entnommen aus: http://www.jungewelt.de/2014/09-13/007.php
»Es gibt ein NATO-Netzwerk in den deutschen Medien«
Gespräch mit Willy Wimmer. Über die geopolitischen Interessen der USA in Europa, über Helmut Kohl und den Angriff auf die parlamentarische Demokratie
Interview: Thomas Wagner
Willy Wimmer gehörte 33 Jahre dem Bundestag an. Zwischen 1985 und 1992 war er erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Sie haben nach 1989 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR in die Bundeswehr eingegliedert und darüber hinaus das Konzept entwickelt, mit dem das vereinigte Deutschland in die NATO geführt wurde. Trotzdem wurden Sie bald darauf von US-Repräsentanten des »Kommunismus« bezichtigt.Zunächst gab es die Frage, wie man die Wiedervereinigung so hinkriegen kann, daß der europäische Friede erhalten bleibt. Aber wir Parlamentarier, die auf internationalem Feld arbeiteten – zu uns gehörte auch die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth –, wollten uns auch mit wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen befassen. Die Briten und Amerikaner, die für eine reine Form des Kapitalismus eintraten, verhinderten das. Sie lehnten das von uns vertretene Konzept der sozialen Marktwirtschaft ab und beschimpften uns als Kommunisten.
Das hat uns überrascht und war ein Zeichen, daß sich die Welt auf ungeahnte Weise umbrechen würde. Wir sind damals davon ausgegangen, daß Verhandlungs- und Verständigungsforen wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus der später die OSZE wurde, erhalten bleiben würden. Mit der KSZE war verbunden, daß man sich auf drei Feldern konzeptionell Gedanken machen konnte: Außen- und -Sicherheitspolitik, Menschenrechte. Der dritte von diesen drei Körben war in der Zeit des Kalten Kriegs nicht genutzt worden: die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit. Die Kontinentaleuropäer wollten ihn mit Leben füllen, die USA, die Briten und zum Teil die Kanadier nicht. Schließlich haben die Amerikaner den dritten Korb übernommen und mit »Shareholder Value« gefüllt.
Wir gerieten mit unserem Konzept der sozialen Marktwirtschaft ins Hintertreffen, auch in der eigenen Partei. 2002, auf dem sogenannten Leipziger Parteitag, präsentierte sich die CDU als eine überdimensionierte FDP. Hierhin gehört auch Frau Merkels Idee, eine »marktkonforme Demokratie« zu entwickeln.
In den internationalen Gremien hat sich diese Entwicklung schon so früh abgezeichnet, daß wir nicht überrascht sein mußten. Aber wir konnten das unseren Kollegen, die sich nicht in den internationalen Foren bewegten, einfach nicht vermitteln. Sie lebten in einer ganz anderen Welt. Das trifft auch auf die Gewerkschaften zu. Wir mußten feststellen, daß die USA nicht bereit waren, das erfolgreiche Verhandlungsforum der KSZE fortzusetzen. Henry Kissinger, er verkörperte in dieser Frage die amerikanische Position, hat Mitte der 1990er Jahre dafür plädiert, die internationale Völkerrechtsordnung zu beseitigen und an ihre Stelle eine Rechtsordnung zu setzen, die im Interesse der USA ist. Das beinhaltete, bewährte Verhandlungsforen zur friedlichen Beilegung von Konflikten zu beseitigen. Wenn Helmut Kohl damals von Reisen in die USA zurückkam, hat er sich in der Fraktion immer darüber aufgeregt, daß im US-Kongreß die Stimmung vorherrschte: »Der Dritte Weltkrieg ist beendet, und wir haben ihn gewonnen.« Er hat damals zu uns gesagt: »Der Krieg ist aus Europa nicht verschwunden.« Das hat ihm 1994 in den eigenen Reihen aber keiner geglaubt.
Sie schätzen Helmut Kohl, den Sie noch 2004 bei einer Reise nach China begleiteten, offensichtlich sehr. Im Unterschied zu Ihnen hat er in den vergangenen Jahren aber nicht laut die Stimme erhoben, um gegen die von uns Ihnen angesprochenen Tendenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu protestieren.
Er hat für diese Entwicklung persönlich einen sehr hohen Preis bezahlt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die deutsche Bevölkerung 1998 mehrheitlich eine Fortsetzung seiner Kanzlerschaft nicht gewollt hat. Die andere Frage ist, wie das im Inneren der CDU abgelaufen ist. Helmut Kohl war ein ausgesprochener Verfechter der Idee, daß man auf die anderen Völker in Europa zugehen müsse. Das betrifft die Russen, die Polen, aber auch die Serben. Ich habe in seinem Auftrag Verhandlungen mit Milosevic geführt, um die Konflikte auf dem Balkan friedlich beizulegen. Das war gegen amerikanisches Interesse. Es gab Kräfte in den eigenen Reihen, Wolfgang Schäuble und Volker Rühe an der Spitze, welche die CDU in diese Richtung drängten. Weil er den Krieg gegen Jugoslawien nicht geführt hätte, wollte man ihn nicht mehr an der Spitze einer künftigen Bundesregierung. Doch seine Absicht, die bestehenden Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit zu stärken, war richtig. Deswegen mache ich keinen Hehl daraus, daß mir dieser Mann liegt.
