Samstag, 15. Dezember 2018

Trugbild vom stabilen Kapitalismus - DKP




Widersprüche im Imperialismus und Möglichkeiten fortschrittlicher Umbrüche



Von Isaak Funke


Nach der Konterrevolution in den sozialistischen Staaten in Europa entstand das Trugbild eines relativ stabilen Kapitalismus, der seine inneren Widersprüche beseitigt oder zumindest weitgehend im Griff hätte. Innerhalb der Arbeiterbewegung und allgemein in antikapitalistischen Kreisen verbreiteten sich Ausdrucksformen der Gegnerschaft zum kapitalistischen System, die im Gegensatz zum wissenschaftlichen Sozialismus vorwiegend auf die eine oder andere Weise hauptsächlich moralisch fundiert waren. Beispiele hierfür sind etwa Negris „Empire“ sowie die sich in gewissen Milieus rasch verbreitenden autonomen Antifa-Gruppierungen. Damit verbunden war die Verlagerung jeglicher revolutionären Hoffnungen auf eine ferne (gerechtfertigte oder falsche) Projektionsfläche – seien es die zapatistischen Versuche in Mexiko, die kurdische Freiheitsbewegung oder aber auch Kuba (bei gleichzeitiger übermäßiger Skepsis gegenüber der Volksrepublik China). Das imperialistische System, so schien es, bot kein schwaches Kettenglied mehr, ausgehend von dem ein revolutionärer Flächenbrand sich hätte entzünden können.

Mitten in dieser düsteren Periode kam, wenn man das so sagen darf, der Kapitalismus selbst uns wissenschaftlichen Sozialisten zur Hilfe geeilt und bescherte uns mit einer epochalen Wirtschaftskrise im Jahr 2007. Nach dieser Krise kam es zu zahlreichen Demonstrationen in ganz Europa und auch in den Vereinigten Staaten. Doch diese ebbten allmählich ab, ohne dass es zu einem großen Zusammenbruch des Kapitalismus und einer revolutionären Situation kam! Da weinte ganz still manch ein Trotzkistenherz. Was war passiert? Durch massive Anstrengungen hatte es der europäische Kapitalismus, namentlich der deutsche Imperialismus, geschafft, die Auswirkungen der Krise vorrübergehend abzufangen, indem sie hinausgezögert, auf die Peripherie der EU (v.a. der Eurozone) abgeschoben und auf die Arbeiterklasse sowie die anderen werktätigen Klassen abgewälzt wurden.

Doch diese Lösung der Krise war eine kapitalistische, d.h. in den Widersprüchen der derzeitigen Klassengesellschaft befangene: Widersprüche zwischen Arbeit und Kapital, zwischen US- und europäischem (hauptsächlich deutschem) Imperialismus, zwischen deutschem Imperialismus und den Kapitalistenklassen der anderen EU-Staaten, sowie zwischen Kapitalistengruppen innerhalb einzelner Staaten selbst. Überhaupt kann der Imperialismus keine Widersprüche mehr lösen, ohne ständig neue zu schaffen. Die kapitalistische Krise der 1970er löste er, indem sich eine viel aggressivere, expansionistische Form des Kapitalismus (oft Neoliberalismus genannt) bildete: Die desaströsen Auswirkungen dieser „Lösung“ sehen wir heute. Der Imperialismus „löste“ den Widerspruch Kapitalismus-Sozialismus zugunsten des ersteren: Osteuropa und die DDR verwandelten sich in ein Armenhaus und wurden gesellschaftlich fünfzig Jahre zurück gezehrt. Ein neues Pulverfass voller sozialem und nationalem Sprengstoff entstand. Langsam, aber sicher nähert sich der Kapitalismus wieder, sich jeden Schritt in immer mehr und immer tieferen Widersprüchen verstrickend, dem Punkt, an dem gilt: Sozialismus oder Barbarei.

