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Oktober 2019 Webredaktion DDR, Frieden, Interview, Kalter Krieg, Ökologie, SozialismusInterview von Tilo Gräser mit Klaus Hartmann
Erstveröffentlichung am 17.10.2019 auf sputniknews.com
Die Erfahrungen der DDR sind wichtig für die nächsten Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten. Das sagt Klaus Hartmann, Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes. Für ihn gehören die positiven Seiten ebenso dazu wie die Fehler und negativen Entwicklungen. Er erklärt auch, warum der Kapitalismus keine Zukunft hat.
– Herr Hartmann, Sie haben als Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes am 12. Oktober an der Festveranstaltung zum 70. Jahrestag der DDR-Gründung teilgenommen. Warum?
– Weil es ein denkwürdiges Datum ist. Weil wir wollen, dass das Andenken der DDR erhalten bleibt – nicht in der verschmutzten und kontaminierten Form, wie das üblicherweise in den Westmedien uns beigebogen werden soll. Der Veranstalter ist das „DDR-Kabinett“ in Bochum. Es gastiert sozusagen auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Streicher des „DDR-Kabinetts“ ist die Landesvorsitzende der Freidenker in Nordrhein-Westfalen. Eine ganze Reihe von Mitwirkenden sind ebenfalls Freidenker. Wir haben das Datum auch zum Anlass genommen, ein Schwerpunktheft zu diesem Thema herauszugeben.
– Wie sieht der Freidenker-Verband die DDR?
– Dafür stehen schon die Autoren im Heft, ich nenne als Beispiel den Leitartikel von Egon Krenz. In diesem Beitrag gibt es eine selbstkritische Befragung, was die Probleme, die Ursachen des Untergangs und auch die falschen Weichenstellungen waren. Dass der Klassenfeind so agiert wie er agiert, ist allzu verständlich, das kann man ihm nicht vorwerfen. Aber dass die Genossen, die das Ding verteidigen und erhalten wollten, sich dabei nicht immer intelligent angestellt haben, ist etwas, was man analysieren muss. Das ist notwendig für den nächsten Anlauf, von dem wir ja sicher sind, dass er kommt, weil der Kapitalismus keinen Ewigkeitswert hat. Weil alle Gesellschaftsordnungen, die es bisher gab, bereits untergegangen sind. Auch der Kapitalismus brauchte viele Anläufe, über Jahrhunderte, um sich endlich als international beherrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durchzusetzen. Da gab es viele Rückschläge. Insofern ist die Geschichte der sozialistischen Versuche noch relativ jung und insofern auch keineswegs aussichtslos.
– Wer heute für Verständnis für die DDR wirbt, dem wird schnell vorgeworfen, er verkläre sie oder er verteidige sie.
– Ich denke, da muss man unterscheiden. Ich bin natürlich ganz prinzipiell für die Verteidigung der DDR gegen die Delegitimierungsversuche der Kalten Krieger und einstweiligen Sieger. Wir verteidigen mit der DDR das grundsätzliche Recht des Volkes auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung nicht über die der Fingernagel- oder Lippenstift-Farbe oder nur über die Reiseziele: Wir denken, dass die Frage der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Zentrum des Selbstbestimmungsrechtes des Menschen steht. Wir sehen eine wichtige Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass eine Gesellschaftsordnung notwendig ist, die nicht den Menschen und die Natur untergräbt, sondern die menschenfreundlich ist und zu einem realen Humanismus fähig ist. Das geht eben nur unter Beseitigung des monopolistischen privaten Eigentums über die wesentlichen Produktionsmittel. Das ist in der DDR geschehen. Dabei verklären wir die DDR nicht. Das ist zum Teil möglicherweise bei der Enteignung übertrieben worden, was das Handwerk und die Kleinunternehmer angeht. Da hat man zum Teil, vielleicht aus Vorsicht, vielleicht aus Misstrauen, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Versorgung, Bedürfnisse, Produktivität, Eigentümerbewusstsein – derartige Probleme müssen wir kritisch analysieren und diskutieren, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Man muss die Fragen des größeren Vertrauens in die Bevölkerung und der realen demokratischen Mitbestimmung in einer anderen Weise beantworten als das hier geschehen ist.
