Samstag, 14. August 2021

Eine Mauer reicht nicht - jW - Arnold Schölzel

 

Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/408345.eine-mauer-reicht-nicht.html


Eine Mauer reicht nicht


BRD und 60 Jahre 13. August 1961


Von Arnold Schölzel

Sie führen Krieg und reden ungern darüber, erst recht nicht von Frieden. Nach 20 Jahren Gemetzel in Afghanistan und mindestens 200.000 Toten als Folge der westlichen Invasion zieht die Bundesregierung faktisch schweigend ihre Soldaten zurück. Hetze, Rüstung und militärischer Aufmarsch gegen Russland und China werden fast täglich gesteigert. Passend dazu kommt das Wort »Frieden« in der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion noch viel Wahres sagte, zum 60. Jahrestag des Mauerbaus nicht vor.

Dabei gibt es zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 13. August 1961 eine kausale Verbindung: Die Außen- und Militärpolitik der Sowjetunion nach 1945 hatte als oberstes Ziel, eine Wiederholung von 1941 zu verhindern. Das gilt auch für das heutige Russland. Es bedarf schon eines Linke-Politikers wie Bodo Ramelow, um das nicht zur Kenntnis zu nehmen: Ihm fielen neulich als wichtige Geschichtsdaten dieses Jahres in einem Atemzug der Überfall und der Mauerbau ein. Was, wie aus der Partei zu hören ist, keine Gleichsetzung von Ausrottungskrieg und Aggressionsabwehr war. Denn letzteres war die Mauer: Solange es sie gab, zog die BRD nicht in einen Krieg, nach ihrer Öffnung sofort.

Die letzte Entscheidung zur Grenzschließung 1961 fiel jedenfalls mit Blick auf 1941 und war anders als von der DDR-Führung geplant. Sie hatte keine militärische Anlage vorgesehen. Es bleibt daher eine Lüge, wenn Steinmeier behauptet, Walter Ulbrichts Satz vom Juni 1961 »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten« sei als »eine der dreistesten Lügen in die deutsche Geschichte eingegangen«. So hätten es die Erzähler von Märchen über die DDR gern, aber die Einführung von Grenzkontrollen aus ökonomischen Gründen ist etwas anderes als eine Mauer. Was genau zur militärischen Lösung führte, schlummert in Moskauer Archiven. Aber zu verschweigen, dass »imperialistischer Irrsinn« (General Fritz Streletz in jW vom 13. August) die Hauptursache für die militärische Variante war, hat Gründe: Das damalige »Spiel« mit Krieg und Atombombe des Westens war keine Fiktion.

Wie hieß es im Brief von Bundeskanzler Konrad Adenauer an US-Präsident John F. Kennedy im Oktober 1961? Der Westdeutsche fürchtete, die USA wären nicht zum Äußersten bereit, faselte von einem »präventiven Nuklearschlag« und drängte: »Die Entscheidung, Nuklearwaffen zu benutzen, muss den Sowjets klargemacht werden ebenso wie die Tatsache, dass die Sowjetunion selbst ein Ziel sein würde.« Da versuchte der Bonner Schwanz mit dem US-Hund zu wackeln. Es dauerte ein Jahr, dann war in der Kuba-Krise der atomare Weltkrieg fast erreicht.

Nach der Drohung des jetzigen US-Präsidenten mit einem »echten« Krieg gegen Großmächte lässt sich sagen: 2021 ist in dieser Hinsicht 1961. Eine Mauer reicht nicht mehr


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