Der Stellvertreterkrieg ist vorbei: Putin hat den Westen vor eine verhängnisvolle Wahl gestellt
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 23. NOVEMBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Alexander Jakowenko – https://rtnewsde.com
Die Hyperschall-Antwort Moskaus auf das provokante Vorgehen der
westlichen Länder – die Angriffe auf russisches Staatsgebiet – scheinen
die Entscheidungsträger in Washington und anderen westlichen
Hauptstädten nicht begriffen zu haben. Ein umfassender Realitätsverlust
hat die US- und NATO-Eliten erfasst. Und so eskaliert der Westen weiter.
Die gestrige Erklärung des russischen Präsidenten zu den
Mittelstreckenraketen kann kaum als etwas anderes als ein Schachmatt
angesehen werden. Der Westen, oder besser gesagt die Angelsachsen, haben
buchstäblich darum gebeten, weil sie glaubten, den Kreml und
gleichzeitig die Trump-Administration in eine ausweglose Lage bringen zu
können, indem sie Kiew gestatteten, russisches Territorium innerhalb
seiner alten Grenzen mit seinen Raketen von begrenzter Reichweite
anzugreifen. Aber im Ukraine-Konflikt, der sich zu einem Dritten
Weltkrieg im „Taschen-“ oder „Kabinetts-„Maßstab entwickelt hat, ist es
gekommen „wie üblich“.
Putin warnt: Ziele für weitere Tests unserer neuesten Raketen wählen wir nach Bedrohungslage aus
Sergei Karaganow hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass Washington und
der Westen insgesamt die Frage der Verhinderung des Dritten Weltkriegs
selbst auf die globale Tagesordnung gesetzt haben. Aber die Logik des
Lebens legt nahe, dass dies möglich ist, indem man ihn in einem halb
virtuellen, begrenzten Format führt, in dem die Ukraine als Simulakrum
dient und im Namen des historischen Westens vom historischen Russland in
seinem hybriden oder Stellvertreterkrieg besiegt wird. Im vom Westen
geführten Stellvertreterkrieg des Kiewer Regimes.
Doch worum geht es in diesem Konflikt wirklich, der einen Schlussstrich
unter die jahrhundertealte Konfrontation zwischen Russland und dem
Westen zu ziehen scheint?
Zunächst einmal glaubte der Westen, Russland mit der Provokation der
Ukraine-Krise in eine Blitzkriegsfalle zu locken. Stattdessen fand er
sich selbst in einem langwierigen Konflikt gefangen, auf den er nicht
vorbereitet war und es in absehbarer Zeit auch nicht sein wird – weder
materiell noch politisch noch geistig oder psychologisch. Es ist klar,
dass infolge dieser groben, wenn nicht gar dummen Fehleinschätzung die
westlichen Regierungen auseinanderfallen: die Regierung der Demokraten
in den Vereinigten Staaten; das Kabinett Scholz in der Bundesrepublik
Deutschland; und auch Frankreich muss sich bislang mit einer
Minderheitsregierung begnügen.
Und noch mehr. Das Gleiche geschieht derzeit bei dem Raketen-Gambit. Der
Kreml antwortet auf den westlichen Spieß mit einem Vorschlaghammer auf
den Kopf, einem Vorschlaghammer, der sich auf eine modifizierte
Nukleardoktrin stützt. Damit wird die zeitversetzte Wirkung des
rücksichtslosen Kurses der USA und der NATO auf den Zusammenbruch des
gesamten Rüstungskontrollsystems, ob konventionell (Verweigerung der
Ratifizierung des modernisierten KSE-Vertrags) oder nuklear (Verträge
über Raketenabwehr und Mittel- und Kurzstreckenraketen), realisiert.
Britisches Militär: Sind für „Schlacht“ gegen Russen bereit
Darüber hinaus hat sich auf äußerst spektakuläre Weise gezeigt (die
westlichen Hauptstädte selbst haben uns die „Weltbühne“ zur Verfügung
gestellt), dass der Westen überhaupt nicht bereit ist, mit Russland auf
dem Feld der Machtpolitik zu konkurrieren. Jean Baudrillard, einer der
genialen Begründer der Postmoderne, prognostizierte um die Wende der
80er- und 90er-Jahre, dass im Schatten der nuklearen Konfrontation der
„menschliche Raum des Krieges“ neu geschaffen werden könnte und das
Wettrüsten eher den Charakter eines „technologischen Manierismus“ als
einer dumpfen Anhäufung veralteter Systeme annehmen würde.
Russland hat sich im Gegensatz zum Westen in diesen beiden Entwicklungen
wiedergefunden. Und wie jetzt offensichtlich ist, werden die Raffinesse
und Eleganz unserer Waffen auf die politische Strategie und Taktik der
Umsetzung unserer jeweiligen Vorteile projiziert. Ebenso raffiniert und
demütigend ist es, weitere Angriffe auf unser Territorium abzulehnen
oder mit der Ankündigung Moskaus, „experimentelle“ Hyperschallraketen
gegen die eine oder andere Militäreinrichtung einzusetzen und die
Zivilbevölkerung aufzufordern, „den Raum zu evakuieren“, konfrontiert zu
werden (die Briten werden verständlicherweise als erste an der Reihe
sein).
Und das alles in dem für unsere Diplomatie charakteristischen Geist der
völligen Offenheit und ohne jede Kriegserklärung. Und vielleicht als
Antwort auf die Frage von Angela Merkel (in ihrem am 28. November
erscheinenden Buch), woher Wladimir Putin sein verblüffendes
„Selbstvertrauen“ bei seiner berühmten Münchner Rede im Februar 2007
nahm. Und genau da kam es her! Der Westen wollte weder damals noch im
Dezember 2021, als Moskau dies am Vorabend der speziellen
Militäroperation anbot, „in Freundschaft leben“.
Der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, befindet sich im
strategischen Niedergang: Sie, nicht Russland, erleiden eine
strategische Niederlage. Und kein noch so großes „Strategisieren“, das
heißt kein Zusammenstellen aller möglichen „großen Strategien“, um die
Realität an das gewünschte Ergebnis anzupassen, kann diese Situation
ändern. Edelstein und Krebs haben dies bereits Ende 2015 auf den Seiten
der Foreign Affairs überzeugend dargelegt.
Storm-Shadow-Raketen gegen Russland
Die Frage nach den Strategien ist nicht neu. Auch Baudrillard stellte
sie, indem er den Begriff der „fatalen Strategien“ einführte, die er den
„banalen“ Strategien entgegensetzte. Aus dieser Perspektive ist alles,
was der Westen tut, banal, wohingegen Russland, wie 1812 und im Großen
Vaterländischen Krieg, mit einer fatalen Strategie antwortet, die sein
Schicksal und seine Mission in der Geschichte zum Ausdruck bringt. Es
akzeptiert die ihm auferlegten Spielregeln und wendet sie gegen seine
Gegner an, wobei es den Einsatz verdoppelt. So war es auch bei den
Raketen – nicht wir waren es, die diese „Eröffnung“ gespielt haben.
Der Westen erlebt einen „Weimarer Moment“ und muss sich nach den
traurigen Erfahrungen der letzten 40 Jahre mit dem Globalismus nun
zwischen Faschismus und einer Rückkehr zur Nachkriegsnormalität
entscheiden. Wie der politische Redakteur der in Deutschland
erscheinenden Zeit, Jochen Bittner (die Deutschen wissen es besser!), in
der International Herald Tribune vom Juni 2016 zu diesem Thema schrieb,
„ist die liberale Demokratie zu weit gegangen und zu einer Ideologie
der Eliten auf Kosten aller anderen geworden“. Man fragt sich, was
Russland und der Kreml damit zu tun haben. Es ist einfach der Instinkt
der westlichen Eliten, dass ein Krieg alles tilgen wird. Aber gerade in
diesem Krieg geht diese Rechnung nicht auf.
Russland hat den derzeitigen Konflikt nicht begonnen. Aber da er einmal
entfesselt wurde, ist es bereit, ihn bis zu Ende zu führen. Ob der
Westen dazu bereit ist, ist eine Frage, die dort beantwortet werden
muss. Und sie wird nicht nur von Moskau gestellt, sondern auch von der
eigenen Wählerschaft und dem Rest der nicht westlichen Welt. Oder „gibt
es wichtigere Dinge als Frieden“ (nach Reagan)?
Wenn es sich um ein Problem des „nackten Machtwillens“ westlicher Eliten
handelt, denen Gerechtigkeit und Wahrheit fremd sind, ganz zu schweigen
von den fehlenden Mitteln für ihre „Politik aus einer Position der
Stärke“, dann ist es angebracht, es anders zu formulieren.
Aufschlussreich ist hier ein Satz aus der Apostelgeschichte: „Denn wenn
dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört
werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten“
(5:38,39).
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. November 2024 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.
https://rtnewsde.com/meinung/226950-stellvertreterkrieg-ist-vorbei-putin-hat/
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