– Wer sich in der DDR für solche Dinge eingesetzt hat, hat ganz schnell Ärger bekommen, bis hin zu vermeintlich Linksradikalen, die über Kriminalisierung ins Gefängnis gesteckt wurden. Auch die Frage der Umwelt war ein Problem. Das sagen Kritiker dazu. Wie reagieren Sie darauf?
– Die DDR war vom ersten Tag ihrer Existenz an dem Beschuss aus dem Westen zur Unterminierung, Sabotage und ihrer Liquidierung ausgesetzt. Das musste abgewehrt werden, die Bewahrung der Errungenschaften, dass hier das Volk und nicht die Kapitalisten zu bestimmen haben, war natürlich ein wichtiges, hohes Gut. Aber auch hier wurde in gewisser Weise das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, was die Überwachung von jedem Schritt und jeder vermeintlich verdächtigen Bewegung angeht, mit eine abstrusen, irrationalen Datensammlung über die Bevölkerung. Das hat im Sinn der angestrebten Staatssicherheit überhaupt nichts gebracht, sondern lediglich dazu geführt, dass das Misstrauen wuchs, die Entfremdung zwischen Bevölkerung und Führung. Das sind Dinge, die beim nächsten Mal vermieden werden müssen.
Die Frage der Ökologie ist ebenfalls ein Punkt, wo man sich nochmal Marx und Engels anschauen sollte. Eine ökologische Politik, die die Springquellen des Reichtums eines Landes nicht untergräbt, ist natürlich auch Klassenpolitik. Sie gehört als wichtige, integrale Dimension dazu. Wenn die Arbeiterklasse die Macht hat, muss sie die Frage der abfall- und emissionsarmen bzw. -freien Produktion angehen. Sie kann damit nicht nach dem Motto „Wir konkurrieren wir am billigsten mit dem Kapitalismus?“ umgehen. Denn auf diese Weise werden dann die gleichen oder vergleichbaren Verheerungen angerichtet, wie sie im Kapitalismus systembedingt sind.
– Wobei es manche Lösung in der DDR gab, die umweltfreundlicher war, siehe Langlebensdauer-Glühlampe von Narva oder das „Sero“-Altstoff-System.
– Solche Beispiele gab es. Sie waren meiner Meinung nach nicht aus einem Guss. Zu einer abfallarmen Produktion hätte man möglicherweise ökonomische Mittel mobilisieren müssen, die nicht in dem Maße vorhanden waren. Aber es ist schon ein sehr ironisches Stichwort, hier auf das Recycling, die Wertstoff-Wiederverwertung, hinzuweisen. Was im Westen als das Nonplusultra gesehen wird, der dämliche Gelbe Punkt oder Grüne Sack – nein, umgekehrt, das hatte die DDR mit dem „Sero“-System im Griff. Aber alles, was aus der DDR war, musste ja aus Sicht der neuen West-Herrschaft von vornherein schlecht sein, vom Hochschullehrer und dem Bildungswesen, den Polikliniken bis zu progressiven ökologischen Ansätzen. Das musste erst einmal abgeschafft werden, sogar die Produktion der ersten FCKW-freien Kühlschänke. Dann wurden unzulängliche West-Systeme eingeführt, und ob Kühlschrankproduktion, Recycling-System oder EU-Glühbirnenverbot, alles dem Primat der Profitmacherei untergeordnet. Woraus, welches Beispiel man auch wählt, die Erkenntnis folgt: „Kapitalismus – Zukunft hast Du nicht!“
Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Präsident der Weltunion der Freidenker sowie aktiv in der Friedens- und Solidaritätsbewegung.
Er ist Herausgeber der Bücher „Die Zerstörung Jugoslawiens. Slobodan Milošević antwortet seinen Anklägern“, „Ludwig Feuerbach. Ein besseres Leben nicht glauben, sondern schaffen“ und „Die bösen Befreier von Zarismus, Faschismus, Kolonialismus“.
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