Sonntag, 16. Juni 2019

EU-Wahlen und keine Auswege... Eine Nachbetrachtung



Wahlen kommen und gehen. Ursachen, Probleme und Gefahren bleiben!


Eine Nachbetrachtung zu den EU-Wahlen 2019

von Prof. Dr. Anton Latzo

Die in Wirtschaft und Politik, in Medien und Gesellschaft Herrschenden machten es sich vor den Wahlen zum EU-Parlament und machen es sich auch danach sehr einfach und proklamieren Klima zum alles überragenden Thema. Natürlich ist es eine wichtige, lebenswichtige Frage. Aber wo bleibt das politische Klima, das ökonomische, das geistige Klima, das Klima einer friedlichen Welt? Gibt es denn keinen Grund, das zu problematisieren? Gibt es keine Gefahren, keine Kriegsgefahren, die die Existenz und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft gefährden und in die die EU und ihre Hauptmächte mit imperialistischen Zielen aktiv eingebettet sind?

Oder sollte vermieden werden, darüber zu sprechen? Kann es Zufall sein, dass bis zur Wahl, aber auch in den Nachbetrachtungen, alles auf die Frage der Klimaverschlechterung konzentriert wird, ohne auf die tatsächlichen ökonomischen, politischen und geistigen Ursachen einzugehen, die dem imperialistischen Charakter und den Zielen der Politik der USA, der EU und ihrer Hauptmächte  eigen sind? Warum wurden und werden die Fragen des Klimas von den Fragen der Entwicklung des Kapitalismus in der Gegenwart, von der zunehmenden Konkurrenz der imperialistischen Mächte im Kampf um die Neuverteilung der Einflusssphären zur Sicherung von Vorherrschaft und Einflusssphären, von Profit, Militarisierung und Aufrüstung getrennt,  die zur Zerstörung nicht nur der Natur, sondern auch der menschlichen Zivilisation und Kultur, des Menschen überhaupt führen? Wäre es nicht Aufgabe jeder Partei und Bewegung, die den Anspruch erhebt, die Interessen der Menschen zu vertreten, über diese Gefahren aufzuklären und die menschen- und naturfeindliche Politik zu entlarven? Ist es nicht höchste Zeit, diese Existenzfragen der Menschheit, zu denen vor allem die Friedensfrage gehört, wenigstens in den auswertenden Debatten einzubeziehen und Schlussfolgerungen abzuleiten.

Wir erleben derzeit in den internationalen Beziehungen einen intensiven Kampf um die erneute Verschiebung der ökonomischen Kräfte- und Machtverhältnisse in der Welt und in Europa sowie innerhalb der Europäischen Union. Hegemoniewechsel ist zwar keine neue Erscheinung in der Welt  des Imperialismus. Bekannt ist aber auch, dass dies stets zu Krieg, zu bisher zwei Weltkriegen geführt hat.

Die ungleichmäßige Entwicklung im Kapitalismus führt zu einer ständigen Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den imperialistischen Mächten, die immer wieder neu analysiert werden muss, weil sie stets zu Kriegen geführt hat. Denn die daraus erwachsende ständige Veränderung der Gruppierungen und des Kräfteverhältnisses zwischen den Gruppierungen der Staaten bilden die objektiven Bedingungen, unter denen sich sowohl die weltweiten Bedingungen der Politik insgesamt verändern wie auch die Außenpolitik der internationalen Bündnisse und der einzelnen Staaten entwickeln.

Die Zeit der unipolaren Ordnung der USA läuft zwar ab. Damit sind aber nicht die Gene des Imperialismus und der zu ihm gehörenden Politik verschwunden. Unter den Bedingungen des Monopolkapitals, der monopolistischen Herrschaftsverhältnisse und der monopolistischen Konkurrenz äußert sich die ökonomisch bedingte Aggression des Monopolkapitals auch weiterhin in dem Drang nach Vorherrschaft und Hegemonie unter Anwendung ökonomischer und außerökonomischer Gewalt – von der ideologischen und politischen Diversion (Regime Change) bis zur militärischen Aggression! Nichts von einer diesbezüglichen Analyse und von einer Aufarbeitung der daraus hervorgehenden Gefahren für Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit der Völker und Staaten ist in den Auftritten der Parteien vor den Wahlen, von den Linken, über die SPD, bis zur CDU und andern festzustellen. Aber auch nach den Wahlen gibt es keine positiven Veränderungen.

Zur Begründung und Verteidigung der bei den Wahlen sichtbar gewordenen Verstärkung der konservativ-reaktionären innen- und außenpolitischen Konzeptionen der Bourgeoisien der Großmächte der EU wird stattdessen ein Kampf für und wider „Nationalismen“ inszeniert. Das Nationale und das Verhältnis von Nationalem und Internationalem in der jetzigen Phase der Entwicklung der Gesellschaft wird bis zur Unkenntlichkeit verfälscht und der nationale Nihilismus zur obersten Maxime erhoben, weil damit günstige Bedingungen zur Ausbeutung dieser Länder durch die Monopole geschaffen und diese für die hegemonialen Ziele der imperialistischen Länder missbraucht werden können.

Aber nirgends und von keinem wird herausgearbeitet, dass z.B. die nationalen Ökonomien nach wie vor der Rahmen sind, in dem sich die Tendenz zum Ausgleich der Profitraten vollzieht. Und darum geht es doch den Monopolen, gleich ob national oder international! Vor allem das begründet nach wie vor die Dominanz und Unterschiedlichkeit nationaler Ökonomien und ihre Einbettung in internationale Zusammenschlüsse wie die EU. Das begründet die wirkliche Haltung der imperialistischen Mächte in und außerhalb der EU. Die aktuellen Vorgänge belegen das.

Laut Trump, Bolton u.a. erhoffen sich die USA z.B. aus dem Brexit klare Vorteile für die Konsolidierung ihrer ökonomischen Beziehungen sowohl zu Großbritannien als auch zur EU. Sie erwarten, mit Großbritannien „ein weiteres starkes und unabhängiges Land zu haben, das der NATO hilft, effektiver zu sein“, (John Bolton) Es geht also um eine Zunahme von Rivalitäten im Verhältnis USA-EU, aber auch im Beziehungsgeflecht zwischen  den imperialistischen Staaten, verbunden mit Konkurrenz, Aufrüstung und Militarisierung sowie entsprechende innere reaktionäre Wirkungen.

An der Westgrenze Russlands wird intensiv daran gearbeitet, erneut einen „cordon sanitaire“ von der Ostsee bis ins Gebiet des Schwarzen Meeres und ein militärisches Aufmarschgebiet aufzubauen, das die gesamte Region von der Ostsee bis ins Mittelmeer (von Finnland bis Sizilien) mit Anschluss an den Nahen und Mittleren Osten einschließt. Die Gefahren werden dadurch erhöht und gewinnen an Unberechenbarkeit, weil sie von Imperialistischen „Partnern“ verfolgt werden, die sich einig in Bezug auf die Gegnerschaft zu Russland und China sind, die aber gegensätzlich sind, wenn es um die Hegemonie und Profit geht.

Innerhalb der EU wird eine wachsende Kritik an der dominierenden Machtstellung Deutschlands  innerhalb der Union spürbar. In den Südstaaten der EU sowie in den ost-und mitteleuropäischen Mitgliedsstaaten mehren sich die Stimmen gegen die – ebenfalls brüchige – „Achse Berlin-Paris“, die , wie im Wahlkampf für das EU-Parlament sichtbar geworden,  „Europa“ verbal beschwören, um ihren nationalen Einfluss besonders auf dem Gebieten der Ökonomie und der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu erweitern.

Dabei werden die Staaten Ost- und Mitteleuropas nicht nur ausgebeutet, sondern auch als Objekt im antirussischen Feldzug missbraucht. Mit der Errichtung eines Systems des friedlichen Miteinanders hat das nichts zu tun. Weder Linke oder SPD, noch andere  EU-Parteien in Deutschland und anderen EU-Staaten haben dazu die notwendige Alternative  entwickelt, die über das Ja oder Nein zum Brexit hinausgeht. Vereinzelte konstruktive Vorschläge finden kein Gehör. Dabei liegt es auf der Hand und ist durch die historische Erfahrung bestätigt, dass nur eine Außen- und Sicherheitspolitik, die auf die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit und der gleichberechtigten Zusammenarbeit der Staaten in Europa (unter Einschluss Russlands, das ja auch ein europäisches Land ist!) jene Kräfte stärken kann, die nach einem friedlichen Interessenausgleich zwischen den Staaten, darunter zwischen den USA und EU oder USA und China streben.

Nicht eine der gegenwärtig politisch relevanten Parteien bzw. Kräftegruppen in der EU machte eine entsprechende Analyse bzw. zog Schlussfolgerungen, um sie im Wahlkampf mit den Wählern zu diskutieren, die Menschen für den bewussten Friedenskampf gegen die Machenschaften und Täuschungen konkreter Gegner zu mobilisieren.

Der in den Staaten der EU, im EU-System und in den globalen Beziehungen sich generell verstärkenden Anarchie und dem Verlust von Steuerungsfähigkeit im Inneren und im internationalen System wurde überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Man hat sich nicht einmal bemüht, auf daraus hervorgehende aktuelle Gefahren aufmerksam zu machen, von dem Versuch einer Mobilisierung dagegen ganz zu schweigen! Vor der Wahl ging es angeblich nur um das Klima und danach um „Weber“, um den Kommissionspräsidenten. Die  dahinter stehenden Interessen und Probleme  werden weder von den Politikern noch von den Medien, weder von den Experten noch von den Stiftungen aufgedeckt. Überall ein Kartell des Schweigens, der Verdrehungen und der manipulierten „Nachrichten“.

Es ging während des Wahlkampfes, genau wie zuvor oder danach, nicht um die vielgepriesene angebliche demokratische Befragung des Volkes, damit dessen berechtigte Erwartungen in Politik umgesetzt werden können. Es ging vielmehr darum, ein Volk – ein Wahlvolk – zu schaffen, das an die Wahlurne geht, um zu demonstrieren, dass es die Interessen und Ziele der Herrschenden als seine Anliegen akzeptiert und den Beauftragten des Kapitals in Regierung und Parlament die Legitimation für die Gestaltung einer Innen- und Außenpolitik erteilt, die den Interessen des Kapitals entspricht aber nicht gleich als solche erkannt wird.

Ein wichtiger Abschnitt in dieser Entwicklung wurde durch die reformistische Politik der Sozialdemokratie eingeleitet. Es war in Deutschland der Bundeskanzler Gerhard Schröder, der unter dem Dach der von August Bebel ursprünglich zu einer sozialen und demokratischen Volkspartei geformten SPD eine Politik der „neuen Mitte“ entwickelt und in den Grundzügen umgesetzt hat. Unterstützt wurde er von seinen Amtskollegen in Großbritannien und Frankreich. Er hat mit seiner an den Interessen des Kapitals orientierten Politik nicht nur die Widersprüche  zwischen Kapital und Arbeit negiert, sondern erstmalig nach dem zweiten Weltkrieg Deutschland zum aktiven Kriegsteilnehmer gemacht, indem er es in die Aggression gegen Jugoslawien geführt hat. Und heute fragt sich die SPD, warum sie eine so katastrophale Niederlage erlitten hat!? Soll das das vorweg genommene Schicksal der ganzen Gesellschaft sein?

Auf der Grundlage der Zunahme und Zuspitzung der sozial-ökonomischen und politischen Widersprüche in der EU und in ihren Mitgliedsländern ist zu erwarten, dass sich die reaktionären Tendenzen in der Gesellschaft und in der Politik verstärken werden, weil die sich aus den Widersprüchen ergebenden Bedingungen ein günstiges Feld für die Intensivierung der Wiederaufnahme und Umsetzung reaktionärer außen- und innenpolitischer Konzeptionen darstellen, die nur in kaum unterscheidbaren Schattierungen wahrzunehmen sind. In den aktuellen und künftigen Diskussionen geht es also um den Ausweg und nicht um die beste Einbahnstraße.

Prof. Dr. Anton Latzo ist Historiker und Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen