Dienstag, 12. April 2016

Ein Klassenkämpfer ist tod


Dialektik der Klassenkämpfe

Zum Tod von Klaus Steiniger

Von Arnold Schölzel und Patrik Köbele
Einer, der nicht aufgab: Klaus Steiniger (28.12.1932–9.4.2016) erlebte die Nelkenrevolution in Portugal – und ihr Scheitern. Er baute seine Heimat, die DDR, mit auf und konnte ihren Untergang nicht verhindern. Für sein Ziel, die sozialistische Gesellschaft, ging er zur DKP und gründete den Rotfuchs (Foto: 2015)
Foto: privat
Am vergangenen Sonnabend starb Klaus Steiniger im Alter von 83 Jahren (jW berichtete). Der am 28. Dezember 1932 Geborene arbeitete nach seinem Jura-Studium an der Humboldt-Universität in Berlin, Hauptstadt der DDR, ab 1956 als Staatsanwalt im Kreis Güstrow. Dort stand er von 1961 bis 1963 der Gemeinde Vietgest als Bürgermeister vor. Nach einem Zwischenspiel im Jahr 1963 als Redakteur bei der täglichen Nachrichtensendung »Aktuelle Kamera« war Steiniger von 1964 bis 1967 Mitarbeiter im Außenministerium. Danach – bis 1992 – wurde er der DDR-Bevölkerung bekannt durch seine Reportagen aus aller Welt, die er für das Neue Deutschland schrieb. Er berichtete 1972 über den skandalösen Prozess gegen die afroamerikanische Kommunistin Angela Davis und war 1974 bald nach den ersten Tagen der Nelkenrevolution in Portugal.
Wie es nach der Übernahme der DDR durch die BRD-Regierung 1990 mit Klaus Steiniger weiterging, dazu schreiben in ihren Nachrufen Arnold Schölzel, Chefredakteur der jungen Welt und Vorsitzender des Rotfuchs-Fördervereins, sowie Patrik Köbele, Chef der DKP. Am Ende bringen wir zwei Auszüge aus Texten von Steiniger selbst – einer geschrieben während seines Aufenthalts in den USA anlässlich des Prozesses gegen Angela Davis und der zweite im Rahmen seiner Berichterstattung über die Nelkenrevolution in Portugal. Die jW-Redaktion drückt seiner Frau Bruni Steiniger und der ganzen Familie ihr tiefempfundenes Beileid aus. (jW)
Ob jemand, der sich als Kommunist oder Sozialist bezeichnet, auch ein Internationalist ist, war für Klaus Steiniger eine entscheidende, wenn nicht die wichtigste Frage. Manchmal hing sein Urteil über ganze Parteien davon ab. Denn er selbst war mit allen Fasern Internationalist. Das wiederum klingt so abstrakt, dass es ihm nicht gerecht wird, dazu war das damit Gemeinte bei ihm zu lebendig und lebhaft. Er konnte sich fließend und stets mit Charme in mehreren Sprachen verständigen, war selbst ein Haus voller Anekdoten aus allen Ecken der Welt und ein scharfer Beobachter auch geringfügiger Vorgänge in Ländern und Parteien, die ihm wichtig waren. Für mich war er eine wandelnde Enzyklopädie vergangener Klassenkämpfe, die er oft an vorderster Stelle erlebt hatte, und der heutigen, über die er als Gesprächspartner vieler Genossinnen und Genossen von allen Kontinenten stets ausgezeichnet informiert war.
Der Sohn des großen Völkerrechtlers Peter Alfons Steiniger, der Jurist, der DDR-Diplomat, Auslandskorrespondent, Gründer und Chefredakteur des Rotfuchs war fest in der deutschen Arbeiterbewegung, im Antifaschismus und folgerichtig in der DDR verwurzelt. Zugleich hatte er vielleicht gerade deswegen einen klaren Blick auf die Welt. Gründung und Existenz des ostdeutschen Staates waren internationalistisch. Wer sich für ihn engagierte, war dies unvermeidlich auch. Klaus stand mit dem Militärattaché der sowjetischen Botschaft in Tokio am Grab des sowjetischen Aufklärers Richard Sorge, mit dem er selbst in Weltläufigkeit, Überzeugungstreue und journalistischer Fähigkeit am ehesten verglichen werden kann, und traf in Peking Zhou Enlai. Er saß als Berichterstatter für das Neue Deutschland und als Genosse der angeklagten Angela Davis im Gerichtssaal des kalifornischen San José, aus dem sie nach dem Willen von Gouverneur Ronald Reagan in die Gaskammer gebracht werden sollte. Die FDJ-Aktion, eine Mil­lion selbstgemalter Rosen an Angela Davis zu schicken, wäre ohne ihn undenkbar gewesen. US-Richter Richard E. Arnason erklärte damals, dass die enorme Zahl der Karten und Briefe ihn nicht unbeeindruckt gelassen habe. Vor einem Jahr schloss Klaus sich in einem Beitrag für jW der Kampagne zur Freilassung von Mumia Abu-Jamal an und wies darauf hin, dass es »unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen« als damals, nämlich ohne das sozialistische Weltsystem im Rücken, der internationalen Solidarität bereits gelungen sei, »Mumia vor dem Henker zu retten«. Jetzt gehe es darum, den Schwerkranken seinen Peinigern zu entreißen.
Vor allem aber Portugal, die Nelkenrevolu­tion von 1974. Es gab kein längeres Gespräch mit Klaus, in dem er nicht begeistert die klugen, besonnenen, hochgebildeten Leninisten an der Spitze der kommunistischen Partei, aber auch außerhalb von ihr, den revolutionären Elan der Arbeiter in der Industrie der Städte wie in der Landwirtschaft des Alentejo schilderte. Es gab kein Gespräch, in dem er nicht ebenso bedacht die Ursachen des Sieges der Konter­revolution und die Rückzugstaktik der kommunistischen Revolutionäre, die ein Blutvergießen verhinderten, erwähnte. Er kannte sie nicht nur, sie waren wohl seine engsten Freunde. Es schmerzte ihn, dass der Schatz an Erfahrungen und Kenntnissen, den sie angelegt hatten, von vielen seiner hiesigen Kampfgefährten nicht angemessen beachtet wurde. Noch in seinem Leitartikel für die Aprilausgabe des Rotfuchs kam er darauf zurück, dass »die SED der letzten Jahre« die Dialektik von Vormarsch und Rückzug nicht mehr beherrschte: »Hier hätte sie lange vor 1989 bei dem Portugiesen Álvaro Cunhal in die Schule gehen können, dessen PCP es verstand, in entscheidender Stunde diesen Übergang zu vollziehen. Er befähigte sie trotz des Sieges der Konterrevolution die im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mitgliederstärkste kommunistische Partei Europas zu bleiben.«
Am Aufbau einer solchen Partei nach der Konterrevolution von 1989 in diesem Land mitzuarbeiten, dem widmete sich Klaus unermüdlich – Lehren aus der Vergangenheit aufnehmend, Lehren der Klassenkämpfe weltweit studierend. Unbestechlich.
Arnold Schölzel ist Chefredakteur der jungen Welt und Vorsitzender des Rotfuchs-Fördervereins e. V.

Ost und West zusammen

Einer, der sich einsetzte: Klaus Steiniger half entscheidend mit bei der FDJ-Postkartenaktion »Eine Millionen Rosen« für Angela Davis (r.) (Foto aus dem Jahr 1972 nach ihrer Freilassung)
Foto: privat
Klaus Steiniger und ich lernten uns in einer Phase kennen, als die DKP einen wichtigen Schritt tat: Sie hielt 1990 daran fest, eine kommunistische Partei zu sein, und begann daran zu arbeiten, diese Notwendigkeit auch auf dem Gebiet der annektierten DDR zu realisieren. Die Nachfolgerin der alten Schwesterpartei der SED wollte damit nichts mehr zu tun haben, was die Sache für meine Partei nicht einfacherer machte. Für Klaus war es eine Phase, in der er schmerzlich erkennen musste, dass er von seiner Partei, eben dieser vormaligen SED, verlassen worden war. Er engagierte sich für den Aufbau der DKP in Berlin und den »neuen Bundesländern«. Die DKP und Klaus ahnten wohl, dass dieser Prozess alles andere als geradlinig verlaufen würde. Die Trennung der früheren Schwestern DKP und SED verursachte Schmerzen im Politischen, aber auch im Menschlichen. Die Kommunistinnen und Kommunisten hatten völlig unterschiedliche Biographien. Hier diejenigen, die bis zu 40 Jahre am Aufbau des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden mitgewirkt hatten, dort jene, die in derselben Zeit in einem der führenden imperialistischen Länder für das sozialistische Ziel kämpften. Klaus aber begriff diese Verschiedenheit zu Recht als eine große Chance. Er sprach von der »Möglichkeit einer Legierung der unterschiedlichen Erfahrungen«, einer Verbindung zweier Elemente zu einem Metall, wie sie die kommunistische Weltbewegung brauchen werde und die im »neuen« Deutschland Realität werden müsse. Keineswegs einfach, aber auch nicht unlösbar. Die Unterschiedlichkeit in der Geschichte produzierte natürlich auch andere Unterschiede, mit denen umzugehen die DKP so manche Schwierigkeit hatte und noch immer hat. Klaus hat einiges davon abbekommen. Vor allem, nachdem er das Werk seines letzten Lebensabschnitts, die »Tribüne für Sozialisten und Kommunisten«, die Monatszeitschrift Rotfuchs, gegründet hatte. Die Chancen, die sich damit auch für die DKP ergaben, wurden zeitweise übersehen. Die Kommunikation zwischen den Kommunistinnen und Kommunisten aus Ost und West funktionierte phasenweise zu schlecht. Klaus’ Helm bekam Beulen. Er wäre aber nicht er selbst gewesen, wenn er sich von diesen Problemen hätte entmutigen lassen. Er entwickelte denRotfuchs zu einem wahren Erfolgsprojekt mit Zehntausenden monatlichen Lesern. Parteilich, aber eben kein Parteiorgan. Der Rotfuchs ist heute in der Tat die größte marxistische Monatszeitschrift Deutschlands. Wir sprachen in den vergangenen Monaten oft darüber, dass er damit im besten Sinne des Wortes auch für unsere Partei wirkte. Er machte ebenso keinen Hehl aus seinem Stolz auf die DKP. Stolz, weil seine Partei in den letzten Jahren wieder zu der Klarheit zurückfand, die er für eine kommunistische Partei als unverzichtbar sah. Der Tod von Klaus reißt eine große Lücke in unseren Reihen. Er wird uns fehlen: als Mensch, als Freund, als Kommunist. Unser Beileid gilt unserer Genossin Bruni, die wir umarmen und der wir alle Kraft der Welt wünschen.
Patrik Köbele ist Vorsitzender der DKP.


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