierung der internationalen Beziehungen“ wie auch von der „Unberechenbarkeit“ der Situation in Europa, und er kritisierte die riesigen Militärmanöver an den russischen Grenzen. Man müsse im Westen damit aufhören, das Schreckgespenst der russischen Bedrohung heraufzubeschwören und sich darauf besinnen „was uns verbindet“. Das sei der Grundsatz der gleichen Sicherheit. Man dürfe es nicht zulassen, dass unter der Flagge der Multilateralisierung Regeln gebrochen und Sekretariate internationaler Organisationen privatisiert würden, wie zum Beispiel in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

Lawrow forderte, die Grundsätze der UN-Charta zu befolgen, einschließlich der souveränen Gleichheit von Staaten und der Nichteinmischung. Er kam schließlich auf die Initiative des russischen Präsidenten Putin zu sprechen, „einen großen europäischen Partnerschaftsraum zu gestalten“, der offen wäre für alle Staaten „unseres immensen Kontinents“. Und zum Schluss warnte Lawrow, ein Nuklearkrieg könne aus einem konventionellen Krieg erwachsen und der konventionelle Krieg erwachse aus Politik. Er rief die Teilnehmer der Konferenz auf, für den Frieden einzustehen.

Conclusio

Wer die Zeichen der Zeit zu deuten versteht, kann sich – insbesondere aufgrund der Ausführungen der US-Hardliner Pence und Pompeo – trotz aller Beschwichtigungen nicht der Vermutung entziehen, dass die USA auf eine Konfrontation mit China abzielen, während die westeuropäischen Staaten mit der NATO in Stellung gegen Russland gebracht werden sollen. Wozu sonst diese ungeheuren Aufwendungen für Aufrüstung.

Es scheint so, als stehe die Katastrophenuhr, die von manchen auch Atomkriegsuhr oder Weltuntergangsuhr genannt wird, kurz vor zwölf. Und die führenden Politiker Deutschlands beteiligen sich an diesem Katastrophenaufbau zum Schaden des eigenen Landes, das für die USA Brückenkopf und Frontstaat ist, anstatt ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Verständigung mit Russland und China einzutreten. Es ist davon auszugehen, dass sie wissen was sie anrichten. Sie sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Von Wolfgang Bittner erschien 2017 „Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“ und im September 2019 „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“.

 Siehe auch KenFM im Gespräch: https://kenfm.de/wolfgang-bittner / 

Quellen:

(1) Vgl. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/02/200214-MueSiKo.html?nn=9042544. Nachzuhören auf www.youtube.com/watch?v=Eufl3veTGfE.

(2) Zur Krim-„Annexion“: Wolfgang Bittner, Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise, Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2019, S. 217-224.





Samstag, 15. Februar 2020

GEGEN RECHTS gleich GEGEN LINKS - Rainer Mausfeld



Kampf gegen Rechts heißt Kampf gegen Links



Ein Artikel von Rainer Mausfeld | Verantwortlicher: Redaktion


Die aktuellen „Dammbruch“-Empörungen zu Thüringen sind in weiten Teilen vorgeschoben, sagt Rainer Mausfeld. Denn rechte bis rechtsextreme Haltungen sind seit Beginn der Bundesrepublik in den Parteien der sogenannten Mitte fest verankert. Der Kampf der politischen Zentren der Macht gegen Rechts war und ist in Wahrheit immer ein Kampf gegen Links. Es ist beschämend, wie eilfertig weite Teile der Linken auf die ausgelegten Wortköder hereinfallen und Arm in Arm mit Merkel und Seehofer ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Rechts bekunden – jeder wirklich Linke müsste es als eine Beleidigung empfinden, wenn ihn die Mächtigen zum Kampf gegen Rechts auffordern! Mit dieser Strategie hat es die neoliberale Mitte geschafft, die Linke in permanente Angst zu versetzen, als rechtsoffen zu erscheinen, und sie wichtiger Kernthemen beraubt. Doch in Thüringen wendet sich dies nun gegen die Politstrategen selbst.

Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Affekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit populistischer Wucht und Unberechenbarkeit, oft auch in Formen, die mit dunkleren Seiten der menschlichen Natur verbunden sind. Diese Affekte sind oft als Abwehr gegen die eigenen Ohnmachtsgefühle zu verstehen und richten sich nun vor allem gegen die sozial Schwächsten. Ohnmachtsgefühle wurden und werden seit Jahrzehnten in systematischer Weise erzeugt, um das Volk von einer politischen Partizipation fernzuhalten. Das Aufblühen des sogenannten Rechtspopulismus ist also eine direkte Folge der vorhergegangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik und Ideologie der Alternativlosigkeit und der damit verbundenen Entleerung des politischen Raumes. Zugleich sucht die neoliberale „Mitte“ den von ihr erst mit hervorgebrachten Rechtspopulismus für eine weitere Angsterzeugung zu nutzen, um sich durch eine solche Drohkulisse bei Wahlen zu stabilisieren.

Der von oben verkündete Kampf gegen den Rechtspopulismus verdeckt, wie groß tatsächlich die Gemeinsamkeiten sind mit dem, was es angeblich abzuwehren gilt. Dies betrifft sowohl die Form einer populistischen Rhetorik als auch die den Rechtspopulismus kennzeichnenden Aspekte rassistischer und kulturrassistischer Ressentiments.

