Das Geheimrezept für den
Erfolg des chinesischen Kommunismus (Teil 1)
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 1. JULI 2021
von
Dennis Simon – https://de.rt.com
Die Kommunistische Partei
Chinas feiert am Donnerstag ihren 100. Geburtstag. Viele westliche
Beobachter dachten nach dem Ende der UdSSR, dass China einen
ähnlichen Weg wie die Sowjetunion gehen würde – ein großer
Fehler. China eilt heute von einem Erfolg zum nächsten. Wie ist der
Erfolg der KP zu erklären?
Am 1. Juli feiert die
Kommunistische Partei Chinas ihren 100. Jahrestag. Anfang der 1990er
Jahre gab es viele Beobachter im Westen, die gedacht und gewünscht
haben, dass die Partei dieses Jubiläum nicht erleben würde. Die
regierenden kommunistischen Parteien in Osteuropa waren entweder
zusammengebrochen oder verwandelten sich in sozialdemokratische
Parteien. Auch einige ehemals starke kommunistische Parteien im
Westen konnten sich dem Sog nicht entziehen, so etwa in Italien. Die
Geschichte schien sich eindeutig gegen den Kommunismus gestellt zu
haben. Manche westliche Denker stellten die These auf, dass nun ein
neues goldenes Zeitalter für den Liberalismus und die westliche
Demokratie beginne und dass in diesem Sinne die Geschichte ein Ende
erreicht habe.
Wiederholte Prognosen von „China-Experten“,
dass die KP Chinas schwach und unbeliebt sei und daher Chinas
Regierungssystem kollabieren werde, bewahrheiteten sich jedoch nicht.
Dennoch übertragen westliche Beobachter viele negative Klischees und
Vorurteile, die sich um die Sowjetunion und die anderen
osteuropäischen sozialistischen Staaten gebildet hatten, einfach auf
China, ohne sich genau mit den Details zu befassen.
Inzwischen
zeigen jedoch westliche Studien, dass Chinas Regierungspartei fest im
Sattel sitzt und eine sehr große Unterstützung seitens der
Bevölkerung genießt. Ein Institut der US-amerikanischen Harvard
Universität führte zwischen 2003 und 2016 mit jährlich tausenden
Chinesen Umfragen zu ihrer Zufriedenheit mit den staatlichen
Strukturen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene durch. Im
letzten Jahr antworteten 95,5 Prozent der Teilnehmer, dass sie
„relativ zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ mit der Politik der
chinesischen Zentralregierung seien. Berichte von Reisenden aus
China, die sich vorurteilsfrei mit normalen Chinesen unterhalten,
ergeben ein ähnliches Bild: Die meisten haben angesichts der
stetigen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den letzten vier
Jahrzehnten großes Vertrauen in die Partei.
Wie ist dieser
Erfolg der Kommunistischen Partei Chinas, der scheinbar den
bisherigen Erfahrungen des traditionellen osteuropäischen
Sozialismus widerspricht, zu erklären? Offenkundig haben die
chinesischen Kommunisten einen Arbeitsstil und eine theoretische
Perspektive entwickelt, die es ihnen erlaubten, die Fehler und
Versäumnisse anderer sozialistischer Staaten zu vermeiden. Um das zu
verstehen, muss man sich mit der Geschichte der KP Chinas
befassen.
Im ersten Teil des Beitrages geht es um die bitteren
Erfahrungen der chinesischen Kommunisten mit der Bevormundung durch
die Zentrale der kommunistischen Weltbewegung in China in den 1920er
und 1930er Jahre. Um die KP Chinas zu verstehen, ist es unerlässlich,
sich mit diesen historischen Wurzeln zu befassen, denn die
grundlegenden Elemente für den erfolgreichen Kurs der Partei wurden
in diesem Zeitraum erarbeitet.
Im zweiten Teil des Beitrages
sollen die Strategien der KP Chinas nach der Machtergreifung
betrachtet werden. Basierend auf dem innovativen und flexiblen Umgang
mit dem Marxismus, den sich Chinas Kommunisten angeeignet hatten,
gelang es der KP, mit dem Konzept der „Neuen Demokratie“ einen
eigenen chinesischen Pfad zum Sozialismus zu entwickeln und, nachdem
in den 1970er Jahren die Probleme der Planwirtschaft sowjetischen
Stils immer offenkundiger wurden, mutige wirtschaftliche Reformen
vorzunehmen.
Als in China die Kommunistische Partei gegründet
wurde, war die internationale kommunistische Bewegung straff
organisiert. Es gab ein Zentrum in Moskau, dass gegenüber den
einzelnen Sektionen der Kommunistischen Internationale (Komintern)
weisungsbefugt war. Diese Organisationsform entsprach der damaligen
Erwartung einer baldigen Weltrevolution. Angesichts der
Oktoberrevolution sowie weiterer Revolutionsversuche in Deutschland,
Österreich, Ungarn sowie weiteren Staaten war das keine
unrealistische Perspektive, auch wenn wir heute wissen, dass dieses
Szenario letztendlich nicht eingetreten ist.
Die
Kommunistische Partei Chinas, die bei ihrer Gründung nur einige
Dutzend Mitglieder hatte, wuchs aufgrund der gewaltigen sozialen und
politischen Widersprüche im Land sehr schnell. Einerseits befand
sich das Land auf dem Serviertablett für die kolonialen Interessen
diverser imperialistischer Staaten. Es gab keine starke
Zentralregierung, sondern in verschiedenen Regionen herrschten
verschiedene Warlords, die auf dem Rücken der armen Landbevölkerung
Privatarmeen und einen Anhang von korrupten Beamten und Lakaien
unterhielten. Dieser Umstand empörte patriotisch gesinnte Chinesen.
Zudem war die Situation für die meisten Bauern und armen
Stadtbewohner unerträglich. Reiche Großgrundbesitzer führten ein
komfortables Leben, während die Lebensverhältnisse der meisten
Chinesen auf einem erbärmlichen, vormodernen Niveau waren,
vergleichbar mit oder möglicherweise noch schlechter als jenes ihrer
Vorfahren von vor 200-300 Jahren.
Neben den Kommunisten gab es
noch eine weitere chinesische Partei, die angab, gegen diese
doppelte, innen- wie außenpolitische Schande anzukämpfen: Die
Nationalisten der Kuomintang. Die Komintern orientierte die
chinesische Sektion darauf, der größeren Kuomintang beizutreten und
in dieser zu arbeiten, um ihre Ziele zu verwirklichen. Sowjetische
Berater spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau der Kuomintang.
Nachdem im Jahr 1925 jedoch der sowjetfreundliche Gründer der
Kuomintang, Sun Yat-sen, starb und an seine Stelle der rechte
Militärmachthaber Chiang Kai-shek trat, wurde die Situation für die
Kommunisten immer schwieriger.
Die KP Chinas verfolgte damals
eine Strategie, die auf die Eroberung der Macht zuerst in den Städten
abzielte. Angesichts des Vormarschs der Kuomintang organisierten die
Kommunisten im März 1927 einen erfolgreichen Aufstand in Shanghai
gegen den lokalen Warlord. Dieser Aufstand erschreckte die rechten
Kräfte in der Kuomintang sowie die westlichen Staaten. Die
Kommunisten organisierten Proteste gegen die kolonialen Enklaven der
westlichen Staaten in Shanghai.
Im April verriet Chiang seine
kommunistischen Verbündeten und veranstaltete ein Massaker in der
Stadt und in den anderen Gebieten, die die Kuomintang kontrollierte,
bei dem Tausende Kommunisten ermordet wurden. In dieser Zeit verlor
die Kommunistische Partei etwa 15.000 ihrer 25.000 Mitglieder. Es
folgte ein Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang, die ab 1928 fast das
gesamte chinesische Staatsgebiet kontrollierte, und der
Kommunistischen Partei, der bis zum Angriff Japans im Jahr 1936
wütete.
Das Scheitern dieser Einheitsfront mit der Kuomintang
und der anschließende Verlust von Tausenden Genossen wirkte tief auf
die chinesischen Kommunisten. Sie mussten erkennen, dass die
Komintern-Führung nicht unbedingt immer den besten Einblick in die
konkrete Lage der verschiedenen Länder hatte. Eine Gruppe von
Marxisten um Mao Zedong begann, basierend auf den Realitäten Chinas,
den Marxismus zu „sinisieren“. Es dauerte jedoch noch einige
Jahre, bis sich diese Linie in der Partei gegenüber anderen
Strömungen, die für eine einfache Übernahme des sowjetischen
Marxismus standen, durchsetzen konnte.
Zwar musste nach dem
Debakel in Shanghai der damalige Vorsitzende der Partei zurücktreten,
aber es kam nicht zu einer grundlegenden Änderung der Strategie.
Während sich die Parteiführung auf die Städte konzentrierte,
organisierten andere Kommunisten die Bauernschaft. Es gelang ihnen,
die Bauernschaft zum Aufstand zu bringen und eine Reihe von
„Sowjetgebieten“ zu organisieren. Mao Zedong leitete in der
Provinz Jiangxi das größte Sowjetgebiet. Dem späteren chinesischen
Parteichef gelang es Anfang der 1930er Jahre, drei
Einkreisungsversuche der Kuomintang abzuwehren und erfolgreiche
Gegenkampagnen zu starten, obwohl seine kommunistische Milizen
gegenüber den Kuomintang-Truppen bis zu eins zu zehn in der
Unterzahl waren.
Obwohl sie anfangs Maos Kurs und dessen
eigenständige Aktionen kritisierte, zog das Zentralkomitee der KP
Chinas in sein Gebiet, da sie es als sicheres Gebiet betrachtete.
Dadurch wurde allerdings Maos Einfluss verringert. Nach Maos dritter
erfolgreichen Abwehrkampagne gegen die Angriffe der nationalistischen
Truppen wurde er paradoxerweise auf einer Parteikonferenz im Oktober
1932 sogar von den meisten seiner Führungsposten enthoben. Das
wirkte sich negativ auf die Leitung der kommunistischen Truppen aus.
Während es der KP noch gelang, den vierten Einkreisungsversuch
abzuwehren, musste die Partei beim fünften Angriff der Kuomintang
auf Jiangxi ihre Stellungen räumen.
Der entscheidende Faktor
für die Niederlage der Kommunisten war, dass die Parteiführung, die
überwiegend aus jungen Intellektuellen bestand, die in der
Sowjetunion ausgebildet worden waren, und der von der Komintern
entsandte Militärberater, der Deutsche Otto Braun, Maos erfolgreiche
Guerillataktiken verwarfen und stattdessen auf konventionellere
Militärtaktiken setzten, die die sowjetische Rote Armee im
russischen Bürgerkrieg angewandt hatte.
Zudem hatte Mao die
Widersprüche zwischen Chiang Kai-shek und den anderen
nationalistischen Generälen erfolgreich ausgenutzt, was zu einer
Reduzierung der Mobilisierungsfähigkeit auf der Seite der
Nationalisten führte. Die Führung der KP hingegen betrachtete alle
Kuomintang-Kräfte gleichermaßen als Feinde, was die Anzahl der
Truppen erhöhte, die Chiang Kai-shek für seine Kampagne gegen das
Sowjetgebiet in Jiangxi zur Verfügung hatte.
Die fünfte
Kuomintang-Kampagne endete mit einem Desaster für die Kommunisten.
Zehntausende ihrer besten Kämpfer starben. Die Partei musste das
Sowjetgebiet aufgeben und sich zurückziehen. Dieser Rückzug
markiert den Start des „Langen Marsches“. Einige Monate nach
Rückzugsbeginn fand die Konferenz von Zunyi statt. Die
Kommunistische Partei analysierte hier die vergangenen Kämpfe und
versuchte, die Gründe für den Misserfolg zu benennen.
Die
dogmatischen Kräfte, die auf eine Kopie des sowjetischen Modells
pochten, wurden abgelöst. Mao wurde wieder in die Parteiführung
geholt. Er und seine Weggefährten setzten eine politische und
militärische Strategie um, die trotz der hohen Verluste beim Langen
Marsch die Partei stabilisierte und ihr ermöglichte, im Laufe der
Jahre die entscheidende Landbevölkerung zunehmend für sich zu
gewinnen. Im zweiten chinesischen Bürgerkrieg von 1945 bis 1949 –
nach dem Intermezzo des japanischen Angriffs auf China, der Chiang
Kai-shek zu einem Zweckbündnis mit den Kommunisten zwang – gelang
es Mao Zedong schließlich, den verhassten Feind, Chiang Kai-shek, zu
besiegen und ein „Neues China“ zu gründen, das die doppelte
Schmach der ausländischen imperialistischen Unterdrückung und der
sozialen Rückständigkeit beenden sollte.
Die Realität hatte
gezeigt, dass der Pfad der Dogmatiker, die eine Theateraufführung
der Oktoberrevolution mit chinesischen Untertiteln anstrebten, nicht
zum Erfolg führen würde. Die Kommunistische Partei Chinas bewies
die Fähigkeit, flexibel zu sein, ohne ihre ursprüngliche Mission
aus den Augen zu verlieren, sowie Fehler aufzudecken, aus ihnen zu
lernen und ihren Kurs zu korrigieren.
Zudem erkämpfte sie
ihre politische wie theoretische Unabhängigkeit gegen äußere
Einflüsse, insbesondere gegen den sowjetischen Hegemonismus. Ab 1935
agierte die Kommunistische Partei Chinas zunehmend praktisch
unabhängig von der Komintern. Diese Fähigkeiten erlaubten es den
chinesischen Kommunisten später, weitere bedeutende
Herausforderungen zu meistern – etwa der Bruch mit der Sowjetunion
sowie die zunehmenden Probleme mit der Planwirtschaft sowjetischen
Stils in den 70er Jahren – und über die letzten vierzig Jahre
Hunderte von Millionen Chinesen aus der Armut zu
befreien.
https://de.rt.com/meinung/120057-geheimrezept-fur-erfolg-chinesischen-kommunismus/
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