Mittwoch, 23. Januar 2013

"Heimatdiskurs"


Krieg und Frieden

Wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland verändern


Buchtipp von Harry Popow

 
Mächtig in der Zwickmühle stecken sie - die Bundesregierung und die im Hintergrund strippenziehenden Kapitalmächtigen. Sie müssen einen Zweifrontenkrieg führen. Zum einen ziehen sie nach wie vor unter dem Deckmantel der „Aufbauhilfe“ weiterhin eine Spur der Gewalt durch Afghanistan – zum anderen sind sie in Nöten, an der „Heimatfront“ wortreich und unter aller Ausschöpfung des Verdummungsarsenals vor der eigenen Bevölkerung die Kriegstaten zu legitimieren. Mit welcher Raffinesse das geschieht, dazu gibt es nunmehr ein Buch, das versucht, Leuchtraketen in den Diskurs- und Mediennebel zu schießen. Der Titel: „Heimatdiskurs“, herausgegeben von Michael Daxner und Hannah Neumann.

„Erst Kosovo, dann Afghanistan – deutsche Soldaten sind im Ausland stationiert, Deutschland ist wieder im Krieg“, so heißt es im Klappentext. Gleich der erste Satz in der Einleitung geht so: Hoffentlich kommen wir mit dem Buch nicht zu spät. Behauptet wird, die Einsätze würden nicht nur die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik, sondern vor allem die Wahrnehmung der Nation von sich selbst verändern.  Zwanzig Autoren bemühen sich in 10 Aufsätzen und auf 337 Seiten um die Empathie (die Fähigkeit, andere zu verstehen) „für die Intervenierten und das Verständnis für diejenigen Intervenierenden, die nicht einfach blind einem Interventionsauftrag folgen“. (S. 10)

Wichtig ist, welche Ursachen die Autoren für die Verschleierungs- und Legitimationspolitik der Bundesrepublik offenlegen. So wird auf Seite 309 unterstrichen, die Bundesrepublik befinde sich in einer Machtposition und sei „somit daran interessiert, diese Macht zu erhalten“. Das Dilemma zeigt sich in einem weiteren Satz, in dem festgestellt wird, dass die deutsche Bevölkerung Krieg grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Auf die Konstruktion einer permanenten Bedrohungssituation eingehend – die Gegenmaßnahmen erfordere - ,verweisen die Autoren auf den „Profit eines lukrativen Geschäftzweiges, den man Terrorismusindustrie nennen könne“. (S. 255) Weiter auf Seite 266 die folgende Äußerung: Eine nüchterne Evaluation (Analyse, Bewertung) „des Terrorismus, seiner Ursachen und seiner Akteure wäre deshalb ebenso vonnöten wie eine klare Vorstellung davon zu gewinnen, wo westliche Politik selbst Gewalt eskaliert“.

Mit diesen kurzen Anmerkungen ist noch nicht der wahre Hintergrund des militärischen Einsatzes – sprich Krieg – in Afghanistan erhellt. Mögen dabei viele Momente der Begründung ins Spiel gebracht werden, so kommen wir den Ursachen durch ein Zitat von Jürgen Todenhöfer  etwas näher: „Den Westen aber interessieren die Menschen (…) nicht wirklich. (…) Öl und das Machtspiel im mittleren Osten sind ihm wichtiger.“ (S. 238)

Auf den Punkt bringt es Patrick Köbele in der „jungen welt“ vom 10.01.2013, indem er den bürgerlichen Staat als eine Form der Herrschaftsausübung des Kapitals, eine Form des Kapitalismus darstellt. Er stellt fest, was nicht neu ist, dass der bürgerliche Staat einen permanenten Widerspruch darstelle. „Einerseits hat er seinen Klassenauftrag, und andererseits versucht er zu vermitteln, daß er quasi »neutral« über diesem Auftrag steht. Und es gibt Institutionen und Personen, die für diesen Spagat stehen, manche meinen es sogar ehrlich und handeln entsprechend. Deshalb ist es gut und wichtig, an diesem Widerspruch anzusetzen.“

Deshalb ist es gut, wenn die Autoren von „Heimatdiskurs“ den Mechanismus der Verschleierung von neuen Machtansprüchen offen und kritisch hinterfragen, den Spagat zwischen militaristischer Außenpolitik und dem Bemühen, das deutsche Volk glauben zu lassen, es gehe um die Freiheit und Sicherheit der Deutschen.

