Freitag, 27. April 2012

Schnüffler an der langen Leine

„Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“ / Rolf Gössner 

Buchtipp von Harry Popow

Nun sind die Teufel endgültig aus der Flasche: Die Leute vom Verfassungsschutz und ihre geheimen Zuträger. Immer noch wühlen sie im Neonazi-Spektrum umher. Aufgedeckt Ende 2011 und mit Schrecken von Politik und Medien zur Kenntnis genommen: Die Neonazi-Mordserie und die „Zwickauer Zelle“. Die Hüter des Staates und des Grundgesetzes haben – samt ihren Schnüfflern im Bereich des Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit - in Deutschland gänzlich versagt. Und das Schlimme: Die angeblich „schützenden Teufel“ sind nicht so leicht wieder in die Flasche zu bannen.

Der Geheimdienst-Experte Dr. Rolf Gössner hat dazu ein Buch geschrieben: „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“. Das war im Jahre 2003. Offen, kritisch, warnend. Und nun  haben die ungebändigten Teufel mitsamt ihren bezahlten Killern den Autor gewissermaßen gezwungen, sein Buch um dreißig Seiten mit einem aktuellen Prolog zu ergänzen. „Dieses Buch will“, so Gössner, „vor dem Hintergrund (…) von Neonazismus und rechter Gewalt (…) der V-Mann-Problematik im rechten Sumpf auf die Spur kommen“. Ist es nicht paradox: Der Rechtsanwalt und Publizist schützt das Grundgesetz und den Rechtsstaat vor den offiziellen Schützern und ihren bezahlten Handlangern?

Bereits im ersten Teil seiner Enthüllungen hatte Gössner davor gewarnt, den Informanten des Verfassungsschutzes in den Reihen rechtsextremer Organisationen und Parteien freien Lauf zu lassen. Sie seien oft Hasser alles Ausländischen, geldgierig und extrem gewaltbereit. Im Schutz der Tarnung durch den VS wurden Straftaten geduldet oder indirekt gefördert: Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufe, Waffenhandel, Gründung von terroristischen Vereinigungen. Es bleibe nicht aus, dass der VS selbst in kriminelle Machenschaften verstrickt werde und oft gezwungen ist, seine Finsterlinge „zwecks strenger Geheimhaltung“ zu decken, „um sie weiter abschöpfen zu können“. (S. 29)  Man rechnete lediglich mit organisierter Kriminalität, aber nicht mit einem politisch-rassistischen Hintergrund. (S. 9) Die Verdrängung setze sich bis in die Gegenwart fort, stellt der Autor fest. (S. 13)

Sein Fazit: Der VS schützt weder Staat noch Grundgesetz, sondern höhle mitsamt seinen Spitzeln Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wegen der Intransparenz buchstäblich aus.

Der Rechtsanwalt fordert eine rückhaltlose Aufklärung und endlich politische Konsequenzen. (S. 7) Er erwägt sowohl die Option der Reformierbarkeit des offiziellen Staatsschutzes als auch deren gänzliche Abschaffung. Man soll die gefährliche Zweisamkeit von Verfassungsschützern und Verfassungsfeinden beenden. Das diene zugleich dem Schutz des Grundgesetzes. 

Bleiben wir bei Ursachen und Hintergründen dieser geistig-politischen Verworfenheit. Da sei zunächst die Blindheit zu nennen, so der Autor. Selbst der Bundesinnenminister habe noch nach dem Doppelanschlag in Norwegen 2011 behauptet, er sehe keine unmittelbare Gefahr für rechtsextremistische Terroranschläge in Deutschland. (S. 10) Der Autor hält dagegen: Das sei vor allem „vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte schockierend“ und angesichts der Tatsache, dass nach der deutschen Wiedervereinigung 150 Menschen von Neonazis und anderen fremdenfeindlichen Tätern umgebracht wurden. Und nun kommen seit November 2011 mindestens zehn Tote hinzu. (S. 11)

Nicht die Unfähigkeit selbst ist die Ursache der zahlreichen Pannen in der Aufdeckung der Gewalttaten, sondern die „ideologischen Scheuklappen innerhalb der Sicherheitsorgane“, so Rolf Gössner. Man folge alten Feindbildern, wie dem Linksextremismus, dem Ausländerextremismus und dem Islamismus. Man ignoriere die Tatsache, „dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weit hinein in die Mitte der Gesellschaft reichen“, (S. 33) meint der Autor. Zum Kern der Ursachen des Versagens des Geheimdienstes trifft er auf Seite 46 seines Buches von 2003 folgende Feststellung: Der VS sei ein Kind des Kalten Krieges zur Absicherung des westdeutschen „Bollwerkes gegen den Kommunismus“. So erhielt der VS seine streng antisozialistische Ausrichtung bereits mit ehemaligen Nazis an der Führungsspitze. (S. 48)  Im Kampf gegen „Linksextremismus“ sei die neonazistische Gefahr jahrzehntelang vernachlässigt worden. Nach dem Kalten Krieg – keine Gedanken daran, die Geheimorganisationen in Frage zu stellen.

