Donnerstag, 24. August 2017

Die Grenzen des US-Neo-Imperialismus


Das militärische Projekt der Vereinigten Staaten für die Welt



VERÖFFENTLICHT VON LZ⋅23. AUGUST 2017

von Thierry Meyssan


Während alle Experten sich einig sind, dass die Ereignisse in Venezuela dem gleichen Muster wie in Syrien folgen, haben manche den Artikel von Thierry Meyssan beanstandet, indem sie die Unterschiede in der Auslegung der Präsidenten Assad und Maduro betonten. Unser Autor antwortet ihnen. Es geht hier nicht um einen Spezialisten Streit, sondern um eine grundlegende Diskussion über die historische Wende seit dem 11. September 2001 und die unser aller Leben bestimmt.



Dieser Artikel ist die Fortsetzung von: „Meinungsverschiedenheiten innerhalb des antiimperialistischen Lagers“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 15. August 2017.
Im ersten Teil dieses Artikels wies ich darauf hin, dass gegenwärtig Präsident Bachar Al-Assad die einzige Persönlichkeit ist, die sich an die neue „große amerikanische Strategie“ angepasst hat; alle anderen denken weiterhin so, als ob die derzeitigen Konflikte denjenigen gleichen, die wir seit dem Ende des zweiten Weltkriegs erlebt haben. Sie halten daran fest, die Ereignisse als Versuche der Vereinigten Staaten zu interpretieren, um die natürlichen Ressourcen an sich zu reißen, indem sie Staatsstreiche organisieren.



So wie ich es jetzt entwickeln werde, denke ich, dass sie sich irren und dass ihre Fehler die Menschheit in die Hölle stürzen könnten.


Das US-strategische Denken



Seit 70 Jahren war die Obsession der amerikanischen Strategen nicht, ihr Volk zu verteidigen, sondern ihre militärische Überlegenheit über den Rest der Welt zu bewahren. In den zehn Jahren nach der Auflösung der UdSSR bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 suchten sie nach Wegen, um jene einzuschüchtern, die ihnen Widerstand leisteten.
Harlan K. Ullman entwickelte die Idee die Bevölkerungen zu terrorisieren, indem man ihnen einen großen Schlag auf den Kopf verabreichte (Shock and awe, Schock und Schauer) [1]. Im Idealfall war es der Einsatz der Atombombe gegen die Japaner, in der Praxis, die Bombardierung Bagdads durch einen Schwarm von Marschflugkörpern.



Die Straussianer (d.h. die Anhänger des Philosophen Léo Strauss) wollten mehrere Kriege zugleich führen und gewinnen (Full-spectrum dominance Vollspektrum-Dominanz). Es waren also die unter einem gemeinsamen Kommando geführten Kriege von Afghanistan und Irak [2].
Admiral Arthur K. Cebrowski befürwortete die Reorganisation der Streitkräfte, um eine große Datenmenge gleichzeitig zu bearbeiten und zu teilen. So könnten Roboter eines Tages sofort die beste Taktik vorschlagen [3]. Wie wir sehen werden, haben die tiefgreifenden Reformen, die er initiiert hatte, schnell begonnen giftige Früchte zu produzieren.



Das neo-imperiale Denken der USA



Diese Ideen und diese Phantasien führten vorerst Präsident Bush und die Marine dazu, das größte internationale System der Entführung und Folter zu organisieren, das 80000 Opfer forderte. Dann hat Präsident Obama ein Mord-System eingerichtet, hauptsächlich durch Drohnen, aber auch durch Kommandos, das in 80 Ländern tätig ist und das über ein jährliches Budget von $ 14 Milliarden verfügt [4].


Seit dem 11. September gab der Assistent von Admiral Cebrowski, Thomas P. M. Barnett, viele Konferenzen im Pentagon und in den Militärakademien, um zu verkünden, was laut dem Pentagon die neue Karte der Welt wäre [5]. Dieses Projekt wurde durch die Strukturreformen der US-Streitkräfte ermöglicht; Reformen, die aus dieser neuen Vision der Welt stammen. Es schien so verrückt, dass ausländische Beobachter es bald als eine neue Rhetorik einstuften, um den zu unterjochenden Völkern mehr Angst einzuflößen.


Barnett behauptete, damit die Vereinigten Staaten ihre Hegemonie auf der ganzen Welt beibehalten könnten, sollten sie „die Lage gut einschätzen“, das heißt, sie in zwei Teile aufspalten. Auf der einen Seite, die stabilen Staaten (G8-Mitglieder und ihre Verbündeten), andererseits der Rest der Welt, als ein einziges Reservoir an Naturschätzen. Anders als seine Vorgänger hielt er den Zugriff auf diese Ressourcen für Washington nicht mehr für so unverzichtbar, behauptete aber, sie sollten für die stabilen Staaten nur über die Dienste der amerikanischen Armeen zugänglich sein. Es sollten daher systematisch alle Staats-Strukturen in diesem Ressourcen-Reservoir zerstört werden, damit niemand eines Tages gegen den Willen von Washington, oder direkt mit den stabilen Staaten, Handel betreiben könnte.


