Freitag, 7. Juni 2019

Soldaten gegen Hochwasser - Leseprobe (12)


SOLDATEN FÜR DEN FRIEDEN (Teil zwölf)

Leseprobe aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“ im 70. Jahr der Gründung der DDR am 07. Oktober 1949

Der Autor Harry Popow wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf, arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der NVA und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er ist seit 1961 sehr glücklich verheiratet.

  1. Posten auf dem Damm


  2. Hochwasser im Norden der DDR. Die Deiche an der Oder/Neiße könnten brechen. Oder mutwillig zerstört werden. Die Armee muss sie schützen. Auch Henrys Zug muss ran. Henry hebt manches Schriftstück auf, so z. B. Briefe der Einsatzleitung der KKK-Schwedt/Oder an ihn, den Vorgesetzten: „An die Genossen Abschnittsleiter. Mit Kurier erfolgte die Auslieferung von 20 Fackeln für die Ausleuchtung des Deiches bei der Feststellung von Gefahrenstellen. Die Fackeln sind so im Abschnitt zu lagern, dass die Verwendung bei Gefahr sofort möglich ist. Die trockene Lagerung ist dabei zu berücksichtigen. Im Zuge der Information ist über die Lagerungsorte zu berichten.“ 2. Brief: „Gemäß gegebener Weisung war bis zum 13.7.58 ein Plan über die im Abschnitt vorhandenen Materialien für die Deichverteidigung zu erarbeiten ... Welche Reservekräfte stehen den Abschnittsleitern zur Verfügung? (Insassen von Internaten, Lehrlingsheime, Erntehelfer, Bevölkerungsteile usw.) (...) Die gegenwärtige Kampfaufgabe, Schutz unseres Kreises vor den Wassermassen der Oder, fällt in der Zeit der Durchführung des V. Parteitages der SED. Die Lösung der schweren Aufgabe zur Abwendung einer Katastrophe muss verbunden werden mit der Information über die großen Perspektiven des sozialistischen Aufbaus in der DDR. Das Studium der Dokumente des V. Parteitages muss deshalb durch die rechtzeitige Bereitstellung der Parteipresse gewährleistet sein. B., Oberleutnant der VP.“

    Ein Brief von seiner Mutter, der Henry wieder einmal traurig stimmt:
    „Immer noch keine Post von Dir. (...) Meine Arbeit ist nicht schwer, aber die Menschen um mich machen es mir unerträglich schwer. Ich werde schief angeguckt, viele grüßen mich nicht - man gibt mir zu verstehen, dass ich eine ‚Fremdkörper‘ bin. Nur der Kaderleiter sagt mir ‚durchhalten, Kopf hoch‘. Seelisch leide ich aber sehr, da ich, welche seiner Zeit in Pommern im Jahre 1943-44 ohne Zögern Kriegsgefangenen Nachrichten aus Moskau hören ließ, und am Rande der Vergasungsbunker in einem KZ nur durch Zufall vorbeigegangen bin - alles um eine neu, besseres Deutschlands willen, heute nach 13 Jahren Sieges über den Faschismus, werde ich in einem rein Deutschem Unternehmen wie eine Ostarbeiterin im Jahre 1942 behandelt. (...) Es sind natürlich nur bürgerliche Kräfte, aber deren sind viele.“
    Goethes „Faust“. Ein Reclamheft. Zerfleddert in Henrys Gesäßtasche. Auf dem Weg vom Mittagessen zur Baracke, wo seine Kompanie untergebracht ist, fragt er den „Polit“ des Bataillons, ob man eigentlich in der Armee auch schöpferisch arbeiten könne. Henry giert nach einem kleinen Rat, wie man irgendwie dem mitunter stubiden Dienst entrinnen könne, vielleicht wollte er aber nur ein ganz normales Gespräch anknüpfen, vielleicht auch ein wenig provozieren, doch mit einer befriedigenden Antwort hatte er ohnehin nicht gerechnet. Mit dem „ja, ja, im Allgemeinen schon“ des Hauptmanns kann Henry nichts anfangen, und er schwört sich, so schwerwiegende Fragen zukünftig besser für sich zu behalten. Er will selbst etwas schreiben, aber zu verschwommen sind seine Vorstellungen, zu gering seine Erfahrungen. Und doch - ein Drama vielleicht? Er macht sich Notizen. So ein Titel wäre nicht schlecht, würde seine Situation charakterisieren: „Roberto oder die Rebellion des Geistes“?

  3. Wieder in Pinnow. Ein Sonnabend. Es ist spät am Abend. Henry ist Wachhabender. Im Objekt ist es ruhig. Muße, etwas zu schreiben. Vor kurzem las er das Buch „Das illegale Gebietskomitee arbeitet“. Hat ihn stark beeindruckt. Doch ihn beherrscht eine freudige Überraschung. Zugführer werden gesucht, die mehr Schwung in die sportliche Ausbildung bringen sollen. Sie werden fit gemacht in einem achtwöchigen Sportlehrgang. Und der findet in Plauen statt. Henry meldet sich, ja, da ist er dabei. Sonst kann ihm der Sport eigentlich gestohlen bleiben, aber unter diesen Umständen – Cleo wiederzusehen? Nichts wie hin. Seit einem halben Jahr hatte er ihr nicht mehr geschrieben. Er wird viel mehr Zeit für sie haben, denn er steht nicht mehr unter Druck wie als Schüler. Die Lehrgangsdauer, so erfährt Henry, erstreckt sich vom 07.10. bis zum 06.12.58. Henry hat über diese Zeit nichts festgehalten in seinem Tagebuch, aber er erinnert sich, es war sehr lehrreich. Sechs Stunden Sport pro Tag, mal Theoretisches, mal praktische Übungen. Das Spitzenereignis: Ein Abfaller Rückwärts ins Schwimmbecken vom Dreimeterbrett.


Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.

Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.

Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.

Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.

Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten Schlussfolgerungen zieht.

Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.

Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender!

Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro




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