In zahreichen Fallbeispielen führt er uns – sie lesen sich wie Krimis - , das  verkommene Antlitz einiger „Informanten“ vor, der Schnüffler im Staatsdienst, für deren Gesamtzahl es keinen Überblick gibt. (Man schätzt etwa 5000.) Ihre Morde, Brandstiftungen  und andere Gewalttaten führt Rolf Gössner namentlich auf, aber auch ihre Motive für dumpfen Ausländerhaß. Von Anhängern des KU-Klux-Klan ist da die Rede, vom Traum einer rein arischen Nation, von „Sieg-Heil“ Brüllern, von der „Vormachtstellung der weißen Rasse“, von der „nationalen Sache“, von „Kohle machen“, von einer „rechtsextremistischen Karriere“, von der Losung „Deutsch statt multikulturell“, von der Verherrlichung Hitlers als Führernatur, von der Verehrung der Reichskriegsflagge und des Hakenkreuzes. Was der Autor allerdings auch ins Kalkül zieht, mit Recht: Die zu Hauf anzutreffende persönliche Perspektivlosigkeit, die Arbeitslosigkeit, und – nicht zu vergessen – die drückenden Schulden mancher VS-Leute und solcher, die bereits vorbestraft sind und deshalb willig jede „Schmutzarbeit“ im Verborgenen annehmen und so auch erpressbar sind.

Rolf Gössner schlußfolgert: „Es besteht die Gefahr, dass der Rechtsruck, den wir in Deutschland nicht erst seit gestern zu verzeichnen haben, auf staatlicher Ebene mit weiteren autoritären ´Lösungen´ verstärkt und gefestigt wird.“ (S. 251)

Lesenswert ist die Lektüre besonders für politisch Interessierte, für Leser mit wachem Geist, für Leute, die in dieser Gesellschaft etwas bewegen wollen und mit Gleichgesinnten nach Lösungen suchen. Das Buch bildet ebenso einen Damm gegen eine zunehmende Blauäugigkeit und Wegseh-Mentalität, gegen Verharmlosungen der rechten und gewaltbereiten Szene, gegen Ausländerfeindlichkeit.

Was bleibt? Der Schleier von der Symbiose zwischen VS und den Geheiminformanten ist nur wenig gelüftet, aber die Teufel aus der Flasche – einmal ertappt – sind weder mit strengeren Auflagen und schon gar nicht mit einer kürzeren Leine zu bändigen. Was also tun? Oder gibt das viel beschworene Grundgesetz noch ein wenig Spielraum her?

Dank dem Autor für seine Zivilcourage!

(Dr. Rolf Gössner, „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“, Preis: 6,99 €, Knaur eBook, München 2012
ISBN e-pub: 978-3-426-43050-7, 320 Seiten)






Donnerstag, 26. April 2012

"In die Stille gerettet" / 5. Leseprobe

Dorfball in Orrefors (Seite 267)


