Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. FAUSTUS Auferstehung" / Autor: Harry Popow
MASKEN-THEATER
Diese
Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit
(2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine
unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um,
und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den
Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den
einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch
menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen
gab.
Sechster Textauszug, S: 225-230:
*****
„Wer
die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie
weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ (Bertolt
Brecht).
*****
Am ALEXANDERPLATZ. Die
Freunde bewundern die Weltzeituhr und das vielfältige Angebot in den
Geschäften. Eine gewohnte Sicht seit der Annektierung der DDR. Dabei
vergessen sie nicht, auch immer wieder nach ihrer Geldtasche zu
greifen, wofür es immerhin seit Jahren immer triftigere Gründe
gibt.
In einer Ecke des Marktes ist ein Puppentheater aufgebaut.
Man sorge sich also viel um die Kinder der Eltern, die derweil ihre
wichtigen Einkäufe tätigen. Was die Kleinen und kinderlose
Zuschauer im Spiel der Marionetten sehen, ruft entzückendes Lachen
hervor. Sie klatschen in die Hände, als der Kasper einem Jungen, der
kein Smartphone besitzt einfach auslacht und ihn beschimpft, er sei
wohl von gestern. „Nein“, antwortet entrüstet der Junge, „ich
kenne das noch nicht.“ Der Kasper überlegt kurz und wirft ihm an
den Kopf, er käme wohl aus der DDR, in der man doch …
„Richtig“, brüllen
einige Puppen, „gib es den armen Ewiggestrigen, die sich darüber
beklagen, dass ihnen die Arbeitsplätze weggenommen wurden und nun
glauben, blühende Gärten würden ihnen nur so zufallen.“
Tumult
unter den erwachsenen Zuhörern. Das sei hier eine antikommunistische
Propaganda. Die DDR würde mit Klischees aus dem Kalten Krieg
bekleckert, ganz im Sinne der Macht.
Plötzlich gesellen sich
weitere Marktbesucher zu den Streitenden. Jeder von ihnen trägt eine
besonders blau bemalte Maske, die sie sich von einem Marktstand
besorgt hatten, um ihre Identität zu verdecken, denn es könne ja
mal wieder anders kommen...
Sie ballern mit Worten in
die Runde, die sich wie Kanonenabschüsse anhörten. Die DDR sei eine
Diktatur gewesen. Sie sei russenfreundlich gewesen. Sie seien zu faul
zum Arbeiten gewesen. Sie seien mit dem sogenannten Marx ein Bündnis
gegen die Menschenrechte eingegangen. Sie wurden gezwungen, sich auch
politisch zu bilden. Sie jagten alle, die doch für das Volk Arbeit
und Brot boten und die es auch heute in der BRD noch tun, einfach zum
Teufel. Was, die Russen hätten uns befreit? Wir hätten ja nur den
Krieg verloren. Die Ostler? Sie hätten einfach nichts gelernt, was
sie in eine freie Marktwirtschaft einbringen können.
Wer sich nicht
demonstrativ der Bundesrepublik zuwandte, gilt als ´nützlicher
Idiot` der Diktatur. An diesen Konstanten ändern die aktuell
modischen und geheuchelten Versuche, die „Lebensleistungen der
Menschen“ zu würdigen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben
oder einzelne Anerkennungsgesten wie der Deutsche Filmpreis für
Andreas Dresens Film ´Gundermann` nur wenig. 64)
Der Buchnarr erinnert an
die Kampagne gegen die Roten Socken, in dessen Folge nicht wenige DDR
– Bürger durch Selbstmord aus dem Leben schieden. Das Hirn des
Justizministers Kinkel brütete am 23. September 1991 auf dem 15.
Deutschen Richtertag in Köln folgendes aus: »Sie, meine Damen und
Herren, haben als Richter und Staatsanwälte … eine ganz besondere
Aufgabe ...: mit dem fertigzuwerden, was uns das vierzigjährige
Unrechtsregime in der früheren DDR hinterlassen hat. ... Es muss
gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende
seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich
höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat
…» 66)
Dem Michel ist es zu bunt
geworden. Er fährt dazwischen: „Niemand aus der Bundesregierung
hat solcher Dummheit widersprochen. Ich schäme mich, Bürger der BRD
zu sein.“ Man schaut ihn erstaunt an. Einige mutigen Willens geben
ihm Beifall. Doch die Mehrheit hier auf dem Marktplatz vor dem
Kasperletheater schweigt.
Schweigen sie auch
gegenüber den großen politischen Lügen, die ihnen die
Qualitätsmedien Tag für Tag auftischen? FAUST kommt wieder ins
Grübeln. Das alles kann doch kein Zufall sein. Der Buchnarr lenkt
ihn auf folgende Spur: Der Drang der Regierenden zu autoritären und
diktatorischen Maßnahmen ist eine internationale Entwicklung.
