Mit Genehmigung der Redaktion RotFuchs veröffentlicht
Lüge, Betrug und Fälschung als Treibstoff des Profits
Es vergeht kein Monat, ohne daß der Kapitalismus nicht demonstriert, zu welchen Leistungen er fähig ist. Synchron mit leicht ansteigenden Aktienkursen an der Frankfurter Börse gab es eine Flut von wirtschaftskriminellen Skandalen, die vorübergehend für großes Aufsehen in den Medien und für berechtigte Empörung bei der Bevölkerung
sorgten.
Die von den deutschen Banken kräftig mitgetragenen Zinsmanipulationen an der Londoner Börse (Libor-Zins und die Cum-Ex-Geschäfte
im Aktienhandel), jahrelang auch vom deutschen Finanzministerium gedeckt, sind zeitlich schon wieder etwas entrückt. Der Diesel Abgasskandal, die gesetzwidrigen Absprachen und Deals der großen Automobilkonzerne untereinander, die Vergiftung der Hühnereier,
der ungebremste Einsatz von Pestiziden in der Getreideproduktion, die systematische Verseuchung des Grundwassers und die Leugnung und Vertuschung des immer akuteren Pflegenotstands in den Krankenhäusern sind nicht das Ende einer endlosen Kette wirtschaftspolitischer
Verbrechen, begangen durch kapitalistische Unternehmen. Die Massenmedien haben zur Ruhigstellung der aufgeheizten
Volksseele ein erprobtes Arsenal von Begründungen und Entschuldigungen parat. Da wird vom Einzelfall, vom subjektiven Fehlverhalten,
von Verkettungen unglücklicher Umstände und von der angeblich fehlenden Kontrollinstanz gesprochen und geschrieben.
Nur in der Theorie verlaufen die betrieblichen, konzerninternen und volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesse noch nach Recht und
Gesetz, im normalen ökonomischen und finanziellen Modus ab. Aber diese Prozesse haben längst ihre Normalität verloren. Die Ursachen
dafür liegen in den veränderten kapitalistischen Produktionsverhältnissen, die unter dem Druck der Globalisierung und wachsenden Liberalisierung durch die Kapitaleigentümer, durch die Vorstände, Aufsichtsräte und
das Führungspersonal in den Unternehmen ständig dynamisiert und an die hohen Profitund Renditeerwartungen angepaßt werden. Es sind die schon eingetretenen und weiter zu erwartenden Veränderungen und Umbrüche in
den nationalen und internationalen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens.
Der Produktionsprozeß in den Unternehmen muß heute bei Strafe des Untergangs auf eine Vielzahl von zum Teil gegenläufigen, sich oft widersprechenden ökonomischen, finanziellen, organisatorischen, juristischen und politischen Faktoren und Bedingungen weitaus schneller, radikaler und zielsicherer reagieren, als es die Konkurrenz vermag. Fehler im Unternehmenskonzept, Nachlässigkeiten bei der Marktanalyse und eine falsche Strategie enden im erbarmungslosen Konkurrenzkampf fast alle tödlich für das betreffende Unternehmen. Viele Innovationen treten heute
in immer kürzeren Zeitabständen als qualitative Umbrüche im Erzeugnissortiment, in der Technik und Technologie in Erscheinung,
mit denen Leitsätze der klassischen bürgerlichen Betriebswirtschaftslehre auf den Kopf gestellt werden müssen. Die Technik- und Technologieumbrüche zwingen die Unternehmen zu einschneidenden Veränderungen in der Reproduktion der Fonds. Dabei wird deutlich,
daß Banken und Kapitalfonds heute maßgeblich die Spielräume der Unternehmen in der Realwirtschaft abstecken und eigentlich das
Dirigat im Unternehmen übernommen haben. Bei der Masse der Erzeugnisse und Verfahren bestimmen heute fast ausschließlich die rigidesten Kostensenkungsstrategien (vor allem zu Lasten der „Arbeitnehmer“) den Ausgang des nationalen bzw. internationalen Konkurrenzkampfes.