Während seiner Rede zur Lage der Union im Januar 1980 erklärte Präsident Carter seine Doktrin: Washington betrachte die Versorgung der Wirtschaft mit dem Öl des Golfs als eine Sache der nationalen Sicherheit [6]. Anschließend rüstete sich das Pentagon mit dem CENTCOM aus, um diese Region zu kontrollieren. Aber heute importiert Washington weniger Öl vom Irak und Libyen als vor diesen Kriegen; und hat kein Interesse mehr daran!


Staatliche Strukturen zu zerstören, ist die Rückkehr zum Chaos, ein von Léo Strauss entlehntes Konzept, dem Barnett aber einen neuen Sinn gibt. Für den jüdischen Philosophen kann das jüdische Volk, nach dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Holocaust, den Demokratien nicht mehr trauen. Das einzige Mittel für ihn, sich vor einem neuen Nationalsozialismus zu schützen, ist, für sich seine eigene globale Diktatur zu errichten – für das Wohl, natürlich -. Man müsste also manche resistente Staaten zerstören, sie in das Chaos zurückwerfen und nach neuen Gesetzen neu aufbauen [7]. Das ist, was Condoleezza Rice in den ersten Tagen des Krieges gegen den Libanon im Jahr 2006 sagte, als Israel noch siegreich erschien: „Ich sehe nicht den Nutzen der Diplomatie, wenn man zum Status Quo Ante zwischen Israel und dem Libanon zurückkommen sollte. Ich denke, es wäre ein Fehler. Was wir hier sehen, in gewisser Weise, ist der Anfang, die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens und was immer wir auch tun werden, müssen wir sicher sein, dass wir für einen neuen Nahen Osten arbeiten und wir nicht zu dem alten zurückkehren“. Im Gegenteil, für Barnett muss man nicht allein die widerspenstigen Völker ins Chaos stürzen, sondern all jene, die noch nicht einen bestimmten Lebensstandard erreicht haben; und wenn sie zum Chaos reduziert sind, man sie dort auch halten muss.


Der Einfluss der Straussianer im Pentagon ist übrigens seit dem Tod von Andrew Marshall, der die „Wende nach Asien“ [Pivot to Asia] erfunden hatte, zurückgegangen [8].


Einer der großen Brüche zwischen den Gedanken von Barnett und denen seiner Vorgänger, ist, dass der Krieg nicht gegen bestimmte Staaten aus politischen Gründen geführt werden soll, sondern gegen Teile der Welt, weil sie nicht in dem globalen Wirtschaftssystem integriert sind. Natürlich wird man mit diesem oder jenem Land beginnen, aber man fördert die Verbreitung, um alles zu zerstören, wie im Erweiterten Nahen Osten zu sehen ist. Heute geht der Krieg mit Panzern weiter, sowohl in Tunesien, in Libyen, in Ägypten (Sinai), in Palästina, im Libanon (Ain al-Hilweh und Ras Baal Beck), in Syrien, im Irak, in Saudi Arabien (Qatif), in Bahrain, Jemen, in der Türkei (Diyarbakır), als auch in Afghanistan.


Das ist der Grund, warum die neo-imperialistische Strategie von Barnett sich auf Elemente der Rhetorik von Bernard Lewis und Samuel Huntington, der „Krieg der Zivilisationen“ unbedingt stützen wird [9]. Da es unmöglich ist, unsere Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen des Reservoirs der natürlichen Ressourcen zu rechtfertigen, können wir uns immer selbst davon überzeugen, dass unsere Zivilisationen nicht kompatibel sind.
 
Laut dieser, einer Power-Point entnommenen Karte von Thomas P. M. Barnett auf einer Konferenz im Pentagon im Jahr 2003, müssen alle Staaten der rosaroten Zone zerstört werden. Dieses Projekt hat nichts mit dem Klassenkampf auf nationaler Ebene zu tun, noch mit der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Nach dem Erweiterten Nahen Osten bereiten sich nun die US-Strategen vor, das nordwestliche Lateinamerika in Schutt und Asche zu legen.



Die Umsetzung des US-Neo-Imperialismus



Es ist genau diese Politik, die seit dem 11. September umgesetzt wurde. Kein Krieg, der geführt wurde, wurde zu Ende geführt. Seit 16 Jahren sind die Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung jeden Tag schrecklicher und gefährlicher. Der Wiederaufbau ihres Staates, nach einem angekündigten Plan auf dem Modell von Deutschland und Japan nach dem zweiten Weltkrieg, fand nicht statt. Die Präsenz der NATO-Truppen hat das Leben der Afghanen nicht verbessert, sondern im Gegenteil, verschlechtert. Es ist klar, dass sie jetzt die Ursache des Problems ist. Trotz der beschwichtigenden Reden über internationale Hilfe, sind diese Truppen nur da, um das Chaos zu vertiefen und zu erhalten.


Niemals, als NATO-Truppen intervenierten, haben sich die offiziellen Gründe des Krieges als wahr erwiesen, weder gegen Afghanistan (die Zuständigkeit der Taliban an den Anschlägen vom 11. September), noch gegen den Irak (die Unterstützung von Präsident Hussein der Terroristen vom 11. September und die Vorbereitung massiver Zerstörungswaffen, um die Vereinigten Staaten zu treffen), noch in Libyen (die Bombardierung seines eigenen Volkes durch die Armee), noch in Syrien (die Diktatur von Präsident Assad und der Sekte der Alawiten). Und niemals hat der Sturz einer Regierung dem Krieg ein Ende gesetzt. Alle diese gehen ununterbrochen weiter, unabhängig davon, welche Parteien an der Macht sind.


Die „Arabischen Frühlinge“, wenn sie auch aus einer Idee des MI6 stammen, nach dem Muster des „arabischen Aufstandes von 1916“ und der Heldentaten von Lawrence von Arabien, wurden sie in der gleichen US-Strategie aufgenommen. Tunesien ist unüberschaubar geworden. Ägypten wurde glücklicherweise von seiner Armee in die Hand genommen und versucht nun, seinen Kopf über dem Wasser zu halten.


Libyen wurde ein Schlachtfeld, nicht seit der Resolution des Sicherheitsrats, die forderte die Bevölkerung zu schützen, sondern nach der Ermordung von Muammar Gaddafi und dem Sieg der NATO. Syrien ist ein Ausnahmefall, weil der Staat nie in die Hände der Muslim-Bruderschaft geraten ist und sie nicht das Chaos im Land sähen konnte. Aber viele Dschihadisten Gruppen der Bruderschaft haben kontrolliert- oder kontrollieren immer noch – Teile des Staats-Gebiets, wo sie Chaos gesät haben. Weder das Kalifat von Daesch, noch Idlib unter Al-Kaida, sind Staaten, wo der Islam gedeihen kann, sondern Zonen des Terrors ohne Schulen, ohne Krankenhäuser.


Es ist wahrscheinlich, dass Syrien wegen seiner Bevölkerung, seiner Armee und seiner russischen, libanesischen und iranischen Verbündeten erreicht, diesem von Washington dafür angelegten Schicksal zu entrinnen, aber der erweiterte Nahen Osten wird weiterhin lodern, bis seine Völker die Pläne ihrer Feinde verstehen. Wir sehen, dass der gleiche Zerstörungsprozess im Nordwesten von Lateinamerika beginnt. Die westlichen Medien sprechen verächtlich von den Unruhen in Venezuela, aber der Krieg, der beginnt, wird sich nicht auf dieses Land beschränken, er wird auf die Region übergreifen, obwohl die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Staaten, aus denen sie sich zusammensetzt, sehr unterschiedlich sind.


Die Grenzen des amerikanischen Neo-Imperialismus



Die US-Strategen vergleichen gerne ihre Macht mit der des römischen Reiches. Aber dieses brachte den Völkern, die es eroberte, und die es assimilierte, Sicherheit und Opulenz. Es baute Monumente und rationalisierte ihre Gesellschaften. Im Gegenteil, der amerikanische neo-Imperialismus bringt nichts, weder den Völkern der stabilen Staaten, noch denen des Reservoirs mit natürlichen Ressourcen. Es plant, die ersten zu erpressen und die soziale Bindung zu zerstören, die letztere zusammen hält. Es will vor allem letztere nicht vernichten, und benötigt ihr Leiden, damit das Chaos, in dem sie leben, verhindert, dass stabile Staaten ohne den Schutz der US-Streitkräfte bei ihnen Naturschätze einholen.
Das imperialistische Projekt war bisher der Auffassung, dass man „keine Eierspeise macht ohne Eier zu zerschlagen.“ Es akzeptierte kollaterale Massaker zu begehen, um seine Dominanz zu vergrößern. Nun plant es weitverbreitete Massaker, um seine Autorität dauerhaft geltend zu machen.
Der amerikanische Neo-Imperialismus setzt voraus, dass die anderen G8-Staaten und ihre Verbündeten zustimmen, dass ihre Interessen im Ausland durch die US-Streitkräfte „geschützt werden“. Wenn das auch kein Problem mit der Europäischen Union ist, die bereits seit sehr langer Zeit entmannt ist, wird dies wohl mit dem Vereinigten Königreich diskutiert werden müssen, und wird mit Russland und China unmöglich sein.
Unter Hinweis auf die „besondere Beziehung“ mit Washington hat London bereits verlangt, dem US-Projekt zur Weltherrschaft anzugehören. Es war der Sinn der Reise von Theresa May in die Vereinigten Staaten im Januar 2017, aber sie hat keine Antwort bekommen [10].



Darüber hinaus ist es undenkbar, dass die US-Streitkräfte die Sicherheit der „Seidenstraße“ garantieren, wie sie es heute mit ihren britischen Partnern für maritime- und Luftwege machen. Ebenso ist es undenkbar, Russland in die Knie zu zwingen, das übrigens gerade wegen seinen Engagements in Syrien und auf der Krim aus dem G8 ausgeschlossen wurde.
Übersetzung
Horst Frohlich




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