Samstag, 8. Januar 2022

MASKEN-THEATER - Buchauszug

 Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. FAUSTUS Auferstehung" / Autor: Harry Popow




MASKEN-THEATER


Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.

Sechster Textauszug, S: 225-230:

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„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ (Bertolt Brecht).
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Am ALEXANDERPLATZ. Die Freunde bewundern die Weltzeituhr und das vielfältige Angebot in den Geschäften. Eine gewohnte Sicht seit der Annektierung der DDR. Dabei vergessen sie nicht, auch immer wieder nach ihrer Geldtasche zu greifen, wofür es immerhin seit Jahren immer triftigere Gründe gibt.
In einer Ecke des Marktes ist ein Puppentheater aufgebaut. Man sorge sich also viel um die Kinder der Eltern, die derweil ihre wichtigen Einkäufe tätigen. Was die Kleinen und kinderlose Zuschauer im Spiel der Marionetten sehen, ruft entzückendes Lachen hervor. Sie klatschen in die Hände, als der Kasper einem Jungen, der kein Smartphone besitzt einfach auslacht und ihn beschimpft, er sei wohl von gestern. „Nein“, antwortet entrüstet der Junge, „ich kenne das noch nicht.“ Der Kasper überlegt kurz und wirft ihm an den Kopf, er käme wohl aus der DDR, in der man doch …

Richtig“, brüllen einige Puppen, „gib es den armen Ewiggestrigen, die sich darüber beklagen, dass ihnen die Arbeitsplätze weggenommen wurden und nun glauben, blühende Gärten würden ihnen nur so zufallen.“
Tumult unter den erwachsenen Zuhörern. Das sei hier eine antikommunistische Propaganda. Die DDR würde mit Klischees aus dem Kalten Krieg bekleckert, ganz im Sinne der Macht.

Plötzlich gesellen sich weitere Marktbesucher zu den Streitenden. Jeder von ihnen trägt eine besonders blau bemalte Maske, die sie sich von einem Marktstand besorgt hatten, um ihre Identität zu verdecken, denn es könne ja mal wieder anders kommen...

Sie ballern mit Worten in die Runde, die sich wie Kanonenabschüsse anhörten. Die DDR sei eine Diktatur gewesen. Sie sei russenfreundlich gewesen. Sie seien zu faul zum Arbeiten gewesen. Sie seien mit dem sogenannten Marx ein Bündnis gegen die Menschenrechte eingegangen. Sie wurden gezwungen, sich auch politisch zu bilden. Sie jagten alle, die doch für das Volk Arbeit und Brot boten und die es auch heute in der BRD noch tun, einfach zum Teufel. Was, die Russen hätten uns befreit? Wir hätten ja nur den Krieg verloren. Die Ostler? Sie hätten einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktwirtschaft einbringen können.

Wer sich nicht demonstrativ der Bundesrepublik zuwandte, gilt als ´nützlicher Idiot` der Diktatur. An diesen Konstanten ändern die aktuell modischen und geheuchelten Versuche, die „Lebensleistungen der Menschen“ zu würdigen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben oder einzelne Anerkennungsgesten wie der Deutsche Filmpreis für Andreas Dresens Film ´Gundermann` nur wenig. 64)

Der Buchnarr erinnert an die Kampagne gegen die Roten Socken, in dessen Folge nicht wenige DDR – Bürger durch Selbstmord aus dem Leben schieden. Das Hirn des Justizministers Kinkel brütete am 23. September 1991 auf dem 15. Deutschen Richtertag in Köln folgendes aus: »Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte … eine ganz besondere Aufgabe ...: mit dem fertigzuwerden, was uns das vierzigjährige Unrechtsregime in der früheren DDR hinterlassen hat. ... Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat …» 66)

Dem Michel ist es zu bunt geworden. Er fährt dazwischen: „Niemand aus der Bundesregierung hat solcher Dummheit widersprochen. Ich schäme mich, Bürger der BRD zu sein.“ Man schaut ihn erstaunt an. Einige mutigen Willens geben ihm Beifall. Doch die Mehrheit hier auf dem Marktplatz vor dem Kasperletheater schweigt.

Schweigen sie auch gegenüber den großen politischen Lügen, die ihnen die Qualitätsmedien Tag für Tag auftischen? FAUST kommt wieder ins Grübeln. Das alles kann doch kein Zufall sein. Der Buchnarr lenkt ihn auf folgende Spur: Der Drang der Regierenden zu autoritären und diktatorischen Maßnahmen ist eine internationale Entwicklung. Überall auf der Welt reagieren sie auf die Verschärfung des Klassenkampfes. Sie schränken demokratische Rechte ein, es werden rechtsextreme Netzwerke aufgebaut, und überall hetzt man gegen sogenannte Verschwörer und beschwört somit weitere Gewalt gegen das Volk.

Unter ihnen, den Zuschauern vor dem Puppentheater, taucht plötzlich ein bekanntes Gesicht auf, geehrt wegen seine oft so verbindlichen und versöhnlerischen Worte zu mehr Einigkeit im Volk und für eine friedvolle weitere Entwicklung. Letztens, die Leute flüsterten es sich gegenseitig zu, habe er – gelobt von den Medien - sehr weinend die unermesslich vielen Toten gedacht, die in der Sowjetunion während des deutschen Überfalls ums Leben kamen. Hier auf dem Platz vor dem Kasperle-Theater wurde er von einer Kriegsministerin begleitet, die wiederum von einem Soldaten in Kriegsbemalung mit einer Drohne in der Hand, die gegen die Ostsonne gerichtet war. Der Präsident begrüßte sie herzlich, trotz verwundert staunenden und kritischen Blicken der Umstehenden.

FAUST mit seinem bereits eingeübten Scharfblick ruft den Glotzern zu: „Was wundert ihr Euch, seht ihr nicht, dass unser großer König eine modernere Maske trägt, die auch über die Augen reicht?“

Das Völkchen um ihn herum lacht. Noch ein Weilchen...

Die mit blauen Masken ausgestatteten Beamten, darunter wohl auch des Verfassungsschutzes, machen geheime Filmaufnahmen etlicher DDR-Anhänger, den vermeintlich feindlichen Widerständlern gegen die freiheitliche Ordnung der BRD. Als der Buchnarr dies bemerkt, erinnert er sich an zwei seltsame Ereignisse, die ihn persönlich betrafen. Eines Tages besuchte ihn ein älteres Ehepaar, gediegen im Aussehen, höflich fragend, ob er denn auch Gemälde habe, die sie möglicherweise kaufen würden. Sie hatten im Schaufenster eines Laden einige seiner selbst gemalten Bilder gesehen und würden sich dafür interessieren. Efreut und doch ahnungsvoll zeigte er ihnen zahlreiche Werke, die aber den Herrschaften nicht zusagten. Auch waren sie schnell bereit, sich auch im Keller nach seinen Exemplaren umzusehen. Der Buchnarr zuckte mit den Schultern, als sich die beiden angeblich aus Düsseldorf stammenden Bürger  unverrichteter dinge verabschiedeten.

Eine zweite Beobachtung macht den aufmerksamen Buchnarr stutzig. Da meldete sich bei ihm per Mail ein Autor und fragte, ob man für ihn nicht eine gewisse Zahl von einstigen NVA-Leuten zusammentrommeln könne zwecks einer Buchlesung. Wer da grinsend diese Möglichkeit zu einer Lesung ausschlug, denn das wäre überhaupt nicht möglich, war natürlich der Buchnarr, der einstige Bogenschütze. Der vermeintliche Autor legte auf und lies nie wieder etwas von sich hören.
Die Freunde verlassen das Kasperletheater auf dem Marktplatz, denn schon näherten sich nochmals verkleidete Leute mit Masken, die es offensichtlich darauf angelegt haben, die Zuschauer vor dem Puppentheater aufzumischen, ähnlich den einstigen Schergen der Nazihorden, jetzt als rechts eingestufte Kriminelle.
Im Fernsehen gab dazu die Königin des Landes eine kurzen Kommentar, man müsse doch angesichts vieler Gefahren in unserem Lande echt zusammenhalten. Die Freunde schauen sich - das tun wir ja auch...

Urplötzlich ertönt eine Stimme im Lautsprecher: Sie teilt den erschrockenen Diskutierern mit, dass Gorbatschow nicht die DDR retten wollte, sondern sie sozusagen verschachert habe. Seine Begründung: „Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen.“ Das sei ein Ausspruch von einem Seminar an der US-amerikanischen Universität in Ankara im Herbst 1999.

