„Warum unsere Studenten
so angepasst sind“ - von Christiane Florin
Vom
WIR
zum
ICH-ICH-ICH
Buchtipp
von Harry Popow
"Oh“, meinte erstaunt ein mir bekannter junger Student, als ich ihm von dem Büchlein mit dem Titel „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ erzählte. „Das will ich auch lesen!“, rief er interessiert. Das vorneweg: Diese Schrift wird ihn, ebenso wie hoffentlich zahlreiche Leser, nicht enttäuschen.
Allein das Reizwort
„angepasst“ provoziert Nachdenklichkeit, prägt es doch einen
pejorativen Beigeschmack. Keiner will als angepasst gelten. Weder
Studenten noch Bürger. Das ist Mitläufertum, nachäffen wollen,
willenloses Nachahmen, Vorgekautes schlucken müssen, blind gehorchen
und, und, und... Nicht zu verwechseln mit dem Denken und Tun aus
tiefster innerer Überzeugung.
Angepasstsein - zwei
Seiten einer Medaille. Die Machthaber, wer auch immer, als auch die
Ausführenden. In diesem Fall die Studenten. Christiane Florin weiß,
wovon sie erzählt. Sie ist seit über zehn Jahren Lehrbeauftragte am
Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität
Bonn. Sie lehrt Medienpolitik und Medienkultur. Bis 2010 leitete sie
das Feuilleton des „Rheinischen Merkur“, heute ist sie die
Redaktionsleiterin von „Christ und Welt“ in der „Zeit“.
Ihr Büchlein von nur 80
Seiten explodiert nahezu von persönlichen Beobachtungen und
Erfahrungen. Es seien Notizen, die nie für die Öffentlichkeit
gedacht waren, nun aber notwendig erscheinen und den Charakter eines
Protokolls einer Anpassung, einer Kommunikationsstörung und einer
Sehnsucht haben, wie die Autorin im Vorwort schreibt.
Der Ist-Zustand einer
jungen Generation steht im Fokus. Wissenschaftler, die mit an der
Zukunft basteln, die Wege zu bereiten haben für ein friedvolles
Wachsen im Interesse aller. Sie sollten sich, so die Hoffnung der
Cristiane Florin, einen eigenen Standpunkt erarbeiten, sollen als
Individualitäten gelten und nicht der Ich-Hätschelei unterliegen.
(S. 55) Ja, sie mögen gleichzeitig Widerstand leisten. Aber wogegen?
Wie gegen die Ängste vor einem Nuklearkrieg angehen, wie gegen die
Alternativlosigkeit des Systems? (S. 43)
Die Umstände sind es, die
das Denken und Handeln der Studenten in eine Richtung lenken, die
alles andere als kreativ und verändernd auf die Gesellschaft wirken.
So liest man im Buch mit Schrecken von dem Unwillen vieler, Neues
entdecken zu wollen, von dem einzigen Interesse, die Rohstoff-Menge
an Lehrmaterial in der festgelegten Zeit zu bewältigen, von der
Ablehnung von Diskursen, die ja altmodisch seien, von der
Anspruchslosigkeit, was Inhalte betrifft, von der Abneigung
politischen Denkens, von der Geübtheit, die Anforderungen des
Arbeitsmarktes zu berücksichtigen, geleitet von dem Motiv, zur
Leistungsgesellschaft dazuzugehören. Was bleibt? Die Intelligenz im
Gleichschritt mit einer Macht, die wiederholt die Welt in Kriege
getrieben hat und nun deren „Neuvermessung“ anstrebt.
Ergänzend hierzu eine
Überlegung von Samira Manthey im Augustheft der Monatszeitschrift
RotFuchs: Politik sei unnütz. Man müsse sich also gar nicht
informieren. Man achtet weder auf Fakten noch auf Gerechtigkeit. So
werde ein Verständnis der aktuellen Weltlage nicht erreicht. „Es
werden die vielfältigen Erscheinungsformen betrachtet, die man nach
ihrer Meinung so oder so bewerten kann, aber die Fähigkeit,
Zusammenhänge auf der Basis des Nicht-Gelogenen zu erkennen, geht
schon in meiner Generation verloren.“
Dieser Druck des Marktes,
sich verkaufen zu müssen, der ist es, der Blüten der
Absonderlichkeiten treibt. Mehr scheinen zu wollen als zu sein,
jegliche äußere Statements zu bedienen, an den Beruf mit dem Slogan
„Irgendwas – mit Management tun zu haben“, das eigene Ich in
den Mittelpunkt zu stellen, das Private, keine Fragen stellen zu
wollen, das Bemühen um ein eigenes Urteil als lästig zu empfinden,
die Überschätzung der sogenannten Selbstverwirklichung, die fast
minütlich erfolgende Erkundung der eigenen Befindlichkeit, das
Shoppen als das eigentlich Politische zu betrachten, die Erwartung
vom Lehrkörper, er möge bitteschön eine fertige „Welterklärung“
liefern. Die Autorin zitiert auf Seite 40 eine Studentin mit Namen
Jukiane Löffler mit folgenden Worten: „Die Zukunftsangst meiner
Generation ist zum Motor unserer standardisierten
Leistungsbereitschaft geworden“.
Die Autorin schreibt als
Dozentin von „unseren Opfern“. „Sie tun brav das, was wir
Dozenten (…) von ihnen erwarten und müssen sich auch noch in einem
bildungsbürgerlichen Blatt für ihre Anpassungsleistung kritisieren
lassen.“ Einige Zeilen weiter heißt es, man wisse „weder an der
Uni noch im Rest der Gesellschaft (…) ob sich eine Haltung
überhaupt lohnt“. (S. 41) Ihre Studenten könnten wie das
entspannte Gesicht des Kapitalismus sein, „keine Systemdiskussion
verzerrt ihre Züge“, so die Autorin. Einige Politikstudentinnen
kontern: Wo solle die Kritik ansetzen, wenn man gar nicht über die
entscheidenden Themen spreche, sondern nur danach befragt werde, wie
die bisherigen Bundeskanzler hießen? Es sei der Eindruck entstanden,
dass „Veränderungen heute fast unerreichbar geworden sind“. (S.
43) Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass das Okaysein oberstes
Lernziel geworden sei, wobei es wichtig sei, den eigenen Nutzen für
sich selbst als messbar zu erkennen. (S. 22) Im Grunde genommen gehe
man von einer Haltung aus, die da lautet, „heute so, morgen so“.
Eine Haltung der Unverbindlichkeiten, des Lavierens zwischen
angeblich verschiedenen Wahlmöglichkeiten, die einer sperrigen
Vielfalt entsprechen. (S. 24) Der viel gelobhudelte Pluralismus lässt
grüßen. Ich als Rezensent stimme der Samira Manthey (siehe weiter
oben) auch hier zu: „Kapitalistische Ideologisierung der Eliten
funktioniert durch das Säen von Zweifeln und Hoffnungslosigkeit,
indem man ihnen eintrichtert, man könne alles ´so oder so´ sehen,
Begriffe verlören ihre Eindeutigkeit, Möglichkeiten wären schöner
als `Festschreibungen´, es gäbe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen
Individuen und vor allem nicht die daraus resultierende Verantwortung
füreinander.“
Bleibt die Frage: Wofür
und warum sollen sich die Studenten danach strecken,
Urteilsfähigkeit, Selbstständigkeit und Kreativität zu erlangen,
wenn deren Sinn und Denken des Existenzkampfes unter ausschließlich
Marktbedingungen getrimmt wird, mithalten zu können im Kampf um das
große und kleine Geld? Wer von Zeitvertrag zu Zeitvertrag stolpern
muss, bleibt angepasst (S. 68). Wer stellt da noch Fragen nach dem
Sinn des Lebens? Nach Inhalten? Die Ursachen liegen tiefer. So
schreibt Werner Seppmann in der „jungen welt“ vom 10.08.2012: „Es
wird ein Menschenbild negiert, das als Gegenprinzip zur Welt der
Entfremdung und Verdinglichung dienen könnte. Die theoretische
Abwertung des Menschen korrespondiert mit der Weigerung, sich
überhaupt noch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und den von
ihnen produzierten Entfremdungsformen jenseits symbolischer
Beschwörungsrituale auseinanderzusetzen.“
Die Autorin vermisst nicht
die Ideologien, sondern die Ideen, nicht die Meinungsstärke, sondern
die Urteilskraft. Sie wünsche sich einen „Wissenschaftsbetrieb,
der Platz lässt für Abseitiges, Originelles, Widerborstiges“. (S.
79) Ist dies nicht zu eng gedacht? Worauf läuft dann dieses
Nichtanpassen hinaus? Bei unveränderten kapitalistischen
Produktionsverhältnissen darauf, die Barbarei, die
Machtverhältnisse, die ja von den Studenten akzeptiert und auch
kritisiert werden, zu perfektionieren. Für wen und wofür solle man
sich kreativ verhalten?
Der Jurist Glenn
Greenwald, er gilt als einer der einflussreichsten politischen
Kommentatoren in den USA, wurde in der „jungen welt“ - Beilage
vom 27. August 2014 mit folgenden Worten zum Angepasstsein zitiert:
Man habe (…) als mutige Journalisten zwei Möglichkeiten -,
„Anpassung an die institutionelle Autorität oder radikalen
Widerspruch dagegen“. Nicht das Letztere sei Zeichen einer
Persönlichkeitsstörung, wie mitunter behauptet werde, sondern die
Weigerung, Einspruch zu erheben sei Zeichen einer Charakterschwäche
oder moralischen Versagens. Ich meine, wenn man weiß wofür und
wogegen. Besser, man kehre die Sache um: Vom ICH zum WIR. Doch das
ist eine inhaltliche Sache, ein grundlegendes politisches Anliegen,
das ja verpönt ist. Darin kein Dilemma zu sehen macht bereits blind.
Im letzten Satz meint die
Autorin, es sei ihr noch kein Student untergekommen, der
Bundeskanzler nicht nur aufzählen, „sondern auch einen
hervorbringen kann“. Hoppla, der politisch urteilsfähige anfangs
von mir genannte Student (ihn gibt es wirklich) würde sich die Haare
raufen, nur marktkonform und aalglatt durchs Leben zu lavieren? Wäre
er in den Augen der Autorin der Idealstudent? (PK)
Christiane Florin:
„Warum unsere Studenten so angepasst sind“, Rowohlt Taschenbuch
Verlag, September 2014, 80 Seiten, ISBN: 978-3-499-61741-6, 4,99
Euro, Auch als E-Book erhältlich, ISBN: 978-3-644-51831-5
Erstveröffentlichung der
Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
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