So verwickelte die „Lösung“ der Großen Wirtschaftskrise den Kapitalismus in zahlreiche weitere Widersprüche, deren Auswirkungen sich über die nächsten Jahre offenbarten. Die „Regierbarkeit“, so der bürgerliche Fachbegriff, der kapitalistischen Staaten gestaltete sich zunehmend schwieriger. Die ersten offenen Symptome dieser Entwicklung zeigten sich zunächst in der Peripherie der Einflusssphäre des deutschen Imperialismus. Prominentestes Beispiel dafür sind die harten Klassenkämpfe in Griechenland, die von der einheimischen Kapitalistenklasse im Bund mit dem deutschen Imperialismus nur mit Ach und Krach sowie einer ganzen Palette von Betrügereien vorrübergehend besiegt wurden. Doch trotz Polizeiknüppel, Tränengas, Medienpropaganda, Syriza-Betrug, Troikaknechtschaft und unmenschlicher Spardiktate – die griechische Arbeiterklasse lebt und kämpft weiter unter der Führung ihrer Partei! Das zeigen die jüngsten Aktionen in Griechenland.

Der Widerstand gegen die volksfeindliche Politik, die die Staaten der EU auf Geheiß des deutschen Imperialismus betreiben, nimmt bisweilen ungewöhnliche Formen an. So ist sowohl der Austritt Großbritanniens aus der EU als auch die politische Krise in Italien verbunden mit dem Aufstieg der neuen „euroskeptischen“ Regierung dort Ausdruck der tiefen Unzufriedenheit der Werktätigen mit dem entfesselten kapitalistischen Wahnsinn, für den die EU steht (Ähnliches gilt für eine Reihe osteuropäischer Staaten). Dass mag für einige abschreckend wirken, die ein schematisches, idealistisches Verständnis von Klassenkampf haben, da die Arbeiter nicht sofort als Arbeiterklasse mit vollem revolutionärem Bewusstsein auftreten, nicht die Forderung: „Alle Macht den Räten!“ stellen, nicht sofort zur roten Fahne greifen, sondern vielleicht zu gelben Westen. Die real existierenden Arbeiter werden ihren Frust ausdrücken mitunter auf Rückgriff auf diverse kleinbürgerliche, utopische, skurrile, ja sogar reaktionäre Ideen. Je stärker die organisierte Arbeiterbewegung ist und je stärker verankert der wissenschaftliche Sozialismus in dieser ist, desto eher können solche Illusionen bekämpft werden. Man entgegnet jedoch solchen Ideen definit nicht, indem man die Nase rümpft und schimpft: „Alles Nazis!“. Dadurch isoliert man sich nur von den werktätigen Massen, von dem realen Ausdruck des Widerstandes der Werktätigen gegen die desaströse und zunehmend unerträglichen kapitalistischen Politik. Ein Fehler unwürdig einer kommunistischen Partei! Diese elitäre, sektiererische Haltung erklärt sich v.a. durch die „wunderbare“ ideologische Zersetzungsarbeit, die die reaktionäre, imperialistische antideutsche Szene seit fast drei Jahrzehnten leistet. Dafür müsste sie einen Orden bekommen vom deutschen Imperialismus!

Der vorläufig schärfste Ausdruck der Widersprüche im Imperialismus ist der soziale Massenaufstand in Frankreich. Die Bewegung entzündete sich an einer Steuererhöhung. Sicherlich hatten ihre Initiatoren nicht den Sturz des kapitalistischen Systems im Sinn. Das hatten auch nicht die hungernden Arbeiter der Putilow-Werke in Petrograd im März des Jahres 1917 im Sinn, als sie für eine bessere Versorgung mit Brot in einen Streik eintraten, der zum Sturz des Zaren führte und so die Oktoberrevolution ermöglichte. Ebenso wenig waren wohl die Kieler Matrosen im Jahr 1918 von reinen antikapitalistischen Gedanken geleitet, als sie sich weigerten, sich sinnlos für einen bereits verlorenen Krieg zu opfern. Reale Revolutionen und soziale Massenproteste entzünden sich an realen, unmittelbaren Problemen.

So geschah es auch in Frankreich. Fernseh-Interviews mit den ersten Aktivisten dieser Bewegung (hauptsächlich verarmte, sich proletarisierende Kleinbürger im ländlichen Raum) geben Aufschluss darüber, warum die Bewegung wie ein Wildfeuer sich verbreitete: Die Steuererhöhung hätte für viele eine nicht zu verkraftende finanzielle Belastung geführt. Mehr Geld auszugeben für Benzin bedeutete für sie konkret, weniger für Lebensmittel o.ä. kaufen zu können. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Einmal in Bewegung gesetzt, erfasste der Aufstand immer weitere Teile der französischen Werktätigen und Unterdrückten, die seit Jahren unter der Politik der französischen Regierungen (die wesentlich auch mit von Berlin bestimmt wurde) gelitten hatten. Neben der (anfangs noch zögerlich) Arbeiterbewegung und der Jugend erfasste der Protest zuletzt sogar einige Staatsbeschäftigte, Polizisten und Feuerwehrleute (letztere sind in Frankreich kaserniert) und Landwirte, die nach der Revolution von 1848 eine unrühmliche Rolle gespielt und während der Pariser Commune durch ihre Lethargie geglänzt hatten. Die brutale Reaktion des französischen Staates zeigt, wie ernst er den Aufstand nimmt: Wir sollten es auch tun.

Egal, was der vorläufige Ausgang der Klassenkämpfe in Frankreich sein mag, es gilt, die richtigen Lehren aus ihnen zu ziehen. Zunächst muss festgestellt werden, dass wir welthistorisch gesehen immer noch in der Phase des Übergangs vom Imperialismus zum Sozialismus leben, trotz vorübergehender Niederlage des Sozialismus in einem bestimmten Erdteil. Freilich waren die letzten Jahrzehnte in unseren Breitengraden eindeutig nicht revolutionär. In dieser Zeit war die Hauptherausforderung, vor der wir standen (frei nach Willi Gerns): Wie revolutionäre Politik in nicht-revolutionären Zeiten betreiben? Als ob das nicht schwer genug wäre, zeichnen sich nun fern am Horizont andere, stürmischere Zeiten ab. Tendenziell wird daher die Herausforderung zunehmend heißen: Wie revolutionäre Politik betreiben in nicht-revolutionären Zeiten, allerdings mit der Möglichkeit eines langsamen oder auch plötzlichen Umschwungs zu vorrevolutionären Bedingungen (oder eine andere, komplexe Zwischenphase).

Die Widersprüche, die zu dem sozialen Aufstand in Frankreich geführt haben, sind auch hierzulande vorhanden. Wir waren ja sogar ein Musterland bei der sogenannten neoliberalen Politik der Prekarisierung und des radikalen Abbaus aller durch harte Kämpfe der Arbeiterklasse eroberten sozialen Rechte. Das Fass füllt sich auch – Tropfen für Tropfen – in Deutschland. Es ist kein abwegiges Szenario mehr, dass ich auch Proletarier hierzulande auf ihre ureigenen Interessen besinnen und, Blitze des Zorns auf die verhasste Bourgeoisie schleudernd, aufbegehren werden: „Es reicht!“.

Freilich ist unser wissenschaftlicher Sozialismus keine Glaskugel, in die wir nur zu schauen brauchen, um den gepriesenen Augenblick des sozialen jüngsten Gerichts genau zu bestimmen. Wir können aber, ausgehend von den gesellschaftlichen Entwicklungen, wie sie sich vor unseren Augen entfaltet, einige wesentliche Momente bestimmen. Ein wesentlicher Aspekt des Unmuts in der Arbeiterklasse und in den werktätigen Schichten, neben den oben kurz erwähnten ökonomischen Aspekten, ist die von unserer Bourgeoisie betriebene Konfrontation mit Russland und die Einspannung Deutschlands in die imperialistischen Strukturen der USA.

An dieser Stelle ist eine kurze Erklärung nötig, um Missverständnisse zu vermeiden. Ich will nicht die Hauptfeind-Debatte nicht umfassend behandeln; diese Frage steht hier nicht im Mittelpunkt. Deshalb kurz, thesenhaft: Im Weltmaßstab ist die mit großem Abstand größte Bedrohung für den Frieden der US-Imperialismus. Und der Frieden ist für die Arbeiterbewegung sehr wichtig. Die militärischen Kapazitäten der europäischen Imperialismen fallen weit hinter denen des US-Imperialismus zurück. Der Libyen-Krieg liefert dafür ein gutes Beispiel, sollte dies benötigt werden, denn eigentlich müsste ein kurzer Blick auf die jeweiligen Militärausgaben der verschiedenen Staaten ausreichen, um diesen Punkt hinreichen zu illustrieren. Im Libyen-Krieg wagten die Franzosen zunächst eine unabhängige Aktion – und scheiterten grandios. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als den US-Imperialismus anzupumpen. Also: Derzeit, und wahrscheinlich noch auf Jahrzehnte, reichen die militärischen Kapazitäten der EU-Europäer nicht für von der NATO (sprich: US-Imperialismus) unabhängige Militäraktionen aus.

Wenn wir aber die soziökonomische Ebene betrachten, sehen wir, dass Deutschland mittlerweile durchaus als eigenständiger Akteur auftritt, dessen Interessen und Handlungen sich zum Teil von denen des US-Imperialismus unterscheiden (oder sogar in Konflikt mit diesen geraten). Nicht umsonst haben wir als Partei gegen einigen Widerstand festgehalten: Die EU ist ein Instrument des deutschen Imperialismus. Die wirtschaftliche Stärke eines Staates ist aber langfristig die Bedingung der Möglichkeit eines explizit militärisch aggressiven, geopolitisch potenten Imperialismus (so wie ihn die USA verkörpern).

Insofern also unsere eigene Bourgeoisie sich 1) sowohl an der schändlichen NATO/US-Politik beteiligt (Beispiel: Imperialistische Einkreisung Russlands), als auch 2) zukünftig womöglich den Grundstein für die Umsetzung der wirtschaftlichen Macht Deutschlands in eine globale oder zumindest kontinental potente Militärmacht (mit dem Ziel, relativ eigenständig handeln zu können) legen wird, muss sich unser praktischer Kampf natürlich in erster Linie gegen sie wenden.

Also: Angesichts der angestrebten ungeheuren Erhöhung der Kriegsausgaben entsteht eine günstige Grundlage dafür, soziale Proteste der Werktätige mit antimilitaristischen und antiimperialistischen Forderungen zu verbinden, denn jeder Euro, der für die Rüstung ausgegeben wird, bedeutet einen Euro weniger für Gesundheit, Wohnungen, Bildung usw.. Im Verlauf der Entwicklung wird sich die Frage stellen: Deutschland raus aus der NATO? Warum weiter Unmengen von Ressourcen, die in sinnvolle Bereiche investiert werden könnten, in „unproduktive“ Kriegsvorbereitungen für eine Aggression gegen Russland, China usw. stecken? Die Erfahrungen der Revolutionen während des Ersten Weltkriegs lehren, wie eng verbunden scheinbar rein soziale-ökonomische Fragen tatsächlich mit den Fragen der großen Politik („Krieg/Frieden“) tatsächlich sind.

Die Posaunen der Weltgeschichte verkünden einen neuen Völkerfrühling. Ob der in eine gesamteuropäische Reaktion umschlägt, wie nach 1848, das werden die realen Klassenkämpfe und besonders das Eingreifen des klassenbewussten Vortrupps des Proletariats in diese Kämpfe entscheiden. Wir müssen alles dafür tun, den Völkerfrühling als Möglichkeit für fortschrittliche Umbrüche zu nutzen.





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