Politik und Medien bedienen sich, wenn es darum geht, ihre politische Agenda zu vermitteln, seit jeher einer Form kommunikativer Mittel, durch die sich die adressierten Teile der Bevölkerung besonders wirksam mobilisieren lassen. Zu diesen Mitteln gehören insbesondere unzulässige und auf schnell aktivierbare Affekte zielende Vereinfachungen, wie sie für eine populistische Sprache charakteristisch sind. Ein Blick auf die Wahlplakate der vergangenen Jahrzehnte sollte genügen, um sich davon zu überzeugen, wie aufrichtig und entschlossen sich die Parteien um die Vermeidung populistischer Rhetorik und populistischer Komplexitätsreduktion bemühen.

Die alltägliche politische Sprache von Politikern und Journalisten geht jedoch in der Regel weit über traditionelle Formen populistischer Kommunikation hinaus. Diese politisch-journalistische Alltagssprache fällt in eine gänzlich andere Kategorie als in die Kategorie volkstümlicher Vereinfachungen und volkstümlicher Affektnähe. Sie fällt überhaupt nicht mehr in eine Kategorie rationaler Kommunikation, denn die Sprache hat hier alle argumentative Struktur eingebüßt. Sie dient gar nicht mehr einer möglichst rationalen Vermittlung von Überzeugungen und Gesichtspunkten, also argumentativen Bemühungen einer Objektivierung subjektiver Interessen, um auf diese Weise eine gemeinsame Basis zur Kommunikation über unterschiedliche Denkwelten bereitzustellen.

Vielmehr artikuliert sich in der von Politikern und Journalisten zumeist favorisierten Sprache ein tiefer Anti-Intellektualismus und mit ihm eine Geringschätzung, wenn nicht gar eine Verachtung für das Argument überhaupt. In derartigen Diskurssimulationen, wie sie die Medien tagtäglich inszenieren, gibt es nichts mehr, das sich durch Argumente oder empirische Befunde widerlegen ließe. Jeder Widerlegungsversuch würde nur ein neues Rauschen an Wörtern hervorrufen, bei denen längst die Frage bedeutungslos geworden ist, was sie und ob sie überhaupt etwas bedeuten. […]

Zugleich dient die durch eine Verwendung bedeutungsleerer, doch effektstarker Worthülsen hervorgebrachte politische Diskursvermüllung – der gegenüber sich jedes altmodische Reden über fake news nur noch als lächerlich erweist – einem weitergehenden machtstrategischen Ziel. Es geht nämlich um das machtstrategisch sehr viel tiefere psychotechnische Ziel, bei der Bevölkerung – in Hannah Arendts Worten – grundsätzlich die Befähigung zu blockieren oder zu zerstören, überhaupt irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman hat 1985 in seinem Klassiker Wir amüsieren uns zu Tode prägnant aufgezeigt, mit welchen Mitteln die Massenmedien dazu beitragen, grundsätzlich die Befähigung zur Ausbildung politischer Überzeugungen zu unterminieren. „Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‚Informiertsein‘ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man besser als Desinformation bezeichnen sollte. […] Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information – unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information –, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt.“ […]

Für die Stabilisierung der sich im Neoliberalismus herausgebildeten Machtverhältnisse ist ein Verfall des öffentlichen politischen Diskurses von enormen Vorteil. Da sich das Spannungsverhältnis von Kapitalismus und Demokratie in der neoliberalen Extremform des Kapitalismus nicht mehr durch bewährte orwell‘sche Strategien einer Meinungsmanipulation verdecken lässt, ist der Neoliberalismus darauf angewiesen, dass die Befähigung blockiert wird, überhaupt noch irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können. Auf diese Weise lässt sich der gesamte politische Raum entleeren und somit der Demokratie ein für alle Mal das Fundament entziehen. Die „Schaffung eines Nebels von Verwirrung“, wie er auch durch den von oben verordneten Kampf gegen eine populistische Rhetorik und gegen fake news erzeugt wird, ist eine wirksame Methode, dies zu erreichen. […]

Der von oben verordnete Kampf gegen den Rechtspopulismus ist also heuchlerisch. Rechtspopulistische Formen politischer Kommunikation wie auch inhaltliche Positionen rechtspopulistischer Strömungen, vor allem kulturrassistische wie auch autoritäre Positionen, finden sich auch in breiten Teilen des politischen Spektrums. Der von oben verordnete Kampf gegen den Rechtspopulismus dient wesentlich zur Erzeugung von Angst, die sich dann – vor allem bei Wahlen – für politische Belange einer Stabilitätssicherung herrschender politischer Gruppierungen nutzen lässt.

Mehr dazu in Rainer Mausfelds Buch „Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“ oder, für alle Leserinnen und Leser aus dem Rhein-Main-Gebiet, bei seinen kommenden beiden Vorträgen:

25.2., 19:30 Uhr: Vortrag „Angst und Macht“ von Rainer Mausfeld im Rahmen der „SWR Tele-Akademie“, Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9, 60311 Frankfurt am Main. Eintritt: 8 Euro, um Anmeldung wird gebeten: veranstaltungen@westendverlag.de (Hinweis an alle Besucherinnen und Besucher: Der Vortrag wird videoaufgezeichnet!)

26.2., 19:00 Uhr: Vortrag „Freiheit als Unterwerfung“ von Rainer Mausfeld, Aula des Grimmelshausen-Gymnasiums Gelnhausen, In der Aue 3, 63571 Gelnhausen


Zu diesem Buch "Angst und Macht" findet der Leser eine von Harry Popow geschriebene Buchbesprechung in diesem Blog (13.08.2019) sowie u.a. auch in der NRhZ sowie in der Linken online-Zeitung