Entnommen: https://www.rubikon.news/artikel/die-ruckkehr-des-kremlmonsters
Die Rückkehr des Kremlmonsters
Mit
dem Vorwurf, Russland wolle Krieg gegen die Ukraine führen, versucht
die Westallianz ihre eigenen Dominanzgelüste zu verschleiern.
von Mathias Bröckers
Foto: volkova
natalia/Shutterstock.com
Erinnern Sie sich noch an
„Russiagate“? Die von allen westlichen Großmedien verbreitete
Verschwörungstheorie, wonach Donald Trump mit Hilfe des Kremls ins
Weiße Haus gekommen und von Wladimir Putin mit anzüglichen
Pipi-Videos erpresst worden sei. Damals hieß es auch, Hillary
Clinton habe die Wahl nur verloren, weil „russische Hacker” ihre
E-Mails sowie Dokumente der Partei veröffentlicht hätten, die
zeigten, wie sie Bernie Sanders um die Kandidatur betrogen hatte.
Diese unsichtbaren „russischen Hacker“ hätten über Twitter und
Facebook die Wahlen manipuliert und seien dabei, die Demokratie zu
unterwandern. Erinnern Sie sich noch an die großen Enthüllungen des
offiziellen „Mueller Reports“ über die „russische
Einmischung“, die Tag für Tag in den Nachrichten angekündigt
wurden? Falls Sie das vergessen haben, ist es völlig in Ordnung,
denn die Enthüllungen kamen nie, da es sich bei diesem ganzen
Russiagate-Komplex um hochgradiges Geschwurbel handelte. Der „böse
Russe“ — das war eine so plumpe und durchschaubare
Propagandakreation, dass man meinen könnte, niemand mehr fiele heute
darauf herein. Nun aber zieht die Westallianz diese Niete erneut als
vermeintliches weltpolitischen As aus dem Ärmel — mit Folgen, die
für uns alle gefährlich werden könnten.
Nicht vergessen
sollten Sie allerdings, dass uns diese Legenden, Mythen und
Verschwörungserzählungen seit Sommer 2016 als Fakten und reale
Nachrichten aufgetischt wurden. Jetzt aber wandelt sich das Narrativ,
wie das Cover des Economist vom 8. Januar 2022 sehr schön zeigt,
erschienen vor dem „Nicht-Dialog-Dialog“ zwischen USA und
Russland in Genf und Brüssel vergangene Woche.
Nicht mehr
subtil, von unsichtbaren Hackern und Facebookern wird die Demokratie
unterwandert, sondern direkt und vom Ultrabösen persönlich mit
Knarre bedroht, der es sich tatsächlich herausnimmt, die Truppen in
seinem Land aufzustellen, wo er will — zum Beispiel an die Grenze
zur Ukraine, an der auch das US-Imperium und die NATO gerne ihre
Raketen aufstellen würden. Wogegen die Russen Sicherheitsbedenken
vorbringen — verständlicherweise, denn wenn sie im Gegenzug ein
paar Hyperschall-Raketen auf Kuba stationieren und Atom-U-Boote in
den „freien Meeren“ des Golfs von Mexiko cruisen ließen, wäre
das ein direkter Flashback zurück in die Kubakrise …
„Diese
Blechköpfe haben einen großen Vorteil. Wenn wir auf sie hören und
tun, was sie wollen, ist hinterher niemand von uns mehr am Leben, um
ihnen zu sagen, dass sie falsch lagen“, sagte John F. Kennedy zu
seinem Berater O‘Donell, als sie im Oktober 1962 eine Sitzung mit
dem Generalstab verließen, in der sich die Militärs und fast alle
seiner Kabinettsmitglieder außer John McNamara und Robert Kennedy
für einen sofortigen Angriff auf Kuba ausgesprochen hatten.
Um
einen Krieg zu verhindern, sah JFK nur noch die Möglichkeit, eine
letzte Option zu nutzen, von der weder die Militärs noch die
Geheimdienste und sein Kabinett zu dieser Zeit wussten: seinen
geheimen „Back Channel“ mit dem Partei- und Regierungschef auf
der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, den Kontakt mit Nikita
Chruschtschow.
Dass es einen solchen Kanal heute noch gibt und
sich die säbelrasselnden „Blechköpfe“ nicht durchsetzen, kann
man nur hoffen. Von US-Seite wird derzeit aber eher weiter an der
Eskalationsschraube gedreht. Dort werden private ukrainische Truppen
trainiert — um jene Milizen zu verstärken, die bevorzugt mit
SS-Runen antreten, um die abtrünnigen Republiken „heim ins Reich“
zu holen —, und im US-Senat werden Sanktionen gegen den russichen
Präsident und leitende Minister gefordert, falls Russland eine
Invasion der Ukraine durchführt. Eine solche war und ist von
Russland nicht geplant, wird aber von westlicher Seite seit Wochen
geradezu herbeigeschrieben — mittlerweile schon mit der tollen
Legende, dass Russland eine False-Flag-Operation der Ukraine
zuschieben und als Anlass für einen Einmarsch nehmen könnte.
Dass
Russland keinerlei Interesse an einer Einverleibung der Ukraine oder
auch nur der zwei abtrünnigen Republiken hat und seit Jahren ohne
Unterlass auf die Minsker Verhandlungen zwischen Kiew und der
autonomen Regierung pocht, um das interne ukrainische Problem zu
lösen — all das hält die hiesigen Großmedien nicht ab, die
Invasionsgelüste Putins zu beschwören. Allen voran NATO-Clown
Stoltenberg, dem es nach den großen Erfolgen seiner Truppe in
Libyen, Syrien und Afghanistan nach neuen Budgets und Expansion
gelüstet, die ohne einen fiesen Aggressor, den man „in die
Schranken weisen muss“, nun mal nicht zu haben sind.
Schon
warnt die FAZ: „Nach der Ukraine ist Europa dran“; klar: Mit
weniger als der Weltmacht ist das Kremlmonster nicht zufrieden.
Das
weiß natürlich auch die vom Trampolin ins Außenministerium
gehupfte Völkerballexpertin Annalena Baerbock, die bei ihrem
Antrittsbesuch in Moskau den transatlantischen „Nicht-Dialog-Dialog“
wohl fortsetzen wird:
„Wir sind entschlossen, zu reagieren,
wenn Russland stattdessen den Weg der Eskalation geht.“
Nun
hat sich schon ihr olivgrüner Kollege Habeck im Wahlkampf mit
Stahlhelm an der ukrainischen Ostfront fotografieren lassen und
scheint gegen das Schlachtfeld, zu dem Europa und Deutschland in
einem militärischen Konflikt mit Russland werden, nichts weiter
einzuwenden haben.
Da kann man nur hoffen, dass mit der
Entschlossenheit, „zu reagieren“, nicht die Bundeswehr gemeint
ist , die mit US-und NATO-Truppen gerade von der Barfußarmee der
Taliban verjagt wurde — und dass auch Kanzler Scholz einen
diskreten Back Channel nach Moskau hat und den Ball flach halten
kann.
Ganz im Sinne von großen Vorgängern wie Willy Brandt
und Egon Bahr, die nach dem Mauerbau auf dem Höhepunkt des Kalten
Kriegs für eine Pipeline nach West-Berlin sorgten, von der die
Inselstadt mit Benzin und Öl beliefert wurde — über die
DDR-Raffinerie in Schwedt direkt aus der Sowjetunion.
„Die
Amis haben damals getobt, aber wir haben es durchgesetzt, es ging ja
nicht anders“, sagte Egon Bahr dazu, als wir einige Monate vor
seinem Tod 2015 über Nordstream 2 sprachen. Es geht auch heute nicht
anders, der Industriestaat Deutschland und Westeuropa sind in Sachen
Energie eine Insel wie damals die Mauerstadt — und Flüssiggastanker
aus USA derselbe Schwachsinn wie seinerzeit Benzinlaster von
Helmstedt nach Berlin. Schwachsinnig wie im Übrigen auch die gesamte
„Kauft nicht beim Russen!“-Haltung, die den Rohstoff-Riesen
dieses Planeten mit Sanktionen in die Knie zwingen will: China und
ganz Asien werden jeden Kubikmeter russisches Erdgas und Öl auf
Jahrzehnte dankbar abnehmen, während der Westen in die leere
Nordstream-Röhre guckt.
Bei der Frage, warum von deutscher
und europäischer Seite so wenig vernünftige Realpolitik betrieben
und statt auf Handel und Wandel auf Konfrontation gesetzt wird, stößt
man unweigerlich darauf, dass sich das angloamerikanische Imperium in
seinem Great Game nach wie vor im „Kampf um die Weltinsel“
befindet. Und seine Raketen — wie weiland die Kanonenboote im
Opiumkrieg mit China — vor der Haustür eines jeden aufstellen
will, der sich nicht freiwillig unterwirft.