Was steckt hinter dem Begriff Heimatdiskurs? Auf Seite 29 wird dazu eine Begriffsbestimmung gegeben: „Heimatdiskurs bezeichnet die Summe aller diskursiven Praktiken und Strategien, die sich mit der Legitimation, Anerkennung und Bewertung von Politik und Truppeneinsatz außerhalb des nationalen Territoriums befassen.“ (S. 29) „Heimatdiskurs“, das sei zunächst eine deutsche Angelegenheit „und er ist immer auch eine der intervenierten Gesellschaften, also besonders Afghanistans (…)“. (S. 65) Zum Begriff Interventionen wird auf Seite 34 festgehalten: Das Nichteinmischungsgebot werde ausgehebelt und Interventionen werden moralisch begründet und normativ legitimiert. Im Vordergrund stünden „Mechanismen globaler – und damit lokaler – Konfliktregulierung (…)“. (S. 35)

Zur Legitimation der Kriegsführung gehört zunächst die Beschreibung des Feindbildes. So frage die Analyse, welche Bedeutung eine Verkürzung der Taliban „auf radikal-islamische Akteure“ habe. Man komme zu dem Schluss, „dass eine Darstellung der Taliban als Terroristen, als Tiere, die es zu jagen gilt, ihnen den Subjektstatus versagt“. Und mit Tieren verhandelt man nicht, schon gar nicht auf Augenhöhe. (S. 112) Auf den Seiten 96-97 finden wir folgende Methaphern zur Bezeichnung der „Feinde“: Taliban als Bazillus, als Gotteskrieger, als fundamentalistische Teufel, als Schattenreich, als Räuberbanden, um nur einige zu nennen. Hinzu kommt die kulturelle Abwertung der Afghanen als „Stamm“ - eine Bezeichnung aus der Kolonialzeit. Sie will besagen, die afghanische Gesellschaft habe sich nicht weiterentwickelt. (S. 101) Demgegenüber entstehe „das Bild vermeintlich überlegener westlicher Intervenierender, welche/r die AfghanInnen entweder beschützen, oder aus ihrer Unmündigkeit befreien müssen,“ so die Autoren. (S. 103)  Auch internationales Völkerrecht gilt nicht für Tiere. (S. 109) Diese Dehumanisierung stehe im Zeichen bester Kriegs- und Mobilisierungsrhetorik. (S. 84)

Auf den Seiten 244-262 begründen die Autoren, „warum Terrorismus keine existenzielle Bedrohung für westliche Staaten darstellt“. (S. 244) Ohne ihn zu verharmlosen, sei „das statistische Risiko, Opfer eines Anschlags zu werden, sehr niedrig.“ (S. 257). „Indem dem Terrorismus eine solche Bedeutung zugeschrieben wurde, wurde die politische Sache der Islamisten unglaublich aufgewertet“, so die Meinung der Autoren. Ein großes Risiko des Terrorismus: Er führe zur „Versuchung der Herrschenden, ihre Macht auf Kosten der Freiheit im Namen der Sicherheit auszubauen“. (S. 262) Schlußfolgernd für die Außenpolitik halten die Autoren fest: Es mache keinen Sinn, „die Welt nach eigenem Vorbild gestalten zu wollen (…). (S. 267)

Schützenhilfe in der Berichterstattung über angebliche Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus leisten zweifelsfrei die bürgerlichen Medien. Dazu die Autoren auf Seite 71: Ihnen wird oftmals „Neutralität und Objektivität zugeschrieben“. Dabei unterliege die mediale Berichterstattung einer „Eigenlogik, die selbstproduzierten Gesetzmäßigkeiten folgt und für die Verzerrung zwischen wahrgenommener Realität vor Ort und Berichterstattung in den deutschen Wohnzimmern (mit-)verantwortlich ist“. (S. 71) (Siehe hierzu Karl Marx: „Die erste Freiheit der Presse ist es, kein Gewerbe zu sein.) Auf Seite 75 ist folgender markanter Satz bezüglich der Medien zu lesen: Sie „werden zum Schlachtfeld um Legitimität und Anerkennung (…) und oft selbst zum politischen Akteur und Kämpfer in der Schlacht (…). (S. 76)