Die an der Puppenbühne Versammelten hören eine Stimme aus einem weit entfernten Wahllokal am Rande des Marktplatzes: Man solle auseinandergehen, sofort! Warum? Regierung Laschet will Demonstrationsrecht einschränken. Sie plant, das Recht auf Versammlungsfreiheit weitgehend auszuhöhlen. Bereits am 30. Juni soll der Landtag ein neues Versammlungsgesetz beschließen, mit dem Polizei und Verwaltung Demonstrationen und Proteste leichter verbieten und Teilnehmende kriminalisieren können.

Öffentliche und nichtöffentliche Versammlungen, Demonstrationen und Protestveranstaltungen sollen schon im Vorfeld erheblich erschwert und die Teilnehmenden eingeschüchtert werden. Versammlungen müssen mindestens 48 Stunden zuvor angemeldet werden, auch die Anzahl der Ordner muss der Polizei mitgeteilt werden. Entscheidet diese, dass die öffentliche Sicherheit gefährdet sei, müssen sie samt Adresse namentlich benannt werden.

Die Videoüberwachung wird vereinfacht. Es können auch Drohnen eingesetzt werden, um Versammlungen zu filmen. Die Polizei kann „Kontrollstellen“ einrichten, um Personalien aufzunehmen. Auch mit gezielten Teilnahmeverboten und „Gefährderansprachen“ dürfen Demonstrationsteilnehmer eingeschüchtert werden. Strafandrohungen und Bußgelder erhöhen sich drastisch, teilweise auf bis zu zwei Jahre Haft.

Alles was „aggressiv“ und „provokativ“ … Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt“, kann gegen eine Versammlung angeführt werden. Das können Sprechchöre oder gegenseitig eingehakte Demonstrationsteilnehmer sein. Auch Parolen wie „Nieder mit dem Kapitalismus!“, „Enteignet die Banken und Konzerne!“ oder – wie auf den Berliner Mieter-Demos – „Deutsche Wohnen enteignen“ können gegen gegen den Gummiparagrafen des „Militanzverbots“ verstoßen. Verstöße können mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. 67)
Gleich an mehreren Stellen verweist die Begründung des Gesetzesentwurfs auf historische Erfahrungen der Weimarer Republik. „Die Weimarer Republik ist auch an ihrer fehlenden Wehrhaftigkeit zugrunde gegangen, am Willen und/oder am (Un-)Vermögen, Demokratie und Republik in Deutschland gegen die gewaltbereiten, gewalttätigen, permanent in Sälen und auf der Straße agitierenden und demonstrierenden Extremisten auf dem linken und rechten Rand des politischen Spektrums zu schützen.“

Tatsächlich deckten und unterstützten die Weimarer Behörden paramilitärische Verbände und faschistische Sturmabteilungen, während sie Arbeiter und Linke mit aller Brutalität verfolgten und selbst Pazifisten wie Carl von Ossietzky ins Gefängnis warfen.

Der Buchnarr kommentiert gelassen: In der Gesetzesbegründung und in Interviews werde immer auf die Gefahr von „rechts- und linksextremistischen Bestrebungen“ gleichermaßen verwiesen. Dieses Argument sei so alt wie verlogen. Hand aufs Herz: Der Abbau demokratischer Rechte treffe stets die Arbeiterklasse und die Jugend und niemals die Rechten, die vom Staat und seinem Apparat gestützt werden. 68)
Dem FAUST wird es schlecht. Er greift sich ans Herz. Greta fragt, ob sie per Handy das Krankenhaus anrufen soll. Aber der winkt ab. Und ruft halblaut, dass dies alles auf dem ALEX auf dem Markt nur schwer zu ertragen sei. Er schaut auf die Weltzeituhr: Hat sein letztes Stündchen geschlagen, wo er doch noch bis in die Tiefe der gesellschaftlichen Widersprüche eintauchen möchte. Er hält sich an Greta fest, die er als die jemals kameradschaftlichste und schönste Frau in dieser neuen Welt kennengelernt hat.

Sie ermuntert ihn. Die Aussichten, alles besser zu machen seien gar nicht so schlecht. Man müsse nur wissen, wohin der Hase läuft. Dazu hätte doch ihr Buchnarr vorgeschlagen, eine größere Reichweite mit den Augen, den inneren und den äußeren, zu gewinnen...

Und die Freunde besteigen einen Lift, der sie nach ganz weit oben entführt.


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„Von dem, der den Kopf in den Sand steckt,
kann man auch sagen:
Er geht den Dingen auf den Grund“
© Jürgen Wilbert (*1945), Dr. phil., deutscher Literat und Aphoristiker

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Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS", Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 384, Erscheinungsdatum: 18.09.2021

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