Donnerstag, 4. Juli 2019

Interview mit Vladimir Putin - rubikon



Wer provoziert hier?“


Russland will respektiert werden. Exklusivabdruck aus „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“.


von Thomas Röper

„Man kann Putin mögen oder auch nicht, aber man sollte wissen, was Putin selbst zu den drängendsten Fragen unserer Zeit sagt, um die Entscheidung darüber treffen zu können.“ Der Mann, über den alle — oft auch sehr unfair — reden, dem aber die wenigsten wirklich zuhören, steht im Mittelpunkt von Thomas Röpers neuem Buch. In diesem Auszug, wie im ganzen Buch, kommt überwiegend der russische Präsident selbst zu Wort (in Kursivschrift), mit einigen erklärenden Anmerkungen von Röper (in Normalschrift). Im Kapitel „Verhältnis zum Westen“ lernen wir einen humorvollen, sehr schlagfertigen Putin kennen, der die Politik des Westens nicht schont und, wo nötig, Tacheles redet. Sein Ziel: ein Dialog auf Augenhöhe, der auf Verständigung abzielt und die Interessen aller Parteien berücksichtigt.

Vladimir Putin: (…) Aber der generelle Stil sollte sein, dass sich ein direkter, vertrauensvoller Dialog unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen entwickelt. Sie wissen das doch, alle Experten wissen es, es war täglich in der Presse: Wir sind besorgt über die Ausdehnung der NATO nach Osten. Aber mit uns hat niemand gesprochen, uns wurde gesagt, es ist das Recht eines jeden Volkes, über die Verteidigung selbst zu entscheiden. Natürlich ist das das Recht eines jeden Volkes, aber warum spricht man uns dann das Recht ab, gewisse Maßnahmen im Blick auf unsere Sicherheit einzuschätzen? Es gibt doch viele Möglichkeiten, die Sicherheit der Länder zu gewährleisten. Sagen wir, die USA hätten mit jedem Land einen zweiseitigen Vertrag über Freundschaft und militärischen Beistand schließen können. Wo ist der qualitative Unterschied zwischen einem solchen Vertrag und dem NATO-Beitritt? Da gibt es keinen.

Naja, NATO-Mitglieder kann man verpflichten, mehr Geld für Waffen auszugeben. Aber die tun es trotzdem nicht, Sie wissen, dass die Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder viel geringer sind als die der USA. Die Vereinigten Staaten machen zwar ständig Druck, aber so richtig funktioniert das bisher nicht. Mit der Raketenabwehr das Gleiche. Man sagt uns immer: „Das ist nicht gegen Euch gerichtet.“

Präsident Medwedjew, der viel für bessere Beziehungen zu den USA getan hat, hat doch eine Initiative vorgeschlagen: Lasst uns ein Papier aufsetzen, das juristisch keinen Wert hat, einfach ein Papier aufsetzen, auf dem Ihr einfach das aufschreibt, was Ihr uns immer sagt. Nein, das wurde kategorisch abgelehnt. Was soll das für ein Dialog sein? Das sind leere Worte. Wenn wir endlich die Kraft finden, einen offenen, ehrlichen Dialog mit Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen zu führen, dann wenden sich die Beziehungen auch zum Besseren.

Im Dezember 2014, der Ukraine-Konflikt war inzwischen eskaliert, die Sanktionen erlassen und die russische Wirtschaft litt unter dem Verfall von Rubel und Ölpreis, hielt Putin seine alljährliche und ausführliche Pressekonferenz vor der internationalen Presse ab. Damals gab es in der westlichen Presse viele Kommentatoren und Experten, die voraussagten, dass Russland bald den Staatsbankrott erleben würde, nach deren Ansicht war die Frage nicht mehr, ob es geschieht, sondern nur noch, wann es geschieht. Heute wissen wir, dass Russlands Wirtschaft die schweren Schläge von 2014/2015 erstaunlich gut weggesteckt hat und dass das Land nicht bankrottgegangen ist, sondern dass Russlands Reserven sogar noch gewachsen sind.

Auf der alljährlichen Pressekonferenz fragte John Simpson von der BBC: „Die westlichen Länder sind nun fast einstimmig der Meinung, wir hätten einen neuen Kalten Krieg und dass Sie die Entscheidung getroffen haben, den zu beginnen. Fast täglich sehen wir russische Militärflugzeuge, die am westlichen Luftraum gefährliche Manöver fliegen, das muss auf Ihren Befehl geschehen, denn Sie sind der Oberkommandierende der Streitkräfte. Es müssen Ihre Befehle sein, die Soldaten in souveräne Länder geschickt haben. Zuerst die Krim und dann das, was auch immer da im Osten der Ukraine vor sich geht. Jetzt haben Sie ein Problem mit Ihrer Währung und Sie brauchen Hilfe und Verständnis von außen, auch vom Westen. Darf ich Sie jetzt fragen: Sagen Sie den Menschen im Westen, dass Sie nicht den Wunsch haben, diesen neuen Kalten Krieg fortzuführen und dass Sie alles tun werden, was Sie können, um die Probleme in der Ukraine zu lösen?“

Vielen Dank für die Frage. Zum Thema der Manöver unserer Streitkräfte: Sie sagen, dass Russland einen wichtigen Beitrag zu den Spannungen geleistet hat, die wir heute in der Welt beobachten können. Russland hat dazu tatsächlich seinen Beitrag geleistet, aber nur insofern, als es immer konsequenter seine nationalen Interessen verteidigt. Wir attackieren niemanden, also im politischen Sinne des Wortes, wir greifen niemanden an, wir verteidigen nur unsere nationalen Interessen. Die Unzufriedenheit unserer amerikanischen Partner kommt daher, dass wir genau das tun. Und nicht etwa daher, dass wir irgendetwas im militärischen Bereich tun.

Ich erkläre es Ihnen. Sie sprechen über die Flüge unserer Luftwaffe, einschließlich unserer strategischen Luftflotte. Wissen Sie eigentlich, dass Russland die Flüge seiner strategischen Flugzeuge in weit entfernte Gebiete Anfang der 1990er Jahre komplett eingestellt hat? Wir haben das komplett eingestellt. Aber die amerikanischen strategischen Flugzeuge mit Atomwaffen an Bord sind weiterhin geflogen. Wozu? Gegen wen? Wen haben sie bedroht? Und wir sind nicht geflogen und nicht geflogen, ein Jahr nach dem anderen. Erst jetzt, vor einigen Jahren haben wir die Flüge wieder aufgenommen.

Also wer provoziert hier? Wir etwa?

Wir haben nur zwei Militärbasen im Ausland und die auch nur in terrorgefährdeten Regionen. Eine in Kirgisien, auf deren Bitte, nachdem dort Kämpfer aus Afghanistan eingesickert sind, und in Tadschikistan, auch an der Grenze zu Afghanistan. Ich glaube, dass auch Sie daran interessiert sind, dass es da ruhig bleibt. Das ist also begründet und verständlich. Die amerikanischen Stützpunkte sind auf dem ganzen Erdball verteilt. Und Sie wollen sagen, dass wir uns aggressiv verhalten? Gibt es noch gesunden Menschenverstand oder nicht? Was machen die amerikanischen Streitkräfte in Europa, sogar mit taktischen Atomwaffen? Was tun die da?

Hören Sie, unser Verteidigungsetat für nächstes Jahr wird wachsen. Ich will jetzt nichts Falsches sagen, aber in Dollar liegt er so bei 50 Milliarden Dollar. Und das Budget des Pentagon? Fast zehn Mal so hoch. 575 Milliarden, soweit ich mich erinnere. Und Sie wollen sagen, dass wir eine aggressive Politik betreiben? Haben Sie gesunden Menschenverstand oder nicht? Haben wir unsere Streitkräfte an die Grenzen der USA oder anderer Länder angenähert? Wer bewegt die Basen der NATO inklusive der militärischen Infrastruktur voran? Nicht wir. Führt irgendjemand darüber einen Dialog mit uns? Nein, immer nur eine Antwort: „Das geht Euch nichts an, jedes Land darf seine Mittel zur Verteidigung seiner Sicherheit frei wählen.“ Gut, dann machen wir das auch. Warum soll uns das nicht erlaubt sein?

Und schließlich: Die Raketenabwehr. Wer ist einseitig aus dem ABM-Vertrag ausgestiegen, der das Herzstück der weltweiten Sicherheitspolitik war? Waren wir das etwa? Nein, das waren die Staaten. Sie sind einseitig ausgestiegen und bilden eine Bedrohung für uns. Sie stellen die Elemente der strategischen Raketenabwehr nicht nur in Alaska auf, sondern auch in Europa, in Rumänien und Polen, direkt vor unserer Haustür.

Und Sie sagen, dass wir eine aggressive Politik verfolgen?

Wollen wir eine Verbesserung der Beziehungen? Ja, wollen wir. Aber unter Berücksichtigung unserer nationalen Interessen, sowohl bei der Sicherheit als auch bei der Wirtschaft. Wir haben 19 Jahre verhandelt, um in die WTO (1) zu kommen und sind unglaublich viele Kompromisse eingegangen. Und wir gingen davon aus, dass diese Regeln stahlhart sind. Ich will jetzt gar nicht darüber reden, wer in der Ukraine Recht hat und wer Unrecht, ich denke wir haben Recht, das sagte ich oft genug, aber das ist jetzt mal unwichtig. Wir traten in die WTO ein und da gibt es Regeln. Entgegen all dieser Regeln und gegen die Charta der UN wurden einseitige Sanktionen gegen uns beschlossen. Nach all diesen internationalen Bestimmungen sind die Sanktionen illegal.

Und wir sind wieder schuld?

