Entnommen: https://www.kommunisten.de/rubriken/analysen/9269-friedensbetrieb-gehoert-der-vergangenheit-an
"Friedensbetrieb gehört der Vergangenheit an"
10. JUNI 2025
ANALYSEN
Von Aufrüstung, der Rückkehr der Wehrpflicht und "der Befähigung, unverzüglich ins Gefecht zu gehen"
10.06.2025: Der herrschende politisch-ökonomische Block hat sich
angesichts veränderter Existenzbedingungen dafür entschieden,
Aufrüstung, Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als Ausweg
zu wählen. Der Begriff der "Kriegstüchtigkeit" fasst diese Tendenz in
einem Wort zusammen.
Die Militarisierung der deutschen Gesellschaft schreitet in
atemberaubendem Tempo voran. Damit sind nicht nur die immens steigenden
Rüstungsausgaben gemeint, sondern auch die reale und mediale
militaristische Durchdringung der Gesellschaft. Entsprechendes ist z.B.
täglich nachzulesen im Leitorgans der herrschenden Klasse, der FAZ. Hier
werden die Ankündigungen der deutschen Spitzenpolitiker:innen
marktschreierisch wiedergegeben. Beispiele aus den letzten Wochen:
"NATO-Verteidigungsminister beschließen größtes Aufrüstungsprogramm" /
"Deutschland verspricht drastisch höhere Verteidigungsausgaben –
Wadephul unterstützt Fünf-Prozent-Plan vollständig" / "Pistorius bringt
Wehrpflicht wieder ins Spiel".
"Der herrschende politisch-ökonomische Block hat sich angesichts
veränderter Existenzbedingungen dafür entschieden, Aufrüstung,
Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als Ausweg zu wählen.
Der Begriff der "Kriegstüchtigkeit" fasst diese Tendenz in einem Wort
zusammen.[1] Bereits Merz‘ Vorgänger Olaf Scholz (SPD) hatte vor drei
Jahren eine militärpolitische "Zeitenwende" verkündet, dafür einen
100-Milliarden-Euro-Sonderfonds bereitgestellt und den Ukrainekrieg mit
Militärhilfen befeuert.
Die Europäische Union hat jetzt unter Federführung der ehemaligen
deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein 150
Milliarden Euro schweres Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for
Europe) beschlossen, das den Mitgliedsstaaten langfristige Darlehen für
gemeinsame Rüstungsvorhaben zur Verfügung stellt. Das Programm dient als
Hebel, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken und die
Abhängigkeit von den USA zu verringern. Die EU-geförderten Waffen müssen
überwiegend innerhalb der EU hergestellt werden und miteinander
kompatibel sein. Zugang zu den Krediten haben nur EU-Mitglieder und die
Ukraine sowie Staaten, die eine Sicherheits- und
Verteidigungspartnerschaft mit der EU vereinbaren und mit mindestens
einem EU-Mitglied zusammenarbeiten. Letzteres betrifft vor allem
Großbritannien.
Eine Schlüsselrolle bei all den Militarisierungsplänen kommt neben allem
Kriegsgerät und panzergerechten Brücken und Straßen den zukünftig in
großer Zahl zur Verfügung stehenden Soldat:innen zu. Und an dieser
Stelle gibt es offensichtlich noch Handlungsbedarf. Deshalb wird
gegenwärtig für das "Soldaten-Handwerk" und für die Rückkehr der
Wehrpflicht kräftig die Werbetrommel gerührt.
Ein Beispiel:. Auf der in wenigen Wochen beginnenden Kieler Woche sollen
z.B erstmalig in einem sog. "Camp Marine" Schüler:innen mit allen
Seiten der "Berufe" in der Kriegsmarine vertraut gemacht werden. Dabei
soll ausdrücklich ein Schwerpunkt des Camps auf das "Kämpfen" gelegt
werden: "Kern des Militärs ist das Kämpfen – und dies soll mit all
seinen Facetten auch dargestellt werden", so die Bundeswehr in ihrer
"Einladung", die sie Anfang des Jahres allen Schleswig-Holsteinischen
Schulklassen ab der Stufe 8 zukommen ließ. Und natürlich soll während
der gesamten Dauer des Camps für die Kinder die Möglichkeit bestehen,
sich im Karriere-Truck direkt für eine Karriere in der Bundeswehr
gewinnen zu lassen. Zusätzlich öffnet das Stützpunktkommando der Marine
in Kiel seine Türen für Besucher:innen beim "Open Ship". "Dort lassen
sich die Marineschiffe hautnah erleben, und die Gäste bekommen einen
Einblick in den Alltag der Besatzungen", so in der Ankündigung der
Marine. In Kiel festmachen werden in diesem Jahr deutsche Einheiten
sowie Marineschiffe befreundeter Nationen und NATO-Partner. Insgesamt 37
Schiffe aus zwölf Nationen werden - Stand jetzt - erwartet. Nach
Angaben eines eines Marine-Sprechers wird das größte Schiff die USS
Mount Withney von der US Marine sein.