Überall auf der Welt reagieren sie auf die Verschärfung des
Klassenkampfes. Sie schränken demokratische Rechte ein, es werden
rechtsextreme Netzwerke aufgebaut, und überall hetzt man gegen
sogenannte Verschwörer und beschwört somit weitere Gewalt gegen das
Volk.
Unter ihnen, den
Zuschauern vor dem Puppentheater, taucht plötzlich ein bekanntes
Gesicht auf, geehrt wegen seine oft so verbindlichen und
versöhnlerischen Worte zu mehr Einigkeit im Volk und für eine
friedvolle weitere Entwicklung. Letztens, die Leute flüsterten es
sich gegenseitig zu, habe er – gelobt von den Medien - sehr weinend
die unermesslich vielen Toten gedacht, die in der Sowjetunion während
des deutschen Überfalls ums Leben kamen. Hier auf dem Platz vor dem
Kasperle-Theater wurde er von einer Kriegsministerin begleitet, die
wiederum von einem Soldaten in Kriegsbemalung mit einer Drohne in der
Hand, die gegen die Ostsonne gerichtet war. Der Präsident begrüßte
sie herzlich, trotz verwundert staunenden und kritischen Blicken der
Umstehenden.
FAUST mit seinem bereits
eingeübten Scharfblick ruft den Glotzern zu: „Was wundert ihr
Euch, seht ihr nicht, dass unser großer König eine modernere Maske
trägt, die auch über die Augen reicht?“
Das Völkchen um ihn herum
lacht. Noch ein Weilchen...
Die mit blauen Masken
ausgestatteten Beamten, darunter wohl auch des Verfassungsschutzes,
machen geheime Filmaufnahmen etlicher DDR-Anhänger, den vermeintlich
feindlichen Widerständlern gegen die freiheitliche Ordnung der BRD.
Als der Buchnarr dies bemerkt, erinnert er sich an zwei seltsame
Ereignisse, die ihn persönlich betrafen. Eines Tages besuchte ihn
ein älteres Ehepaar, gediegen im Aussehen, höflich fragend, ob er
denn auch Gemälde habe, die sie möglicherweise kaufen würden. Sie
hatten im Schaufenster eines Laden einige seiner selbst gemalten
Bilder gesehen und würden sich dafür interessieren. Efreut und doch
ahnungsvoll zeigte er ihnen zahlreiche Werke, die aber den
Herrschaften nicht zusagten. Auch waren sie schnell bereit, sich auch
im Keller nach seinen Exemplaren umzusehen. Der Buchnarr zuckte mit
den Schultern, als sich die beiden angeblich aus Düsseldorf
stammenden Bürger unverrichteter dinge verabschiedeten.
Eine zweite Beobachtung
macht den aufmerksamen Buchnarr stutzig. Da meldete sich bei ihm per
Mail ein Autor und fragte, ob man für ihn nicht eine gewisse Zahl
von einstigen NVA-Leuten zusammentrommeln könne zwecks einer
Buchlesung. Wer da grinsend diese Möglichkeit zu einer Lesung
ausschlug, denn das wäre überhaupt nicht möglich, war natürlich
der Buchnarr, der einstige Bogenschütze. Der vermeintliche Autor
legte auf und lies nie wieder etwas von sich hören.
Die Freunde
verlassen das Kasperletheater auf dem Marktplatz, denn schon näherten
sich nochmals verkleidete Leute mit Masken, die es offensichtlich
darauf angelegt haben, die Zuschauer vor dem Puppentheater
aufzumischen, ähnlich den einstigen Schergen der Nazihorden, jetzt
als rechts eingestufte Kriminelle.
Im Fernsehen gab dazu die
Königin des Landes eine kurzen Kommentar, man müsse doch angesichts
vieler Gefahren in unserem Lande echt zusammenhalten. Die Freunde
schauen sich - das tun wir ja auch...
Urplötzlich ertönt eine
Stimme im Lautsprecher: Sie teilt den erschrockenen Diskutierern mit,
dass Gorbatschow nicht die DDR retten wollte, sondern sie sozusagen
verschachert habe. Seine Begründung: „Das Ziel meines ganzen
Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen
Diktatur gegen die Menschen.“ Das sei ein Ausspruch von einem
Seminar an der US-amerikanischen Universität in Ankara im Herbst
1999.
Die an der Puppenbühne
Versammelten hören eine Stimme aus einem weit entfernten Wahllokal
am Rande des Marktplatzes: Man solle auseinandergehen, sofort! Warum?
Regierung Laschet will Demonstrationsrecht einschränken. Sie plant,
das Recht auf Versammlungsfreiheit weitgehend auszuhöhlen. Bereits
am 30. Juni soll der Landtag ein neues Versammlungsgesetz
beschließen, mit dem Polizei und Verwaltung Demonstrationen und
Proteste leichter verbieten und Teilnehmende kriminalisieren können.
Öffentliche und
nichtöffentliche Versammlungen, Demonstrationen und
Protestveranstaltungen sollen schon im Vorfeld erheblich erschwert
und die Teilnehmenden eingeschüchtert werden. Versammlungen müssen
mindestens 48 Stunden zuvor angemeldet werden, auch die Anzahl der
Ordner muss der Polizei mitgeteilt werden. Entscheidet diese, dass
die öffentliche Sicherheit gefährdet sei, müssen sie samt Adresse
namentlich benannt werden.
Die Videoüberwachung wird
vereinfacht. Es können auch Drohnen eingesetzt werden, um
Versammlungen zu filmen. Die Polizei kann „Kontrollstellen“
einrichten, um Personalien aufzunehmen. Auch mit gezielten
Teilnahmeverboten und „Gefährderansprachen“ dürfen
Demonstrationsteilnehmer eingeschüchtert werden. Strafandrohungen
und Bußgelder erhöhen sich drastisch, teilweise auf bis zu zwei
Jahre Haft.
Alles was „aggressiv“
und „provokativ“ … Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch
einschüchternd wirkt“, kann gegen eine Versammlung angeführt
werden. Das können Sprechchöre oder gegenseitig eingehakte
Demonstrationsteilnehmer sein. Auch Parolen wie „Nieder mit dem
Kapitalismus!“, „Enteignet die Banken und Konzerne!“ oder –
wie auf den Berliner Mieter-Demos – „Deutsche Wohnen enteignen“
können gegen gegen den Gummiparagrafen des „Militanzverbots“
verstoßen. Verstöße können mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet
werden. 67)
Gleich an mehreren Stellen verweist die Begründung
des Gesetzesentwurfs auf historische Erfahrungen der Weimarer
Republik. „Die Weimarer Republik ist auch an ihrer fehlenden
Wehrhaftigkeit zugrunde gegangen, am Willen und/oder am
(Un-)Vermögen, Demokratie und Republik in Deutschland gegen die
gewaltbereiten, gewalttätigen, permanent in Sälen und auf der
Straße agitierenden und demonstrierenden Extremisten auf dem linken
und rechten Rand des politischen Spektrums zu schützen.“
Tatsächlich deckten und
unterstützten die Weimarer Behörden paramilitärische Verbände und
faschistische Sturmabteilungen, während sie Arbeiter und Linke mit
aller Brutalität verfolgten und selbst Pazifisten wie Carl von
Ossietzky ins Gefängnis warfen.
Der Buchnarr kommentiert
gelassen: In der Gesetzesbegründung und in Interviews werde immer
auf die Gefahr von „rechts- und linksextremistischen Bestrebungen“
gleichermaßen verwiesen. Dieses Argument sei so alt wie verlogen.
Hand aufs Herz: Der Abbau demokratischer Rechte treffe stets die
Arbeiterklasse und die Jugend und niemals die Rechten, die vom Staat
und seinem Apparat gestützt werden. 68)
Dem FAUST wird es
schlecht. Er greift sich ans Herz. Greta fragt, ob sie per Handy das
Krankenhaus anrufen soll. Aber der winkt ab. Und ruft halblaut, dass
dies alles auf dem ALEX auf dem Markt nur schwer zu ertragen sei. Er
schaut auf die Weltzeituhr: Hat sein letztes Stündchen geschlagen,
wo er doch noch bis in die Tiefe der gesellschaftlichen Widersprüche
eintauchen möchte. Er hält sich an Greta fest, die er als die
jemals kameradschaftlichste und schönste Frau in dieser neuen Welt
kennengelernt hat.
Sie ermuntert ihn. Die
Aussichten, alles besser zu machen seien gar nicht so schlecht. Man
müsse nur wissen, wohin der Hase läuft. Dazu hätte doch ihr
Buchnarr vorgeschlagen, eine größere Reichweite mit den Augen, den
inneren und den äußeren, zu gewinnen...
Und die Freunde besteigen
einen Lift, der sie nach ganz weit oben entführt.
*****
„Von
dem, der den Kopf in den Sand steckt,
kann man auch sagen:
Er
geht den Dingen auf den Grund“
© Jürgen Wilbert (*1945), Dr.
phil., deutscher Literat und Aphoristiker
*****
Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS",
Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch,
Seiten: 384, Erscheinungsdatum:
18.09.2021
https://www.epubli.de/shop/buch/MENSCH-IM-TEUFELSKREIS-Harry-Popow-9783754166666/118378
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