Die Auftragsvergabe an Unternehmen vollzieht sich heute fast immer auf
der Schiene von Dumpingpreisangeboten. Die Bezahlung von Unternehmensleistungen durch die öffentliche Hand ist in den meisten Fällen für alle Beteiligten zum nervigen Streßtest geworden. Der Niedrigzins treibt die Aktionäre zusätzlich an, die Forderungen an die
Profitproduktion und Renditebereitstellung immer höher zu schrauben. Die Verwertung des Kapitals wird unter normalen Vorzeichen, sprich bei konsequenter Einhaltung von bürgerlichem Recht und Gesetz, immer schwieriger, komplizierter und – offen gesagt – immer aussichtsloser.
Der Boden für den Einsatz ungesetzlicher Mittel und Methoden in den Unternehmen ist durch die Mechanismen kapitalistischer Profitproduktion
selbst bereitet worden und wird weiter kultiviert. Natürlich ist die Produktion und die Aneignung von Mehrwert ökonomisch determinierter und juristisch sanktionierter Diebstahl des geschaffenen Neuwertteils
durch den Kapitalisten, durch seine Manager.
Es ist aber augenscheinlich, daß der kapitalistische Reproduktionsprozeß heute nicht mehr ohne einen ganzen Fächer von Handlungen und Aktionen funktioniert, die kriminell sind, außerhalb von Recht und Gesetz stehen.
So bedienen sich alle großen Unternehmen der Lüge, des Betrugs und der Fälschung als hochklassigem Treibstoff für die Profitproduktion.
Drohende ökonomische und finanzielle Verluste fördern die kriminelle Phantasie und das Abstreifen jeglicher moralischer Skrupel und Bedenken bei den leitenden Akteuren in den Unternehmen.
Die Korruption als ideales Schmiermittel ist zum Bestandteil aller brisanten Geschäftsbeziehungen geworden. Immer wichtiger wird ein feinmaschiges juristisches Tarnnetz, unter dem selbst kriminelle Handlungen der Manager gesetzeskonform erscheinen. Auf mögliche Strafen und Sanktionen für das Unternehmen wird zynisch mit angeblich verbesserten Kaufanreizen für den Kunden reagiert. Abwerbung und Erpressung werden ohne Skrupel eingesetzt, um schnell an Insiderwissen zu gelangen. Genauso bedeutsam wie eine ausgefeilte profitorientierte Betriebswirtschaft ist die Fähigkeit geworden, Schwachstellen und Lücken in Gesetzen für das eigene Unternehmensinteresse auszunutzen. Es ist zur gängigen Praxis geworden, wichtige, das Kapital frontal treffende Gesetze und Verordnungen durch „eigene Fachleute“ selbst auszuarbeiten und anschließend mit der Autorität des Parlaments als verbindlich beschließen zu lassen.
Wirtschaftskriminelle, ungesetzliche Handlungen durch das Führungspersonal in den Unternehmen sind heute fest in alle Phasen
des Reproduktionsprozesses integriert. Die leitenden Akteure in den Unternehmen wären in der Lage, jede Bilanz auch als Kriminalakte
zu lesen. Der Kodex des biederen deutschen Unternehmers, wonach alle Geschäftsbeziehungen ehrlich, gewissenhaft zum beiderseitigen
Vorteil abzuwickeln sind, ohne dabei Dritte zu schädigen, hat schon lange seine Existenzberechtigung verloren.
In allen Stadien kapitalistischer Entwicklung gab es kleinere und größere Rechtsbrüche durch die Unternehmer. Karl Marx und Friedrich Engels haben das bei der Analyse der ersten industriellen Revolution in England akribisch nachgewiesen. Verglichen mit heute waren es, bildlich gesprochen, Rechtsbrüche, Verstöße gegen staatliche Verordnungen und Vorschriften im Format von Kinderschuhen. Heute nehmen wirtschaftskriminelle Handlungen mit ihren schädlichen Wirkungen nationale und internationale Dimensionen an. Die verursachten
Schäden und Verluste sind ökonomischer und finanzieller Natur, ein Desaster für die Umwelt und eine ernsthafte Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung. Wirtschaftskriminelle Handlungen durch die Kapitaleigentümer und ihre Manager sind nicht mehr unternehmensbegleitende Aktivitäten, auf die man bei Bedarf zurückgreift. Sie werden nicht mehr nur bei etwaigen Schieflagen des Unternehmens
organisiert. Sie haben heute faktisch eine unternehmenstragende Funktion angenommen. Sie sind als wirtschaftskriminelles System Bestandteil der Unternehmensphilosophie, die zum Teil immer schwieriger aufzubrechen
und juristisch zu verurteilen ist. Es kann schon als Gesetzmäßigkeit angesehen werden, daß mit wachsender Größe der Unternehmen
(Umsatz, Profit, Dimension und Struktur der Geschäftsbeziehungen, technologische Dominanz usw.) sich auch das wirtschaftskriminelle
Potential erhöht.