 Heute abend ist Sportlerball im Volkshaus zu Orrefors. Der Fußballverein feiert. Wer geht mit 60 da noch hin? Cleo und ich und Gisela und Heinz, da er begeisterter Fan ist. Vier lange Tischreihen, weiß gedeckt. Links neben dem Eingang ein kaltes Büfett, daneben eine „Bar“. An der Stirnseite eine kleine Bühne, wie wir sie vom Dorftanz in Brüssow bzw. ich von Eggesin her kennen. Im nu füllt sich der Saal. Fast nur junge Schweden. Wir Alten dazwischen. Ehrung für die Besten und tosendes „he,he“ und Arme hochwerfen. Dann stürzt alles ohne jede Hemmung an das Essen. Schrimps (kleine Krabben) aus Holzkisten, Brötchen, Butter, Gebackenes, Salat, Sahne. Vor dem eigentlichen Tanz ein Vorsänger. Spontan singen alle laut und temeramentvoll mit. Plötzlich stehen abwechselnd mal die Frauen, mal die Männer im Takte einer Melodie auf. Endlich macht die vierköpfige Kapelle „Bärbel & Co“ ernst mit der Tanzmusik. Lautstark, dröhnend, aber sehr rhythmisch. Die Sängerin der Band hat´s drauf. Wirklich mitreißend. Alle Titel in schwedisch, nur einer in englisch. Ungeniert geht es gleich zur Sache, ohne Kunstpausen, wie wir sie von früher her kennen. Die in offenem Hemd, meist ohne Schlips und mit kurzen Haaren tanzenden Jungen halten ihre Partnerinnen sehr eng umschlungen. Als wäre es die letzte Gelegenheit, in diesen abgelegenen Wäldern etwas warme Freude zu pachten. Die in elegantem Schwarz oder Grau gekleideten Mädchen werfen mal den linken, mal den rechten Fuß nach hinten, und sie hängen wie Mehlsäcke in den Armen des Partners. Man kennt sich aus jährlichen Veranstaltungen dieser Art. Cleo wird von Glasdesignern geholt. Man fragt sie, warum sie mich mitgebracht hat. Sie lacht, sie tanzt, sie tobt vor Freude beim Anblick der aneinander klebenden Tanzpaare. Wieder ein Gejohle und „Arme-hoch-reißen“ bei der Bekanntgabe der Losgewinner. Es gibt zu später Stunde noch Kaffee, Kuchen und Würstchen. Und keiner raucht im Saal. Das alles für 140 Kronen (15 Euro) Eintritt pro Person! Ein Kulturabend erster Güte. Für uns jedenfalls.

(Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)


Samstag, 14. April 2012

"In die Stille gerettet" / 4. Leseprobe

Siebzig und kein Wodka (Seite 259)


 Wie feiern Schweden eine 70jährige Jubilarin? Jedenfalls anders als erwartet. Es ist der 28. Februar 1998. 13.00 Uhr beginnt die Zeremonie. Wir fahren mit dem Skoda durch Wind und Schneeregen nach dem über 20 Kilometer entfernt liegenden Ort Hellagarden. So richtig wohl ist uns nicht. Nur Schweden, wir die einzigen Deutschen, und besonders mein schwedisch läßt viel zu wünschen übrig. Auf dem Parkplatz nur SAAB und VOLVO. Mit Blumen und Geschenk bleiben wir zurück, um den Angehörigen und nahen Bekannten den Vortritt zu lassen. Erna steht in der Empfangshalle, nimmt die Glückwünsche entgegen, sehr gepflegt und elegant gekleidet, Familienschmuck angelegt. Sehr gefaßt und würdevoll. Ein Willkommensdrink, ein orangefarbenes Getränk, wird gereicht, auch für die Kinder? Cleo wundert sich. Alle prosten der Jubilarin zu. Doch dann des Rätsels Lösung: ohne Alkohol. Alles weitere läuft wie ein Ritual ab. Jeder Anwesende tritt an Erna heran, übergibt sein Geschenk und macht eine Verbeugung, keinerlei Umarmung. Das Geburtstagskind bedankt sich für die vielen guten Wünsche und Präsente und verbeugt sich ihrerseits. Der Gatte Gerd bittet zu Tisch. Wir zählen 36 Personen. Kerzen sind angezündet. Nun fordert er die Gäste auf, sich von den Plätzen zu erheben. Man gedenkt der vor sechs Tagen verstorbenen 92jährigen Mutter von Erna. Dann ein Klopfen an seinen Tellerrand, alle dürfen sich endlich setzen. Welch eine Achtung vor dem Alter und vor den Altvordern. Cleo und ich sind beeindruckt. Besonders bewundernswert, wie geduldig und diszipliniert die fünf Enkel, die jüngsten zwei- und dreijährig, die gesamte Zeremonie durchstehen. Eine Vorspeise wird am Tisch gereicht, ein mit Pilzen gefülltes Gebäck. Man ißt langsam. Es ist nahezu still. Links neben mir eine korpulente und lebenslustige schwarzhaarige Schwedin aus Växjö mit lebhaften dunklen Augen. Sie gesteht, daß sie nur wenig deutsch spricht, aber immerhin - wir unterhalten uns gedämpft, ich sage, daß wir hier in Schweden für immer leben, als Pensionäre usw. und so fort. Sie freut sich über jedes radebrechende schwedische Wort von mir, was sie versteht. Ich aber nicke oft, obwohl ich nicht alles begreife, wenn sie etwas sagt. Ohne jegliche Hektik trägt nur eine Serviererin die vielen Schüsseln und Fleischplatten auf das Büfett, auch Weißbrot und Butter fehlen nicht, wie bei den Russen, denke ich. Jeder stellt sich an, holt sich das seine. Wieder Schweigen. Dann und wann wird ein Schluck vom Leichtbier (2,8%) genommen. Eine Vielfalt von alkoholfreien Getränken steht bereit, keinerlei Alkohol bei dieser Feier. Nur hier und dort ein Wort im leisen Plauderton. Diejenigen, die fertig sind, gehen in die umliegenden Räume, schauen sich dort ausgestellte Gemälde an. Die anderen unterhalten sich. Ich schaue durch die Fenster nach dem naßkalten Wetter. Da kommt Gerd, trägt schwer an einem Koffer und einer Tasche. Ich helfe ihm, alles hereinzubringen. Sein rotes Akkordeon kommt zum Vorschein. Er spielt schwedische Volksweisen. Texte werden herumgereicht, jeder singt mit, das ist Ehrensache in Schweden. Auch Cleo schmettert mit. Wieder tritt die Servierkraft in Aktion. Diesmal gibt es Marzipantorte mit Schlagsahne, Eis mit Preiselbeeren, typisch schwedisch.