Wir wollen normale Beziehungen in Fragen der Sicherheit und bei der Bekämpfung des Terrorismus entwickeln. Wir wollen beim Verbot der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen und bei der Bekämpfung von Drogenhandel, organisierter Kriminalität und Epidemien wie Ebola zusammenarbeiten und werden das auch tun. Und auch auf dem Gebiet der Wirtschaft, wenn unsere Partner das auch wollen.

Auf dem von der Ukraine-Krise dominierten Petersburger Wirtschaftsforum im Jahre 2015 war, wie schon erwähnt, Charlie Rose von Bloomberg der Moderator. Und er fragte Putin unter anderem: „Ich habe viel über Sie und Ihr Land gelesen und drei wichtige Thesen gefunden: Erstens, Russland möchte respektiert werden, zweitens wollen Sie Gespräche auf Augenhöhe führen und drittens machen Sie sich mit Blick auf Ihre Geschichte Sorgen um ihre Grenzen und möchten gerne eine Pufferzone zur Sicherheit errichten. Stimmt das oder nicht?“

Verstehen Sie, ich höre das immer wieder: Russland will respektiert werden. Wollen Sie nicht respektiert werden? Wer will das nicht? Wer möchte gerne erniedrigt werden? Ich finde schon die Fragestellung seltsam, gerade so, als ob Russland etwas ganz Exklusives für sich einfordert, wenn es respektiert werden möchte. Sollen wir wollen, dass man uns anspuckt? Aber es geht gar nicht um Respekt oder nicht Respekt. Wir wollen unsere Interessen schützen, ohne dabei unseren Partnern zu schaden. Und natürlich erwarten wir dabei einen konstruktiven und direkten Dialog. Aber wenn man anders mit uns redet oder gleich den Dialog vollkommen ablehnt, dann provoziert das natürlich eine Gegenreaktion.

Sehen Sie, ich erzähle Ihnen jetzt eine interessante Geschichte. Es geht um die so genannte Östliche Partnerschaft, die unsere Kollegen und Freunde in Westeuropa voranbringen wollen. Und das wird übrigens sehr aktiv von den Vereinigten Staaten unterstützt. Und unsere erste Reaktion auf die Idee einer Östlichen Partnerschaft war ausgesprochen positiv. Warum? Die östlichen Länder sind mit Russland über tausende Nähte verbunden, das sind technische Normen, gemeinsame Infrastruktur und so weiter und so weiter. Und wir gingen davon aus, dass, wenn Europa mit diesen Ländern zu arbeiten beginnt, unvermeidlich auch ein konstruktiver Prozess der Zusammenarbeit mit Russland beginnt. Und dann würden wir daran arbeiten, bei einigem einig sein, über anderes streiten, aber am Ende zu einer gemeinsamen Lösung kommen und ein gemeinsames wirtschaftliches, politisches und humanitäres Gebiet bilden.

Nichts davon ist passiert.

Wie kam es denn zu der Krise in der Ukraine? Der Ukraine wurde ein Assoziierungsabkommen vorgeschlagen. Hervorragend! Aber die Ukraine ist Mitglied in der Freihandelszone der GUS (2), deren Gründung sie damals selbst vorangetrieben hat. Da gibt es massenhaft Zoll- und Handelsvorteile, mit der EU haben wir ewige Jahre über den Beitritt zur WTO verhandelt und jetzt wollte die EU durch die Hintertür Ukraine zollfrei auf den russischen Markt drängen. Macht man so etwas auf diese Art? Aber auf unseren Vorschlag, darüber zur reden, wurde uns gesagt — und das ist ein wörtliches Zitat — „Das geht Euch nichts an.“ Werden so etwa Probleme gelöst? Was soll hier die leere These vom Respekt, den Russland fordert? Wir wollen, dass unsere Interessen berücksichtigt werden.

Zwei Jahre später, auf dem Petersburger Wirtschaftsforum 2017 — inzwischen war Trump im Amt und sorgte innerhalb der NATO für Unruhe — gab es auf dem Podium eine Diskussion über die NATO, und die Moderatorin Megyn Kelly fragte Putin, ob der Streit in und um die NATO Russland helfen würde.

Wenn sie dabei auseinanderfällt, dann würde das helfen. Aber danach sieht es nicht aus. Ich stelle mir immer eine Frage und habe das auch schon öffentlich getan. Die NATO wurde als Instrument des Kalten Krieges für den Kampf gegen die Sowjetunion und den Warschauer Pakt gegründet. Heute gibt es weder den Warschauer Pakt noch die Sowjetunion, aber die NATO existiert noch. Die Frage ist, wozu? Darauf gibt es nur eine Antwort, egal, was man sonst so erzählt: Die NATO ist ein Instrument für die Außenpolitik der Vereinigten Staaten.

Quellen und Anmerkungen:

(1) World Trade Organization, Anmerkung der Redaktion
(2) Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Anmerkung der Redaktion

Thomas  Röper
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebte 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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