Was die Bundeswehr betrifft, so stellen die Autoren fest, dass das sorgsam gehegte Bild eines „Staatsbürgers in Uniform“ mit dem militärischen Auslandseinsatz neu verhandelt würde. Die Bundeswehr solle mit der internen Umstrukturierung zu einer professionalen Interventionsarmee werden. Zugegeben wird die zunehmende Verlagerung weg vom zivilen Aufbauhelfer, hin zum Kämpfer. Er diene einer gerechten Sache, so wird den Soldaten suggeriert. Bilder von Soldaten im Friedenseinsatz als Krieger und als Helden? Wird der Nachkriegspazifismus scheinbar unterlaufen, fragen die Autoren. Deren Antwort: „Scheinbar, weil es nicht ausgemacht ist, dass einfach ´der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem das kroch.´“

Kritisch vermerkt wird auf Seite 226 die Frage nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen, die über die militärische Einsatzfähigkeit hinausgehe, die wenig thematisiert werde. Wörtlich: „Interventionen als Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik (…) verweist aber gerade auf viele Voraussetzungen. Jedenfalls dürften Interventionen dann keine Projekte politischer und militärischer Eliten sein, die dem Volk lediglich verkauft werden.“

„Heimatdiskurs“ hellt dankenswerterweise die Mechanismen der Volksverführung auf, bleibt allerdings in der grundsätzlichen Gesellschaftskritik hinter den Erwartungen zurück. So bleibt es dabei: Die Zwickmühle der Herrschenden zwischen Legitimationsakrobatik der Auslandseinsätze und den wahren Ursachen für die zunehmende Militarisierung, für die Gewöhnung an Krieg, Blut und Opfer im Kampf um Ressourcen und Mitsprache in der Weltpolitik wird weiter zwicken. Ein Zweifrontenkrieg ohne Ende?

Die Autoren fragen, wie sich durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland verändert. Ist es die Gewöhnung an einen weiteren Gewaltweg, an Interventionen, die zum Normalfall werden sollen? Kapieren die Mächtigen nicht, dass Krieg das ungeeignetste Mittel ist, Frieden zu schaffen? Zukunftsträchtiger wäre es, die Frage umzudrehen! Dafür darf es nicht zu spät sein.

Möge der nicht mit leichter Hand geschriebene wissenschaftliche Text - eine etwas mehr populärere sprachliche Gestaltung hätte man sich gewünscht – dennoch seine Leser finden.

 

Michael Daxner: „Heimatdiskurs“, Hannah Neumann (Hg.), Broschiert: 337 Seiten, Verlag: Transcript; Auflage: 1. Aufl. (November 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3837622193, ISBN-13: 978-3837622195, Größe: 22,6 x 14,8 x 2,4 cm

 

Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung

 

Mehr über den Rezensenten: http://cleo-schreiber.blogspot.com

 

Freitag, 11. Januar 2013

Info für DDR-Erinnerungsschreiber

Wer sich näher mit der "Erinnerungsbibliothek-DDR" vertraut machen möchte, der tippe folgende E-Mail Adresse an: http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de/

Dort findet man auch die Anschrift von Dr. Rolf Funda, dem Initiator dieser Erinnerungsbibliothek.

Herzlichst
Harry Popow

Mittwoch, 2. Januar 2013

„Drei Generationen“ – herausgegeben von Arnd Kolb und Guenay Ulutuncok

 
Migranten! Migranten?
 

Buchtipp von Harry Popow
 
„Stille Nacht…“ und „Leise rieselt der Schnee…“ In den vergangenen Tagen – da wir zur Weihnachtszeit des Jahres 2012 wieder vor Besinnlichkeit strotzten und der Bundespräsident Salbungsvolles von Frieden auf Erden, von Solidarität und Nächstenliebe schwafelte und nicht vergass, die zunehmende Gewalt zu bemängeln, ohne auch nur mit einer Silbe die Wurzeln allen Übels zu erwähnen - kam ein Buch über türkische Migranten auf den Markt: „Drei Generationen.“
 

Migranten? Sind sie nicht einfach Menschen wie wir, Mitbürger?  Sie sind keine Bürger zweiter Stufe. Sie arbeiten und leben mit uns, teilen dieselben kleinen und großen Nöte, teilen Glück und Unglück, Freude und Trauer. Und das in einem Land, das sie einst als billige Arbeitskräfte hereingeholt, ausgebeutet und immer schief angesehen hat: Kanaken! Gastarbeiter! Krummsäbel! Kümmeltürken! Eine fremde Masse, keine Individuen!

