„Ein Spiel mit dem
Feuer. Die Ukraine, Russland und der Westen“ - Peter Strutynski
(Hg.)
Wenn
das „Spiel“ kein Spiel mehr ist...
Buchtipp von Harry
Popow
»Die amerikanische Führungsrolle ist die einzige Konstante in einer unsicheren Welt. Es ist Amerika, das die Fähigkeit und den Willen hat, die Welt gegen die Terroristen zu mobilisieren. Es ist Amerika, das die Welt gegen die russische Aggression um sich gesammelt hat…« So Obama jüngst in einer Fernsehrede (siehe Knut Mellenthin in der linken marxistisch orientierten Tageszeitung „junge welt“ vom 16. September 2014).
Und so sieht Verarschung
aus. So werden Ängste geschürt. So werden neue Waffengänge mental
vorbereitet. Es ist, als wenn ein Passagierschiff im hohen Norden auf
einen Eisberg zusteuert, und keiner will etwas bemerken, keiner
greift ein, niemand reißt das Steuer herum. Alle sollen glauben, der
Kapitän wird schon richtig handeln. Im Klartext: Wohin geht der
Kurs? Was soll man vom europäischen Narrenschiff (EU) halten, das
machtpolitisch gen Osten steuert, einer Katastrophe entgegen, und
keiner muckt auf, niemand fällt den neuerlichen Machtgrößen in den
Arm.
Es ist tatsächlich ein
Spiel mit dem Feuer. „Die Zukunft der Beziehungen im Europa des 21.
Jahrhunderts können doch nicht in einem Mehr an Rüstungsausgaben
und Konfrontation liegen. Wo soll das enden? Soll sich die Geschichte
wiederholen? In einem Krieg, der dieses Mal in der totalen
Vernichtung Europas endet?“ Dieses Zitat von Lühr Henken (S. 171)
stammt aus dem Buch mit dem Titel „Ein Spiel mit dem Feuer. Die
Ukraine, Russland und der Westen“, herausgegeben von Peter
Strutynski, ehemaliger Leiter der AG Friedensforschung, einer
unabhängigen Arbeitsgruppe an der Universität Kassel.
Fünfzehn kluge Autoren
geraten den heutigen Kriegstreibern samt ihren bürgerlichen Medien
mit ihren Lügen von einer „russischen Gefahr“ im
Ukraine-Konflikt auf 216 Seiten aus verschiedenen Blickwinkeln mit
fundierten Aussagen und Fakten tüchtig in die Quere. Auf´s Korn
nehmen sie die Politik der USA, die Faschisten in der Ukraine mit
ihrem Idol Bandera, die Oligarchen, die Ziele der NATO sowie die der
Eurasischen Union und die der EU, das verlogene Spiel der privaten
und öffentlich-rechtlichen Leitmedien, den stark ausgeprägten
Nationalismus in der Ukraine und nicht zuletzt die geopolitischen
Ziele der Westmächte insgesamt.
Die Autoren möchten
„sowohl Grundlagen für eine realistische Analyse und Einschätzung
des Ukraine-Konflikts (…) als auch notwendige Argumentationen für
die tagesaktuelle Auseinandersetzung bereitstellen“, so der
Herausgeber in seinem Vorwort. Und das gelingt ihnen mit
erstaunlicher und überzeugender Akribie, geht es doch um das
Überleben der Menschheit auf unserem schönen Planeten.
Seien an dieser Stelle nur
die wesentlichen Gesichtspunkte genannt wie die Gefahren, die sich
aus den Umtrieben des Westens ergeben, die Hintergründe der Politik
der USA und der EU sowie die Ziele der Putin-Politik, so lässt dies
jedem vernunftbegabten Menschen das Blut in den Adern gerinnen.
Da macht der Autor Lühr
Henken auf Seite 154 darauf aufmerksam, dass sich die Sowjetunion und
Russland im letzten Jahrhundert immer wieder gegen „westliche,
imperialistische Konzepte der Kriegsvorbereitung und des Krieges“
zur Wehr setzen mussten. Was vor allem in den Medien nicht zur
Sprache kommt: Kaum hatte die Antihitlerkoalition das
Hitlerdeutschland geschlagen, da brachen die USA die im Juni 1945
feierlich verabschiedete Charta der Vereinten Nationen, in der es
darum ging, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu
bewahren, und planten sage und schreibe den nächsten Krieg unter dem
Motto „Atombombenziel Sowjetunion“. Im Visier waren zwanzig
Objekte, die sich 1959 auf 20.000 erhöhten (S. 155). Trotz Verträgen
zur Abrüstung – KSE, ABM z.B. - gingen die USA statt zur
Kooperation zur Einkreisung Russlands über. Der Autor verweist auf
das Strategiepapier „Joint Vision 2020“, „das bis zum Jahr 2020
für das US-Militär (…) eine militärische Überlegenheit sowohl
an Land, im Wasser und im Cyberspace“ anstrebt. Die USA besitzen
derzeit 760 Stützpunkte in 40 Ländern sowie in sieben US-Gebieten
außerhalb der USA. Ergänzend meint Erhard Crome, dass von der
Gefahr eines Atomwaffenkrieges seit dem Ende des Kalten Krieges zwar
keine Rede mehr ist, aber sie sei tatsächlich „nicht
verschwunden“.
Man kommt nicht umhin,
nach den Leitlinien der Mächte zu fragen. Erst dadurch ist es
möglich, die ganze Tragweite der aktuellen Geschehnisse im vollen
Umfang zu begreifen, was durch die Brille der Einäugigkeiten schier
verhindert wird. Erhard Crome hebt hervor, (S. 100), dass „seit dem
Ende des Ost-West-Konflikts eine unabhängige Ukraine wieder als
Kernpunkt geopolitischer Neuordnung im Osten Europas angesehen“
wird. (Siehe auch Brzezinski auf S. 163). Lühr Henken führt als
Beweis für das expansive Vorgehen der USA und in ihrem Gefolge von
NATO und EU das berüchtigte Geheimdokument des Pentagon ´No-Rivals´
(„Keine Rivalen“) an. Das Ziel sei es, den Aufstieg „eines
neuen Rivalen“ zu verhüten.
Von einer globalen
Dimension der US-Politik schreibt Eberhard Crome auf Seite 112. Deren
Blick richte sich im Kern gegen China. Dazu brauche man das EU-Europa
als Hinterland. Eine EU, die mit Russland und China eng
zusammenarbeitet, würde die „US-Positionen in der pazifischen
Ausrichtung“ schwächen. Deshalb das Interesse der USA an der
transatlantischen Freihandelszone. „Die würde die Bindungen der EU
in Eurasien schwächen und deren Abhängigkeit von den USA stärken.“
„Das heißt: die ukrainische Zuspitzung hätte das Ergebnis, dass
ein neuer Eiserner Vorhang zwischen EU und Russland niedergeht mit
der Folge, dass die EU als Hinterland der USA und Russland als
Hinterland Chinas in deren Auseinandersetzungen dienen.“
Kurz gesagt: Die USA
wollen die EU „als ´Brückenkopf´in Eurasien nutzen, um ihre
globale Hegemonie zu sichern;“, deshalb habe man in Kiew auf den
Umsturz gesetzt, so Jürgen Wagner auf Seite 137. Um die Rolle
Deutschlands in diesem Spiel der Mächte näher zu beleuchten, sei
nochmals auf das Vorwort verwiesen. Einerseits sei es im
Ukraine-Konflikt Partner der prowestlichen Kräfte, andererseits
setze es sich damit in Widerspruch zum russischen Präsidenten, der
eine Osterweiterung der EU und der NATO verhindern will. Auch müsse
Berlin aus ökonomischen Gründen um stabile und gute Beziehungen zu
Russland bemüht sein. Man wolle per „Schaukelpolitik“ mit
Russland „auf Augenhöhe“ mit der globalen Führungsmacht USA
sein, so Jörg Kronauer auf Seite 143.
Wer als Leser immer noch
daran zweifelt, dass faschistische Kräfte hinter den Machenschaften
der ukrainischen Nationalisten stecken, der lese darüber mehr u.a.
von den Autoren Ulrich Schneider (ab S. 65), Reinhard Lauterbach (S.
22/23) und Daniela Dahn.
Interessant zu lesen auch
die Rolle der Oligarchen, die übrigens in Russland lt. Kai Ehlers in
die Pflicht genommen wurden, sich für die Rettung Russlands
einzusetzen, Steuern zu zahlen, „wieder in begrenztem Maße in
soziale Verpflichtungen einzusteigen“. Die Eigentümer würden
ansatzweise einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen. Genau
diesen Schritt, so der Autor, habe die Ukraine bis heute nicht
geschafft. Dort herrsche die Willkür des oligarchischen
Privatkapitalismus. Putin dagegen habe ein denkbar einfaches
Programm: „Herstellung einer ´Diktatur des Gesetzes´, um den
Staat wieder aufzubauen und um Russland wieder zum Integrationsknoten
Eurasiens zu machen.“ (S. 85)
Der Herausgeber hat mit
diesem Buch eine ganze Batterie von sachkundigen Autoren in Stellung
gebracht - gegen die von den öffentlich-rechtlichen und privaten
Medien ausgestoßenen Nebelwände zur Verschleierung der wahren
Ursachen des Ukraine-Konflikts. Da es auch in diesem politischen
Sachbuch um brandaktuelle Tagespolitik und vor allem um die Frage
Krieg und Frieden geht, ist die Lektüre allen zu empfehlen, die sich
in diesem Klassenkampf der Mächte um Märkte und Einfluss mitunter
neu positionieren und mit Taten unterstreichen wollen. Damit diesem
brandgefährlichen „Spiel“ ein jähes Ende gesetzt wird.
Peter Strutynski, Dr.
phil., geboren 1945, ist Politwissenschaftler. Er leitete die AG
Friedensforschung an der Universität Kassel, ist Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag und verfasste zahlreiche
Publikationen zu friedenspolitischen Themen.
Peter Strutynski
(Hg.): „Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine, Russland und der
Westen“, Papyrossa-Verlag, 216 Seiten, 1. Auflage August 2014,
ISBN-13: 978-3894385569, Preis: 12,90 Euro
Erstveröffentlichung dieser
Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
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