Auch ohne alkoholische „Spaßmacher“ wird die Stimmung immer lockerer. Wir wollen mithalten. Cleo möchte mit der äußerst gepflegt aussehenden und selbstbewußten Tochter von Erna ins Gespräch kommen. Sie ist Deutschlehrerin, würde Cleo auch in deutsch sehr gut verstehen, aber die läßt die ganz gut schwedisch plappernde Cleo erst einmal hängen. Erst als ich mich ins Gespräch mische, läßt sie sich auf ein wenig deutsch herab. Ihre siebzehnjährige Tochter kommt hinzu, nicht weniger charmant und sich ihres guten Aussehens bewußt. Sie ist als koreanisches Baby adoptiert worden. 17 Uhr steht der älteste Sohn auf, alle anderen ebenso, man läßt Erna noch einmal hochleben: Viermal Hurra! Die Feier ist beendet, das gleiche Bild wie zu Beginn: Erna hat sich an der Ausgangstüre postiert und alle defilieren vorbei. Wir können uns nicht bremsen, wir nehmen die schöne Siebzigjährige in die Arme. Wenig später zu Hause: Im Vertiko noch ein Rest Wodka „Gorbatschow“. Prost Cleo! (Warten auf den „Nachschub“ aus Deutschland, alkoholisches ist in Schweden sündhaft teuer und nur im staatlichen Handel zu bekommen.)

(Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)


Freitag, 13. April 2012

Erlebtes - Gelesenes - Kommentiertes

13.04.2012: Was sonst nirgendwo reinpaßt. Das ist es doch. Gedankenfetzen loswerden. Fragwürdiges. Gedankenloses. Unseriöses? Unausgegorenes. Gelesenes. Begegnungen. Beobachtungen. Aktuelles und weniger Aktuelles. Hergeholtes und Überholtes? Sauberes und weniger Sauberes? Strittmatter würde sagen: Ich scheuß druff!! Heute die letzten Zeilen vom „Laden“ zweiter Teil gelesen. So gelacht wie noch bei keinem Buch. Strittmatter! Wie bösartig die Spremberger reagieren ob seiner NS-Vergangenheit. Pfui Teufel. Und Jahrzehtelang blieben Nazigrößen in WD ungeschoren. Jetzt ist Günter Grass dran. Seine Vergangenheit wird ihm vorgeworfen. Wegen offener Worte. Es ist zum Kotzen. Wo sind wir gelandet? Sprach Anna Seghers nicht mal vom Land der toten Seelen, nachdem sie aus der Emigration zurückgekehrt war? Ärgernis kürzlich: Schmidt, ein intelligenter Mann, meint, die DDR-Geschichte würde in etwa zwanzig-dreißig Jahren niemanden mehr interessieren. Ach nee!! Und die französische Revolution? Die Oktoberrevolution. Den I. und II. Weltkrieg? Geschichtsdaten vergessen lassen? Kein Rückblick und kein Vorausblick? Wie alt ist dieser Mensch geworden, wie unweise!!“ Ich mache weiter wie es mir gefällt…


14. April: Cleos 72er!!! Kaum zu fassen. Ich sehe sie jung. So, wie sie sich bewegt und noch immer hellwach ist. Sie tanzt ganz allein vor sich hin, dann wir. Bazillen umschwirren uns noch. Geschenke werden bereits an der Türschwelle übergeben. Sie, meine Göttin, hat Windbeutel gebacken, Sahne nach drinnen – fertig. Wie das, woher das Rezept? Als sie vier Jahre alt war, da schaute sie ihrer Mutter zu, wie  die das machte. Das hat sich ihr eingeprägt. Ich wills nicht glauben. Frage, welche Farbe die Schürze der Mutter hatte? Sie denkt nach, drei oder vier Sekunden, da ist der Gedächtniscomputer angesprungen: Blaue Schürze mit weißen Streifen. Sie ist immer hellwach. Sie ist oft vorneweg. Oh die Liebe!!! Gleicher Abend. Rbb. Eine einstige Bürgerechtlerin offenbart ihre „Geschichtskenntnisse“, anläßlich des beabsichtigten Abrisses des Thälmann-Denkmals im Friedrichshain: Ein Ehrenmal des verbrecherischen Kommunismus gehöre hier nicht mehr her. Für den Abriß, was denn sonst! Verbrecherische Dummheiten – sie tun am meisten weh! Wenn nur jeder seinen „Kopfdreck“ für sich behalten möge, solche gefährlichen Kleinkarrierten aber noch vor die Kamera zu zerren… Was solls, deckt sich diese „Meinung“ doch mit dem Schmutz von oben… Wo ist der nächste Eimer?

April 2012: Welch eine wunderbare Malerei. Auf Seide. So vielschichtig, so sensibel. Wir waren eingeladen zur Vernisage in der Kirche Woltersdorf. Die Baumgartens als Gastgeber. Jede gute Kunst hat ewtas Erhellendes. Das tut gut. Da versiegt keine Freude. Da schöpft man an Zugewinn. An Menschlichkeit. Ingi und ich haben uns sehr bedankt.


03.06.2012: Zitat von Inge von Wangenheim, siehe „RotFuchs“ Juni 2012:

Am 10. November 1989 wurde Inge von Wangenheim der Titel „Doktor der Philosophie ehrenhalber“ von der Friedrich-Schiller-Universitat Jena für ihr Gesamtwerk verliehen. In ihrer Dankesrede erklärte sie u. a.: „Nicht Marx also und das erste genaue Wissenschaftsbild von der Gesellschaft in der Geschichte muß nun abgeschafft werden, weil plötzlich die tibetanischen Gebetsmühlen alles durcheinandergebracht haben, sondern im Gegenteil: Wir sind nicht wegen zu genauer Befolgung der von der Wissenschaft entdeckten Gesetzmäßigkeiten gescheitert, sondern allein deshalb, weil wir sie sträflich mißachtet haben ...“

Samstag, 7. April 2012

Ich schäme mich für Deutschland

Da wird einem schwarz vor Augen. Ein großer deutscher Dichter schreit es in einem soeben veröffentlichten Gedicht heraus: Kein Krieg. Nicht gegen den Iran, nirgendwo. Und schon versammeln sich sämtliche Spuckteufel, um diesem erfahrenen Mann des Antisemitismus zu bezichtigen. Kein Wunder, gehört Israel doch zu den militärischen Hauptstützen der USA. Und Deutschland biedert sich dem an. Da kann man sich nur schämen. Geht es doch ausschließlich um Macht und Einfluß. Ist der Dichter ein Andersdenkender? Aber gewiß doch. Sind die kleinkarrierten Hetzredner Andersdenkende? Das darf man bestreiten. Wer Kriegsgewinnlern, Kriegsvorbereitern und Kriegsunterstützern das Wort redet, ist ein Kriegsverbrecher und gehört vor das Haager Kriegstribunal. Und die Medien? Evelyn Hecht-Galinski dazu in ihrem Buch „Das elfte Gebot: Israel darf alles“: „Ich bemerke auch immer mehr, daß diese schleichende Politik der Verdummung in Deutschland ihre Wirkung zeigt. Die Bevölkerung weiß immer weniger über die wirklichen Zusammenhänge dieser politischen Intrigen Bescheid.“ (S.129) Dem ist wohl zuzustimmen. Mein Herz als bald 76jähriger gehört Günter Grass - seinen Gegnern gehört mein Haß.

Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
(an jw am 7.4.2012 gesendet)

Donnerstag, 5. April 2012

Der Ruf der Kassandra

„Das elfte Gebot: Israel darf alles“ (Evelyn Hecht-Galinski) / Buchtipp von Harry Popow

Wer wagt es, eine „HEILIGE KUH“ zu kritisieren, auch wenn sie furchterregend um sich beißt? Nein, das wagt kaum einer. Erst recht nicht eine gewisse „Anstalt“, deren Auftrag es ja ist, ihre „geistigen“ Abfälle in die Ätherwelt zu schleudern. So am Abend des 30. März. (Gemeint ist die Meldung über den „Marsch auf Jerusalem“, an dem sich Zehntausende beteiligten.) Da wenden sich die von der „KUH“ Geschädigten, die jahrelang Drangsalierten, Entrechteten und Entmündigten in einer Demonstration gegen diese Knechtschaft, auch mit Steinwürfen… Was aber holt die „Medien-Anstalt“ vor die Kamera?  Lediglich die Klamotten werfenden „Randalierer“. Sie  macht aber keine Anstalten, den eigentlichen Urheber zu benennen. Die „HEILIGE KUH“  bleibt ungeschoren. Sie darf alles…!

Auch Israel darf alles? Reden wir doch Klartext. So, wie es Evelyn Hecht-Galinski immer gekonnt und mutig macht. In ihren Texten, Schriften, Büchern. Letztens auch in ihrem neuesten mit dem Titel „Das elfte Gebot: Israel darf alles. Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik.“

(Palmyra Verlag 69117 Heidelberg 2012, ISBN 978-3-930378-86-9, 224 Seiten.)

Wenn die Autorin den Staat Israel in den Fokus nimmt, dann bestreitet sie nicht dessen längst anerkannte Existenz. Vor allem geschichtlich bedingt, wer wüßte das nicht. Nein, sie empört sich über das Unrecht, das von ihm ausgeht. Doch kommen wir zur Sache: Auf 224 Seiten und in vierundvierzig kurzweiligen Texten – Artikel, Reden, online-Beiträge – prasseln dem Leser Fakten, Fakten und nochmals Fakten sowie Namen und Orte entgegen. Sie entlarvt das völkerrechtswidrige Tun Israels gegenüber den Palästinensern. Sie sticht zu, wenn es nötig ist, sie analysiert genau, sie betrachtet die Konflikte komplex, sie schlägt einen Bogen zur Mitverantwortung der nur zuschauenden Welt, besonders der Deutschen. Sie wehrt sich entschieden gegen den Vorwurf des Antisemitismus, sie attackiert sogenannte kleinkarierte Wadenbeißer, die unter der vorgegebenen „Staatsräson“ sich den Israelis anbiedern. Und sie wirft dies schmähliche Gebaren nahezu allen etablierten deutschen Parteien vor. Lob und Dank, begleitet von Herzenswärme, findet sie für Gleichgesinnte, die im Namen des Völkerrechts und der Humanität an der Seite Palästinas stehen, die mit Recht Widerstand leisten, ohne auch deren Fehler zu übersehen und kleinzureden.

Sie, eine Deutsche mit jüdischer Herkunft. Sie, die Tochter des einstigen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski (1912-1992). Ihr Motiv: „Ich habe mir das Lebensmotiv meines Vaters zu eigen gemacht: ´Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.´“

Leuchten wir näher in den Text hinein. Mit welcher Herzenswärme, mit wieviel verinnerlichter Menschlichkeit die unabhängige parteilose Bürgerin das Leid der Palästinenser beschreibt -, das geht einem sehr nahe. Es gehe um einen Konflikt, schreibt sie, „der eigentlich gar keiner zu sein bräuchte, da Israel ganz relaxt in den anerkannten Grenzen von 1967 völkerrechtskonform in Frieden mit seinen Nachbarn existieren könnte.“ (S.36) Sie schreit es heraus: Zwischen 1967 und 1994 wurden etwa 140 000 Palästinser vertrieben, indem ihnen das Aufenthaltsrecht entzogen wurde. 14 000 Einwohnern Ostjerusalems ging es ebenso. Die Siedler – über 300 000 - kontrollieren bereits 42 Prozent des Palästinensergebietes. 2700 neue Wohneinheiten seien geplant. (S. 51) Man spreche von einem „größten Freiluftgefängnis der Welt“. (S. 96) Nicht zu vergessen die „über 10 000 palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen – unter ihnen auch Frauen, Kinder und alte Menschen.“ (S. 132) Seit 1967 wurden 700 000 Menschen verhaftet, die zum Teil bis heute auf  ihre Gerichtsverfahren warten. Warentransporte würden nur nach „Lust und Laune“ nach Gaza reingelassen. Gewährleistet seien weder Strom noch Wasser, noch medizinische Versorgung. 40 000 Kinder seien nicht eingeschult worden, da Schulen wegen fehlenden Baumaterials nicht gebaut werden konnten. (S. 97)  „1,5 Millionen eingeschlossene Palästinser im Gaza-Streifen und 1400 Tote bei der ´Operation Gegossenes Blut´klagen uns an“, schreibt die Autorin  (S. 28) Die Unterschiede zwischen palästinensischen Dörfern und den jüdischen Siedlungen: Wellblechhütten, Zelte, Geröllstraßen und Schlamm. Daneben: Geteerte Straßen, Blumenbeete und Palmenhaine. (S. 212)

Israel, so charakterisiert die deutsch-jüdische Querdenkerin den Staat, sei heute keinesfalls das arme kleine, von Feinden umzingelte Land. Im Gegenteil, es gehöre zu den hochgerüsteten Militärmächten, die sich nicht scheuen, anderen Staaten mit einem Präventivschlag – auch atomar – zu drohen. (S. 18) Israel existiere seit 63 Jahren auf ehemaligem palästinensischem und seit 44 Jahren auf unrechtmäßig dazugeraubtem Land. (S. 137) Es hält dies Land  widerrechtlich besetzt und den Palästinensern entzieht es seine grundlegenden Rechte, seine Freiheit und Unabhängigkeit. Das gehöre vor das Haager Kriegstribunal, so Evelyn Hecht-Galinski. (S. 22) Israel schaffe Tatsachen mit der „Abrissbirne“, aber man siedelt und baut weiter, die „ethnische Säuberung“ halte an. (S. 35)  Über 50 000 neue Wohnungen – natürlich nur für jüdische Käufer und Mieter. Palästinenser brauchen keine Wohnungen. Für sie wurden seit 1967 nur circa 600 Apartements gebaut, obwohl mindestens 40 000 gebraucht werden. Eine weitere Enthüllung: Israel sei ein Meister im Tarnen und Verschleiern, wenn es zum Beispiel um das Atomprogramm in Dimona geht, meint die Autorin. Israel findet Unterstützung von AIPAC, der größten Israel-Lobby in den USA. Jahresbudget: 70 Millionen US-Dollar. (S. 116) Auf  Seite 210 warnt die Autorin vor einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran. Und sie läßt daran keinen Zweifel: Dieser Angriffskrieg wäre nur möglich auch durch die Waffenlieferungen der Schutzmacht USA. (S. 210) Sie nimmt kein Blatt vor den Mund besonders gegenüber den Deutschen. Dem Verteigungsminister hält sie vor, folgende Aussage von Kanzlerin Merkel als unzutreffend ungenügend entkräftet zu haben: Sie habe geäußert, die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson zu betrachten, und das Deutschland im Ernstfall bereit sei, Israel, wenn es den Iran angreifen sollte, zu unterstützen. Und wer klagt die Hamas einseitig als schuldig an? Frage an die Kanzlerin: Verwechseln sie da nicht Ursache und Wirkung? Die vollständige Blockade sei die Ursache, die Wirkung sind die Kassam-Raketen. (S. 19) Das Grundgesetz bezeichnet die Deutsch-Jüdin als Makulatur, mit der proklamierten Staatsräson nicht vereinbar. Weiter: Die würdigste Form der Holocaust-Erinnerung: Sich das Recht nehmen als Deutsche, aktuelle Verbrechen anzuprangern. (S. 43) Die scharfsichtige Autorin polemisiert, es gehe nicht darum, einseitig und parteiisch zu sein, sondern um Recht und Unrecht. Mit der angeblichen „Selbstverteidigung“ Israels, verhöhne es die Völker. Wenn Politiker Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen, dann geißelt sie deren „vorauseilenden Gehorsam“. (S. 93) Jede Israel-Kritik sei als Antisemitismus zu bewerten? Wörtlich dazu Evelyn Hecht-Galinski: „Ich bemerke auch immer mehr, daß diese schleichende Politik der Verdummung in Deutschland ihre Wirkung zeigt. Die Bevölkerung weiß immer weniger über die wirklichen Zusammenhänge dieser politischen Intrigen Bescheid.“ (S.129)

Und sie, die enorm treffend komplex denkt, scheut sich auch nicht, die tieferen Ursachen ohne Wenn und Aber beim Namen zu nennen: Sie kreide die Verlogenheit der gesamten westlichen Politik in dieser Region an, die „primär von Wirtschaftinteressen bestimmt ist“. (S. 112) Sie warnt, durch die Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sowie die Kriegsdrohungen und Angriffe, die man dem jüdischen Staat durchgehen läßt, „wird die internationale Politik massiv in Gefahr gebracht“. (S. 195) Wer wundert sich da, wenn sich die deutsch-jüdische Aktivistin und scharf politische Seherin für diesen Staat Israel schämt, der nicht in ihrem Namen spricht und handelt.

Ihre Sprache: Locker, sehr persönlich, sehr emotional, überaus engagiert, teilweise mit Wut im Bauch – warum nicht? Es überwiegen kurze Sätze mit hoher Anschaulichkeit. Dafür sorgen u.a. die immer wiederkehrenden bohrenden Fragen – an die Politik, an die Bürger, an sich selbst.

Im Nachwort stellt Gilad Atzmon fest, die Humanistin Evelyn Hecht-Galinski erhebe ihre unschätzbare Stimme nicht als Einzelperson, sondern „gesellt sich zu der wachsenden Zahl von Juden, die sich von ´Stammesdenken´, Chauvinisnus, Überlegenheitsdünkel und Auserwählten verabschiedet haben“. (S. 217) Nicht zuletzt empört sich die Autorin auch mit Stephané Hessel gegen gegebene gesellschaftliche Zustände. (S. 121)

Wer ihr Buch gelesen hat, wird es bereichert zunächst zur Seite legen – erkenntnismäßig, gefühlsmäßig. Und wiederholt hineinsehen müssen, wenn „Anstalten“ wieder einmal die Wahrheit auf den Kopf stellen. Ganz gewiß wird diese Lektüre der mutigen und politisch hellwachen Kassandra ebenso für Anbeter der „HEILIGEN KÜHE“, für Politiker mit „vorauseilendem Gehorsam“, wie die Autorin schreibt, ein wahrer Genuß sein. Mögen diese dabei die Gardinen an ihren Fenstern zuziehen…Noch!!



Mittwoch, 4. April 2012

"In die Stille gerettet" / 3. Leseprobe

Lüpft bitte den Hut (Seite 242)


 Bin in der Küstenstadt Karlskrona. Habe über das Touristbüro ein preisgünstiges Privatzimmer gebucht. Sohn Patrick und „Franzi“ – die Tochter seiner Lebensgefährtin – kommen mit dem Schiff aus Gdansk/Polen. Nach mühevollem Suchen nach der Adresse lande ich bei einer etwa 70jährigen Schwedin. Sie öffnet die Türe – ein freundliches und warmherziges Lächeln empfängt mich. Sie zeigt mir mein Zimmer und auch ihre Wohnung. Gepflegter, bürgerlicher Haushalt. Schöne, geräumige vier Zimmer. Echte Gemälde. Sie hat in der Küche liebevoll gedeckt, lädt mich ein. Nach dem Frühstück Zeit zum Bummeln. Ich schlendere durch die weihnachtlich geschmückten Straßen. Wahnsinn, diese auf Hügeln im südlichen Schweden an der Ostsee gelegenen Stadt. Herrliche Bauten, Geschäfte, Hotels, Gaststätten. Ich äuge in die Fenster eines Restaurants mit dem Namen „Montmatre Leonardo da Vinci“. Gemälde an den Wänden, rustikale Einrichtung, sehr gemütlich, offensichtlich ein Weinlokal der gehobenen Klasse. Ich wage es nicht, hineinzugehen, ohne Cleo macht’s niemals Spaß, fühle mich dann immer so verlassen. War schon bei Reporterreisen so. Entdecke das historische Fischerviertel. Viele gelbe, blaue, rote Holzhütten. Einstige Kapitänshäuser. Was mir auffällt: Überall kannst du in die Fenster sehen, niemand zieht seine Gardinen zu wie in Deutschland. Sogar in den Miethäusern alles offen. Mein Weg führt mich zur Admiralitätskirche. Las in einem Reisebüchlein, daß diese imposante Sehenswürdigkeit 1685 erbaut wurde, eine der ältesten und größten Holzkirchen Schwedens. Mein Weg führt mich an einer Kaserne für die schwedische Marine vorbei. Ein Zug von Matrosen auf den Straßen. Ohne Gleichschritt. Leger. (Wo gibt es denn sowas?) Bilder aus vergangenen Zeiten steigen in mir auf, die Offiziersschulen in Erfurt und Plauen. Vorbei, aber nicht vergessen! Atme auf. Vor der Kirche eine Holzfigur, genannt der „Gubben Rosenbom“. Durch den Roman „Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson“ von Selma Lagerlöf weltberühmt geworden, jetzt der meistfotografierte Alte in Schweden und das Erkennungsmerkmal von Karlskrona. Was mich aber sehr bewegt, das ist der Spruch auf einer kleinen Tafel: „Demütig ich bitte sehr, die Stimme ist nicht gut, gib mir ein Taler her, doch lüpf dafür den Hut.“ Wie würdevoll! Muß gelegentlich unbedingt mal mit Cleo herfahren.

(Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)