Dieses in erster Auflage erschienene Werk mit 108 Seiten und anspruchsvollen Porträts von türkischen Männern und Frauen, von Enkeln und Schülern in zweiter und dritter Generation – dies Buch platzt in die deutsche Bücherwelt ein wie ein Aufschrei menschlicher Seelen nach Gleichberechtigung, nach würdevoller Behandlung, nach Achtung der Menschenwürde, nach Gleichstellung in allen Lebensfragen.

Bereits das Titelbild auf dem großformatigen Buch, das wie eine Modezeitschrift aussieht, spricht Bände. Ein selbstbewußter älterer Mann vor seinem Auto, die Arme verschränkt, ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen, die Augen verschmitzt blickend. Ein Bürger, mit dem es ein Leichtes wäre, ins Gespräch zu kommen. Was hat er hinter sich, warum kam er nach Deutschland, wie schwer fiel es ihm, sich einzuleben?

Bleiben wir bei den Fotos. Da schauen dich als Leser u.a. aus 38 ganzseitigen sowie aus 48 kleinformatigen Porträts sympathische Arbeiter, Rentner, Schüler, Wissenschaftler, Manager oder Gastronomen an. In lässiger Haltung, keine Pose eines Models. In ihrer Arbeitswelt, bei ihnen privat zu Hause oder auch in Kaffeehäusern, während ihrer Freizeit. Sie scheinen dich anzusprechen, mit einem Lächeln, das von Herzen kommt, auch mit einem stillen Vorwurf, nicht in jedem Fall als gleichberechtigte Bürger anerkannt zu sein. Auf Seite 100/101 ein Schwarz/Weiß-Foto. Eine Mauer. Ein Baum. Ein Buddelkasten, darauf ein Kind. Auf der Mauer der Spruch, in großen Buchstaben in deutsch und türkisch: „Leben einzeln und frei wie – ein Baum und brüderlich wie ein Wald ist unsere Sehnsucht.“ Es steht geschrieben (S. 25), der Fotograf habe in diesem Band wie mit einem Zauberstab das Kollektiv aufgelöst und durch Menschen ersetzt.

 Und wenn du als Leser dann noch die gekonnt geschriebenen künstlerischen und journalistischen Beiträge und Gedichte liest, dann fängst du an, dich zu schämen, ein Deutscher zu sein. Dann läßt du deine dem Zeitgeist entsprechende Arroganz gegenüber Ausländern, deine angeblich wohlbehütete Selbstzufriedenheit sausen, dann hörst du endlich mal hin, was die Migranten, unsere Mitbürger, bewegt, wie sie beim Wirtschaftswunder halfen, Deutschland wohlhabend zu machen, dann denkst du mal darüber nach, wie sie mit der hereinbrechenden Wirtschafts- und Finanzkrise mir nichts, dir nichts als überflüssig und schädlich für das Wohlergehen der Deutschen betrachtet wurden. Und die Migranten? Sie hatten große Hoffnungen, nicht nur Arbeit zu bekommen, sondern auch ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Und wußten oder ahnten nicht, dass allein der Markt – genauso wie in der Türkei – den Rhythmus des Arbeitens, Lebens und das sich „Ewig beugen müssen“ bestimmt, ja diktiert.

So nimmt es nicht Wunder, dass die Textbeiträge in diesem so eindrucksvollen Buch den Finger auf jene Wunden legen, die die Migranten quälen, ihnen die Zukunftsaussichten vermiesen, den Hass zwischen ihnen und den Bürgern weiter fördern. Acht Autoren widmen sich den Themen, wer die Migranten sind, sie skizzieren an Beispielen den Weg dreier Genrationen, blicken zurück, wie und warum die Einwanderung 1961 (Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland und schließlich auch mit der Türkei) begann, wie die Herangerufenen von den Deutschen empfangen wurden, wie die Bilanz nach 50 Jahren aussieht. Dazwischen wunderbar geistvolle Gedichte, verfasst von dem Türken Yüksel Pazarkaya. Ein Aha gilt dem „Scharfrichter unter den deutschen Kabarettisten“ Wilfrid Schmickler mit seinem Gedicht „Wir sind Wir“. Ebenso scharfsichtig und klug insgesamt die Textbeiträge.

So zum Beispiel der folgende Schrei in einem Gedicht (S. 37):

(…)

„die uns bestellten zur arbeit –

wusstet ihr nicht

dass nur Tiere oder menschen

arbeitskraft haben

die ihr uns nicht für menschen haltet

haltet uns doch zumindest für tiere

die ihr so sehr liebt mit euren sanften herzen

und euren tierschutzvereinen“


Aras Ören drückt seinen damaligen Schmerz noch deutlicher aus: „Unsere Träume hatten Risse aber wir schwiegen. (…) Was wir nicht wussten war, daß wir … in diesem hochentwickelten Industrieland Klassenmenschen sein würden, ganz unten.“ (S. 73)

 Ören nimmt jene Forderungen aufs Korn, die da lauten, wer hier lebe, solle sich integrieren. Das klinge wie eine Drohung, wie eine „Mundhalteparole“. Das sei eine Forderung nach Passivität, die die Migranten minderwertig mache. Wörtlich schreibt er: „In einer Zeit, in der die Globalisierung unaufhörlich voran galoppiert, in der sich die Orte auf unserem Planeten immer mehr ähneln … , in der Konsum, Ideologien und Kulturen immer mehr gleichgeschaltet sind, ist eine solche eindimensionale Darstellung nicht zeitgemäß.“ Deutschland müsse solch schiefe Bilder abschaffen, so der Autor.

 Deniz Baspinar erinnert in ihren Zeilen an das geplante aber fehlgeschlagene Rotationsprinzip, „denn die Wirtschaft wollte ihre einmal eingearbeiteten Arbeitskräfte nicht wieder hergeben.“ So kam es, dass zwischen Ende der 1950er Jahre und 1973, dem Jahr des Anwerbestopps, aus allen Anwerberländern insgesamt 14 Millionen Menschen kamen, von denen 11 Millionen bis 1973 wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Schlimm, dass nach dem Attentat auf zwei Hochhäuser in New York die Migranten in Deutschland nicht mehr Kanaken, sondern als muslimische Kanaken betitelt wurden. (S. 43)

 Die Autorin räumt ein, die Migranten enprechen schon lange nicht mehr dem Klischeebild der Öffentlichkeit. Es habe längst eine soziale Differenzierung eingesetzt. Menschen mit Migrationswurzeln gäbe es im Bundestag, im Landtag, in Parteien, in den Medien, als Führungskräfte in der Wirtschaft, in der Kultur und im Fußball. Viel verändert habe sich in Deutschland, nicht aber die Integrationsdebatte in der Politik und in den Medien. Wörtlich: „Und es ist eine Schande, immer wenn es um knapper werdende Kassen geht, machen sich Demagogen daran, für die Volksseele, die um Sicherheit und Einkommen fürchtet, einen Buhmann zu finden.“(S.75)

 Jürgen Bevers verweist in seinem Text auf die Verschärfung von Arbeitslosigkeit und Armut und auf die starke Zunahme von Asylbewerbern in den 90er Jahren. Da wurde das Thema Ausländerpolitik zum Reizthema, neu angeheizt durch die polemischen Thesen des Thilo Sarrazin. „Seine Muslim-Schelte spaltete die Nation.“ (S.83)

Dieses Buch ist nicht für die Unterhaltung bestimmt – es fordert den Leser heraus, es reißt ihn dort aus der Ruhe, wo Nachdenklichkeit mitunter ins Hintertreffen geraten ist, es nimmt ihn mit auf eine Reise, seine Mitbürger besser verstehen und achten zu lernen. Meines Erachtens ein Buch auch – und ganz besonders – für den Schulunterricht, ja, als kleines Theaterstück denkbar… Dem Buch beigefügt sind die Kurzviten und Porträts der acht Autoren.

 Aus dem Gedicht „geliebte fremde“ (S.89):


„…doch der mensch möge nicht sein in der fremde

ohne hoffnung ohne ausweg ohne einen halt“


„Drei Generationen“: Herausgeber: Arnd Kolb und Guenay Ulutuncok, Redaktion: Nadja Gawrisewicz, Copyright, alle Fotos (ohne Vermerk) Guenay Ulutuncok, Mediaproduktion-Köln, DOMiD, Druck: book factory-Berlin, 1. Auflage Dezember 2012, ISBN 978-3-9811827-0-5

 Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung