Dienstag, 17. Februar 2015

Ökonomie des Müßiggangs - Autor: Thomas M. Maritsch


Rezension von "Ökonomie des Müßiggangs" von Thomas M. Maritsch


Tiefgang & Höhenflüge

Buchtipp von Harry Popow
"Ökonomie des Müßiggangs", so der Titel eines 680 Seiten dicken Buches von Thomas M. Maritsch. Der Untertitel: „Zur Sozio- und Psychopathologie von Arbeit, Eigentum und Geld – naturalistische Betrachtungen zur Wirtschaftsphilosophie“. Da überbekommt den Leser mindestens das Nachdenken. Sich abrackern in der Arbeit wie ein Pferd und gleichzeitig faul sein, genießen? Wie soll das zusammengehen? Ohne Zweifel, man ist verwirrt. Sollst du weniger arbeiten und mehr genießen? Sollst du arbeiten, um endlich richtig zu leben? Macht dich etwa das Wirtschaften, sprich Arbeiten, so langsam kaputt, hast keine Zeit mehr für dich und deine Familie? Und: Was ist überhaupt Ökonomie? Ist es nicht der berüchtigte Kapitalismus? Und wie ihn überwinden? Wer ist denn der Autor?

Thomas M. Maritsch ist Jahrgang 1960. Nach einem Studium der Sozialwissen-schaften arbeitet der Autor in der Software-Industrie als Systemdesigner, also als Vermittler zwischen Anwendern und Entwicklern. Er ist daher seit langer Zeit darin geschult, möglichst klare und verständliche Kommunikationsstrukturen zu realisieren. Als Mitarbeiter multinationaler Unternehmen sind ihm die Mechanismen des ökonomistischen Denkens und Handelns bestens vertraut. Daneben widmet er sich noch immer kritisch den Zusammenhängen zwischen Politik, Philosophie und Gesellschaft. Bisherige Veröffentlichung: „Keine Löcher. Eine alltagstaugliche Naturphilosophie“, 2009.

Lassen wir die eingangs aufgeworfenen Fragen beiseite und sehen wir uns an, was der Autor unter Müßiggang versteht. Und da kommt gut in der Philosophie bewanderten Lesern folgende inhaltliche Aussage auf Seite 589 bekannt vor: „Was wir bisher nur einer kleinen Minderheit gestatten, (…) den Millionären und Milliardären, das können wir uns mit einer besseren Organisation alle leisten: Zeit zum Atmen, genügend Raum“ für Wünsche, „geringe Notwendigkeit für Erwerbsarbeit, sondern weit umfangreichere freie Entfaltung der Persönlichkeit...“ Auf Seite 612 plädiert er für ein Konzept „von lustvollem Müßiggang“ nur bei notwendigem Aufwand, was er auf Seite 593 in den bekanntem Slogan münden lässt: Jedem sollte doch einleuchten, „dass wir arbeiten, um zu leben, aber nicht leben, um zu arbeiten“.

Der Autor möchte zeigen, dass Wirtschaften auf ganz anderen Grundvoraussetzungen aufbauen muss und kann. (S. 19) Seine Gegenposition zur „glorifizierten Marktfreiheit“ ist darauf angelegt, „Arbeit, Eigentum, Geld, Werte, Produktions- und Verteilungsfragen und vieles mehr auf eine humanistische, rationale, aufgeklärte und naturalistische Weise zu verstehen“. (S. 20)

Thomas M. Maritsch operiert vordergründig mit Begriffen wie Makroprozessen, Subsystemen, Makrophänomenen und anderen, die offensichtlich vor allem dem Bereich der Computerwelt entlehnt sind. Er will zeigen, „wie irreal, irrational und zerstörerisch wir handeln, wenn wir uns so verhalten, wie es die Ökonomie vorschlägt oder immer öfter sogar aufzwingt“. Deshalb gehe er naturalistisch an die Analyse der Wirtschaft heran, um die „tatsächlichen Auswirkungen auf uns Menschen“ einschätzen zu können. Der Autor will sich unabhängig machen von „gängigen ideologischen Kontroversen“. (S. 31/32)

Die Leser sollten sich nicht an dem undefinierten WIR stoßen, auch nicht daran, dass Maritsch bisher erkannte – aber nicht immer beachtete oder geleugnete – Gesetzmäßigkeiten im Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung weitgehend unbeachtet lässt, ja, sie völlig ignoriert (siehe die Klassiker-Erkenntnisse von Marx und Engels) und stattdessen den Blick mehr auf das Bewusstsein wirft (idealistische Sicht), der allein dazu fähig wäre, den Weg zu einem machbaren Humanismus freizukämpfen.

Es ist nicht nur erstaunlich und bewundernswert, wie der Autor aus seiner naturalistischen Sicht in drei größeren Abschnitten Detailanalysen als auch mögliche Alternativen vorlegt, sondern mit nahezu jedem Kapitel von ihm entworfenen Illusionen und Utopien in dankenswerter Weise den zukünftigen Umwälzern der Geschichte Überlegenswertes mit auf den Weg gibt. Klardenkende werden es dem Autor allerdings ankreiden, dass er dabei durchgehend an die Vernunft appelliert: „Wenn wir uns also in einem demokratischen System befinden, kann die Mehrheit der Menschen, also gerade diejenigen ohne überbordenden Anteil an Macht und Reichtum, die vorhandene Oligarchie ablösen, und, wenn es sein muss, sogar ins Gefängnis bringen“. (S. 611) Dem Autor gelingt es im Ganzen gesehen, die Begriffe Eigentum, Geld, Arbeit, Markt, Profitmaximierung, Entfremdung, Neoliberalismus oder Sinn des Daseins und andere für jedermann anschaulich darzustellen.

Als intellektuellen und politischen Mangel empfindet der Rezensent die Kaltstellung bisheriger ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, die ja nicht naturbedingt und schon gar nicht durch Willensentscheidungen von Akteuren im Verlaufe der Geschichte entstanden sind und heute – besonders durch die Ideologie des Neoliberalismus – weltweit ausufern und zu Barbarei und neuen Kriegen tendieren. Wunschträume nach einer besseren Welt gehen nur dann auf, wenn sie von knallharten Realitäten ausgehen, wissenschaftlich fundiert sind und kühn und tatkräftig von den bisher Benachteiligten gemeinsam umgesetzt werden. Wer dabei die im sozialistischen Lager errungenen Erfahrungen allerdings sträflich ignoriert, sie ad acta legt, der versperrt sich den Zugang zu besseren Einsichten, zur Zukunft.

Das Buch des Thomas M. Maritsch ist ein kluger Wälzer, der dazu beitragen möge, weitere politische Angriffe gegen das noch übermächtige Kapital zu starten und die gesellschaftlichen Bedingungen für die Dominanz der Akteure gänzlich umzuwälzen. Vorausgesetzt, man verlässt die längst überholte Schiene des einsamen und erfolglosen NUR-WOLLENS. Mein persönliches Fazit aus diesem Buch von Maritsch: Je tiefer man wissenschaftlich zu loten vermag, desto geringer fallen Höhenflüge aus. Aber: Das Paket der Illusionen lässt sich als nachdenkenswertes Gut für neue Ordnungen festmachen.(PK)

Thomas M. Maritsch: „Ökonomie des Müßiggangs. Zur Sozio- und Psychopathologie von Arbeit, Eigentum und Geld – naturalistische Betrachtungen zur Wirtschaftsphilosophie“, gebundene Ausgabe: 680 Seiten, Verlag: Books on Demand; erste Auflage 24. Juli 2014, Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3735754805, ISBN-13: 978-3735754806, Hardcover, 680 Seiten, € 53,90

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

Mittwoch, 11. Februar 2015

Lawrow auf Sicherheitskonferenz



Lawrow auf der Münchner Sicherheitskonferenz


Die Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow bei der 51. SIKO am 7. Februar 2015.


Übersetzung-Susanne Brammerloh / russland.RU


Sehr geehrte Damen und Herren,

Herr
Wolfgang Ischinger hat das Thema „Kollaps der Weltentwicklung“ auf die Tagesordnung gesetzt. Man muss zustimmen, dass die Ereignisse bei weitem nicht nach einem optimistischen Szenario verlaufen. Aber die Argumentation mancher unserer Kollegen, es sei zu einem plötzlichen und schnellen Zusammenbruch der seit Jahrzehnten herrschenden Weltordnung gekommen, können so nicht hingenommen werden.

Es ist eher umgekehrt – die Ereignisse des letzten Jahres haben gezeigt, dass unsere Warnungen hinsichtlich der Existenz von tiefen Systemproblemen bei der Organisation der europäischen Sicherheit und in den internationalen Beziehungen im Ganzen gerechtfertigt waren. Ich möchte an die
Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin erinnern, die er von dieser Tribüne vor acht Jahren gehalten hat.

Die Konstruktion der Stabilität, die sich auf die UN-Satzung und die Prinzipien von Helsinki gestützt hat, ist schon lange untergraben worden – durch die Handlungen der USA und ihrer Verbündeten in Jugoslawien (die Bombardements dort), im Irak, in Libyen, mit der Erweiterung der NATO nach Osten und der
Schaffung von neuen Demarkationslinien. Das Projekt der Errichtung eines „europäischen Hauses“ ist gerade deshalb nicht umgesetzt worden, weil unsere Partner im Westen sich nicht von den Interessen der Schaffung einer offenen Sicherheitsarchitektur bei geneseitiger Achtung der Interessen leiten ließen, sondern von den Illusionen und Überzeugungen der Sieger im Kalten Krieg. Die im Rahmen der OSZE und des Russland-NATO-Rates feierlich angenommenen Verpflichtungen, die eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit der anderen zu gewährleisten, wurden in der Praxis ignoriert.

Das Problem der Raketenabwehr ist ein schillerndes Beispiel für den destruktiven Einfluss einseitiger Schritte auf dem Gebiet militärischer Aktivitäten, die den elementaren Interessen anderer Staaten zuwiderlaufen. Unsere Angebote zur gemeinsamen Arbeit bei der Raketenabwehr wurden zurückgewiesen. Stattdessen wurde uns vorgeschlagen, bei der Schaffung der globalen amerikanischen Raketenabwehr mitzumachen, streng nach den Richtlinien aus Washington. Wie wir schon mehrmals betont und anhand von Tatsachen erklärt haben, birgt diese Raketenabwehr reelle Risiken für die russischen Kräfte der atomaren Eindämmung.

Jede beliebige Handlung, die die strategische Stabilität untergräbt, zieht unweigerlich Gegenmaßnahmen nach sich. Damit wird dem gesamten System der internationalen Verträge auf dem Gebiet der Waffen-Kontrolle, deren Lebensfähigkeit unmittelbar vom Faktor der Raketenabwehr abhängt, ein langfristiger Schaden zugefügt.
Wir verstehen nicht einmal, womit diese amerikanische Obsession, eine globale Raketenabwehr zu schaffen, zusammenhängt. Mit dem Streben nach unanfechtbarer militärischer Vorherrschaft? Mit dem Glauben an die Möglichkeit, Probleme technisch zu lösen, die ihrem Wesen nach politische sind? Wie dem auch sei: die Raketengefahren haben nicht abgenommen, aber im Euro-Atlantik ist ein starker Reizfaktor entstanden, den zu überwinden sehr viel Zeit brauchen wird. Wir sind dazu bereit. Ein anderer destabilisierender Faktor war die Weigerung der USA und anderer NATO-Mitglieder, die Vereinbarung über die Anpassung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) zu ratifizieren, und das hat diesen Vertrag begraben.

Dabei versuchen unsere amerikanischen Kollegen in jeder von ihnen selbst geschaffenen schwierigen Situation, die Schuld auf Russland abzuwälzen. Nehmen wir die in letzter Zeit aufgelebten Diskussionen um den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (
INF). Die Experten sind gut mit den Handlungen der USA vertraut, die dem Geist und den Buchstaben dieses Dokuments entgegenlaufen. So hat Washington im Rahmen der Errichtung eines globalen Raketenabwehrsystems ein großangelegtes Programm zur Schaffung von Zielflugkörpern entfaltet, deren Charakteristiken analog mit durch den INF-Vertrag verbotenen landgestützten ballistischen Raketen sind oder diesen sehr nahe kommen. Die von den USA breit verwendeten Kampfdrohnen fallen unter die vertraglich festgelegte Definition von landgestützten Flügelraketen mittlerer Reichweite. Der Vertrag verbietet ausdrücklich Abschussvorrichtungen für Abfangflugkörper, die bald in Rumänien und Polen aufgestellt werden sollen, denn von ihnen können Flügelraketen mittlerer Reichweite gestartet werden.

Die amerikanischen Kollegen weigern sich, diese Fakten anzuerkennen und behaupten, sie hätten „begründete“ Vorwürfe gegen Russland hinsichtlich des INF-Vertrags, aber sie bemühen sich, Konkretes außen vor zu lassen.

Unter Berücksichtigung dieser und vieler anderer Faktoren zu versuchen, die jetzige Krise mit den Ereignissen des letzten Jahres in Zusammenhang zu bringen, bedeutet unserer Meinung nach, sich einer
gefährlichen Selbsttäuschung hinzugeben.

Es kommt zur Kulmination des im letzten Vierteljahrhundert von unseren westlichen Kollegen gefahrenen Kurses auf die Bewahrung ihrer dominanten Stellung in den Weltangelegenheiten und die Ergreifung des geopolitischen Raums in Europa mit allen Mitteln. Von den GUS-Staaten – unseren nächsten Nachbarn, die mit uns seit Jahrhunderten wirtschaftlich, humanitär, historisch, kulturell und sogar familiär verbunden sind – wird die Wahl gefordert:
„entweder mit dem Westen oder gegen den Westen“. Das ist die Logik eines Spiels mit Null-Resultat, das alle doch eigentlich als Teil der Vergangenheit hinter sich lassen wollten.

Auch die strategische Partnerschaft zwischen Russland und der Europäischen Union, die der Entwicklung von Mechanismen den Weg der Konfrontation des gegenseitig vorteilhaften Handelns vorgezogen hat, hat die Härteprüfungen nicht überstanden. Da muss man natürlich an die nicht wahrgenommene Möglichkeit der Umsetzung der im Juni 2010 in Merseburg von Kanzlerin Merkel vorgeschlagenen Initiative zur Einrichtung eines Russland-EU-Ausschusses zu außenpolitischen und Sicherheitsfragen auf der Ebene der Außenminister denken. Russland hat diese Idee unterstützt, die Europäische Union hat sie aber verworfen. Ein solcher Mechanismus des ständigen Dialogs (wenn er denn geschaffen worden wäre) hätte es erlaubt, operativer und effektiver Probleme anzugehen und rechtzeitig gegenseitige Besorgtheiten aus dem Weg zu räumen.
Was die Ukraine betrifft, haben unsere amerikanischen Kollegen und unter ihrem Einfluss auch die Europäische Union in jeder Etappe der Entwicklung der Krise Schritte unternommen, die zur Eskalation führten. So war es, als die EU sich weigerte, unter Beteiligung Russlands die Folgen der Einführung des Wirtschaftsteils des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine zu erörtern, und davor ging es um die gegen die Regierung gerichteten Unruhen. So war es auch, als die westlichen Partner den Kiewer Behörden ein ums andere Mal „Ablassbriefe“ erteilten, und Kiew statt das Versprechen zu erfüllen, einen gesamtnationalen Dialog aufzunehmen, eine großangelegte Militäroperation begann, wobei es die eigenen Bürger, die mit dem verfassungswidrigen Machtwechsel und den ultranationalen Exzessen nicht einverstanden waren, zu „Terroristen“ stempelte.

Wir können uns nur sehr schwer erklären, warum sich die universellen Prinzipien der Regelung von inneren Konflikten, die vor allem einen inklusiven politischen Dialog zwischen den Protagonisten vorsehen, im Bewusstsein vieler unserer Kollegen nicht auf die Ukraine erstrecken. Warum unsere Partner zum Beispiel hinsichtlich Afghanistan,
Libyen, Irak, Jemen, Mali und Südsudan die Regierungen hartnäckig dazu aufrufen, sich mit der Opposition, mit Aufständischen und in manchen Fällen auch mit Extremisten zu einigen – und bezüglich der Krise in der Ukraine anders auftreten, indem sie bei der Gewaltoperation Kiews Nachsicht zeigen, bis hin zur Rechtfertigung der Anwendung von Kassettenbomben.

Leider sind unsere westlichen Kollegen geneigt, vor allem die Augen zu verschließen, was die Kiewer Behörden sagen und machen, das Entfachen von fremdenfeindlichen Stimmungen eingeschlossen. Ich erlaube mir ein Zitat: „Der ukrainische Sozialnationalismus sieht die ukrainische Nation als Blut- und Rassegemeinschaft.“ Und weiter: „Die Frage der totalen Ukrainisierung im künftigen sozialnationalistischen Staat wird im Laufe von drei bis sechs Monaten mit Hilfe einer harten und ausgewogenen Staatspolitik gelöst werden.“ Autor ist der Abgeordnete der Obersten Rada Andrej Bilezki – Befehlshaber des Regiments „Asow“, das aktiv an den Kampfhandlungen im Donbass teilnimmt. Auch andere in die Politik und an die Macht gestürmten Leute wie D. Jarosch, O. Tjagnibok und Oleh Ljaschko, der Leiter der in der Obersten Rada vertretenen Radikalen Partei, traten in der Öffentlichkeit wiederholt für eine ethnische Säuberung der Ukraine und die Vernichtung von Russen und Juden ein. Diese Äußerungen haben in den westlichen Hauptstädten überhaupt keine Reaktion hervorgerufen. Ich denke nicht, dass das heutige Europa sich erlauben kann, die Gefahr der Verbreitung des neonazistischen Virus zu ignorieren.

Die ukrainische Krise kann nicht mit militärischer Gewalt geregelt werden. Das wurde im letzten Sommer deutlich, als die Situation auf dem Kriegsschauplatz dazu zwang, die Minsker Vereinbarungen zu unterzeichnen. Das zeigt sich auch jetzt, wo der nächste Versuch, einen militärischen Sieg zu erringen, zum Erliegen kommt. Aber ungeachtet dessen ertönen in einer Reihe westlicher Länder immer lauter Appelle, die Unterstützung für den Kurs Kiews hin zur Militarisierung der Gesellschaft und des Staates zu verstärken, die Ukraine mit todbringenden Waffen „vollzupumpen“ und in die NATO zu ziehen.
Hoffnung macht die immer stärker werdende Opposition gegen diese Pläne in Europa, die die Tragödie des ukrainischen Volkes nur noch verschlimmern können.

Russland wird auch in Zukunft für eine Friedensregelung einstehen. Wir treten konsequent für die Einstellung der Kampfhandlungen, den Abzug schwerer Waffen und die Aufnahme von direkten Verhandlungen zwischen Kiew und
Donezk und Lugansk ein, um konkrete Wege zur Wiederherstellung des gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Raumes im Rahmen der territorialen Integrität der Ukraine zu finden. Genau darum ging es bei den vielfältigen Initiativen von Wladimir Putin im Rahmen des „Normandie-Formats“, die es erlaubten, den Minsker Prozess und unsere weiteren Anstrengungen zu seiner Entwicklung, einschließlich der gestrigen Verhandlungen der Staatschefs von Russland, Deutschland und Frankreich im Kreml, in die Wege zu leiten. Wie Sie wissen, werden diese Verhandlungen fortgesetzt. Wir sind der Meinung, dass es alle Möglichkeiten gibt, Ergebnisse zu erzielen und Empfehlungen abzustimmen, die es den Seiten erlauben werden, diesen Konfliktknoten zu lösen.
Es ist wichtig, dass alle die Ausmaße der Risiken erkannt haben. Es ist an der Zeit, von der Gewohnheit zu lassen, jedes Problem einzeln zu betrachten, „ohne hinter den Bäumen den Wald zu sehen“. Es ist Zeit, die Lage komplex einzuschätzen. Die Welt befindet sich heute an einem radikalen Wendepunkt, der mit dem Wechsel der historischen Epochen zusammenhängt. Die „Geburtswehen“ der neuen Weltordnung machen sich durch das Anwachsen von Konfliktsituationen in den internationalen Beziehungen bemerkbar. Wenn statt einer strategischen globalen Sichtweise Gelegenheitsentscheidungen von Politikern im Hinblick auf die nächsten Wahlen bei ihnen zu Hause triumphieren sollten, wird die Gefahr auftauchen, die Kontrolle über die Hebel der globalen Lenkung zu verlieren.

Ich erinnere daran, dass zu Beginn des Konflikts in Syrien viele im Westen dazu aufriefen, die Bedrohung durch Extremismus und Terrorismus nicht zu übertreiben, wobei sie behaupteten, die würde sich irgendwie „selbst geben“, das Wichtigste sei aber, den Machtwechsel in Damaskus zu erreichen. Wir sehen, was sich daraus ergeben hat.
Riesige Gebiete im Nahen Osten, in Afrika und in der afghanisch-pakistanischen Zone entziehen sich immer mehr der Kontrolle durch die legitimen Regierungen. Der Extremismus schwappt in andere Regionen über, Europa eingeschlossen. Die Risiken der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen nehmen zu. Die Situation bei der Nahost-Regelung und in anderen Zonen regionaler Konflikte nimmt einen explosiven Charakter an. Bisher wurde keine adäquate Strategie zur Eindämmung dieser Herausforderungen entwickelt.

Ich möchte hoffen, dass die Diskussionen heute und morgen in München uns im Verstehen dessen näherbringt, auf welchem Niveau sich die Anstrengungen bei der Suche nach kollektiven Antworten auf die für alle gemeinsamen Bedrohungen befinden. Wenn man ein ernsthaftes Ergebnis will, darf das Gespräch nur gleichberechtigt geführt werden – ohne Ultimaten und Drohungen.

Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass es viel einfacher wäre, den ganzen Komplex an Problemen anzugehen, wenn sich die größten Akteure auf die strategischen Richtlinien ihrer Beziehungen einigen könnten. Unlängst sagte die ständige Sekretärin der Französischen Akademie,
Hélène Carrère d’Encausse, die ich sehr verehre, dass „es kein richtiges Europa ohne Russland geben kann“. Wir würden gern verstehen, ob unsere Partner diese Sichtweise teilen oder ob sie geneigt sind, den Kurs auf die Vertiefung der Spaltung des allgemein-europäischen Raumes und die gegenseitige Konfrontation seiner Fragmente fortzusetzen. Wollen sie eine Sicherheitsarchitektur zusammen mit Russland, ohne Russland oder gegen Russland schaffen? Natürlich müssen auch unsere amerikanischen Partner diese Frage beantworten.

Wir schlagen schon lange vor, mit dem Bau eines wirtschaftlichen und humanitären Einheitsraumes von Lissabon bis Wladiwostok zu beginnen, der sich auf die Prinzipien einer paritätischen und unteilbaren Sicherheit stützen würde und sowohl die Mitglieder von Integrations-Bündnissen als auch nichtgebundene Länder umfassen würde. Besonders aktuell ist die Schaffung von verlässlichen Mechanismen bei der Zusammenarbeit zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion (
EAWU) und der EU. Wir begrüßen die sich andeutende Unterstützung dieser Idee durch verantwortungsbewusste europäische Staatsführer.

Im 40. Jubiläumsjahr der
Helsinki-Abschlussakte und dem 25. Jahrestag der Charta von Paris tritt Russland dafür ein, diese Dokumente mit realem Leben zu füllen, die dort verankerten Prinzipien zu wahren und die Stabilität und Prosperität im gesamten euro-atlantischen Raum auf der Basis von echter Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung und Berücksichtigung der Interessen aller zu gewährleisten. Wir wünschen der im Rahmen der OSZE gebildeten „Gruppe der Weisen“, die in Form von Empfehlungen zu einem Konsens kommen soll, viel Erfolg.

Wenn wir den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs begehen, sollten wir uns der Verantwortung bewusst sein, die auf uns allen liegt.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Übersetzung-Susanne Brammerloh/russland.RU)

Verbrecherisches NICHT-ERINNERN-WOLLEN




Aus: Ausgabe vom 11.02.2015, Seite 3 / Schwerpunkt

Bildende Tat

Staatsakt für den verstorbenen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker: Alle rühmen seine Rede zum »Tag der Befreiung« am 8. Mai, doch es ist meist nur Gerede

Von Kurt Pätzold

Abschied von einem der herausragendsten Politiker und Staatsmänner der BRD: Im Berliner Dom werden heute 1.400 ausgewählte Gäste zum Staatsakt für den verstorbenen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker erwartet. Die Bevölkerung ist zu der Gedenkveranstaltung nicht eingeladen. Weizsäcker hat, geht man die Reihe seine Vorgänger in der Geschichte der Bundesrepublik durch und sieht man von Gustav Heinemann ab, das sonst tätig gewordene Personal um Haupteslänge überragt. Für sie alle gilt freilich, dass ihr Platz in deutscher Geschichte, wie viele Fragen an ihr Wirken immer gestellt werden mögen, sich an einer entscheidet: Welche Rolle haben sie in den Zeiten des Kalten Krieges gespielt und was haben sie geleistet zu verhindern, dass aus ihm ein heißer, fraglos mit Atomwaffen geführter wurde? Soweit, diese Frage allen anderen voranzustellen, sind die westdeutsche Politik und Geschichtsschreibung jedoch bisher noch nicht gekommen.

Mit der Nachricht vom Tode Richard von Weizsäckers am 31. Januar wurde wieder und wieder an jene seiner Reden erinnert, die er 1985, am 40. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus, vor dem Deutschen Bundestag hielt, und daraus wird jene Passage zitiert, in der er davon sprach, dass dieser Maitag ein »Tag der Befreiung« gewesen sei. Das war eine Tat, die zu einer Wende im Rückblick auf deutsche Geschichte aufrief und nicht nur auf die eines einzigen Tages. Bis dahin waren von Politikern, Publizisten, auch von Geschichtswissenschaftlern Begriffe wie Kriegsende, Kapitulation, Niederlage, selbst Katastrophe benutzt worden, um das Ende des faschistischen Reiches und seiner Machthaber zu bezeichnen. Erst vor diesem Hintergrund, der doch die verweigerte Aufklärung darüber einschloss, was diese zwölf Jahre gewesen waren, tritt klar hervor, dass sich der Begriff »Befreiung« nahezu mit einer Revolutionierung des Geschichtsdenkens verband, ja sie geradezu verlangte. Der Redner wollte das auch erreichen, im Wissen, dass ihm ein nicht zu bestimmender Teil der Bundesbürger dabei nicht folgen werde.

Was Weizsäcker schwerlich gutgeheißen hätte, ist aber, dass dieser sein Auftritt Tage nach seinem Tode merkwürdig aufgeblasen wird. Der Mann war informiert und gebildet genug, um zu wissen, dass der von ihm in einer Staatsrede verwendete Begriff andernorts längst gang und gäbe war und kein Aufsehen erregte. Beispielsweise jenseits der bundesrepublikanischen Ostgrenze im anderen deutschen Staat. Dort stand er in den Schulgeschichtsbüchern, und das seit Jahrzehnten. Die Soldaten in den alliierten Armeen galten als Befreier und, mit den Tatsachen übereinstimmend, wurden jene der Roten Armee als diejenigen bezeichnet, die am Sieg den größten Anteil besaßen und bei der Zerschlagung der deutschen Militärmacht die meisten Opfer hatten bringen müssen. Aller Befreier Tat war in der DDR auch durch Straßentaufen gedacht worden. Straßen der Befreiung gab es in Großstädten wie Berlin, Leipzig, Dresden, Halle und in vielen kleineren Städten und Orten wie Altenberg, Banzkow, Grimmen, Reinsdorf oder Zossen – und nicht überall wurden wie in Berlin und den beiden sächsischen Metropolen nach 1990 in anpassendem Übereifer Um- und Rückbenennungen vorgenommen. Diese Vorgänger und Vorgänge im Gebrauch des Begriffs Befreiung nehmen der Tat Weizsäckers nichts an Gewicht, Bedeutung und Denkwürdigkeit.

Wer sich auf dieses wesentliche Detail deutscher »Geschichtsbewältigung« ernsthaft einlässt, kommt an zwei bemerkenswerten Tatsachen nicht vorbei. Die eine besteht in den unterschiedlichen Inhalten, die dem Begriff Befreiung bis heute in Deutschland gegeben werden. Häufig, und da ist er noch gut verträglich, wird er als die Befreiung von Machthabern verstanden, die das Volk zu einem Opfer gemacht und es in das größte Elend seiner Geschichte nach dem Dreißigjährigen Krieg geführt hatten. Anders steht es um die Akzeptanz von Befreiung, wenn sie als das Ende einer verbrecherischen Rolle der Deutschen verstanden wird, wie sie keine der vielen Generationen vorher je gespielt hatte, wenn sich damit das Eingeständnis verbindet, dass den Deutschen die Mordwerkzeuge aus den Händen geschlagen und ihnen die Chance eröffnet wurde, sich einen Weg zu Anstand und Wiedergewinn eines Ansehens zu suchen, das, wenn schon nicht sie, so doch ihre Vorfahren besessen hatten. In diesem Sinne wurde die Geschichtswende des Jahres 1945 an DDR-Schulen im Unterricht dargestellt.

Die zweite Tatsache, die 2015 nicht unerwähnt bleiben kann, besteht darin, dass der Sowjetunion und ihrer Armee ein Verdienst um die wie immer gedeutete Befreiung nicht nur im Hinblick auf die Deutschen nicht gelassen wird. Zur Staatsdoktrin der Bundesrepublik wurde das Dogma erhoben, es sei für den Osten Deutschlands 1945 nur eine Diktatur gegen eine gleich furchtbare getauscht worden, die bewaffnet importiert wurde. Es vergeht kein Tag, an dem nicht an dem Horrorgemälde DDR gearbeitet wird. Demnach ist die Befreiung der Ostdeutschen nicht 1945, sondern 1989/1990 und durch sie selbst erfolgt und durch eine Revolution, aber gewaltlos. In den Staatsreden am 27. Januar 2015 anlässlich des Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ließ sich die Erwähnung der sowjetischen Armee nicht vermeiden, in den Medien in den Tagen zuvor geschah das konsequent.

Und schließlich, die das Verdienst Weizsäckers rühmen, sollten sich doch auch ein wenig über seine Reichweite informieren. Dazu könnten ihnen in der Bundesrepublik gebräuchliche Schulgeschichtsbücher dienen. In einem 1995, also zehn Jahre nach der viel zitierten Rede herausgegebenen, werden die Begriffe »totale Niederlage«, »Ende des Krieges« und »bedingungslose Kapitulation« in Überschriften benutzt. In einem weitere zehn Jahre später benutzten heißen sie »Der deutsche Zusammenbuch« und »Die Kapitulation«, und in der Rubrik des Wichtigen wird die »Bedingungslose Kapitulation« aufgeführt. In einem dritten 2001 zugelassenen Geschichtsbuch ist der einschlägige Text »Kriegsende und Kapitulation« überschrieben. Der Begriff Befreiung taucht in dieser Literatur nicht auf. Und das lässt fragen. Wäre es nicht an der Zeit und nun auch eine Pflicht, im Gedenken an den Toten zu sorgen, dass nicht nur die Autoren der Schulgeschichtsbücher und die Politiker, die über deren Zulassung entscheiden, vom rühmenden Gerede zur bildenden Tat schreiten?

Reaktion: Bundesregierung will nicht selbst erinnern

Die Bundesregierung will an den »Tag der Befreiung« am 8. Mai nicht mit eigenen Veranstaltungen erinnern. Das geht aus den Antworten auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Man wolle die Aufarbeitung von Geschichte sowie entsprechende Gedenkakte »nicht in Eigenregie« durchführen. Begründung: Man wolle kein »staatlich verordnetes Geschichtsbild« fördern, »sondern ein wissenschaftlich fundiertes und gesellschaftlich verankertes Erinnerungswesen«.

Die Bundesregierung stellt auf Nachfrage außerdem klar, den 8. Mai nicht zu einem nationalen Gedenktag an die Befreierinnen und Befreier vom deutschen Faschismus zu erklären. »Entsprechende Planungen bestehen nicht.« Dafür hat sie im vergangenen Sommer beschlossen, zusätzlich zum Weltflüchtlingstag einen nationalen »Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung« einzuführen.

Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen kritisiert das offizielle Nichterinnern scharf. In einer am Dienstag verbreiteten Stellungnahme heißt es: »Die Bundesregierung will die Krise mit Russland politisch instrumentalisieren und das Gedenken an die Sieger über den deutschen Zivilisationsbruch entsorgen. Weder im In- noch im Ausland plant die Bundesregierung irgendwelche eigenen Aktivitäten. Das ist ein offener Affront gegen die noch lebenden und für die Freiheit gefallenen Befreier.«

Die Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion erklärt anlässlich der Antwort der Bundesregierung auf ihre kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 18/3779) weiter: »Der 70. Jahrestag der Befreiung vom Nazismus führt bei der Bundesregierung ins bundespolitische Nirwana. Sie verweigert damit vor allem den Angehörigen der Rote Armee ein ehrendes und würdiges Gedenken. Denn sie war es, die dem Morden in Auschwitz ein Ende gesetzt und mit enormen Opfern wesentlich zur Niederlage der Nazi-Diktatur beigetragen hat.«

Dagdelen fordert die Bundesregierung auf, »der Befreier, die die Menschheit vom Nazismus gerettet haben, würdig und angemessen zu gedenken. Sie darf diese nicht einer antirussischen Politik opfern.«

Die kleine Anfrage im Wortlaut: kurzlink.de/kein-gedenken

Dienstag, 10. Februar 2015

Hanna´s Woerterwelt


Hanna´s Gedichte

Meine Leserin Hanna Fleiss lernte ich im Internet kennen. Sie schreibt Gedichte, manchmal politisch, manchmal poetisch, immer aber hat sie einen Standpunkt, den ihrer Klasse. Der Standpunkt wird ihr übelgenommen, man hat heutzutage keinen Standpunkt zu haben, man betrachtet das Leben mit dem Beobachterobjektiv, meinen gewisse Leute. Verständlich, denn so wird gesichert, dass die Menschen keinen Standpunkt haben, sich ruhig verhalten und im Konsens mit der Obrigkeit aufgehen. Hanna Fleiss ist Jahrgang 1941, sie hat die DDR vierzig Jahre lang erlebt, ihre Aufbruchzeit, die Stagnation und den Niedergang. Einfach war ihr Leben nicht, sie hat drei Kinder allein großgezogen, manchmal fehlte es an allen Ecken und Enden, aber der Staat, ihr Staat, ließ sie nicht allein. Jetzt, als Rentnerin, schreibt sie Gedichte, in denen sie ausdrückt, was sie fühlt, was sie denkt, was ihr auf dem Herzen brennt. Und, man ahnt es, ihr brennt eine Menge auf dem Herzen.

Wer Lust hat, kann ihre "Woerterwelt" im Internet finden. Hier der Link:



Die Schwingen des Ikarus

Was bleibt? Du fragst es dich so hin und wieder,

als dächtest du schon an die letzten Stunden.

Das Blut rinnt wie gewohnt durch deine Glieder,

doch irgendwas, es drückt dich langsam nieder.

Das Leben wuchert nicht mit seinen Pfunden.

Und kein Verweilen in dem Meer von Träumen,

dein Dasein zwingt dich, immer wachzubleiben.

Du willst den Augenblick doch nicht versäumen,

wenn endlich Früchte wachsen auf den Bäumen.

Was Welt dir heißt, willst du dir einverleiben.

Was bleibt dir noch als nur die kleinen Zeichen,

wenn alte Sehnsuchtsworte still verklingen?

Du nimmst dir vor, die Rechnung zu begleichen,

vielleicht wird dies zum Glücke dir gereichen.

Und Ikarus regt wieder seine Schwingen.

16.11.14

In solchen Zeiten

Es ist nicht meine Schuld

dass die Schönheit verlorengegangen ist

beschreibe ich in meinen Gedichten

die Welt, wie sie nicht sein sollte

ich schreibe aus unserer Sprachlosigkeit

mit der wir das Unrecht befördern, benenne

unser Stillehalten, wenn Hunger

Menschen sterben macht, wenn Schuldlose

gerichtet werden, Schuldige ruchlos Geschäfte

betreiben, als sei dies ihr Menschenrecht

Wir kaufen Schönheit zum Schleuderpreis

jenes Menschseins, das die Vorväter

sterbend ersehnten; meine Missgeburten

vegetieren ohne Echo, nicht unüblich

in solchen Zeiten

28.1.15

Der unfassbare Augenblick

Dich zu vergessen, hab ich oft versucht,

und mit den Jahren ging es leidlich gut.

Ein Traum erweckte wieder alte Glut –

ich spürte es: Du hattest mich gesucht.

So warm wie früher blicktest du mich an.

Du fühltest, dass ich schwach war ohne dich,

und legtest deinen starken Arm um mich.

Was hast du mir im Traum nur angetan?


In mir erwachte wieder die Begier,

dich zu umarmen – doch ich spürt' dich kaum.

Der Traum entfloh, ich blieb allein zurück.

Durch alle Zeiten trag ich dich in mir,

und sei's auch nur des Nachts im Traum

ein schöner unfassbarer Augenblick.

28.4.14/13.5.14



Geologie

Die Erde ein einziger Riss, der

auch mich zerreißt, der mich zu schreiben

zwingt; was wären die Verse

ohne das Blut der Rosen, ohne Liebe

wenn ich das Lippenrot mit dem Grau

des Morgens danach vergleiche

Das Maul der Straße aufgerissen

Schlund, der alles verschlingt, ohne Schuld

die Häuser, die Bäume, die Autos

und meine Sehnsucht, das Wort zu finden

das alles erklärt, worin das Wunder

der Erde bestehen müsste

18.1.15

Sprachlos

Der Sommer stand hoch

in der Hitze damals im August, ich

in der fremden Stadt, zwei Schritt

nur die Liebe entfernt

Wir hüllten uns in den Kokon

unserer Sprachlosigkeit, ich vernahm

deinen Duft von Mann, und in Gedanken

sprach ich mit dir in jener

ungreifbaren Sprache, die der

Worte nicht bedarf

22.1.15

Kopf-hoch!-Sonett

Wie man Gewohntes doch vermissen kann.

Nicht jenen Zug auf eingefahrnen Gleisen -

was du geliebt, das willst du zärtlich preisen,

es hängt noch jetzt dein warmes Herz daran.

Du leidest sehr, das dumpfe Dasein schmerzt.

Was dir das Liebste war, das ist verloren:

Einst wurdest du als freier Mensch geboren,

das wurde nunmehr gründlich ausgemerzt.

Noch trauerst du, dem Schmerze hingegeben.

Man zeiht dich Rückwärtsdenken, Nostalgie

und hat dir alle Zuversicht genommen.

Zu tief greift diese Zeit hinein ins Leben,

jetzt gilt's Entschlossenheit und Phantasie.

Was du so heiß geliebt, wird wiederkommen.

21.4.14

Gewissermaßen ein Sonett

Das schöne Wort, hör, wie es strömt und fließt.
Doch gibt es manche Verse, die nur tönen,
die schwärmend man in schwacher Stunde liest,
an sie werd ich mich sicher nie gewöhnen.

Nicht, was sich einer künstlich abgequält -

der Dichter muss aus vollem Herzen singen,

das ist es, was am Ende für mich zählt.

Dann werden Verse klar und rein erklingen.

In Versen such ich Wahrheit, Wort für Wort,
des Menschenlebens ungezähmte Fülle,

dann klingt es in mir wie ein Traumakkord,

dann bleibt das schöne Wort nicht bloße Hülle.

Das Wahre und das Echte sind die Kunst.
Und wohl nicht jedermann erweist sie Gunst.

27.4.14

In solchen Zeiten

Es ist nicht meine Schuld

dass die Schönheit verlorengegangen ist

beschreibe ich in meinen Gedichten

die Welt, wie sie nicht sein sollte

ich schreibe aus unserer Sprachlosigkeit

mit der wir das Unrecht befördern, benenne

unser Stillehalten, wenn Hunger

Menschen sterben macht, wenn Schuldlose

gerichtet werden, Schuldige ruchlos Geschäfte

betreiben, als sei dies ihr Menschenrecht

Wir kaufen Schönheit zum Schleuderpreis

jenes Menschseins, das die Vorväter

sterbend ersehnten; meine Missgeburten

vegetieren ohne Echo, nicht unüblich

in solchen Zeiten

28.1.15

Ahnen, was ist

Nichts erklären wollen

meine Verse, keine trügerischen

Hoffnungen wecken in uns

sie wollen nur sein

Die großen Worte sind es

nicht, es sind die kleinen, die

man so leicht übersieht

wie vergrautes Gras

Kann sein, ich sehe die

ziehenden Wolken und mir

kommt eine Ahnung von dem

was sein könnte

Und die große Versuchung

Wahrheit zu schreiben; manchmal

kommt sie unversehens, in

einem zufälligen Vers

9.2.15

Sonntag, 8. Februar 2015

ALEX: Nicht mit uns!


NICHT MIT UNS

Lieber Harry, viel schreibe ich nicht. Aber das auf jeden Fall: Ich wünschte, nicht nur die Merkel und ihre Regierungsriege, sondern alle diese Russen- und Kommunistenfresser müssten täglich vor der ersten Mahlzeit den Schreiber Blog lesen und zumindest darüber erst mal nachdenken. Vielleicht könnte es helfen, sich endlich zu besinnen. Vielleicht könnten sie dann auch begreifen, dass es den Russen um viel mehr geht, als um den Machterhalt Putins oder irgend eines anderen Mächtigen. Ob unter ihren verschiedenen Zaren, Stalin, Chruschtow, Breschnew, Gorbatschow und auch jetzt unter Putin, ging es den Russen immer zuerst um Mutter Heimat. Das zeigt die Geschichte. Und es ist sogar im Treptower Ehrenmal sichtbar. Da sind so viele Aussprüche Stalins auf den Stelen, aber am Beginn des Ehrenmals steht Mutter Heimat! Und jede Stele zeigt den Kampf des Volkes um die Heimat und gegen diejenigen, die das russische Volk bedrohen und angreifen. Nicht für den Herrscher. Für die Heimat. Dass der Westen das nicht begreift? Die Amis werden es scheinbar nie begreifen. Sie und ihr Territorium hat doch noch nie jemand ernsthaft angegriffen. Und die Russen schon gleich gar nicht. Aber was uns Deutsche betrifft, so muss ich leider konstatieren, scheint das auch nur wenige zu jucken und es verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass die dritte Nachkriegsgeneration auch "ihren Krieg" braucht, um zu begreifen, was Krieg und seine Folgen für sie bedeutet.
Wäre dem nicht so, dann müsste jetzt millionenfacher Protest durch alle deutschen Straßen hallen: Krieg gegen die Russen? Nicht mit uns!

Danke für Deine alle von mir gelesenen Rezis ! ALEX

Stalingrad: Überlebende warnen




by Kommunisten-Online

Offener Brief von Stalingrad-Veteranen an Bundeskanzlerin Angela Merkel


Sechs russische Überlebende der Schlacht verfaßten zum 72. Jahrestages des Sieges der Roten Armee in Stalingrad einen Offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Veteranen, alle über 90 Jahre alt, bekunden in dem Schreiben ihre Sorge angesichts der zunehmenden faschistischen und revisionistischen Tendenzen in der Ukraine. Sie bitten diesbezüglich um Stellungnahme der Bundeskanzlerin und fordern sie zu einem konsequenten Vorgehen gegen den Neonazismus auf.

Brief der Überlebenden
an Frau Angela Dorothea Merkel
von den Überlebenden der Schlacht von Stalingrad

Übersetzung von Florian Geißler, Jena

Sehr geehrte Frau Merkel,

70 Jahre nach dem Sieg über die Nazis kommen wir, die Veteranen dieses schrecklichen Krieges und Teilnehmer dieser gräßlichsten Schlacht, zu der Einsicht, dass in Europa ein Gespenst umgeht, das Gespenst der braunen Pest. Dieses Mal ist es die Ukraine, die zur Brutstätte der Nazi-Ideologie geworden ist, die Quelle einer Ideologie von Ultranationalismus, Antisemitismus und Unmenschlichkeit, in der die Ablehnung anderer Kulturen, körperliche Gewalt, die Ausschaltung Andersdenkender und Mord aufgrund von ethnischem Haß praktiziert werden.

Wir haben bekannte Bilder vor uns: Fackelumzüge, Schläger in Uniform mit Nazisymbolen, die rechte Hand zum deutschen Gruß erhoben, faschistische Prozessionen durch die Kiewer-Innenstadt mit Polizeischutz und, die Bezeichnung von Personen als Untermenschen durch hohe ukrainische Regierungsvertreter.

Wir haben dies schon einmal erlebt, und wir wissen wo es hinführt. In der Ukraine schlummert diese braune Plage schon ein Jahrzehnt und ist in einem Bürgerkrieg ausgebrochen. Nazi-artige Gruppierungen wie der Rechte Sektor (Prawy Sektor), wie die sogenannte Nationalgarde, zahlreiche inoffizielle aber gut bewaffnete Truppen wie „Azow“ vernichten mit Unterstützung der regulären ukrainischen Armee durch Luftschläge und schweres Artilleriefeuer die Bevölkerung der Ostukraine.

Sie ermorden unschuldige Menschen nur aus dem Grund, daß diese ihre eigene Sprache sprechen wollen, eine andere Vorstellung über die Zukunft ihres Landes haben und nicht unter einer Regierung leben wollen, die von Anhängern Banderas geführt wird.

Diese Banderisten sind Anhänger der sogenannten Ukrainischen Befreiungsarmee, die, und wir möchten Sie daran erinnern, Frau Merkel, zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges an der Seite der Wehrmacht kämpften, mit der Galizischen SS-Division, und sich durch die Ermordung sowjetischer Juden auszeichnete. Sie erhöhen ihre ideologischen Vorfahren durch die Umbenennung ukrainischer Straßennamen nach Kriegsverbrechern!

Vor unser aller Augen wird die Geschichte des 20. Jahrhunderts umgeschrieben. Es verwundert nicht dass diese Banderisten unserer Zeit – mit einem fanatischen Glühen, das uns Frontveteranen von Stalingrad nur zu bekannt ist – dazu aufrufen, das Donbass vom Antlitz der Erde zu fegen und Bürger ihres eigenen Landes im Osten mit Napalm zu verbrennen!

Es gibt dokumentierte Belege, daß Menschen nur aus dem Grund getötet wurden weil sie die Gardeschleife (das Symbol für den Sieg über den Faschismus) trugen.

Frau Merkel, die Wahrheit ist, daß in der Ukraine eine zügellose Orgie an Faschismus vonstatten geht. Es geht nicht um nur ein paar antisemitische Bemerkungen im Parlament oder um Zitate von Überlegenheit einer „Rasse“ über die andere. Es geht um wahrhaft blutige Verbrechen, deren Opfer Hunderte und Tausende zählen.

Aber der Westen nimmt eine sehr seltsame Haltung ein, und das verstehen wir nicht. Diese Position kann als Entgegenkommen an die ukrainischen Nazis gedeutet werden. In der Ukraine wird dies als die europäische Position verstanden und so wird sie auch langsam in Rußland verstanden. Und wir würden gerne wissen was die Menschen Deutschlands dazu sagen würden, mit ihrem vorteilhaften Blick auf ihre eigene historische Erfahrung.

Es ist wichtig für uns, Ihre Sichtweise zu verstehen, die Sichtweise der Führungskraft eines großen Volkes, das unter der braunen Pest litt und schreckliche Opfer bringen mußte, aber sich davon erholte. Wir sind uns bewußt, welchen Kampf ihr Land* gegen die Manifestation des Nazismus führt und, glauben Sie uns, wir wissen das zu schätzen. Und gerade deshalb wundern wir uns umso mehr, daß Sie bei allen Anstrengungen gegen das Aufkeimen von Nazismus in Ihrem eigenen Land, sich der Gefahr eines zügellosen Ausbruchs in einem anderen europäischen Land nicht bewußt sind.

Warum marschieren Europas Führer zur Unterstützung französischer Karikaturisten, die durch islamistische Terroristen ermordet wurden, aber warum marschieren sie nicht gegen den Faschismus in der Ukraine? Warum nimmt ein Staatsoberhaupt, das die Vernichtung eines Teils der eigenen Bevölkerung anordnet an diesem Marsch teil? Warum bekommen 12 französische Opfer Aufmerksamkeit und warum Tausende ukrainische und russische nicht?

Wissen Sie, wie viele Kinder in der Ostukraine durch Verbrecher mit Nazisymbolen an ihren Uniformen ermordet wurden? Wollen Sie es wissen? Wir werden Ihnen die Antwort geben – wenn Sie sie nicht schon haben. Warum schauen die Völker Europas regungslos der massiven Gewalt in der Ukraine zu? Kommt es einfach daher, daß Ihre Medien nicht darüber berichten? Unabhängig von den Tatsachen? Unabhängig von der Wahrheit? Was ist das wahre Ziel Ihrer Wirtschaftssanktionen? Rußland als Macht zu schwächen? Den Faschismus in der Ukraine zu unterstützen? Oder um unsere Renten, die wir als Kriegsveteranen erhalten, zu zerstören?

Sehr geehrte Frau Merkel,

die düstere Geschichte des 20. Jahrhunderts hat uns ein paar Lektionen erteilt:

Erstens: Das Umschreiben der Geschichte ist der erste Schritt zum Nazismus
Jedes europäische faschistische Regime der 20er und 30er Jahre begann so. Und auf diesem Weg befindet sich die Ukraine: Vom Umschreiben der Schulgeschichtsbücher bis zu der verbreiteten Zerstörung sowjetischer Mahnmale. Der Gipfel der Falschheit war die Äußerung des ukrainischen Premierministers Jazenjuk im deutschen Fernsehen: „Die Sowjetunion ist nach Deutschland und in die Ukraine einmarschiert!“ Wir würden gerne wissen was Sie davon halten, dem Führer eines Landes in dem die Leugnung des Holocaust eine Gefängnisstrafe nach sich zieht.


Zweitens: Die Suche nach Sündenböcken ist eine Äußerungsform von Nazismus
Faschistische Regime geben für jedes Versagen anderen Gruppen die Schuld, ethnische, soziale, religiöse. Früher waren das die Juden und die Kommunisten. In der heutigen Ukraine sind die Sündenböcke die Russen, Rußland und der Ostteil des Landes.


Drittens: Breitet sich der Nazismus in einem Land aus, so kann er sich über die ganze Welt verbreiten. Man kann nicht in einem Land Nazismus gutheißen und glauben, daß er innerhalb desjenigen Landes bleibt. Die Naziwelle verbreitet sich überall, über Landesgrenzen. Darum wird es auch „die braune Pest“ genannt. Der Nazismus muß bereits von fern bekämpft werden, nicht erst wenn er vor der Haustür steht.

Viertens: Nazismus darf nicht ignoriert werden; ihm muß Widerstand geleistet werden. Sollte jemand der Meinung sein man könne den ukrainischen Faschismus ignorieren oder einfach nicht beachten, so irrt er sich gewaltig. Es liegt in der Natur des Nazismus, daß er Nichtbeachtung als Ermutigung versteht, ja sogar als Anerkennung seiner Stärke. Nazismus ist nie nur an einem Ort; die Wurzeln wandern und er wächst. Daher ist die einzige Methode gegen ihn ein aktiver, bitterer Kampf.

Fünftens: Die wichtigste Waffe im Kampf gegen Nazismus in seiner Frühphase ist die Wahrheit.

Kurz gesagt: Wahrheit schlägt Nazismus. Indem man das unmenschliche Wesen des Nazismus zur Schau stellt, das unmenschliche Wesen seiner Ideologie, das Verhalten seiner Anhänger, der Taten dieser Personen, damit bekämpfen wir die Ausformung des Nazismus. Historische Wahrheit ist der beste Schutz gegen Nazismus. Würde die eigene Regierung die Geschichte des Landes und seiner Menschen nicht vor der Jugend verbergen dann gäbe es in der Ukraine weniger Nazi-Anhänger. Die gegenwärtigen Massenmedien spielen dabei eine große Rolle: sie können zum Nazismus beitragen oder ihn bekämpfen!

Sehr geehrte Frau Merkel!

Wir haben in Rußland als Nachfolgestaat der Sowjetunion einen besonderen und historischen Auftrag. Vor 70 Jahren beendeten wir auf Kosten von Millionen von Kriegsopfern den Nazismus in Europa. Wir persönlich, alle Stalingrader, haben mit übermenschlichen Kräften nicht nur unsere Geschichte verändert, sondern die europäische, ja die Weltgeschichte. Und wir können das Wiederaufleben des Nazismus nicht zulassen. Ganz bestimmt nicht in unserer Nachbarschaft! Wir haben dagegen gekämpft; wir werden dagegen kämpfen; wir laden Sie ein mit uns zu kämpfen!

In einem sehr bekannten und beliebten Film hier bei uns sagt der Hauptdarsteller, das Urbild eines faschistischen Chefs: „Sobald sie uns irgendwo nicht mehr mit ‘Hallo’ sondern mit ‘Heil!’ begrüßen wissen wir: Dort werden sie auf uns warten, und dort werden wir unsere große Erneuerung beginnen.“

Frau Merkel,

überall in der Ukraine hört man das „Heil!“, offen, mit offizieller Unterstützung. Es wird für ganz Europa Zeit diesen Fluch zu bannen. Wir hoffen sehr daß das deutsche Volk und ganz Europa zusammen mit Rußland diese Giftwurzel ausreißt, mit Stumpf und Stiel.

* hier ist offenbar die DDR gemeint!

Donnerstag, 5. Februar 2015

Hannas Kommentar (68er)


Hanna´s Meinung zur Rezi 68er


Hallo Harry, ich habe ja einige „Achtundsechziger“ kennengelernt. Wenn du mich fragst: Sie begannen als junge Wilde und endeten als praktische Bettvorleger mit Werkvertrag. Das Problem, das sprichst du in deiner Rezension nicht an, scheint mir der permanente Antikommunismus gewesen zu sein, dem alle Beteiligten zustimmten. Kunststück, der Antikommunismus war die Welt, in der sie großgeworden waren. Marx kannten sie nur in der Entstellung, ihr größter Feind war nicht etwa der US-Imperialismus, sondern der andere deutsche Staat, die DDR. Von dem sie übrigens „alles wussten“, nämlich das, was ihnen ihre korrupten, obrigkeitshörigen Medien weismachten. Das hat sich bis heute übrigens nicht geändert, selbst die, die sich als „links“ verstehen, stimmen in den antikommunistischen Chor ein. Da wird der rote Faden fortgesponnen, zähl mal im Internet die Vergleiche mit DDR-Medien, wenn sie die (west)deutsche Medienberichterstattung zur Ukraine kritisieren. Noch immer haben sie nicht begriffen, dass es darauf ankommt, wer wen unterdrückt. Im Falle des Westens das Kapital, das sie selbst unterdrückte, dass Diktatur nicht per se eine schlechte Sache sein kann, wenn die 99 Prozent das eine Prozent unterdrücken, das sie unterdrückt.

Der Verweis darauf, dass die DKP (die schon damals revisionistische Züge aufwies, schließlich war sie von Gnaden des Verfassungsschutzes geschaffen worden, sollte man nicht vergessen, auch wenn es dort noch so einige Aufrechte gibt) Gruppen der Achtundsechziger unterstützten, hätte vielleicht besser recherchiert werden müssen. Aber die 600 Seiten zu rezensieren, das muss eine Heidenarbeit gewesen sein, da kann schon mal was durchgehen, Hut ab trotzdem, Harry.

Gruß, Hanna


Antwort Harry:

Danke für Deine Meinung, der ich absolut zustimme. Das ist nun einmal die herrschende Ideologie, der Antikommunismus. Nur, dies wollte ich in dieser Rezension nicht zum Mittelpunkt machen. Es kam vielmehr darauf an, Abzuleitendes für die Gegenwart festzuhalten. Wie sich die Akteure selbst ausgebremst haben mitunter, habe ich ja geschrieben. Was den Umfang von über 600 Seiten betrifft: Das war schwierig, ist aber nicht das Problem gewesen, sondern die über hundert Augenzeugenberichte, die nicht immer ihre persönlichen Erfahrungen tiefgründig auf Gesellschaftliches bezogen haben bzw. von denen ihr Persönliches ableiteten. Da mußte ich die politische Relevanz herausfiltern und stark verallgemeinern. Das war verdammt mühselig. Ansonsten werde ich den Gedanken zur antikommunistischen Ideologie, die ja, wie Du auch schreibst, selbst fortschrittliche Leute in die gedankliche Zange genommen hat und immer noch nimmt, in die Rezi noch nachträglich hineinnehmen.

Gruß Harry

Mittwoch, 4. Februar 2015

Die 68er - und heute?


„Die Stadt, das Land, die Welt verändern!“ – Ein Buch über die Kölner ''''''''68er


Aufbruch vor dem Umbruch

Buchtipp von Harry Popow


Man bezeichnet die Revolte von 1968 als Bruch in der jungen Geschichte der BRD. Da hatte sich Widerstand gegen Staat und Gesellschaft - vorwiegend in lokalen Bereichen - durchgesetzt. Da wurden Erfahrungen gesammelt in linksradikalen, sozialistischen, sozialdemokratischen, kommunistischen, anarchistischen, trotzkistischen, autonomen, grünen und alternativen Kontexten. Was bleibt davon nutzbar für die heutige Zeit im Jahre 2015?

 

Leben wir denn nicht nach wie vor in Umbruchzeiten? Widerrechtliche Osterweiterung der NATO? Antikriegsproteste? Pegida und Gegenwehr? Politische Demonstrationen, Racheakte und Schüsse? Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich? Politverdrossenheit? Und keiner der Oberen steht für eine gründliche Ursachenforschung! Es ist so: Wir leben in einer Zeit zunehmender Konflikte und Zusammenstöße. Lebensgefährlich mitunter. Rechte Strömungen und Fremdenfeindlichkeit im Vormarsch? Zu Recht fragt Andreas Peglau im online-„Blättchen“ vom 5. Januar, ob sich seit oder trotz der 68er Bewegung nichts geändert habe. Nach wie vor ordne sich der gesamte BRD-Staatsapparat autoritär „unter Konzerne und Banken sowie unter das imperiale Streben der USA“.

 Ohne Wenn und Aber: Heutzutage weht wieder ein scharfer Wind zwischen den unterschiedlichen weltweiten Interessengruppen. Bleibt also zu fragen: Welches Fazit lässt sich aus dem Damals für die heutige Klassenauseinandersetzung ziehen? Geben uns die Revoltierenden Handhabbares in die Hand? Oder sind deren Erfahrungen und Erkenntnisse für die Katz? Auf diese Fragen hält das über 627seitige Buch der Herausgeber Rainer Schmidt, Anna Schulz und Pui von Schwind mit dem Titel „Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal. autonom“ für politisch und geschichtlich interessierte Leser Nachdenkenswertes bereit. „Höchste Zeit für dieses Resümee!“ meint Günter Wallraff in seinem Grußwort für dieses Buch.

 Zunächst: Hut ab vor jeglichen in Westdeutschland erfolgten tatkräftigen Schritten, das System umzustülpen, lokal als auch insgesamt. Das Buch gliedert sich in zwanzig Kapitel zu solchen übergeordneten Themen wie Außerparlamentarische Opposition, Basisgruppen an den Unis, Globalisierungskritik, Medienkritik, Bildung und Erziehung, Friedens- und Antikriegsbewegung, Ökologie-Bewegung, Antifaschismus und Antirassismus, um nur einige zu nennen. Diesen Schwerpunkten sind 125 Augenzeugenberichte zugeordnet. Es seien subjektive Darstellungen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Schlussfolgerungen, so die Herausgeber. Es gelte, aus dieser Vielfalt von Erzähltem aus dem Alltag und dem politischen Widerstand gegen Politik, Staat und Gesellschaft Brauchbares für die Gegenwart herauszufiltern,

 Mit Hochachtung liest man, mit wie viel Mühe und Ehrlichkeit die einstigen Akteure und Mitmacher ihre Erlebnisse und Erfahrungen den heutigen Lesern vermitteln. Facettenreich berichten sie über die organisatorischen und inhaltlichen Klimmzüge – ob in Universitäten oder in der eigenen Stadt oder im Betrieb – gegen autoritäre Strukturen und gegen politische und wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Manchmal erfolgreich, oft genug aber auch ausgebremst, Niederlagen einsteckend.

In erster Instanz sind es die äußeren politischen und gesellschaftlichen Anlässe, die die Akteure in den Sozialen Bewegungen und Initiativen hellhörig werden lassen und politisieren. So der Vietnamkrieg, der Putsch in Chile, die Konflikte zwischen Israel und Palästina, die Notstandsgesetze, die Apartheid sowie unter anderem der NATO-Doppelbeschluß. Aber auch die Widersprüche zwischen Arm und Reich, die Berufsverbote, die vielfache Unterdrückung der Frauen, der Kampf gegen Miethaie und u.a. gegen die Hochschulmisere.

 Vor dem Hintergrund der Systemauseinandersetzung zwischen imperialistischem und sozialistischem Lager und der ideologischen Antikommunismus-Knebelung (vor und nach 1989) geht es den Widerständlern inhaltlich vor allem um die Überwindung des kapitalistischen Systems, wobei sich zahlreiche fortschrittliche Intellektuelle aus der Jugend- und Studentenbewegung sowohl am Marxismus orientierten als auch am Beispiel des Aufbaus des Sozialismus im sozialistischen Lager. Als stabile Partei mit klaren inhaltlichen Vorgaben, so die Autoren, erwies sich dabei die DKP. Streitpunkte gab es in den einzelnen Initiativen, Bündnissen und Gemeinschaften nicht selten mit illusorischen Ansichten, als stünde zum Beispiel mit den Befreiungsbewegungen in den verschiedenen Ländern bereits die Weltrevolution vor der Tür. Streit gab es in der politischen Haltung zur NATO, zum Problem des staatsmonopolistischen Kapitalismus und zu neuen Widersprüchen im Umgang mit der Umwelt, zur Ökologie und zur Natur.

Angestoßen und abgestoßen von den Unwägbarkeiten in dieser angeblichen bundesrepublikanischen demokratischen Republik entstanden unzählige Formen der Gegenwehr. So die Ostermärsche, Demonstrationen, Flugblattaktionen, Nachtgebete, Diskussionsrunden, Kasernenbelagerungen, Kontokündigungskampagnen, Regelanfragen beim Verfassungsschutz, Herstellung von Broschüren, Kriegsdienstverweigerungen, Raumbesetzungen, Lesben- und Schwulenbewegungen, Umweltbewegungen und viele andere mehr. Sie seien stets die Wiege für weitere soziale Bewegungen gewesen. So lesen wir auf Seite 488: „Die Ökologiebewegung, der Anti-AKW-Widerstand sind eine originäre Entwicklung der 70er/80er Jahre. Und im Falle des Atomausstiegs ein Beispiel dafür, wie ein Protest der Minderheit zur gesellschaftlichen Mehrheitsposition werden kann.“

So erfolgreich auch lokale Initiativen – auch mit Langzeitwirkung – sein können, es bleibt stets der Grundwiderspruch zwischen dem kapitalistischen Staat, seinen Medien und dem Volk. In nahezu allen Augenzeugenberichten wird deutlich, dass lokale Kampferfolge notwendig und richtig sind und viele Mitstreiter motivieren können, aber sie ändern kaum etwas an der Diktatur des Geldes und der Gesetzgebung des kapitalistischen Staates. Wenn sogenannte Sicherheitsinteressen berührt werden, dann wird die Opposition mundtot gemacht oder gar kriminalisiert. Staat und Beamte „handeln immer rechtens“, so formulieren es die Herausgeber auf Seite 75. Einzelkämpfer mit Einzelaktionen jucken die Herrschaften keineswegs.

 Soziale Proteste zerschellen leider nicht nur an der hartnäckigen Gegenwehr durch die Obrigkeit, sondern nicht selten an den zersplitterten Meinungen innerhalb der Gruppen, Bündnisse und Parteien. So drohte der SPD-Vorstand den Jungsozialisten (S. 137 ff.) mit Rauswurf aus der Partei, wenn sie sich weiter im „Komitee für Frieden und Abrüstung“ beteiligten. Auffallend das Einknicken von Akteuren durch mangelnde Erfolge oder durch grobe Uneinigkeit in inhaltlichen Fragen, besonders wenn es um das eindeutige Bekenntnis zum Sozialismus geht. Manche Gruppierungen hätten auch zu wenig „Biss“ gehabt oder forderten Utopien, indem sie Einheitslöhne für alle oder gar die Vier-Tage-Woche forderten. Oft liest man ähnliche Sätze wie diesen auf Seite 139: „Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand zu keinem Zeitpunkt statt“. Einigkeit kam auch dort nicht auf, wo der Glaube vorherrschte, man könne zum Beispiel durch eine veränderte Erziehung die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern. Wer viel erlebt, muss noch lange nicht zu richtigen Erkenntnissen kommen, das offenbart sich in zahlreichen Beiträgen der Autoren. Dazu die Herausgeber auf Seite 286: „Aus der Negation des Selbsterlebten ergab sich jedoch noch keine positive Alternative“. So ist es nicht verwunderlich, dass man selbst bei gemeinsamen Friedenswochen zwar Dispute führte, aber ansonsten gehe „man getrennte Wege.“ Uneinigkeit zeigten Bürgerrechtler und Linke auch bei der Einschätzung der Lage nach 1989, als vor einer Bedrohung durch das größere Deutschland gewarnt wurde.

 Was bleibt von der 68er-Aufbruch-Bewegung? Stricken und beten? Nur Impulse geben und Zeichen setzen? (S. 44/550) Sich beugen oder aufrecht bleiben? Dem Kapital verfügbar bleiben, sich anpassen und lediglich die Faust in der Tasche ballen? Unbestritten: Nach der Toröffnung nach Osten hat das deutsche Kapital als Vasall der USA Morgenluft gewittert und dehnt sich aus. Was tun? Man muss den 68ern zustimmen, wenn sie die profitorientierte Verkommenheit „von Staat und Gesellschaft der BRD (oder kurz des `Schweinesystems´)“ anprangern. (S. 188)

 Die Augenzeugenberichte bieten Stoff für eine gründliche wissenschaftliche Analyse, auf der eine ebenso verallgemeinerungswürdige Synthese aufbauen sollte. Dann werden auch die zahlreichen systemkritischen Initiativen der 68er – mit Erfolgen, Teilerfolgen und Niederlagen – für die heutigen Verhältnisse deutlicher abzuleiten sein. Sie haben mit die Basis gelegt für eine mehr oder weniger stets anschwellende Friedensbewegung, gegen NATO-Osterweiterung und Krieg. In der Spur der 68er zu bleiben, gebietet, „...dass Millionen auf die Straße gingen, alle, die intellektuell oder intuitiv begriffen haben, worum es geht: Um die Bewahrung des akut gefährdeten Friedens.“ So der Autor des Buches mit dem Titel „Die Eroberung Europas durch die USA“ (Siehe Beitrag „Nein zu Krieg und Konfrontation“ von Wolfgang Bittner in der Neuen Rheinischen Zeitung vom 28.01.2015.) Der Umbruch steht also noch aus.

 
Wolfgang Bittner ist Jurist und Schriftsteller. Eine Erstveröffentlichung dieses Artikels gab es vergangene Woche bei www.hintergrund.de. Kürzlich erschien sein Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“. Eine Rezension finden Sie in der NRhZ unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21117 (PK)

 
Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal, autonom“, Herausgeber: Reiner Schmidt, Anne Schulz und Pui von Schwind, Taschenbuch: 627 Seiten, Verlag: KiWi-Köln (4. Dezember 2014) Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3462038400, ISBN-13: 978-3462038408, Preis: 29,99 Euro

 
Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung