Warnung vor einem neuen Weltkrieg
Der in Brüssel lebende US-Amerikaner und Russland-Experte Gilbert Doctorow warnt eindringlich vor dem Dritten Weltkrieg.
Von Gilbert Doctorow
Quelle: Gegenmeinung vom 26. Oktober 2016
Übersetzung: luftpost-kl.de
Die zwischen den USA und Russland wegen der Ukraine entstandene Konfrontation, die sich wegen Syrien noch verschärft hat, sei viel gefährlicher, als die Analysten der US-Mainstream-Medien glaubten; die von Russland ausgesprochenen klaren Warnungen würden einfach ignoriert, schreibt Gilbert Doctorow.
In einem Interview mit der BILD-Zeitung, das am 8. Oktober veröffentlicht wurde, beschrieb der für seine zurückhaltende Rhetorik bekannte deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die gegenwärtige internationale Lage mit folgenden besorgten Worten: „Leider ist es eine Täuschung, zu glauben, der alte Kalte Krieg sei wieder zurückgekehrt. Die neuen Zeiten sind anders, sind gefährlicher. Früher war die Welt zweigeteilt, aber Moskau und Washington kannten ihre roten Linien und respektierten sie. In einer Welt mit vielen Regionalkonflikten und abnehmendem Einfluss der Großmächte sind künftige Entwicklungen kaum noch vorhersehbar.“
Steinmeier sagte weiter: „Aus diesen Gründen müssen die USA und Russland ihre Gespräche fortsetzen.“ Er schloss seine Aufforderung mit der ausgewogenen Empfehlung, zur Lösung der humanitären Krise im Ostteil Aleppos sollten sowohl Russland als auch die USA auf die am Boden kämpfenden Parteien einwirken.
Leider ist festzustellen, dass dieser Appell an die Vernunft auf taube Ohren stieß. Noch am selben Tag erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums vor Journalisten in Washington, man habe am Wochenende die Friedensgespräche mit Moskau abgebrochen, „weil es mit den Russen nichts mehr zu besprechen gab“.
Die russische Seite fühlt sich nach dieser einseitig verkündeten Entscheidung der USA nicht mehr an die am 9. September zwischen US-Außenminister John Kerry und dem russischen Außenminister Sergei Lawrow getroffene Vereinbarung gebunden; darüber war 14 Stunden verhandelt worden, und beide hatten geglaubt, damit hätte die Kooperation über die Konfrontation gesiegt.
Nach russischer Ansicht wurde diese Vereinbarung de facto bereits am 17. September vom Pentagon gebrochen, als Kampfjets der USA und ihrer Koalition einen Vorposten der regulären syrischen Armee bei Deir ez-Zour bombardierten und mehr als 60 syrische Soldaten töteten (s. hier). De facto halten sich auch die Russen seit dem 23. September nicht mehr an die Waffenruhe; gemeinsam mit der syrischen Luftwaffe fliegen sie seither wieder schwere Luftangriffe auf den Osten Aleppos – zur Unterstützung der syrischen Bodentruppen. Nachdem die USA die Zusammenarbeit mit Russland in Syrien offiziell als beendet erklärt haben, reagierte auch Russland sehr deutlich, indem es „eine radikale Veränderung der Beziehungen zwischen beiden Staaten“ ankündigte.
Mehrere Reaktionen der Russen, die am 3. Oktober und in der darauffolgenden Woche erfolgten, wurden auch von den Mainstream-Medien der USA und anderer westlicher Staaten zur Kenntnis genommen. Sie berichteten über die Entscheidung der Russen, das im Jahr 2000 mit den USA geschlossene bilaterale Abkommen über die Wiederaufbereitung waffenfähigen Plutoniums zur Stromgewinnung in Atomkraftwerken auszusetzen. Das geschah, weil die USA die mehr als 18 Milliarden Dollar nicht aufbringen wollen, die sie der zugesagte Bau einer dafür notwendigen Anlage kosten würde.
Außerdem erfuhren wir, dass in Russland Zivilschutzübungen für 40 Millionen Menschen durchgeführt werden – allerdings ohne Angabe des Grundes. (Damit sollen die Russen auf die Gefahr eines Atomkrieges aufmerksam gemacht werden.) Die westlichen Medien berichteten auch über die Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums, dass die beiden modernsten russischen Luftverteidigungssysteme mit Raketen der Typen S-300 und S-400 nach Syrien gebracht wurden und bereits einsatzbereit seien. Der Pentagon-Sprecher tat überrascht, und stellte die rhetorische Frage, was das wohl solle?
Schließlich hörten wir in dieser Woche auch noch, dass Russland Boden-Boden-Raketen des Typs Iskander, die schneller als der Schall und mindestens 500 Kilometer weit fliegen und vermutlich auch einen Atomsprengkopf tragen können, in seine zwischen Litauen und Polen liegende Exklave Kaliningrad verlegt hat. Die polnischen Militärs fühlten sich sofort bedroht und verkündeten, sie hätten ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft. versetzt. Der
Pentagon-Sprecher versuchte sie mit dem abwiegelnden Hinweis zu beruhigen, diese Raketen seien ja vor zwei Jahren schon einmal zu einem Manöver dorthin verlegt worden; jetzt werden sie aber dauerhaft dort stationiert. (S. hier).
Die Gefahr wird heruntergespielt
Das Verhalten des Pentagons zeigt, dass man in der Öffentlichkeit die Bedeutung der in der letzten Woche getroffenen russischen Maßnahmen herunterspielen möchte. In diesem Zusammenhang sind auch weitere Informationen wichtig, die am vergangenen Sonntag im Abendprogramm des staatlichen russischen Fernsehens verbreitet wurden. Daraus können auch Laien erkennen, wie radikal die „Veränderung der Beziehung zwischen Russland und den USA“ tatsächlich ist.
Das auf Kanal Rossiya 1 des staatlichen russischen Fernsehens gesendete Programm „Vesti Nedeli“ (Neuigkeiten der Woche) wird von Dmitri Kisseljow moderiert. Dieses zweistündige, zur Hauptsendezeit ausgestrahlte Magazin ist die wichtigste Nachrichtensendung Russlands und hat regelmäßig viele Millionen Zuschauer. Die erste halbe Stunde der Sendung am Sonntag, dem 9. Oktober, war aber hauptsächlich an Adressaten in Washington D.C. gerichtet; man wollte kaltes Wasser über die Hitzköpfe im Pentagon und bei der CIA gießen, und die Führung der USA wieder zur Vernunft bringen.
Dmitri Kisseljow ist nicht nur der Moderator von „Vesti Nedeli“. Er ist auch der Chef aller Nachrichten- und Informationsprogramme des staatlichen russischen Rundfunks und Fernsehens. Er hat großen Einfluss und macht aus seinem Patriotismus keinen Hehl. Wir können davon ausgehen, dass alles, was er sagt, vom Kreml gebilligt wird.
Wegen der Wichtigkeit der von Kisseljow verbreiteten Botschaft möchte ich sehr ausführlich und mit nur geringen Kürzungen aus meiner (englischen) Niederschrift seiner Äußerungen zitieren:
„In der letzten Woche haben sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland, wie zu erwarten war, dramatisch verändert. Es macht nämlich wenig Sinn, sich angesichts der Verlogenheit und Unzuverlässigkeit der US-Amerikaner weiterhin ein Bein auszureißen, es kann uns nur schaden. Mit den USA kann man offensichtlich keine diplomatischen Kompromisse aushandeln.
Wir haben bis zum Schluss gehofft, dass es den US-Amerikanern gelingen werde, die Terroristen und die Assad-Gegner in Syrien voneinander zu trennen. Darauf haben über ein Jahr gewartet. Jetzt ist uns klar, dass sie das überhaupt nicht wollen. Sie haben uns die ganze Zeit zum Narren gehalten. Die USA sind mit Al-Nusra, dem syrischen Ableger der Al-Qaida, verbündet und gewähren den Terroristen nicht nur diplomatischen Schutz; sie versorgen sie auch mit modernen Waffen und unterstützen sie im Kampf gegen die syrische Armee.
Die antirussischen Berichte in den Mainstream-Medien der USA zeigen doch, dass es nichts bringt, wenn wir weiterhin versuchen, in Syrien mit den US-Amerikanern zu kooperieren. Nur in Zusammenarbeit mit der legalen syrischen Regierung können wir dieses Land von Terroristen befreien und längerfristig etwas für die Sicherheit des Mittleren Ostens, Russlands und ganz Europas tun.“
Kisseljow fuhr fort: „Wer uns dabei unterstützen will, kann sich uns anschließen. Die USA schienen das zu wollen, haben es sich dann aber anders überlegt und ihre militärische Zusammenarbeit mit Russland in Syrien am Montag eingestellt – mit einer Ausnahme, die Funkverbindung, die verhindern soll, dass es zu militärischen Zusammenstößen kommt, besteht derzeit noch.
Damit sind wir wieder da angelangt, wo wir vor dem 9. September waren – bevor sich Kerry und Lawrow auf eine Waffenruhe verständigt haben. Dann kam aber US-Verteidigungsminister Ashton Carter ins Spiel; er eröffnete eine zweite Front und zwang Kerry, an beiden Fronten zu kämpfen. Kerry, der glaubte, sich nur mit den Russen auseinandersetzen zu müssen, geriet unter „eigenes Feuer“ aus dem Pentagon.
US-Kampfjets bombardierten Vorposten der syrischen Armee – und zwar vorsätzlich. Der Angriff war mit den Terroristen abgestimmt, denn sie griffen sofort danach an. Dann gab es am 20. September auch noch den gefakten Angriff auf einen humanitären Konvoi in der Nähe von Aleppo (den man den Russen in die Schuhe schieben wollte, s. hier). Damit war Moskau klar, dass Diplomatie für das Pentagon nur ein Mittel zum Zweck ist. Kerry musste den US-Luftangriff (auf den Vorposten) dann auch noch als Versehen verkaufen.
Wir müssen uns heute Abend mit der radikalen Veränderung unserer Beziehungen zu den USA befassen. Dazu gehören auch die drei mit Kalibr-Marschflugkörpern ausgerüsteten russischen Kriegsschiffe vor der syrischen Küste, die Verlegung zusätzlicher Luftverteidigungssysteme S-300 nach Syrien und die Entsendung von 5.000 russischen Fallschirmjägern nach Ägypten. Zu nennen sind auch die Kündigung von Atomabkommen mit den USA und die Zivilschutzübung in der letzten Woche, bei der sich 200.000 Zivilschützer um 40 Millionen Menschen kümmerten. Eine solche Häufung von Vorsichtmaßnahmen hat es vorher noch nie gegeben.“
Terroristen und Geiseln
Kisseljow erklärte außerdem: „Die Aufmerksamkeit richtet sich jetzt vor allem auf den Osten Aleppos; der befindet sich noch unter der Kontrolle von Terroristen, die Hunderttausende von Zivilisten als Geiseln und menschliche Schutzschilde festhalten. Sie exekutieren Menschen, die fliehen wollen. Das können wir nicht länger dulden. Mit den Terroristen kann man auch keine Vereinbarungen treffen. Die syrische Armee führt deshalb eine Offensive gegen sie durch.
Über den Kampf Russlands gegen die Terroristen in Syrien werden ganz viele Lügen und Verleumdungen verbreitet, weil die USA dadurch ihren Anspruch auf Alleinherrschaft bedroht sehen und die Dinge sich nicht so entwickeln, wie man sich das in Washington vorgestellt hat. Es sieht so aus, als werde Barack Obama noch vor Baschar al-Assad aus dem Amt scheiden. Und die gegen Russland verhängten Sanktionen haben nicht die erhoffte Wirkung. …
Washington hat bereits verkündet, es werde jetzt zum so genannten Plan B übergehen. Man hat zwar keine Details genannt, aber jeder weiß, was damit gemeint ist. Plan B besteht darin, dass die USA jetzt mehr direkte militärische Gewalt in Syrien anwenden wollen. Es ist nicht schwer zu erraten, gegen wen sie das tun wollen – natürlich gegen Assad, gegen die reguläre syrische Armee und gegen die russischen Truppen, die sich (auf Bitten der syrischen Regierung, also) völlig legal in Syrien aufhalten.
Können wir diese Entwicklung verhindern? Nein, wir müssen uns schon wieder auf Provokationen einstellen – wie in den beiden Weltkriegen. Der Vietnam-Krieg hat mit einer von den USA organisierten Provokation begonnen (s. hier), ebenso die Überfälle auf den Irak und auf Libyen. Die USA ignorieren das Völkerrecht und haben sich bisher noch von niemandem von ihren Angriffskriegen abbringen lassen.“
Kisseljow ergänzte: „Moskau reagiert gelassen auf Plan B. Es sattelt in aller Ruhe, damit es gut gerüstet losreiten kann. Um zu verstehen, wie rasch sich die Beziehungen zwischen Russland und den USA verändert haben, müssen wir zum Anfang der Woche zurückgehen. Lassen Sie uns noch einmal die Ereignisse seit Montag überblicken.
Zuerst will ich Ihre Aufmerksamkeit auf die jüngste Rede des russischen Präsident Wladimir Putin lenken. Er hat noch ruhiger und besonnener als sonst gesprochen, als er die erste Sitzung der neuen 7. Duma eröffnet hat. Er wollte uns allen die anstehenden schwierigen Probleme bewusst machen, damit sie in unsere Herzen und Hirne dringen. Er hat nicht über Gesetzentwürfe, sondern über die aktuelle Weltlage geredet. Putin hat uns aufgefordert, zusammenzustehen. Er bezeichnete die Einheit der Russen als wesentliche Voraussetzung für die Existenz unseres Staates. Zur Erhaltung unser Souveränität sei Stärke notwendig.
In dieser Duma-Sitzung kündigte Putin auch an, das Plutonium-Abkommen mit den USA werde ausgesetzt.“
Hier ging Kisseljow über Putins Aussagen zu dem Plutonium-Abkommen vor der Duma hinaus und erläuterte die Bedeutung dieser Maßnahme für Außenstehende. Er lenkte die Aufmerksamkeit vor allem auf die Gründe für die Aussetzung des Abkommens: Die feindlichen Aktivitäten der USA gegen die Russische Föderation „bedrohten die strategische Stabilität“, außerdem seien die USA nicht der ihnen aus der Vereinbarung erwachsenden Verpflichtung nachgekommen, waffenfähiges Plutonium auch tatsächlich durch Wiederaufbereitung unbrauchbar zu machen.
Kisseljow legte besonderen Wert auf Punkt 2 des Aussetzungsbeschlusses. Der Text war auf dem Fernsehschirm zu lesen; die wichtigsten Passagen waren mit gelber Farbe unterlegt und sind nachfolgend abgedruckt:
„Das Plutonium-Abkommen und die dazugehörenden Protokolle können wieder in Kraft treten, wenn die USA die Ursachen, die zu seiner Aussetzung geführt haben, beseitigen.
1) Die militärische Infrastruktur und die Truppen, welche die USA auf den Territorien von NATO-Staaten stationiert haben, die dem Bündnis erst nach dem 1. September 2000 beigetreten sind, müssen auf das Niveau reduziert werden, auf dem sie sich am Tag des Inkrafttretens des Plutonium-Abkommens befanden.
2) Die USA stellen ihre feindliche Politik gegenüber der Russischen Föderation ein, indem sie
a) das als Sergei-Magnitsky-Gesetz [s. hier] bezeichnete US-Gesetz aus dem Jahr 2012 (s. hier) und das gegen Russland gerichtete US-Gesetz zum Schutz der Freiheit der Ukraine aus dem Jahr 2014 aufheben,
b) durch die Aufhebung aller von den USA gegen die Russische Föderation – und zwar gegen Personen und Einrichtungen – verhängten Sanktionen,
c) durch die Entschädigung aller unter b) genannten Schäden, die der Russische Föderation durch die Sanktionen entstanden sind, einschließlich der Verluste durch Gegenmaßnahmen, die von der Russischen Föderation infolge der Sanktionen getroffen werden mussten.
d) durch Vorlage eines Planes, mit dem die USA nachweisen, wie sie die vertraglich eingegangene Verpflichtung zur Wiederaufbereitung ihres Plutoniums erfüllen wollen.“
Ein Ultimatum, das einem den Atem verschlägt
Kisseljow nannte diese Bedingungen zu Recht ein „Ultimatum“ an des Weiße Haus. Es verschlägt einem den Atem, denn der Kreml ließ seinen deutlichen Worten sofort Taten folgen.
Kisseljow teilte nämlich ebenfalls mit, die russische Regierung habe am Dienstag alle im Bereich der Atomphysik bestehenden wissenschaftlichen Kontakte zu den USA abgebrochen. Am selben Tag wurde auch die Zusammenarbeit zwischen RosAtom (s. dazu auch hier) und dem US-Energieministerium auf dem Gebiet der Kernreaktoren gestoppt.
Dann wies Kisseljow noch darauf hin, dass die Russen „von jetzt an nicht mehr auf die Bremse, sondern auf das Gaspedal treten“. Es seien drei russische Lenkwaffen-Kriegsschiffe der Schwarzmeer-Flotte ins östliche Mittelmeer verlegt worden – als Vorsichtmaßname für den Fall, dass die USA ihren Plan B umsetzen. Sie seien mit zwei Typen von Raketen ausgestattet: mit Kalibr-Marschflugkörpern, die atomar bestückt werden können und eine Reichweite von 2.600 km haben, und mit Onyx-Raketen (s. hier), die schneller als der Schall fliegen und zur Bekämpfung von Schiffen dienen.
Am gleichen Tag, den Kisseljow als „Schwarzen Dienstag“ bezeichnete, habe die russische Regierung bestätigt, dass sie ihr modernstes Luftabwehrsystem S-300 in Syrien installiert hat. Zum Beweis zeigte er ein Video von einer Pressekonferenz, die Igor Konaschenkow, (s. hier), der Chef des Presse- und Informationsamtes des russischen Verteidigungsministeriums zur Lage in Syrien gegeben hatte.
Konaschenkow hatte erklärt, das russische Luftabwehrsystem sei nach Syrien verlegt worden, weil die USA und Frankreich mit der Errichtung einer „Flugverbotszone“ gedroht und die USA und ihre Koalition am 17. September einen Vorposten der syrischen Armee bei Deir ez-Zour angegriffen hätten. Konaschenkow hatte außerdem betont, es bleibe jetzt keine Zeit mehr, um mit den US-Amerikanern über einen heißen Draht über die Ziele anfliegender Tarnkappenbomber oder Raketen der USA zu diskutieren, sie würden einfach abgeschossen, was auch immer „die Dilettanten in US-Militärkreisen“ darüber dächten.
Konaschenkow hatte außerdem mitgeteilt, das russische Militär führe in umkämpften Gebieten in Syrien, in denen militante Gegner zu Verhandlungen bereit seien und ihre Waffen niederlegten, auch humanitäre Aktionen durch. Deshalb könnten bei US-Luftangriffen auch russische Kräfte zu Schaden kommen, was man aber nicht hinnehmen werde.
In seiner Sendung am Mittwoch ließ Kisseljow sein Publikum außerdem wissen, Russland habe Washington offiziell mitgeteilt, dass die bereits installierte US-Raketenbatterie in Rumänien (s. hier) und die geplante in Polen (s. hier) beide gegen das Abkommen über Mittelstreckenraketen (s. dazu auch hier) verstoßen, weil sie sowohl defensiv als auch offensiv eingesetzt werden können.
Russland habe eigentlich nicht vor, das Abkommen über Mittelstreckenraketen zu kündigen, weil es diese wichtige Abrüstungsvereinbarung aus den Reagan-Gorbatschow-Jahren erhalten möchte, werde es aber tun, wenn die USA nicht einlenkten. In diesem Zusammenhang steht auch die Ankündigung Moskaus vom gleichen Tag, dass Iskander-Raketen dauerhaft – und nicht nur für ein Manöver – nach Kaliningrad verlegt wurden.
In der gleichen Woche gab das russische Verteidigungsministerium ein beispielloses Manöver in Ägypten bekannt: Dort üben 5.000 mit neuartigen Fallschirmen ausgerüstete Fallschirmjäger Absprünge und Gefechte in Wüstenuniformen.
Russische Militärbasen im Ausland
Kisseljow sagte, der stellvertretende russische Verteidigungsminister habe mitgeteilt, sein Ministerium prüfe gerade die Möglichkeit, wieder Militärbasen in Kuba und in Vietnam zu errichten. Und zum Jahrestag des ersten Sputnik-Starts feierte Moskau sein Raketen-Korps mit Videos vom Start neuer „schrecklicher“ Raketen.
Zusammenfassend stellte Kisseljow fest, die Ereignisse der vergangen Woche zeigten, dass die Atmosphäre sehr aufgeladen sei. Daran schuld seien die ständige Osterweiterung der NATO, die Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA, die vom Westen inszenierten bunten Revolutionen, die Verleumdung Russlands und der auf Lügen beruhende Propagandakrieg des Westens. Diese unfreundlichen Akte müssten aufhören.
Gegen Ende seiner Sendung stellte er die rhetorische Frage, ob das gefährlich sei und bejahte sie natürlich.
Obwohl Russland moralisch und waffentechnisch auf einen Krieg gegen die USA vorbereitet ist, um seine nationalen Interessen – auch in Syrien – zu verteidigen, beendete Kisseljow den halbstündigen Nachrichtenteil seiner wöchentlichen Sendung versöhnlich. Er sagte, die russische Regierung sei zwar auf das Schlimmste gefasst, hoffe aber immer noch auf einen guten Ausgang. Er zitierte Dmitri Peskow, den Pressesprecher Putins, der darauf bestanden habe, dass Russland immer noch zur Zusammenarbeit bereit sei.
So schlimm sich die Aufzählung der „radikalen Veränderungen in den Beziehungen zwischen Russland und den USA“ auch anhören mag, die von Kisseljow genannten Maßnahmen und Absichten Russland waren noch nicht einmal vollzählig. In der gleichen Woche sickerte die russische Absicht durch, in Ägypten eine Marinebasis zur Unterstützung russischer Operationen im westlichen Mittelmeer zu errichten; die gab es noch nicht einmal im Kalten Krieg.
Es sollte auch beachtet werden, dass über das Thema russische Militärbasen im Ausland ebenfalls zur Hauptsendezeit in einem anderen wichtigen Programm des russischen Staatsfernsehens informiert wurde – in der Sendung „Sonntagabend mit Wladimir Solowiew“ am 9. Oktober, der populärsten und beliebtesten Talkshow, die ebenfalls vom Kanal Rossiya 1 ausgestrahlt wird.
Abweichend von der normalen Praxis nahmen an dieser Ausgabe nur russische Diskutanten – und zwar überwiegend hochrangige – teil. Die bekannteste Politikerin war Irina Jarowaja, die knallharte und kluge Stellvertretende Duma-Vorsitzende, die vor allem dadurch bekannt wurde, dass sie ein Überwachungsgesetz durchsetzte, das Edward Snowden im Juli als „Gesetz des Großen Bruders“ bezeichnet hat. Frau Jarowaja, die gerade Stellvertretende Vorsitzende der Duma geworden war, eröffnete die Talkshow, in der es um einen Vergleich der militärischen Stärke der USA und Russlands ging.
Frau Jarowaja stellte fest, das Verteidigungsbudget der USA sei 1992 noch 77mal so hoch wie das Russlands gewesen, 2015 immerhin noch zehnmal so hoch. Auf die USA entfielen 36 Prozent der weltweiten Militärausgaben, auf Russland gerade mal 4 Prozent. Sie frage, sich, warum die USA so viel Geld für ihr Militär ausgäben und gab sich selbst die Antwort, um die politische Landschaft zu beherrschen. In diesem Zusammenhang erklärte sie, Russland werde das nun nicht mehr zulassen.
An dieser Stelle schaltete sich das zweite politische Schwergewicht in die Debatte ein – Wladimir Schirinowski, der Vorsitzende der nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands /
LDPR, die bei den Wahlen im September bemerkenswert gut abgeschnitten und als Belohnung den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss der Duma erhalten hat. Auch dieses wichtige Detail der politischen Situation in Russland ist den Kommentatoren in den USA und im übrigen Westen völlig entgangen.
Schirinowski betonte, Russland sei militärisch viel stärker, als ein Vergleich der Militärausgaben der USA und Russlands vermuten lasse. Schließlich gäben die US-Amerikaner einen großen Teil ihres Verteidigungsbudgets für Toilettenpapier, Würstchen und den Unterhalt ihrer über 700 Militärbasen im Ausland aus.
Trotz dieser ironischen Bemerkung über die US-Basen, hielt er sie natürlich auch für bedrohlich und schlug im Lauf der Diskussion vor, auch Russland solle sich mindesten 100 Militärbasen im Ausland zulegen.
Um einschätzen zu können, wie wahrscheinlich die Errichtung russischer Militärbasen im Ausland ist, müssen wir uns daran erinnern, dass Wladimir Putin vor nicht allzu langer Zeit gesagt hat, weil Russland keine Auslandsbasen habe, zähle es auch nicht zu den Supermächten und er habe auch nicht den Ehrgeiz, es in eine Supermacht zu verwandeln.
Die Risiken der „US-Kriegsfalken“
Die „US-Kriegsfalken“, die Putin unterstellen, von der Wiedergeburt der Sowjetunion zu träumen, verbreiten kompletten Unsinn. Aber es gibt einen Traum, einen ganz neuen Traum in Moskau, den es vor der direkten und existenzbedrohenden Konfrontation mit den USA nicht gab. Russland möchte nicht nur als Großmacht, sondern als Weltmacht mit globalen Interessen anerkannt werden.
Mit der Russland entgegengebrachten Feindschaft und den gegen seine Existenz gerichteten Bedrohungen haben die USA in den Russen schlimme (in ihrer Vergangenheit begründete) Ängste geweckt.
Übrigens stammen alle in meinem Artikel verwendeten Informationen aus offenen Quellen. Die Fernsehprogramme wurden öffentlich ausgestrahlt und konnten auch von den Mitarbeitern der US-Geheimdienste angeschaut werden, die in der US-Botschaft in Moskau beschäftigt sind. Sie sind auch für alle daran interessierten Russisch sprechenden CIA-Analysten in Langley zugänglich, weil sie innerhalb von 24 Stunden auch auf youtube.com zu sehen sind.
Außerdem schickt die CIA häufig sogar einen eigenen Agenten in die Talkshows, die mehrmals pro Woche zur Hauptsendezeit im russischen Fernsehen stattfinden. Wegen seiner hervorragenden russischen Sprachkenntnisse ist er ein willkommener und gut bezahlter Gast bei staatlichen russischen Fernsehsendern und weil er regelmäßig die Politik Washingtons verteidigt, ist er genau der US-Amerikaner, dem die russischen Zuschauer eine Art Hassliebe entgegenbringen.
Er hat natürlich den Auftrag, in den Talkshows den russischen Politikern zu widersprechen und ihnen in den Pausen auch selbst Fragen zu stellen. Von einem russischen Politiker weiß ich, das ihn der CIA-Mann letzte Woche gefragt hat: „Wird es Krieg geben?“
Wenn die US-Geheimdienste ihren Job professionell betreiben, und ich will einmal annehmen, dass sie das tatsächlich tun, dann müssten sie nicht nur den Präsidenten Obama, sondern auch die beiden Präsidentschaftskandidaten bereits auf die oben aufgezeigten Entwicklungen in den US-amerikanisch-russischen Beziehungen hingewiesen haben.
In diesem Fall erhebt sich die rätselhafte und eigentlich skandalöser Frage: Warum hat der US-Präsident bisher kein Wort über die „radikale Veränderung der Beziehungen zu Russland“ gesagt? Und warum haben sich weder die Kandidatin noch der Kandidat dazu geäußert, als sie bei ihrem zweiten Zusammentreffen am 9. Oktober gefragt wurden, wie sie auf das Töten im Osten Aleppos zu reagieren gedenken?
Hillary Clintons hat bei ihrer Antwort, die USA sollten durch die Errichtung einer „Flugverbotszone“ über Syrien weitere Bombenangriffe der russischen und der syrischen Luftwaffe unterbinden, „übersehen“, dass dann wohl US-Kampfjets und US-Kriegsschiffe von den Russen beschossen und zerstört würden, was vermutlich den Dritten Weltkrieg auslösen würde. Entweder sind sie und ihr Team nicht auf dem neuesten Stand, oder sie spielen ein sehr gefährliches Spiel.
Donald Trump hat etwas besser reagiert – er sagte, Ost-Aleppo sei eh verloren, und kam damit der Realität sehr viel näher.
Das offizielle Schweigen der USA zur Botschaft Russlands, dass es auch aus nationalem Eigeninteresse Syrien mit allen militärischen Mitteln verteidigen werde, lässt vermuten, dass sich die US-Regierung gerade in einem Blindflug befindet.
Gilbert Doctorow ist der Europa-Koordinator des American Comitee for East West Accord. Sein neustes Buch „Does Rusia have Future?“ (Hat Russland eine Zukunft?) wurde im August 2015 veröffentlicht.
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