Arn Strohmeyer: „Falsche Loyalitäten – Israel, der Holocaust und die deutsche Erinnerungspolitik“
In der Sackgasse
Buchtipp von Harry Popow
„Wer einer Sache recht auf den Grund kommen will, für den ist das erste Erfordernis dies, dass er den Problemen scharf ins Gesicht sehe. Denn die nachher zu erlangende Einsicht hängt an der Lösung der vorher ins Auge gefassten Probleme; wer den Knoten nicht kennt, der kann ihn auch nicht lösen.“
(Aristoteles, griechischer Philosoph, Schüler Platons, Lehrer Alexanders des Großen von Makedonien, 384 bis 322 vor unserer Zeitrechnung)
Den Problemen scharf ins Gesicht sehen? Im Heute des Jahres 2022? In dem akute Atomkriegsgefahr besteht? Was 1945 nach endgültiger Zerschlagung aussah, erhob sich bald wieder im Westen Deutschlands, stärkte sich erst recht nach der Vereinnahmung der DDR 1989. Und nun gerät die „westliche Wertegemeinschaft“ in arge ökonomische und militärische Bedrängnis angesichts des von ihr unter dem Diktat der USA und der NATO in der Ukraine in Gang gesetzten gefährlichen Konflikts mit Russland. Alle Schuld wird den Russen in die Schuhe geschoben. Die Machart von Kriegsverbrechern ist bekannt: Mythen und Klischees besitzen Langzeitwirkung. Sie werden nicht mit Fakten unterfüttert, sind jederzeit griffbereit, um die Wahrheit zu verdrängen. Als Vorbereitung auf das mögliche ungeheure Geschehen muss eine durchdringende Verdummung der Völker herhalten - Russophobie, Russenhass - wie gehabt.
Wer keine Fragen stellt, der muss mit dem endlosen Gequassel von Politik und Medien vorlieb nehmen, um im Sumpf der Unwissenheit zu ersticken und vor lauter Angst sich fortan nur als Kriechtier vor den kapitalen Machtherrschern zu behaupten. Wer dagegen aufmerksam den tieferen politischen Knoten erkennen und dazu beitragen möchte, ihn zu lösen, der wird feststellen: Die Welt steht vor der Entscheidung: Entweder weiter wie bisher mit imperialer Ausbeutung und Völkermorden unter dem unipolaren Motto, oder eine gerechtere Welt ohne Diktat des Kapitals, also mit multipolarer Zielrichtung.
Wer steht auf und nennt mutig die Verursacher von Krieg und Kriegsgeschrei? Zu ihnen gehört Arn Strohmeyer mit seinem Buch „Falsche Loyalitäten – Israel, der Holocaust und die deutsche Erinnerungspolitik“, veröffentlicht im Oktober 2022. Da fragt sich, was die deutsche Politik mit Israel und dem Holocaust zu tun habe? Es geht um Machtansprüche, um wirtschaftliche Interessen, was nachzuweisen der Autor bemüht ist.
Bereits im Vorwort geht hervor: Wir haben es mit dem Verhältnis zum Holocaust, zu Israel, zum Antisemitismus und zum Zionismus und damit zum Lügenberg über die Ursachen dieser Konflikte mit einer mehrfachen Tragödie zu tun. Das ist der Konflikt Israel-Palästina, die Verurteilung eines falsch verstandenen Antisemitismus durch die BRD-Regierung, die Verschleierung der ökonomischen Ursachen in der Politik sowie die Verdummung der Leser, indem die Schuld am Holocaust schlechthin den Deutschen zugeschoben wird, von denen aber immerhin Hunderttausende mitgemacht haben. Verursacher allerdings waren das deutsche Kapital mit Hilfe der Nationalsozialisten. Fest steht: Es ist nur als tragisch zu bezeichnen, dass Deutschland die Tragödie des Zionismus gar nicht wahrnimmt und entsprechende politische Folgerungen daraus zieht. Sogar Beauftragte im Kampf gegen den Antisemitismus wurden eingesetzt, ein Beweis mehr für das Unvermögen, Realitäten anzuerkennen, um den Kapitalismus zu vernebeln.
Der Autor zieht den Schluss: Die „deutsche Erinnerungspolitik, so wie sie sich heute darstellt – ist gescheitert“. An den Toren dieser ideologischen Festung müsse gründlich gerüttelt werden. „Dass dieses Bollwerk eines Tages fallen wird, ergibt sich aus seinen Widersprüchen und seiner zweifelhaften Moral“. (S. 14, Autor) In diesem Sinne aufklärend zu wirken sei die Absicht dieses Buches.
Auf’s Korn nimmt Arn Strohmeyer die sogenannte Staatsräson, die Leugnung der ethnischen Säuberung und der Kriegsverbrechen an den Palästinensern, dass Menschenrechtsaktivisten Antisemiten seien, dass Nazieliten nach 1945 staatlicherseits tabuisiert wurden.
Der Autor verweist auf zwei Dogmen des deutschen Katechismus: Der Massenmord an den europäischen Juden sei das Werk einer kleinen Clique um Hitler, es sei ein Ausrutscher gewesen. Damit wollte man die Täter, „von denen sehr viele im jungen westdeutschen Staat wieder in Amt und Würden waren, entschulden“. Man wollte die nationalen Werte wie Ehre und Tradition wiederherstellen. (S.10, A. Dirk Moses)
Das zweite Dogma, das bis heute Gültigkeit besitze, lautete „Wiedergutmachung“. Eine seelische Entlastung, indem sich die politische Elite „vorbehaltlos hinter Israel stellte, den zionistischen Siedlerstaat bedingungslos unterstützte und zu den Verbrechen dieses Unternehmens schwieg“. (S. 11, Ralph Giordano) Man betonte die „gemeinsamen Werte“ und die Einzigartigkeit des Holocaust. Auf Seite 38 wird Moshe Zuckermann zitiert, der feststellte, dass der zionistische Staat fortan dafür sorgte, „dass der Holocaust das gesamte Leben in Israel bestimmt...“ So machte sich Israel zum ewigen Opfer, „weshalb die militärische Sicherheit absolute Priorität genießt“. Davon wird abgeletet, dass Israel „alles erlaubt ist!“ (S. 39, Moshe Zuckermann)
Ab Seite 59 setzt sich der Autor mit dem Phänomen der Einzigartigkeit des Holocaust auseinander. Es sei allerdings ein Taschenspielertrick, isoliert nur ihn zu sehen, aber jene Aspekte zu ignorieren, „die er mit anderen Gräueltaten gemeinsam hatte...“ (Peter Novick) So wird die Frage gestellt, ob die Juden die einzigen Opfer waren? „Was ist also mit den Behinderten, Homosexuellen , Zigeunern, Polen und Russen (Slawen), die ebenfalls in großer Zahl oder sogar millionenfach ermordet wurden?“ Wer habe ein Interesse daran, „das Dogma von der Einzigartigkeit des Holocaust zu inszenieren...?“ (G.B. Finkelstein) Die Antwort: Es ist das jüdische Establishment in den USA und Israel, das man „wegen der Instrumentalisierung dieses Mega-Verbrechens die `Holocaust-Industrie` nennt.“ (S. 63, G.B. Finkelstein)
Im Folgenden heißt es, es ging darum, „das Leiden der Vergangenheit zu maximieren und aus ihm so viel politisches Prestige und sogar wirtschaftliches Kapital zu schlagen wie nur möglich“. Deshalb seien nach und nach alle anderen Opfer ausgeblendet worden. Der Genozid geriet zu einer ausschließlich jüdischen Angelegenheit. Die jüdischen Opfer standen fortan „im Mittelpunkt des Interesses und nicht mehr die Mordmaschinerie der nationalsozialistischen Schergen und Henker“. Das Fazit: Wenn Politiker in ihren Reden von „nie wieder!“ sprechen, meinen sie nicht alle Menschen. (S. 68/69, Peter Novick) Wie wehren sich die politischen Heuchler gegen Kritiken dieser verblendenden unmenschlichen Sicht? Da zücken sie die Waffe des Antisemitismus.
Machtgefüge im Abgesang
Das Anliegen des Autors, die Mahnung, Ausschwitz dürfe sich nicht wiederholen, müsse darin gipfeln, „alles zu tun, den Holocaust in allen seinen historischen, politischen und kulturellen Aspekten – auch durch Vergleiche mit anderen Genoziden – zu verstehen und (…) gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die die Reste der alten Strukturen, die Auschwitz erst möglich gemacht haben, beseitigen und neue bzw. andere Strukturen hervorzubringen, die eine Wiederholung des genozidalen Geschehens ausschließen.“ (…) „Nicht das Gedenken an sich steht also in der Kritik, sondern seine staatliche Instrumentalisierung zu fremdbestimmten Zwecken, die wegen ihrer Überidentifizierung mit Israel und der Übernahme von dessen allein seinen nationalen Interessen dienenden funktionalem Antisemitismus für verheerende Folgen in Deutschland sorgt.“ (S. 135, Adorno)
Arn Strohmeyer nimmt den kümmerlichen Slogan der deutschen Politik, man müsse das „nie wieder“ als höchstes Gut sehen und alles tun, um Deutschland als Führungsmacht in Europa zu stärken, ins Visier. Die deutsche Israel-Politik mache sich zum Verbündeten einer kolonialistischen Expansions- und Unterdrückungspolitik. Sie sichern „in Wirklichkeit das zionistische Herrschaftssystem über ein anderes Volk“. Das habe mit dem „universalistischen Erinnern nichts zu tun, dem Deutschland eigentlich verpflichtet wäre“. (S. 129, Autor) Arn Strohmeyer geißelt die Verlogenheit von deutschen Politikern, wenn sie von „gemeinsamen Werten“ mit Israel reden, gleichzeitig aber von der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel keine Rede ist. (S. 113, A.S.)
Auf Seite 130 (Autor)) liest man, den deutschen Bundespräsidenten zitierend, von der „deutschen Schuld“ am Holocaust, aber auch von dem „gegenwärtigen Bösen“, wenn Deutsche „eben doch nicht die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen hätten“, auf den „antisemitischen Hass und Hetze gegen Juden und Jüdinnen“ anspielend. Arn Strohmeyer schreibt von einem Dilemma, in das deutsche Erinnerungspolitik geraten ist. Das Urteil könne nur lauten: „Solange das deutsche Gedenken sich nicht aus der Umarmung mit dem zionistischen Erinnern gelöst hat, ist sie gescheitert!“ (S. 157, Arn Strohmeyer)
Fazit
Dieses Werk des Arn Strohmeyer besticht durch eine glasklare Analyse im Interesse des Friedens und der Wahrheit. Es ist polemisch, offen und kritisch, wobei er zahlreiche Politiker, Historiker und Philosophen mit ihren verschiedenen Ansichten in die Auseinandersetzung mit einbezieht. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, um der falschen Loyalität gegenüber Israel Paroli zu bieten und der deutschen Erinnerungspolitik einen gewaltigen Dämpfer zu verpassen. Wenn anfangs von der Mühe die Rede ist, einen Knoten – vor allem im Gedächtnis, geschichtlich gesehen – zu lösen, dann trägt der Autor mit seinem außergewöhnlichen Buch für interessierte Leser dazu bei. Man wird bei jeglichen Versuchen, Kritik an Israels Machtansprüchen als Antizionismus zu brandmarken, endlich abwehrend und kritisch hellhörig werden. An dieser Stelle ist es geraten, nochmals auf die Aktualität dieses faktenreiches Buches hinzuweisen und dem Autor für seine mutige politische Offerte gegen ausschließlich kapitalistische Wirtschaftsinteressen der westlichen „Wertegemeinschaft“ im Interesse von Frieden und Völkerverständigung zu danken.
Mit 175 Buchseiten kommt da auf den politisch wachen Leser etwas zu, was den Herrschenden wie ein Donnerkeil als angeblich ideologisch gefärbtem Rassenhass entgegengeschleudert wird, den Vernunftbegabten allerdings als erhellende politische Aufklärung in Bezug auf das „andauernde Leid der Palästinenser“, erzeugt durch einen triefenden neuen Antisemitismus in Deutschland, den „Philosemitismus, der sich wie eine politische Epidemie verbreitet hat“. Ein Ausweg aus dem Dilemma, wie bereits betont, könne nur darin bestehen, dass sich die deutsche Erinnerungspolitik aus den Fesseln des zionistischen Erinnerungsdogmas löst und die gerechten Ansprüche der Palästinenser unabhängig von der Last des Holocaust anerkennt. Stecken wir insgesamt in einer gesellschaftlich-politischen Sackgasse?
Über den Autor:
Arn Strohmeyer, geboren 1942 in Berlin, hat Philosophie, Soziologie und Slawistik studiert. Neben seiner journalistischen Tätigkeit beschäftigt er sich seit Jahren mit der kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit, dem Nahen Osten sowie Griechenland (speziell Kreta). Strohmeyer lebt und arbeitet als Schriftsteller in Bremen (arnstromeyer.de).
Arn Strohmeyer: „Falsche Loyalitäten - Israel, der Holocaust und die deutsche Erinnerungspolitik“, 2022 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien, 175 Seiten, ISBN: 978-3-85371-507-9
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