Vor der Rückkehr der Wehrpflicht
Weil Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Deutschland "die
konventionell stärkste Armee Europas" aufbauen will, bekräftigt sein
Parteifreund Roderich Kiesewetter, dass das nur noch mit der Wehrpflicht
gehe. Denn: "Wir haben hier viel zu viel Zeit vergeudet. Wir benötigen
einen festen Bestand an 460.000 Berufssoldaten und mit der Zeit
hunderttausende militärisch ausgebildete Reservisten. Um das zu
erreichen bleibt nur die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Anders wird
ein solcher Personalaufbau nicht zu leisten sein." (Frankfurter
Rundschau 20.5.25).
Auch Verteidigungsminister Pistorius (SPD) macht in einem Interview mit
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 25.5. deutlich: Man
setze mit dem neuen Wehrdienst zwar zunächst auf Freiwilligkeit, doch:
"Wenn der Zeitpunkt kommen sollte, an dem wir mehr Kapazitäten zur
Verfügung haben als freiwillige Meldungen, dann wird gegebenenfalls
entschieden werden, dass wir verpflichtend einziehen."
Seine Reform des Wehrdienstes war in der letzten Legislaturperiode unter
der Ampel-Regierung nicht mehr verabschiedet worden. Pistorius zeigte
sich nun zuversichtlich, dass das neue Wehrpflichtgesetz bereits im
Januar 2026 in Kraft treten könne. Nach den bisher bekannten Plänen
sollen alle wehrfähigen Männer ab 18 Jahren verpflichtend erfasst
werden. Sie müssen einen Fragebogen zu ihrer Dienstbereitschaft und
-fähigkeit ausfüllen. Für Frauen ist die Teilnahme freiwillig.
Was von den so gewonnenen Soldat:innen erwartet wird, macht Vizeadmiral
Jan Kaack deutlich, als er dieser Tage das neue Konzept der deutschen
Kriegsmarine vorstellt. Danach sollen u.a. die vier F-125-Fregatten mit
starker Flugabwehr nachgerüstet und eine "Drohnenflotte" aufgebaut
werden.
Besonders hebt er hervor: Zu den weiteren Neuerungen gehört, dass die
Marineinfanterie auf "offensive Einsatzverfahren im Ostseeraum und dem
maritimen Jagdkampf" neu ausgerichtet wird. "Nicht Schiffe kämpfen,
sondern Menschen. Allen müsse klar sein: Ein Friedensbetrieb gehört der
Vergangenheit an. Die Frauen und Männer der Marine müssten als
gemeinsame Aufgabe das Motto ‚Fight tonight‘ begreifen, also die
Befähigung, unverzüglich ins Gefecht zu gehen." (FAZ 21.5.25)
Die Wehrpflicht ist eine verfassungsrechtlich in Art. 12a GG geregelte
Grundpflicht deutscher Bürger (nicht Bürgerinnen). Sie wurde im Jahre
2011 ausgesetzt, lebt im Spannungs- und Verteidigungsfall (Art. 80a u.
115a GG) aber automatisch wieder auf.
Der nun in Gang gesetzte Anlauf für eine neue Wehrpflicht verfolgt
mehrere Ziele. Das wichtigste Ziel ist, durch eine bei der Bundeswehr
automatisierte Wehrerfassung und Wehrüberwachung eine belastbare
Datengrundlage zu allen wehrpflichtigen Männern und wehrwilligen Frauen
zu erhalten. Alle Männer und Frauen ab einem bestimmten Jahrgang werden
daher kontaktiert. Die Männer müssen verpflichtend einen Fragebogen
ausfüllen und signalisieren, was sie können und ob sie bereit sind, zu
dienen – entweder als Berufs-/Zeitsoldat oder als freiwillig
Wehrdienstleistender. Gemustert und eingezogen wird dann – zunächst
einmal - ausschließlich auf freiwilliger Basis. Der im Gesetzesentwurf
so genannte Basiswehrdienst soll zwischen sechs und 23 Monate dauern.
Zweites Ziel der Wehrerfassung ist es, mehr Freiwillige für die
Bundeswehr zu gewinnen. Zielgröße sind zunächst 5.000 Freiwillige mehr
pro Jahr. Eine schrittweise Erhöhung dieser Zahl ist nach dem
Gesetzesentwurf möglich und wünschenswert.
"In den Nato-Berechnungen sterben in einem möglichen Krieg an der
Ostflanke 5.000 Soldaten – täglich. .. Wir brauchen mindestens 260.000
Reservisten. Aktuell haben wir nur rund 40.000 aktive. Denn wenn ich von
5.000 Toten ausgehe und danach rückt niemand mehr nach, kann ich
ausrechnen, wie lange es dauert, bis die Front einbricht."
Patrick Sensburg (CDU), Oberst der Reserve, Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.,
Interview t-online, 4.4.2025
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100665762/reservistenverbands-chef-zur-wehrpflicht-die-bundeswehr-in-ketten-gelegt-.html
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie stellt zu diesen Plänen fest:
"So wie Aufrüstung nicht mehr Sicherheit schafft, sondern
wechselseitige Rüstungsspiralen antreibt, wird auch der Neue Wehrdienst
und die für die Zukunft angestrebten Zwangsdienst-Modelle geopolitische
Spannungen eher forcieren als abschwächen. Sollte es gelingen, die
Einführung von Pistorius’ Neuem Wehrpflicht noch zu stoppen, wäre dies
ein Beitrag zu Frieden und geopolitischer Entspannung."[2]
Von einem Jugendbündnis "Nein zu Wehrpflicht" wurde eine Petition "Gegen
eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und anderer Zwangsdienste – für
die Selbstbestimmung Jugendlicher!" initiiert, an der federführend die
DFG-VK, die Linksjugend [‘solid], Die Linke.SDS und die SDAJ beteiligt
sind.
Die Initiatoren heben hervor: "Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht
sowie aller anderen Zwangsdienste liegt nicht im Interesse der Jugend.
Die Petition ist auch gerade hierauf ausgerichtet, dass Jugendlichen
gegen den Verlust eines Jahres ihres Lebens aktiv werden. Weitergehend
wollen wir klar machen, dass sich die Wehrpflicht in die
Kriegsvorbereitungen der Herrschenden zur Realisierung ihrer
Profitinteressen und Sicherung ihrer Herrschaft einreiht. Ziel ist
dabei, nicht bei einer bloßen Unterschrift stehen zu bleiben, sondern
die Petition als Einstieg zu nutzen, um gemeinsam aktiv zu werden.
https://www.openpetition.de/petition/online/gegen-eine-wiedereinfuehrung-der-wehrpflicht-und-anderer-zwangsdienste
Eben noch schnell den Kriegsdienst verweigern?
Da nicht klar ist, ob und wann die Wehrpflicht wieder auflebt, wen sie
trifft, oder ob und wann ein "Spannungs- und Verteidigungsfall"
ausgerufen wird (womit die Wehrpflicht sofort wieder in Kraft tritt),
kann es für Jugendliche durchaus Sinn machen, den Kriegsdienst zu
verweigern. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG schützt den
Wehrpflichtigen vor der Not seines Gewissens, im Kriegsfall selbst töten
oder einen unmittelbaren Beitrag zum Töten leisten zu müssen.
Für ungediente und noch nicht gemusterte Wehrpflichtige gilt für eine
Verweigerung des Wehrdienstes nach Art. 4 Abs. 3 GG folgender
Verfahrensablauf: In der Regel können sie ein halbes Jahr vor ihrem 18.
Geburtstag einen Antrag stellen, danach jederzeit. Die Antragstellung
hindert aber weder die Erfassung des Wehrpflichtigen noch seine
Musterung. Im Gegenteil. Das für die Verweigerung zuständige Bundesamt
wird aus ökonomischen Gründen nämlich erst tätig, wenn feststeht, dass
der Antragsteller für den Wehrdienst überhaupt zur Verfügung steht, vor
allem also tauglich ist. Deswegen muss der Antrag auch beim
Karrierecenter der Bundeswehr gestellt werden. Die Bundeswehr leitet den
Antrag an das für den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zuständige
Bundesamt erst weiter, wenn der (notwendig positive) Musterungsbescheid
vorliegt.
Seit 1983 ist das schriftliche Anerkennungsverfahren für
Kriegsdienstverweigerer die Regel. Es wird vom Bundesamt für
zivilgesellschaftliche Aufgaben, einer zivilen Behörde im
Geschäftsbereich des Bundesfamilienministeriums, durchgeführt.
Der Antragsteller ist in der Beweispflicht und muss jeglichen Zweifel an
der Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung aus dem Wege räumen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird verlangt,
dass Kriegsdienstverweigerer ihre persönliche Entwicklung, ihre
Lebensführung und ihre Motive darlegen. Bleiben im schriftlichen
Verfahren Zweifel, können die Antragsteller:innen mündlich angehört
werden. Können sie die Zweifel nicht ausräumen, wird ihr Antrag
abgelehnt.
Und hier liegt aktuell das grundlegende Problem: Wird der Antrag auf
Verweigerung abgelehnt, schickt das Bundesamt die Personalakte des
Antragstellers an das Karrierecenter der Bundeswehr zurück. Dort
verbleibt sie für einen schnellen Zugriff auf ihn "im Spannungs- und
Verteidigungsfall" so lange, bis die Wehrpflicht des Betreffenden endet.
Nicht jeder potentielle Kriegsdienstverweigerer möchte aber schon jetzt
"im System" als tauglich gespeichert sein.
txt: Günther Stamer
Anmerkungen
[1] Z-Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 142 (Juni 2025), "Kriegstüchtigkeit – »Whatever it takes«" S. 6
[2] https://www.grundrechtekomitee.de/details/kritik-der-wehrpflicht
zum Thema
Wehrpflicht verschoben. Eine kleine Chronologie der Aufrüstung und des Protestes
"Ohne uns!" - Whatever it Takes (Was immer es kostet)
Grüne: "Freiheitsdienst" für alle
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