„Die
Politik der Päpste“ - von Karlheinz Deschner
Nächstenliebe
& Peitschenhiebe
Buchtipp
von Harry Popow
Unter
salbungsvollen Worten und mit dem Ruf nach Nächstenliebe, nach
Frieden und Freiheit und nach gehöriger Hirnwäsche und unter
Peitschenhieben jagen die Schafe ins Verderben. Es sind zwei
Blutsbrüder, die da Hand in Hand ihr Unwesen treiben. Die einen
versprechen Wachstum statt Fortschritt und die anderen predigen
Gehorsam im Namen Gottes. Beiden geht es um die Macht in der Welt, um
immer mehr Macht.
Ein gefährliches Buch ist in Umlauf gekommen. Es ergänzt die von dem Kirchenkritiker Karlheinz Deschner (geb. 1924) geschaffenen zehn Bände „Die Kriminalgeschichte des Christentums“ mit einem elften Band: „Die Politik der Päpste“.
„Gott
sei Dank“ werden die Atheisten rufen. „Gott sei Dank“, mögen
sich einige Gläubige erleichtert an den Kopf fassen und den Austritt
aus der Kirche beantragen. Die einen loben es und vergleichen den
Autor mit einem Voltaire des 21. Jahrhunderts. Die anderen sehen sich
in ihrem Glauben erschüttert und pfeifen fortan auf die Kirche.
Stellten doch einige Leser ihre Meinungen kürzlich ins Netz. Da war
u.a. zu lesen: „Von der Feststellung,
dass ich nicht mehr an Gott glaubte, bis zum Kirchenaustritt hat es
bei mir auch einige Zeit gedauert (etwa ein Jahr). (…) Später aber
wurde mir klar, dass die Botschaft der Kirche in meinen Augen nicht
nur unwahr, sondern auch schädlich ist, weil damit den Menschen
unbegründete Schuldgefühle eingeredet werden... Es
war bei mir nur noch der letzte Anstoß raus aus der Trägheit.“
Zur Sache: Die
insgesamt elf Bände umfassen die Geschichte des Christentums von den
Anfängen bis zur Gegenwart. Mit der Anklageschrift (rund 7000 Seiten
und mehr als 100.000 Quellenangaben) macht der Autor Front gegen die
„Religion der Nächstenliebe“. Das sucht in der Weltliteratur
ihresgleichen. Der fast Neunzigjährige rührt an den Schlaf der
Millionen Schäfchen, die sich jahrhundertelang geistig verführen
ließen und – mangels Zukunftsperspektiven – immer noch in die
Irre leiten lassen.
Der
Autor bewegt sich in einem Labyrinth von tausenden verschlungenen
geheimen Pfaden. Zunächst folgt er den Hauptwegen der Päpste und
sagt gleich dazu, dass man „es stets mit demselben Ungetüm zu tun
hat, mag dessen Kopf heißen, wie er will?!“ (S. 12) Es geht
Karlheinz Deschner nicht um die Aufdeckung von Interna des
Papststuhles, auch nicht um einzelne Bösartigkeiten von Prälaten,
Bischöfen und Priestern, sondern um die verwerfliche Verbrecherspur,
getarnt mit dem Namen Gottes. Sie handeln und denken stets nach der
gleichen Devise: Was der Heiligen Kirche gut tut, und sei es Gewalt,
tue angeblich auch den Menschen gut und der Stabilität des Heiligen
Stuhls, dem „Zentrum der weltlichen Macht“.
Er
spürt die bisher oft geheim gehaltene teuflische Zweisamkeit von
Kurie und Kapitalmächten auf. Mit einer unerhörten Akribie geht er
selbst den scheinbar unscheinbarsten Äußerungen, sprich
Offenbarungen, der Würdenträger und Bischöfe nach, stöbert in
Hirtenbriefen, Reden, Rundschreiben,Verträgen und geheimen Treffen.
Was er findet, sind haarsträubende Fakten auf den Blutspuren von
Gewalt und Kriegen.
Bemerkenswert
die Parallelen zur Gegenwart. Da behauptet die Kirche, unpolitisch zu
sein, nur im Namen Gottes zu denken und zu handeln. Doch die
Geschichte beweist das Gegenteil. Jedes Gebet, jede angeblich
menschliche Hilfeleistung auf dem Gebiet der Caritas, „die
Kirchensteuer, die Säuglingstaufe, der Religionsunterricht,… ein
Tischgebet, Beichtgang, eine Kommunion…, all dies wird letzten
Endes … auf die Waagschale priesterlicher Macht- und
Weltmachtambitionen geworfen.“ (S. 13) Das alles ist Politik! Die
Hauptstoßrichtung: Der reformbegierige Pöbel, die Arbeiter, der
Bolschewismus, der Sozialismus und Kommunismus. Das seien die ärgsten
Feinde sämtlicher Glaubensbrüder, die Gott schänden und das
Seelenheil verdammen.
Die
Methoden der Verdummung haben sich seit der Antike nicht gewandelt,
sind höchstens raffinierter, aber auch – siehe die Weltkriege –
brutaler geworden. Um das Volk gefügig zu halten, predigte zum
Beispiel Leo XIII. (1878-1903), dass „es kein Kapital ohne Arbeit
gebe und keine Arbeit ohne Kapital, dass Reiche und Arme einander
zutiefst bedürfen, ja… die Natur habe das Verhältnis zwischen der
besitzenden und der unvermögenden, arbeitenden Klasse… zu
gegenseitiger Harmonie hingeordnet.“ (S. 83/84) So haben wir
hiermit einen so oft ausgeteilten geistigen Peitschenhieb – und die
Schafe glauben und laufen und laufen – wie auch heute. So begann,
schreibt Karlheinz Deschner auf Seite 84, „in der Tat der
organisierte Krieg der Kirche gegen Kommunismus, Sozialismus und
Sozialdemokratie, es war die Geburtsstunde (…) der christlichen
Demokratie.“ (S. 84)
Auch
die phraseologischen Fügungen sind uns so sehr vertraut: Da wird von
Papst Pius X. (1903-1914) gegenüber den fortschrittlichen Kräften
von „Ratten vertilgen“ gesprochen, von „Feinden der Freiheit“,
vom Gehorsam gegenüber Gott und der Obrigkeit, vom Krieg als einer
Prüfung Gottes, im Buch ist die Rede vom Verschweigen der Ursachen
beider Weltkriege, vor allem von Justizmorden im Faschismus, von
Gräueltaten, vom Vergasen, von der Zerstörung von Synagogen, vom
glücklichen Soldaten, der seine vaterländische Pflicht erfüllt,
von der „Neuordnung Europas“, von „Naturkatastrophen“, und er
meint die Überfälle Hitlerdeutschlands auf Belgien, Holland,
Dänemark und Frankreich.
Apropos
Krieg: Der Autor hält auf Seite 636 fest: „Der Zweite Weltkrieg
ist an allen Fronten…, einschließlich der Sowjetunion, mit engster
Unterstützung der christlichen Kirchen geführt worden; folglich
sind diese Kirchen auch mit schuld an den Opfern.“ Sie hätten den
Krieg auf jeder Seite gerechtfertigt und geheiligt. (S. 636/637)
Ergänzend wird auf Seite 663 hinzugefügt: „Schon im Zweiten
Weltkrieg… hatte der Vatikan den `Kalten Krieg` vorbereitet, die
fanatische Fortsetzung der Feindseligkeit gegen Kommunismus und
Sowjetunion. Und was sollte aus diesem neuen `Kalten Krieg`
entstehen, wenn nicht ein neuer `heißer`?“
Die
Macht des „Heiligen Stuhls“ beruhe, so Deschner, nicht nur auf
seiner Ideologie, sondern vor allem auf seiner Wirtschaftsmacht. So
besaß die Kirche bereits im Mittelalter ein Drittel des gesamten
europäischen Bodens. (S.16) „Allein in Italien besaßen der
Vatikan, die Jesuiten und andere geistliche Kreise in der Ära Pius
XII. (1939-1958, H.P) Aktien und Wertpapiere der bedeutendsten
Industrie- und Finanzunternehmen...“ (S. 664)
In
der „jungen welt“ vom 26.10.2013 wurde unter dem Titel „Mehr
Macht und Einfluß“ (siehe Die
Stiftung Wissenschaft und Politik und der German Marshall Fund of the
United States machen sich an die Neuvermessung der deutschen
Weltpolitik) die Zukunftsstrategie der BRD angeprangert. Die Elite
fordere „mehr deutsche Führung in der Welt“ (selbstverständlich
wie gehabt mit dem wohlwollenden Zuspruch des Heiligen Stuhls, H.P.),
Deutschland müsse von einer „Gestaltungsmacht im Wartezustand zu
einer Führungsmacht“ ausgebaut werden und dabei müssten auch
militärische Mittel zum Kampfeinsatz zur Verfügung stehen. Da
schrillen doch alle Alarmglocken. In diesem Zusammenhang ist der
folgende Satz von Karlheinz Deschner dick zu unterstreichen: „Die
Kriminalgeschichte des Christentums“ geht weiter. (S. 946)
Das
Jahrhundertbuch wider der Dummheit und Kriegsgefahr, unter steter
Beihilfe des Klerus, wird in jedem politisch Interessierten sehr
großen Anklang finden, ihn anregen, über das – auch heute noch –
enge Zusammenwirken zweier Köpfe am gleichen Drachen gründlich
nachzudenken, um diesem unseligen Bündnis zwischen vorgegaukelter
Nächstenliebe und Peitschenhieben für neue Kriege Paroli zu bieten.
Karlheinz Deschner: „Die Politik der Päpste“, gebundene Ausgabe: 1100 Seiten, Verlag: Alibri; Auflage: Neuauflage. (September 2013), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3865691161, ISBN-13: 978-3865691163, Größe: 20,6 x 14,4 x 5 cm, 59 Euro
Erstveröffentlichung der Rezension in
der Neuen Rheinischen Zeitung
Ein
Fernsehfilmporträt von Karlheinz Deschner und eine 12-teilige
Filmserie von KAOS Film- und Video-Team Köln, die von KANAL 4
gesendet worden ist,
können Sie unter dem Suchwort "Deschner"
als Clips in der NRhZ finden oder im KAOS Kunst- und Video-Archiv
e.V., http://www.kaos-archiv.de/,
unter der Rubrik Projekte bestellen.
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