Donnerstag, 20. Juni 2019

Theatertage in Weimar (Leseprobe 14)


SOLDATEN FÜR DEN FRIEDEN (Teil vierzehn)

Leseprobe aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ im 70. Jahr der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949

Der Autor Harry Popow wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf, arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.


Theatertage in Weimar

Weimar. Theatertage der Jugend. Der FDJ-Sekretär des Ausbildungsbataillons macht`s möglich, er organisierte für einige Genossen die Teilnahme. Eine willkommene Abwechslung im Grau des Soldatenalltags. Auch für Henry. Hier seine Impressionen: Wir schlafen im Internat der Gewerbeschule Weimar. Mädchen, Frauen, FDJlerinnen – ein aufgeregter Hühnerhaufen. Ließ uns keine Ruhe. Bis man ihn anderswo einquartierte, den „Haufen“. Weimar – kleinstädtisches Treiben. Gruppen von Menschen vor einem Schaufenster: Eine Regionalzeitung „Neueste Nachrichten“ will zeigen, dass sie auf dem laufenden ist. Was also gibt es an Neuem? SU hat 2. Raumschiff gestartet, so lese ich. Am Theaterplatz der Chor der Fanfaren, die Theatertage eröffnend. Irgendwo eine Aufforderung auf einem Transparent, die Jugend solle die Höhen der Kultur erstürmen. An der Straßenseite Jugendliche, die nach Herzenslust soeben ihre Bockwürste verschlingen. Die Straßen regennass. Der Platz füllt sich langsam. Unsere Leute stehen unter einer weit ausladenden Kastanie. Im Saal: Ein 1. Kreissekretär der FDJ spricht. Die Theatertage sollen die humanistischen Werte der Nationalkultur immer breiteren Kreisen des Volkes und der Jugend nahebringen. Dann Generalintendant T.: Zum zweiten Male finden diese Theatertage statt, weitere sollen in den nächsten Jahren folgen. Die Ideen des Humanismus, so sagt er, sie verdanken wir auch den Antifaschisten, die im KZ-Lager Buchenwald eingesperrt waren oder dort ermordet wurden. Anschließend das Theaterstück „Don Carlos“. Unteroffizier R. ist begeistert, wie wir alle. Wir besuchen Buchenwald. Gemeinsam mit sowjetischen Soldaten. Schweigen. Ich fühle irgendwie die Verantwortung, die auf uns lastet. Anschließend Fotos, Soldaten und Mädchen. Das Lachen hat uns wieder. Später finden wir uns im Goethe-Haus ein und in der Fürstengruft. Dann auf dem Jakobsfriedhof. Inmitten der alten Gassen Weimars gelegen. Große Stille, hier ist die Zeit stehengeblieben. Kirche errichtet 1168, lese ich, wurde im 17. Jahrhundert wieder zu Leichenpredigten benutzt sowie zu wöchentlichen Betstunden für die Armen. Eindruck vom Treffen Junger Talente: Ein junges Mädchen, schlank, schwarzhaarig, ernst, möchte rezitieren. Ein Schauspieler fragt sie: „Wie kommen sie gerade jetzt darauf?“ Sie: „Ja, weil ich gestern ‚Professor Mamlok‘ gesehen habe.“ Der Schauspieler: „Also hat ihnen das Schauspiel gefallen?“ Das junge Mädchen nickt und rezitiert das Gedicht „Judas verrecke“. Der Schauspieler ist begeistert und macht dem Mädchen Mut, sich weiter künstlerisch zu betätigen. Auf der Heimreise im überfüllten Zug. Ich blättere in einem Buch, das ich mir in Weimar gekauft hatte: „Literarische Streifzüge“ von F.C. Weiskopf. Trage auf der Innenseite im Überschwang der Gefühle folgenden Spruch ein: „Zum Andenken an die Theatertage in Weimar; dort gekauft, dort seelisch und geistig gestärkt und das nahende Glück (denn das der Gegenwart ist noch unvollendet) gespürt – die Kultur, sie wird unser sein, mehr und mehr.“ Ein junges Mädchen steht neben mir, fragt nach dem Buch. Wir kommen ins Gespräch, sie sieht ganz gut aus. Später wird sie mir einen Brief schreiben, aber danach versank der Name wieder im Dunkel des Vergessens ... In meinem Kopf aber hat sich der Ausspruch Schillers eingeprägt, den der Generalintendant uns zurief: „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben, sie sinkt mit Euch, mit Euch wird sie sich erheben.“


  1. Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.

Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.

Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.

Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.

Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten   Schlussfolgerungen zieht.

Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.

Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender, auch nach der Rückkehr im Jahre 2005 nach Deutschland. Als Rentner, Blogger, Rezensent und Autor! !

Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro






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