Russland hat den
„Partnern“ nun im Dezember seine Sicherheitsbedenken schriftlich
dargelegt und klargemacht, dass es mit dieser Kanonenbootpolitik
vorbei ist und NATO-Raketen in der Ukraine und Georgien inakzeptabel
sind. Was ist an der Forderung nach militärischer Neutralität
dieser beiden Ex-Sowjetstaaten und dem versprochenen Ende der
NATO-Expansion so „aggressiv“, dass man darüber nicht einmal
reden will? Wenn mir das jemand erklären kann, bitte ich auch um
eine Erklärung, was an der Nicht-NATO-Mitgliedschaft Österreichs
und der Schweiz so gefährlich ist.
Schon in unserem Buch „Wir
sind die Guten“ (2015/2019) ist dargelegt, warum eine blockfreie
Neutralität als Hub zwischen Russland und der EU für die Ukraine
eine weitaus bessere Lösung darstellt als der anti-russische
Frontstaat, den der Westen jetzt daraus gemacht hat. Ein „Failed
State“ in jeder Hinsicht …
Die akute Atomkriegsgefahr
wurde vor 60 Jahren beendet, weil Kennendy die russischen
Sicherheitsbedenken ernst nahm: Die in der Türkei stationierten
US-Raketen wurden ebenso zurückgezogen wie die sowjetischen auf
Kuba. Wenn der mit quasitaoistischem Geduldsfaden ausgestattete
russische Außenminister Lawrov jetzt sagt, dass seine Geduld am Ende
ist, sind das keine leeren Worte.
Schon im Syrienkrieg hatten
die Russen dem Empire of Chaos bei seiner Expansion die rote Linie
gezogen, indem sie mit ihrem überlegenen S-400-Abwehrsystem die
Luftraumkontrolle übernahmen; in Kasachstan haben sie gerade mit der
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS/CSTO) den
Versuch eines Putschs im Huckepack von lokalen Protesten im Ansatz
erstickt, und mit der Inbetriebnahme der neuen Hyperschall-Raketen,
die nicht abgefangen werden — und nuklear bestückt sein —
können, ist ein wahrer „Game Changer“ am Start.
Es
braucht jetzt nicht einmal mehr einen Stützpunkt in der Karibik für
eine global äußerst brenzlige Situation wie in der Kubakrise: Sie
können jeden Punkt in den USA jederzeit erreichen. Und auch mit dem
Stolz der US-Navy, den milliardenschweren Flugzeugträgern, mit denen
man vorfahren und wehrlose Länder in Schutt und Asche legen konnte,
ist es vorbei — angesichts der Mach-10-schnellen Rakete Kinzhal
sind sie als „Lame Ducks“ künftig nur noch für historische
Flottenparaden tauglich.
Russland verlangt Verhandlungen über
die NATO-Expansion also nicht aus einer Position der Schwäche. Dass
die „Blechköpfe“ im Pentagon das wissen und entsprechend
verhandeln, kann die Einwohnerschaft Mitteleuropas nur wünschen und
sollte alles dafür tun, nicht zum Schlachtfeld zu werden und Europa
aus dem Schlepptau des sturheil unipolaren US-Imperiums zu
lösen.
Der planetare Rohstoffriese Russland ist keine
„Regionalmacht mit Tankstelle” (wie noch Obama spottete), sondern
ein militärischer Hyperschall-Bär, der mit der Werkbank der Welt
China jetzt auch noch einen ökonomischen Drachen im Rücken hat —
und in diesem Verbund den gesamten eurasischen Wirtschaftsraum
erschließen wird.
Wenn Europa von diesen Märkten des 21.
Jahrhunderts nicht abgehängt werden will, ist ein Abrüstungs-,
Beistands- und Handelsvertrag von Lissabon bis Wladiwostok
überfällig. Das „Kremlmonster” Putin hat das übrigens schon
2007 vorgeschlagen. Höchste Zeit, dass sich die Muppet-Figuren in
Berlin und Brüssel daran erinnern …
Quellen und
Anmerkungen:
Mathias Bröckers schrieb zuletzt „Mythos
9/11 — Bilanz eines Jahrhundertverbrechens“ (Westend Verlag).
Ebenfalls erschienen ist ein Sammelband seiner drei Bestseller zum
11. September 2001 „11.9. — Einsturz einer Legende“ (Westend
Verlag). Er bloggt auf broeckers.com.
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