Im Jahr 2000 nahmen Sie in Bratislava an einer vom US-Außenministerium ausgerichteten Konferenz teil, auf der ganz offen über die Strategie Washingtons gesprochen wurde.
Mich hat das überrascht. Bei uns hatte es ja eine Kampagne nach der anderen gegeben um den Krieg gegen Jugoslawien: mit Auschwitz und mit weiß was allem. In Bratislava dagegen wurde eine rein machtpolitische Überlegung vorgetragen. Die Vertreter des US-Außenministeriums sagten, es sei bei dem Krieg darum gegangen, eine Fehlentscheidung General Eisenhowers aus dem Jahr 1944 zu korrigieren. Er hatte es damals unterlassen, US-Bodentruppen auf dem Balkan zu stationieren. Dies vor Staats- und Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsministern so offen darzulegen, war eine ungewöhnliche Vorgehensweise. Die Vertreter des US-Außenministeriums machten deutlich, daß sie die Art und Weise, wie wir in Europa mit unseren Nachbarn umgehen, Eigentumsfragen regeln und Strafprozesse organisieren, nach den Maßgaben ihres eigenen Rechtssystems umbauen wollten. Das Vehikel dafür sollten der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag und das Kriegsverbrechertribunal sein.
Sie erklärten außerdem, wie sie sich Europa künftig vorstellen. Sie wollten einen Linie ziehen, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und von da aus weiter nach Anatolien geht. Alles was westlich von dieser Linie liegt, betrachteten sie als Einflußgebiet der USA. Die Russische Föderation sollte aus den europäischen Entwicklungen herausgedrängt werden. Das heutige Geschehen in der Ukraine ist für mich ein Beleg dafür, daß diese Leute damals nicht in den Mond geguckt haben. 2006, beim NATO-Gipfel in Riga, haben wir den Versuch gesehen, Georgien und die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Das ist aus einem wichtigen Grund verhindert worden: Die Westeuropäer haben kein Vergnügen daran gefunden. Denn wenn diese durchgehende Limes-Linie von der Ostsee bis nach Anatolien etabliert würde, dann bräuchten Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie ungehinderte Beziehungen zur Russischen Föderation aufrechterhalten werden können. Die könnten dann je nach Interessenlage der Vereinigten Staaten von diesen jederzeit unterbrochen werden. Sie könnten dabei auf die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten bauen: vom Baltikum bis zu Rumänien. Die USA unternehmen alles, um dieses Ziel doch noch zu erreichen. So erklärt sich auch ihr Verhalten im Hinblick auf die Ukraine.
Der US-Nachrichtendienst Stratfor hat Anfang dieses Jahres Überlegungen angestellt, durch die Etablierung besonderer Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten einen Hebel zu installieren, mit dem sie die NATO links liegen lassen kann.
Das ist die logische Konsequenz aus dem, was ich eben gesagt habe. In diesen Tagen erheben die baltischen Staaten und Polen Forderungen, den von der NATO geplanten Raketenschirm auf Rußland auszurichten. Wenn es Washington gelingt, Sonderbeziehungen zu den gefügigen Staaten Ost- und Südosteuropas zu etablieren, dann spielen wir keine Rolle mehr. Wir befinden uns dann hinter dem Limes unter amerikanischer Kontrolle. Die Nachricht, daß die neutralen Staaten Finnland und Schweden eine engere Anbindung an die NATO suchen, muß man als ein Eingehen auf die realen Machtverschiebungen deuten, die wir in Europa haben.
Wie ordnen Sie die derzeit laufenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union in diesem Zusammenhang ein?
Bei TTIP handelt es sich um den Versuch der USA, den hinter dem »Limes« liegenden Bereich in ihrem Interesse zu ordnen. Dabei geht es weniger um das vieldiskutierte Chlorhuhn, als um die Aushebelung der parlamentarischen Demokratie. Wenn wir als hoch entwickelter Rechtsstaat Schiedsgerichte bekommen, mit denen Differenzen über Investitionen entschieden werden sollen, brauchen wir uns keine Gedanken mehr darüber machen, was von Parlamenten und unseren Regierungen noch übrigbleibt. Wenn unsere Presse noch frei berichten würde, dann würde man Überlegungen dieser Art in den Medien debattiert sehen. Auf diesen außen- und sicherheitspolitischen Feldern findet eine freie Berichterstattung aber überhaupt nicht mehr statt.
Wie kommt es zu dieser Einseitigkeit?
Man kann sich diesen Dingen nur über Indizien nähern. Die in der Bevölkerung herrschende Meinungsvielfalt wird in der Berichterstattung nicht widergespiegelt. Ich kann mich sehr gut an ein langes Gespräch mit einem mir seit Jahrzehnten bekannten führenden FAZ-Mitarbeiter erinnern. Der machte deutlich, wenn das State Department noch rechtzeitig vor Drucklegung nachts anruft, dann kommt der gewünschte Artikel am nächsten Morgen in die Zeitung.
Als ich 1985 Verteidigungspolitischer Sprecher wurde, hat mich ein leitender Mitarbeiter der Pressestelle der CDU/CSU ausdrücklich gewarnt vor einem Netzwerk der NATO in der deutschen Presse. Wenn es heute irgend etwas zu kommentieren gibt im Zusammenhang mit Entwicklungen innerhalb der Russischen Föderation, werden dafür in unseren Medien immer amerikanische Institutionen mit Sitz in Moskau herangezogen. Sie hören keine Stimme aus Moskau, die russisch ist.
Kommen wir von den Medien zum Bundestag. Momentan gibt es eine koalitionäre Arbeitsgruppe, die sich mit dem sogenannten Parlamentsvorbehalt befaßt. Worum geht es da?
Beim Parlamentsvorbehalt geht es darum, daß der Deutsche Bundestag darüber entscheidet, ob deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt werden. Und zwar, bevor sie dorthin geschickt werden. Laut unserer Verfassung ist die Armee auf die Verteidigung des eigenen Landes zugeschnitten. Peter Gauweiler hat vor einigen Monaten eine fulminante Rede vor der Bundeswehrhochschule in Hamburg gehalten, in der er die Fehlentwicklungen herausgearbeitet hat, die es seit Jahrzehnten in dieser Hinsicht gibt. In der CDU/CSU gibt es nach dem Jugoslawien-Krieg Kräfte, die solche Bedenken im Bundestag vor einem Einsatz nicht mehr debattiert sehen wollen. Sie haben in der neuen Koalition eine Arbeitsgruppe durchgesetzt, die sich mit dem Parlamentsvorbehalt befaßt. Gewollt ist, daß es bei den integrierten internationalen Verbänden, zum Beispiel den AWACS-Flugzeugen, automatisch in den Einsatz gehen soll, wenn es die NATO verlangt. Der Bundestag soll dann nur noch die Möglichkeit haben, die Soldaten notfalls zurückholen zu können.
Mich erinnert das an Brünings Notverordnungen in der Endphase der Weimarer Repbulik. Wird das umgesetzt, dann bekommen wir demnächst sicherheitspolitische Notverordnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundestag eine einmal getroffene NATO-Entscheidung widerruft.
Hinzu kommt, daß die Regierung ihren außenpolitischen Handlungsspielraum verringern würde, den sie durch das Parlament bislang noch hat. Wenn sie sich heute gegen einen Auslandseinsatz entscheidet, kann sie das ihren Bündnispartnern mit der fehlenden Zustimmung des Parlaments begründen. Das ist in parlamentarischen Systemen so üblich. Selbst der US-Präsident verweist auf den Kongreß, wenn er etwas nicht will. Wenn der Bundestag nun ausfällt, dann ist es faktisch nicht mehr die Bundesregierung, die über Auslandseinsätze bestimmt, sondern die NATO. In diesem Zusammenhang ist auch die Parallelentwicklung in den Streitkräften kritisch zu sehen. Es gibt immer wieder Bemühungen, dem Generalinspekteur der Bundeswehr die Rolle des faktischen Oberbefehlshabers zu geben. Momentan ist er der Verteidigungsministerin und den Staatssekretären untergeordnet. Diese Bemühungen gibt es seit der Wiedervereinigung. Noch zu Bonner Zeiten war bespielsweise gefordert worden, daß nur ein Viersternegeneral Verteidigungsminister werden sollte. Theodor zu Guttenbergs Versuch, den Generalinspekteur in den Rang eine Staatssekretärs zu heben, konnte verhindert werden. Das erinnert an eine Entwicklung, die es vor dem 30. Januar 1933 auch gegeben hatte. Damals versuchten wirtschaftlich orientierte Kreise und die Armee, der militärischen Führung jene wichtige Funktion zurückzugeben, die sie noch im Kaiserreich hatte. Bestimmte Kreise in der Bundeswehr versuchen mit Hilfe der NATO in Deutschland heute wieder das gleiche.
Sie meinen: Wenn der Parlamentsvorbehalt kippt und der Generalinspekteur zum Oberbefehlshaber gemacht wird, dann entscheidet über den Einsatz der deutschen Streitkräfte künftig die NATO?
Oder die Europäische Union.
Befürchten Sie, daß die Bundeswehr dann auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnte?
Ja. Die im Juni durch die Europäische Union verabschiedete Solidaritätsklausel weist in diese Richtung. Danach soll der Einsatz des Militärs innenpolitisch erlaubt sein: im Falle von Katastrophen, aber auch im Falle von sozialen Unruhen. In der Bundesrepublik haben wir eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Das soll über den Umweg der europäische Komponente oder über die NATO ad absurdum geführt werden. Wir haben bei der ursprünglichen Verabschiedung der Lissabon-Gesetze gesehen, daß die Regierung dem schon zugestimmt hatte. Nur durch die von Gregor Gysi und Peter Gauweiler herbeigeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnte der Bundestag diese Entscheidung der Bundesregierung wieder zurückholen.
Wenn es um die Rolle der Bundeswehr ging, haben Sie im Bundestag diverse Male eine Minderheitenmeinung vertreten. Wie erklären Sie sich das?
Die Gründe sind komplex. Als ich in Bonn als Parlamentarier politisch sozialisiert wurde, hatten wir auf der Seite der Verwaltung, auch im Verteidigungsministerium, immer eine solche Auswahl an Spitzenleuten, daß es fast egal war, wer an der Regierung war. Jedes mir bekannte Ministerium war damals dazu in der Lage, die für Regierungsentscheidungen erforderlichen Gesetzentwürfe selbst zu machen. Heute tun das Anwaltskanzleien. Der Niedergang des öffentlichen Dienstes seit den 1990er Jahren war begleitet vom Aufkommen von Beratungsgruppen, die gegen Entgelt oder unentgeltlich zunehmend Einfluß auf politische Entscheidungen genommen haben.
Die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth hat Ende der 1990er Jahre Klagelieder darüber angestimmt, welcher Druck auf den Bundestag ausgeübt wurde, um diese Angelegenheiten kommerziell verwertbar zu machen. Hinzu kommt, daß das vorhin angesprochene transatlantische Netzwerk natürlich auch in das Parlament hineinwirkt. Man ist gerne im Council für dies und im Council für das. Beispielsweise unterhält Nicolas Berggruen einen eigenen Thinktank.
Der Milliardär lädt sogenannte Elder Statesmen und Wirtschaftsvertreter in die Google-Zentrale nach Kalifornien.
Auch aktive Politiker sind dabei: zum Beispiel Ursula von der Leyen. Der Name Bergguen steht beispielhaft für den Prozeß, etablierte Einrichtungen, die den Volkswillen repräsentieren sollten, beiseite zu fegen, zugunsten von Beratungsgremien, die den faktischen Einfluß ausüben. In den relevanten Arbeitsgruppen der Bundestagsfraktionen wissen Sie heute nicht mehr, wie ein Papier, das ihnen zur Beratung vorgelegt wird, entstanden ist und wer daran mitgewirkt hat. Das kommt aus den unterschiedlichsten Ecken.
Und warum wird das von den Parlamentariern geschluckt? Weil man sich nicht mit allem befassen kann?
Nein, weil man Karriere machen will. Gar nicht wenige Kollegen haben mir gesagt: »Ich bin eigentlich deiner Meinung, aber ich kann nur mit Hilfe der Liste zurück in den Bundestag kommen.«
Sie rechnen auch von seiten der Opposition im Hinblick auf die Militarisierung der Außenpolitik nicht mehr mit viel Widerstand. In dieses Urteil schließen Sie die Fraktion Die Linke mit ein. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Vor dem Hintergrund langer und intensiver Gespräche.
Mit wem?
Das sagt man dann besser nicht. Hinzu kommt die Betrachtung der Entwicklung seit dem vergangenen Herbst. Die Grünen sind ja schon in einer fast widerlichen Weise zur Kriegspartei geworden. Die letzte Partei im Deutschen Bundestag, die sich dem zur Zeit noch widersetzt, ist Die Linke. Aber es nicht nur mir aufgefallen, daß an den konzeptionellen Arbeiten der Stiftung für Wissenschaft und Politik zum ersten Mal auch linke Abgeordnete beteiligt waren.
In Ihrem gemeinsam mit Wolfgang Effenberger verfaßten Buch »Wiederkehr der Hasardeure: Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute« befürchten Sie, daß wir uns auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg befinden. Wie begründen Sie das?
Wenn ich nicht will, daß Streitfragen auf friedlichem Wege geklärt werden, bleibt mir nur die militärische Komponente. Auf die setzen die Amerikaner, weltweit. Die Taliban, gegen die unsere Soldaten zwölf Jahre lang in Afghanistan eingesetzt waren, sind eine amerikanische Schöpfung, die von den Saudis finanziert wurden, genau wie IS in Syrien und im Irak. Wir sehen das auch im Fall der Ukraine. Da legen der deutsche Außenminister und seine polnischen und französischen Kollegen Verständigungspapiere vor, alle stimmen zu, und anschließend sabotieren die rechten Kräfte auf dem Maidan im Interesse der USA jede Lösung. Wir müssen uns in Deutschland und in Europa auf die Hinterbeine stellen, um in diesem allgemeinem Trend nicht unterzugehen. Was wir brauchen, ist eine Rückkehr zu bewährten diplomatischen Verständigungsmitteln, die wir mit der KSZE bereits hatten, die aber zerstört worden sind.
Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure. Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. Verlag zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2014, 640 Seiten, 29,90 Euro
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von Yossi Wolfson
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»Es gibt ein NATO-Netzwerk in den deutschen Medien«
Gespräch mit Willy Wimmer. Über die geopolitischen Interessen der USA in Europa, über Helmut Kohl und den Angriff auf die parlamentarische Demokratie
Interview: Thomas Wagner
Willy Wimmer gehörte 33 Jahre dem Bundestag an. Zwischen 1985 und 1992 war er erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Sie haben nach 1989 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR in die Bundeswehr eingegliedert und darüber hinaus das Konzept entwickelt, mit dem das vereinigte Deutschland in die NATO geführt wurde. Trotzdem wurden Sie bald darauf von US-Repräsentanten des »Kommunismus« bezichtigt.Zunächst gab es die Frage, wie man die Wiedervereinigung so hinkriegen kann, daß der europäische Friede erhalten bleibt. Aber wir Parlamentarier, die auf internationalem Feld arbeiteten – zu uns gehörte auch die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth –, wollten uns auch mit wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen befassen. Die Briten und Amerikaner, die für eine reine Form des Kapitalismus eintraten, verhinderten das. Sie lehnten das von uns vertretene Konzept der sozialen Marktwirtschaft ab und beschimpften uns als Kommunisten.
Das hat uns überrascht und war ein Zeichen, daß sich die Welt auf ungeahnte Weise umbrechen würde. Wir sind damals davon ausgegangen, daß Verhandlungs- und Verständigungsforen wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus der später die OSZE wurde, erhalten bleiben würden. Mit der KSZE war verbunden, daß man sich auf drei Feldern konzeptionell Gedanken machen konnte: Außen- und -Sicherheitspolitik, Menschenrechte. Der dritte von diesen drei Körben war in der Zeit des Kalten Kriegs nicht genutzt worden: die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit. Die Kontinentaleuropäer wollten ihn mit Leben füllen, die USA, die Briten und zum Teil die Kanadier nicht. Schließlich haben die Amerikaner den dritten Korb übernommen und mit »Shareholder Value« gefüllt.
Wir gerieten mit unserem Konzept der sozialen Marktwirtschaft ins Hintertreffen, auch in der eigenen Partei. 2002, auf dem sogenannten Leipziger Parteitag, präsentierte sich die CDU als eine überdimensionierte FDP. Hierhin gehört auch Frau Merkels Idee, eine »marktkonforme Demokratie« zu entwickeln.
In den internationalen Gremien hat sich diese Entwicklung schon so früh abgezeichnet, daß wir nicht überrascht sein mußten. Aber wir konnten das unseren Kollegen, die sich nicht in den internationalen Foren bewegten, einfach nicht vermitteln. Sie lebten in einer ganz anderen Welt. Das trifft auch auf die Gewerkschaften zu. Wir mußten feststellen, daß die USA nicht bereit waren, das erfolgreiche Verhandlungsforum der KSZE fortzusetzen. Henry Kissinger, er verkörperte in dieser Frage die amerikanische Position, hat Mitte der 1990er Jahre dafür plädiert, die internationale Völkerrechtsordnung zu beseitigen und an ihre Stelle eine Rechtsordnung zu setzen, die im Interesse der USA ist. Das beinhaltete, bewährte Verhandlungsforen zur friedlichen Beilegung von Konflikten zu beseitigen. Wenn Helmut Kohl damals von Reisen in die USA zurückkam, hat er sich in der Fraktion immer darüber aufgeregt, daß im US-Kongreß die Stimmung vorherrschte: »Der Dritte Weltkrieg ist beendet, und wir haben ihn gewonnen.« Er hat damals zu uns gesagt: »Der Krieg ist aus Europa nicht verschwunden.« Das hat ihm 1994 in den eigenen Reihen aber keiner geglaubt.
Sie schätzen Helmut Kohl, den Sie noch 2004 bei einer Reise nach China begleiteten, offensichtlich sehr. Im Unterschied zu Ihnen hat er in den vergangenen Jahren aber nicht laut die Stimme erhoben, um gegen die von uns Ihnen angesprochenen Tendenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu protestieren.
Er hat für diese Entwicklung persönlich einen sehr hohen Preis bezahlt. Es besteht kein Zweifel daran, daß die deutsche Bevölkerung 1998 mehrheitlich eine Fortsetzung seiner Kanzlerschaft nicht gewollt hat. Die andere Frage ist, wie das im Inneren der CDU abgelaufen ist. Helmut Kohl war ein ausgesprochener Verfechter der Idee, daß man auf die anderen Völker in Europa zugehen müsse. Das betrifft die Russen, die Polen, aber auch die Serben. Ich habe in seinem Auftrag Verhandlungen mit Milosevic geführt, um die Konflikte auf dem Balkan friedlich beizulegen. Das war gegen amerikanisches Interesse. Es gab Kräfte in den eigenen Reihen, Wolfgang Schäuble und Volker Rühe an der Spitze, welche die CDU in diese Richtung drängten. Weil er den Krieg gegen Jugoslawien nicht geführt hätte, wollte man ihn nicht mehr an der Spitze einer künftigen Bundesregierung. Doch seine Absicht, die bestehenden Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit zu stärken, war richtig. Deswegen mache ich keinen Hehl daraus, daß mir dieser Mann liegt.
Im Jahr 2000 nahmen Sie in Bratislava an einer vom US-Außenministerium ausgerichteten Konferenz teil, auf der ganz offen über die Strategie Washingtons gesprochen wurde.
Mich hat das überrascht. Bei uns hatte es ja eine Kampagne nach der anderen gegeben um den Krieg gegen Jugoslawien: mit Auschwitz und mit weiß was allem. In Bratislava dagegen wurde eine rein machtpolitische Überlegung vorgetragen. Die Vertreter des US-Außenministeriums sagten, es sei bei dem Krieg darum gegangen, eine Fehlentscheidung General Eisenhowers aus dem Jahr 1944 zu korrigieren. Er hatte es damals unterlassen, US-Bodentruppen auf dem Balkan zu stationieren. Dies vor Staats- und Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsministern so offen darzulegen, war eine ungewöhnliche Vorgehensweise. Die Vertreter des US-Außenministeriums machten deutlich, daß sie die Art und Weise, wie wir in Europa mit unseren Nachbarn umgehen, Eigentumsfragen regeln und Strafprozesse organisieren, nach den Maßgaben ihres eigenen Rechtssystems umbauen wollten. Das Vehikel dafür sollten der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag und das Kriegsverbrechertribunal sein.
Sie erklärten außerdem, wie sie sich Europa künftig vorstellen. Sie wollten einen Linie ziehen, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und von da aus weiter nach Anatolien geht. Alles was westlich von dieser Linie liegt, betrachteten sie als Einflußgebiet der USA. Die Russische Föderation sollte aus den europäischen Entwicklungen herausgedrängt werden. Das heutige Geschehen in der Ukraine ist für mich ein Beleg dafür, daß diese Leute damals nicht in den Mond geguckt haben. 2006, beim NATO-Gipfel in Riga, haben wir den Versuch gesehen, Georgien und die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Das ist aus einem wichtigen Grund verhindert worden: Die Westeuropäer haben kein Vergnügen daran gefunden. Denn wenn diese durchgehende Limes-Linie von der Ostsee bis nach Anatolien etabliert würde, dann bräuchten Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie ungehinderte Beziehungen zur Russischen Föderation aufrechterhalten werden können. Die könnten dann je nach Interessenlage der Vereinigten Staaten von diesen jederzeit unterbrochen werden. Sie könnten dabei auf die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten bauen: vom Baltikum bis zu Rumänien. Die USA unternehmen alles, um dieses Ziel doch noch zu erreichen. So erklärt sich auch ihr Verhalten im Hinblick auf die Ukraine.
Der US-Nachrichtendienst Stratfor hat Anfang dieses Jahres Überlegungen angestellt, durch die Etablierung besonderer Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten einen Hebel zu installieren, mit dem sie die NATO links liegen lassen kann.
Das ist die logische Konsequenz aus dem, was ich eben gesagt habe. In diesen Tagen erheben die baltischen Staaten und Polen Forderungen, den von der NATO geplanten Raketenschirm auf Rußland auszurichten. Wenn es Washington gelingt, Sonderbeziehungen zu den gefügigen Staaten Ost- und Südosteuropas zu etablieren, dann spielen wir keine Rolle mehr. Wir befinden uns dann hinter dem Limes unter amerikanischer Kontrolle. Die Nachricht, daß die neutralen Staaten Finnland und Schweden eine engere Anbindung an die NATO suchen, muß man als ein Eingehen auf die realen Machtverschiebungen deuten, die wir in Europa haben.
Wie ordnen Sie die derzeit laufenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union in diesem Zusammenhang ein?
Bei TTIP handelt es sich um den Versuch der USA, den hinter dem »Limes« liegenden Bereich in ihrem Interesse zu ordnen. Dabei geht es weniger um das vieldiskutierte Chlorhuhn, als um die Aushebelung der parlamentarischen Demokratie. Wenn wir als hoch entwickelter Rechtsstaat Schiedsgerichte bekommen, mit denen Differenzen über Investitionen entschieden werden sollen, brauchen wir uns keine Gedanken mehr darüber machen, was von Parlamenten und unseren Regierungen noch übrigbleibt. Wenn unsere Presse noch frei berichten würde, dann würde man Überlegungen dieser Art in den Medien debattiert sehen. Auf diesen außen- und sicherheitspolitischen Feldern findet eine freie Berichterstattung aber überhaupt nicht mehr statt.
Wie kommt es zu dieser Einseitigkeit?
Man kann sich diesen Dingen nur über Indizien nähern. Die in der Bevölkerung herrschende Meinungsvielfalt wird in der Berichterstattung nicht widergespiegelt. Ich kann mich sehr gut an ein langes Gespräch mit einem mir seit Jahrzehnten bekannten führenden FAZ-Mitarbeiter erinnern. Der machte deutlich, wenn das State Department noch rechtzeitig vor Drucklegung nachts anruft, dann kommt der gewünschte Artikel am nächsten Morgen in die Zeitung.