Eine über mehrere Jahrhunderte gemachte Erfahrung besagt: Mit dem bürgerlichen Recht allein kann der kriminelle Sumpf in den Unternehmen nicht trockengelegt werden. Dennoch: Die Gesetzestexte der BRD in ihrer Totalität enthalten viele Möglichkeiten, wirtschaftskriminelle Handlungen schon in ihrem Anfangsstadium zu unterbinden. Allein es fehlt der politische Wille der regierenden Parteien, durch massives staatliches Eingreifen und gerechtes Verurteilen wirkliche Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Das verliehene Gütesiegel als systemrelevantes Unternehmen, die angeblichen Lücken im Gesetz, die vorgetäuschte schwierige Beweislage, die über Jahre sich hinziehende Beweisaufnahme und die, gemessen an der Schwere der Schuld, lächerlich geringen Strafen sind objektiv eine Ausweitung des Freiraums für wirtschaftskriminelle Handlungen in den Unternehmen. Von seiten der Regierung wird in den meisten Fällen auf solche Gesetzesverletzungen mit Ermahnungen und Appellen als höchster Stufe der Empörung reagiert.
Die gewünschten und geduldeten Staatsdiener haben sich faktisch politisch verpflichtet, Schäden und Verluste von dem Unternehmen, insbesondere von den Konzernen, abzuwenden, die realen ökonomischen und
finanziellen Machtverhältnisse ständig zu stärken. Nicht das Grundgesetz ist der Leitfaden fürdie Einhaltung des obligatorischen Amtseids,
sondern es sind die Satzungen und Strategiepapiere der deutschen Unternehmerverbände.
Es verstärkt sich die Tendenz, daß neben den kapitalistischen Unternehmen, insbesondere den Konzernen, die Regierung und das Parlament mit Beschlüssen, die eindeutig undemokratisch und bevölkerungsfeindlich sind, selbst Träger und Auslöser von wirtschaftskriminellen Handlungen werden. Jüngstes Beispiel sind die gesetzlich geschützten ÖPP (Öffentlich-private Partnerschaft), mit denen schamlos gesellschaftliches Eigentum (Autobahnen, Brücken, Schulen, Krankenhäuser etc.) schrittweise privatisiert werden kann. Durch Gesetz werden mit Steuergeldern auch bei sich verschlechternden Wirtschaftsbedingungen skandalös hohe Profitraten für private Investoren garantiert. Der wirtschaftskriminelle Filz zwischen dem Staat und den Konzernen wird immer dichter.
Der naive Bundesbürger reibt sich verwundert die Augen und will es nicht glauben, daß in der freiheitlich-demokratischen, sich selbst rechtsstaatlich nennenden Bundesrepublik in Abständen von wenigen Wochen und Monaten immer wieder ein neuer wirtschaftskrimineller Skandal an die Öffentlichkeit kommt. Die Verschleierung von zwei elementaren Zusammenhängen durch die bürgerlichen Medien trägt ihre Früchte. Wirtschaftskriminalität wird nicht als Bestandteil der genetischen Struktur
des Kapitalismus gesehen. Das etablierte bürgerliche Recht soll nicht als Recht der herrschenden Klasse wahrgenommen werden.
In Gerichtsprozessen gegen Manager, die die Triebfedern und den Mechanismus der Profitproduktion allzusehr verinnerlicht haben, bleibt
es in den meisten Fällen bei der Anklage wegen persönlicher Verfehlungen. Niemals wird ausgesprochen, daß jeder dieser Manager das Kapital repräsentiert, ein Gestalter der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist. Insofern steht bei allen wirtschaftskriminellen Skandalen niemals der Kapitalismus selbst unter Anklage.
Prof. Dr. Achim Dippe, Berlin
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen