Donnerstag, 30. November 2017

Totalitarismusdoktrin


Ideologische Zurüstung


Totalitarismusdoktrin im neuen Traditionserlass der Bundeswehr:
Gleichsetzung von Naziwehrmacht und NVA der DDR


Von Peer Heinelt

Nach insgesamt vier Workshops mit mehreren hundert Teilnehmern aus Armee, Politik und Wissenschaft liegt nun der Entwurf für einen neuen Traditionserlass des Bundesverteidigungsministeriums vor. Das Dokument regelt, auf welche Aspekte der deutschen Militärgeschichte die Bundeswehr künftig positiv Bezug nehmen wird – und auf welche nicht. Anlass der Überarbeitung des bis dato gültigen Traditionserlasses aus dem Jahr 1982 war ursprünglich das Auffliegen einer mutmaßlichen rechten Terrororganisation innerhalb der deutschen Streitkräfte, deren Angehörige offenbar ihren Vorbildern aus Naziwehrmacht und SS nacheifern wollten. Nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft plante die Gruppe um Oberleutnant Franco Albrecht Anschläge auf Repräsentanten des hiesigen Politikbetriebs, um diese nach erfolgreicher Ausführung Geflüchteten in die Schuhe zu schieben.

Doch schon beim ersten Traditionsworkshop des Verteidigungsministeriums Mitte August war hiervon keine Rede mehr. Und Franco Albrecht ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen den Soldaten aufgehoben. Das beschloss der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am gestrigen Mittwoch in Karlsruhe. Aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis lasse sich der dringende Tatverdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nicht herleiten, teilte das Gericht mit.

Einige Tage zuvor hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärt, man müsse sich erneut der Geschichte »vergewissern«, da die Truppe in den letzten 35 Jahren nicht nur »vielfältiger und moderner« geworden sei, sondern mittlerweile auch »im Gefecht« ihrer »Verantwortung für die internationale Sicherheit« nachkomme. Ungeachtet dieser an Zynismus kaum zu übertreffenden Schönfärberei fand der neue Traditionserlass bei hiesigen Politikern und Massenmedien beifällige Aufnahme. Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, etwa lobte den Entwurf für seine »klare Sprache« und den »umfassenden Blick auf die deutsche Geschichte«. Spiegel online verstieg sich gar zu der Aussage, das Dokument sei Ausdruck eines »radikale(n) Umdenken(s)« der politisch-militärischen Führung. Statt sich in »Anekdoten über Tapferkeit in den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts« zu ergehen, solle fortan »ausschließlich ein ›verfassungsorientierter Patriotismus‹« als traditionswürdig gelten, hieß es.

Mit der vermeintlichen Distanzierung von der Naziwehrmacht ist es indes nicht weit her. »Die Wehrmacht diente dem nationalsozialistischen Unrechtsregime und war in dessen Verbrechen schuldhaft verstrickt«, schreiben die Autoren des Entwurfs. Kein Wort fällt über den Vernichtungskrieg der Truppe in der Sowjetunion, und auch den Hinweis, dass deutsche Militärs maßgeblich an der Durchführung des Holocaust beteiligt waren, sucht man vergeblich. Zwar wird die Wehrmacht insgesamt als »nicht sinnstiftend« für die Bundeswehr bezeichnet – jedoch nur, um gleich darauf »einzelne Angehörige« von dieser Regelung auszunehmen, etwa wenn sich diese nach 1945 »besondere Verdienste« beim Aufbau der westdeutschen Streitkräfte erworben haben. Explizit zum militärischen »Traditionsgut« gezählt werden zudem »zeitlos gültige soldatische Tugenden« wie »Tapferkeit«, »Treue« oder »gewissenhafte Pflichterfüllung«, und selbst der »militärischen Exzellenz« der faschistischen Truppenführung bleibt die Anerkennung nicht versagt.

Gleich im Anschluss heißt es dann, die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) begründe »keine Tradition der Bundeswehr«. Ausnahmen könnten nur gemacht werden, wenn sich einzelne Angehörige des »Hauptwaffenträger(s) der Parteidiktatur der SED« durch ihre »Auflehnung gegen die SED-Herrschaft« oder durch ihre Beteiligung an der eigenen Abwicklung (»Armee der Einheit«) bleibende Verdienste erworben hätten. Die Passage endet mit der unmissverständlichen Gleichsetzung von NVA und Wehrmacht im Sinne der bundesdeutschen Totalitarismusdok­trin: »Ausgeschlossen aus der Tradition der Bundeswehr sind (…) Personen, Truppenverbände und militärische Institutionen, die nach heutigem Verständnis eindeutig verbrecherisch, rassistisch oder menschenverachtend gehandelt haben.«

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Peer Heinelt
Die scheinbare Distanzierung von der Wehrmacht dient somit allein der Delegitimierung der DDR und ihrer Streitkräfte. Das allerdings entbehrt nicht einer gewissen Logik, denn im Unterschied zur Bundeswehr war die NVA nie an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen beteiligt. Um diese auch in Zukunft führen zu können, bedarf es wiederum ideologischer Zurüstung durch Traditionspflege – oder in den Worten des Verteidigungsministeriums: »Tradition (…) erhöht Einsatzwert und Kampfkraft.«





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