Als ich 1985 Verteidigungspolitischer Sprecher wurde, hat mich ein leitender Mitarbeiter der Pressestelle der CDU/CSU ausdrücklich gewarnt vor einem Netzwerk der NATO in der deutschen Presse. Wenn es heute irgend etwas zu kommentieren gibt im Zusammenhang mit Entwicklungen innerhalb der Russischen Föderation, werden dafür in unseren Medien immer amerikanische Institutionen mit Sitz in Moskau herangezogen. Sie hören keine Stimme aus Moskau, die russisch ist.
Kommen wir von den Medien zum Bundestag. Momentan gibt es eine koalitionäre Arbeitsgruppe, die sich mit dem sogenannten Parlamentsvorbehalt befaßt. Worum geht es da?
Beim Parlamentsvorbehalt geht es darum, daß der Deutsche Bundestag darüber entscheidet, ob deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt werden. Und zwar, bevor sie dorthin geschickt werden. Laut unserer Verfassung ist die Armee auf die Verteidigung des eigenen Landes zugeschnitten. Peter Gauweiler hat vor einigen Monaten eine fulminante Rede vor der Bundeswehrhochschule in Hamburg gehalten, in der er die Fehlentwicklungen herausgearbeitet hat, die es seit Jahrzehnten in dieser Hinsicht gibt. In der CDU/CSU gibt es nach dem Jugoslawien-Krieg Kräfte, die solche Bedenken im Bundestag vor einem Einsatz nicht mehr debattiert sehen wollen. Sie haben in der neuen Koalition eine Arbeitsgruppe durchgesetzt, die sich mit dem Parlamentsvorbehalt befaßt. Gewollt ist, daß es bei den integrierten internationalen Verbänden, zum Beispiel den AWACS-Flugzeugen, automatisch in den Einsatz gehen soll, wenn es die NATO verlangt. Der Bundestag soll dann nur noch die Möglichkeit haben, die Soldaten notfalls zurückholen zu können.
Mich erinnert das an Brünings Notverordnungen in der Endphase der Weimarer Repbulik. Wird das umgesetzt, dann bekommen wir demnächst sicherheitspolitische Notverordnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundestag eine einmal getroffene NATO-Entscheidung widerruft.
Hinzu kommt, daß die Regierung ihren außenpolitischen Handlungsspielraum verringern würde, den sie durch das Parlament bislang noch hat. Wenn sie sich heute gegen einen Auslandseinsatz entscheidet, kann sie das ihren Bündnispartnern mit der fehlenden Zustimmung des Parlaments begründen. Das ist in parlamentarischen Systemen so üblich. Selbst der US-Präsident verweist auf den Kongreß, wenn er etwas nicht will. Wenn der Bundestag nun ausfällt, dann ist es faktisch nicht mehr die Bundesregierung, die über Auslandseinsätze bestimmt, sondern die NATO. In diesem Zusammenhang ist auch die Parallelentwicklung in den Streitkräften kritisch zu sehen. Es gibt immer wieder Bemühungen, dem Generalinspekteur der Bundeswehr die Rolle des faktischen Oberbefehlshabers zu geben. Momentan ist er der Verteidigungsministerin und den Staatssekretären untergeordnet. Diese Bemühungen gibt es seit der Wiedervereinigung. Noch zu Bonner Zeiten war bespielsweise gefordert worden, daß nur ein Viersternegeneral Verteidigungsminister werden sollte. Theodor zu Guttenbergs Versuch, den Generalinspekteur in den Rang eine Staatssekretärs zu heben, konnte verhindert werden. Das erinnert an eine Entwicklung, die es vor dem 30. Januar 1933 auch gegeben hatte. Damals versuchten wirtschaftlich orientierte Kreise und die Armee, der militärischen Führung jene wichtige Funktion zurückzugeben, die sie noch im Kaiserreich hatte. Bestimmte Kreise in der Bundeswehr versuchen mit Hilfe der NATO in Deutschland heute wieder das gleiche.
Sie meinen: Wenn der Parlamentsvorbehalt kippt und der Generalinspekteur zum Oberbefehlshaber gemacht wird, dann entscheidet über den Einsatz der deutschen Streitkräfte künftig die NATO?
Oder die Europäische Union.
Befürchten Sie, daß die Bundeswehr dann auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnte?
Ja. Die im Juni durch die Europäische Union verabschiedete Solidaritätsklausel weist in diese Richtung. Danach soll der Einsatz des Militärs innenpolitisch erlaubt sein: im Falle von Katastrophen, aber auch im Falle von sozialen Unruhen. In der Bundesrepublik haben wir eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Das soll über den Umweg der europäische Komponente oder über die NATO ad absurdum geführt werden. Wir haben bei der ursprünglichen Verabschiedung der Lissabon-Gesetze gesehen, daß die Regierung dem schon zugestimmt hatte. Nur durch die von Gregor Gysi und Peter Gauweiler herbeigeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnte der Bundestag diese Entscheidung der Bundesregierung wieder zurückholen.
Wenn es um die Rolle der Bundeswehr ging, haben Sie im Bundestag diverse Male eine Minderheitenmeinung vertreten. Wie erklären Sie sich das?
Die Gründe sind komplex. Als ich in Bonn als Parlamentarier politisch sozialisiert wurde, hatten wir auf der Seite der Verwaltung, auch im Verteidigungsministerium, immer eine solche Auswahl an Spitzenleuten, daß es fast egal war, wer an der Regierung war. Jedes mir bekannte Ministerium war damals dazu in der Lage, die für Regierungsentscheidungen erforderlichen Gesetzentwürfe selbst zu machen. Heute tun das Anwaltskanzleien. Der Niedergang des öffentlichen Dienstes seit den 1990er Jahren war begleitet vom Aufkommen von Beratungsgruppen, die gegen Entgelt oder unentgeltlich zunehmend Einfluß auf politische Entscheidungen genommen haben.
Die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth hat Ende der 1990er Jahre Klagelieder darüber angestimmt, welcher Druck auf den Bundestag ausgeübt wurde, um diese Angelegenheiten kommerziell verwertbar zu machen. Hinzu kommt, daß das vorhin angesprochene transatlantische Netzwerk natürlich auch in das Parlament hineinwirkt. Man ist gerne im Council für dies und im Council für das. Beispielsweise unterhält Nicolas Berggruen einen eigenen Thinktank.
Der Milliardär lädt sogenannte Elder Statesmen und Wirtschaftsvertreter in die Google-Zentrale nach Kalifornien.
Auch aktive Politiker sind dabei: zum Beispiel Ursula von der Leyen. Der Name Bergguen steht beispielhaft für den Prozeß, etablierte Einrichtungen, die den Volkswillen repräsentieren sollten, beiseite zu fegen, zugunsten von Beratungsgremien, die den faktischen Einfluß ausüben. In den relevanten Arbeitsgruppen der Bundestagsfraktionen wissen Sie heute nicht mehr, wie ein Papier, das ihnen zur Beratung vorgelegt wird, entstanden ist und wer daran mitgewirkt hat. Das kommt aus den unterschiedlichsten Ecken.
Und warum wird das von den Parlamentariern geschluckt? Weil man sich nicht mit allem befassen kann?
Nein, weil man Karriere machen will. Gar nicht wenige Kollegen haben mir gesagt: »Ich bin eigentlich deiner Meinung, aber ich kann nur mit Hilfe der Liste zurück in den Bundestag kommen.«
Sie rechnen auch von seiten der Opposition im Hinblick auf die Militarisierung der Außenpolitik nicht mehr mit viel Widerstand. In dieses Urteil schließen Sie die Fraktion Die Linke mit ein. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Vor dem Hintergrund langer und intensiver Gespräche.
Mit wem?
Das sagt man dann besser nicht. Hinzu kommt die Betrachtung der Entwicklung seit dem vergangenen Herbst. Die Grünen sind ja schon in einer fast widerlichen Weise zur Kriegspartei geworden. Die letzte Partei im Deutschen Bundestag, die sich dem zur Zeit noch widersetzt, ist Die Linke. Aber es nicht nur mir aufgefallen, daß an den konzeptionellen Arbeiten der Stiftung für Wissenschaft und Politik zum ersten Mal auch linke Abgeordnete beteiligt waren.
In Ihrem gemeinsam mit Wolfgang Effenberger verfaßten Buch »Wiederkehr der Hasardeure: Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute« befürchten Sie, daß wir uns auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg befinden. Wie begründen Sie das?
Wenn ich nicht will, daß Streitfragen auf friedlichem Wege geklärt werden, bleibt mir nur die militärische Komponente. Auf die setzen die Amerikaner, weltweit. Die Taliban, gegen die unsere Soldaten zwölf Jahre lang in Afghanistan eingesetzt waren, sind eine amerikanische Schöpfung, die von den Saudis finanziert wurden, genau wie IS in Syrien und im Irak. Wir sehen das auch im Fall der Ukraine. Da legen der deutsche Außenminister und seine polnischen und französischen Kollegen Verständigungspapiere vor, alle stimmen zu, und anschließend sabotieren die rechten Kräfte auf dem Maidan im Interesse der USA jede Lösung. Wir müssen uns in Deutschland und in Europa auf die Hinterbeine stellen, um in diesem allgemeinem Trend nicht unterzugehen. Was wir brauchen, ist eine Rückkehr zu bewährten diplomatischen Verständigungsmitteln, die wir mit der KSZE bereits hatten, die aber zerstört worden sind.
Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure. Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. Verlag zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2014, 640 Seiten, 29,90 Euro
... ich tue was Linke tun, Ungerechtigkeit bekämpfen!
von Yossi Wolfson
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