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Freitag, 13. Juni 2025

"Friedensbetrieb gehört der Vergangenheit an"

 Entnommen: https://www.kommunisten.de/rubriken/analysen/9269-friedensbetrieb-gehoert-der-vergangenheit-an

"Friedensbetrieb gehört der Vergangenheit an"

10. JUNI 2025
ANALYSEN
Von Aufrüstung, der Rückkehr der Wehrpflicht und "der Befähigung, unverzüglich ins Gefecht zu gehen"
10.06.2025: Der herrschende politisch-ökonomische Block hat sich angesichts veränderter Existenzbedingungen dafür entschieden, Aufrüstung, Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als Ausweg zu wählen. Der Begriff der "Kriegstüchtigkeit" fasst diese Tendenz in einem Wort zusammen.

 Die Militarisierung der deutschen Gesellschaft schreitet in atemberaubendem Tempo voran. Damit sind nicht nur die immens steigenden Rüstungsausgaben gemeint, sondern auch die reale und mediale militaristische Durchdringung der Gesellschaft. Entsprechendes ist z.B. täglich nachzulesen im Leitorgans der herrschenden Klasse, der FAZ. Hier werden die Ankündigungen der deutschen Spitzenpolitiker:innen marktschreierisch wiedergegeben. Beispiele aus den letzten Wochen: "NATO-Verteidigungsminister beschließen größtes Aufrüstungsprogramm" / "Deutschland verspricht drastisch höhere Verteidigungsausgaben – Wadephul unterstützt Fünf-Prozent-Plan vollständig" / "Pistorius bringt Wehrpflicht wieder ins Spiel".

"Der herrschende politisch-ökonomische Block hat sich angesichts veränderter Existenzbedingungen dafür entschieden, Aufrüstung, Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als Ausweg zu wählen. Der Begriff der "Kriegstüchtigkeit" fasst diese Tendenz in einem Wort zusammen.[1] Bereits Merz‘ Vorgänger Olaf Scholz (SPD) hatte vor drei Jahren eine militärpolitische "Zeitenwende" verkündet, dafür einen 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds bereitgestellt und den Ukrainekrieg mit Militärhilfen befeuert.

Die Europäische Union hat jetzt unter Federführung der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein 150 Milliarden Euro schweres Rüstungsprogramm SAFE (Security Action for Europe) beschlossen, das den Mitgliedsstaaten langfristige Darlehen für gemeinsame Rüstungsvorhaben zur Verfügung stellt. Das Programm dient als Hebel, um die europäische Rüstungsindustrie zu stärken und die Abhängigkeit von den USA zu verringern. Die EU-geförderten Waffen müssen überwiegend innerhalb der EU hergestellt werden und miteinander kompatibel sein. Zugang zu den Krediten haben nur EU-Mitglieder und die Ukraine sowie Staaten, die eine Sicherheits- und Verteidigungspartnerschaft mit der EU vereinbaren und mit mindestens einem EU-Mitglied zusammenarbeiten. Letzteres betrifft vor allem Großbritannien.

Eine Schlüsselrolle bei all den Militarisierungsplänen kommt neben allem Kriegsgerät und panzergerechten Brücken und Straßen den zukünftig in großer Zahl zur Verfügung stehenden Soldat:innen zu. Und an dieser Stelle gibt es offensichtlich noch Handlungsbedarf. Deshalb wird gegenwärtig für das "Soldaten-Handwerk" und für die Rückkehr der Wehrpflicht kräftig die Werbetrommel gerührt.

Ein Beispiel:. Auf der in wenigen Wochen beginnenden Kieler Woche sollen z.B erstmalig in einem sog. "Camp Marine" Schüler:innen mit allen Seiten der "Berufe" in der Kriegsmarine vertraut gemacht werden. Dabei soll ausdrücklich ein Schwerpunkt des Camps auf das "Kämpfen" gelegt werden: "Kern des Militärs ist das Kämpfen – und dies soll mit all seinen Facetten auch dargestellt werden", so die Bundeswehr in ihrer "Einladung", die sie Anfang des Jahres allen Schleswig-Holsteinischen Schulklassen ab der Stufe 8 zukommen ließ. Und natürlich soll während der gesamten Dauer des Camps für die Kinder die Möglichkeit bestehen, sich im Karriere-Truck direkt für eine Karriere in der Bundeswehr gewinnen zu lassen. Zusätzlich öffnet das Stützpunktkommando der Marine in Kiel seine Türen für Besucher:innen beim "Open Ship". "Dort lassen sich die Marineschiffe hautnah erleben, und die Gäste bekommen einen Einblick in den Alltag der Besatzungen", so in der Ankündigung der Marine. In Kiel festmachen werden in diesem Jahr deutsche Einheiten sowie Marineschiffe befreundeter Nationen und NATO-Partner. Insgesamt 37 Schiffe aus zwölf Nationen werden - Stand jetzt - erwartet. Nach Angaben eines eines Marine-Sprechers wird das größte Schiff die USS Mount Withney von der US Marine sein.

Vor der Rückkehr der Wehrpflicht
Weil Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Deutschland "die konventionell stärkste Armee Europas" aufbauen will, bekräftigt sein Parteifreund Roderich Kiesewetter, dass das nur noch mit der Wehrpflicht gehe. Denn: "Wir haben hier viel zu viel Zeit vergeudet. Wir benötigen einen festen Bestand an 460.000 Berufssoldaten und mit der Zeit hunderttausende militärisch ausgebildete Reservisten. Um das zu erreichen bleibt nur die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Anders wird ein solcher Personalaufbau nicht zu leisten sein." (Frankfurter Rundschau 20.5.25).

Auch Verteidigungsminister Pistorius (SPD) macht in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 25.5. deutlich: Man setze mit dem neuen Wehrdienst zwar zunächst auf Freiwilligkeit, doch: "Wenn der Zeitpunkt kommen sollte, an dem wir mehr Kapazitäten zur Verfügung haben als freiwillige Meldungen, dann wird gegebenenfalls entschieden werden, dass wir verpflichtend einziehen."

Seine Reform des Wehrdienstes war in der letzten Legislaturperiode unter der Ampel-Regierung nicht mehr verabschiedet worden. Pistorius zeigte sich nun zuversichtlich, dass das neue Wehrpflichtgesetz bereits im Januar 2026 in Kraft treten könne. Nach den bisher bekannten Plänen sollen alle wehrfähigen Männer ab 18 Jahren verpflichtend erfasst werden. Sie müssen einen Fragebogen zu ihrer Dienstbereitschaft und -fähigkeit ausfüllen. Für Frauen ist die Teilnahme freiwillig.

Was von den so gewonnenen Soldat:innen erwartet wird, macht Vizeadmiral Jan Kaack deutlich, als er dieser Tage das neue Konzept der deutschen Kriegsmarine vorstellt. Danach sollen u.a. die vier F-125-Fregatten mit starker Flugabwehr nachgerüstet und eine "Drohnenflotte" aufgebaut werden.

Besonders hebt er hervor: Zu den weiteren Neuerungen gehört, dass die Marineinfanterie auf "offensive Einsatzverfahren im Ostseeraum und dem maritimen Jagdkampf" neu ausgerichtet wird. "Nicht Schiffe kämpfen, sondern Menschen. Allen müsse klar sein: Ein Friedensbetrieb gehört der Vergangenheit an. Die Frauen und Männer der Marine müssten als gemeinsame Aufgabe das Motto ‚Fight tonight‘ begreifen, also die Befähigung, unverzüglich ins Gefecht zu gehen." (FAZ 21.5.25)

Die Wehrpflicht ist eine verfassungsrechtlich in Art. 12a GG geregelte Grundpflicht deutscher Bürger (nicht Bürgerinnen). Sie wurde im Jahre 2011 ausgesetzt, lebt im Spannungs- und Verteidigungsfall (Art. 80a u. 115a GG) aber automatisch wieder auf.

Der nun in Gang gesetzte Anlauf für eine neue Wehrpflicht verfolgt mehrere Ziele. Das wichtigste Ziel ist, durch eine bei der Bundeswehr automatisierte Wehrerfassung und Wehrüberwachung eine belastbare Datengrundlage zu allen wehrpflichtigen Männern und wehrwilligen Frauen zu erhalten. Alle Männer und Frauen ab einem bestimmten Jahrgang werden daher kontaktiert. Die Männer müssen verpflichtend einen Fragebogen ausfüllen und signalisieren, was sie können und ob sie bereit sind, zu dienen – entweder als Berufs-/Zeitsoldat oder als freiwillig Wehrdienstleistender. Gemustert und eingezogen wird dann – zunächst einmal - ausschließlich auf freiwilliger Basis. Der im Gesetzesentwurf so genannte Basiswehrdienst soll zwischen sechs und 23 Monate dauern.

Zweites Ziel der Wehrerfassung ist es, mehr Freiwillige für die Bundeswehr zu gewinnen. Zielgröße sind zunächst 5.000 Freiwillige mehr pro Jahr. Eine schrittweise Erhöhung dieser Zahl ist nach dem Gesetzesentwurf möglich und wünschenswert.

 "In den Nato-Berechnungen sterben in einem möglichen Krieg an der Ostflanke 5.000 Soldaten – täglich. .. Wir brauchen mindestens 260.000 Reservisten. Aktuell haben wir nur rund 40.000 aktive. Denn wenn ich von 5.000 Toten ausgehe und danach rückt niemand mehr nach, kann ich ausrechnen, wie lange es dauert, bis die Front einbricht."

Patrick Sensburg (CDU), Oberst der Reserve, Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.,
Interview t-online, 4.4.2025 https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_100665762/reservistenverbands-chef-zur-wehrpflicht-die-bundeswehr-in-ketten-gelegt-.html

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie stellt zu diesen Plänen fest: "So wie Aufrüstung nicht mehr Sicherheit schafft, sondern wechselseitige Rüstungsspiralen antreibt, wird auch der Neue Wehrdienst und die für die Zukunft angestrebten Zwangsdienst-Modelle geopolitische Spannungen eher forcieren als abschwächen. Sollte es gelingen, die Einführung von Pistorius’ Neuem Wehrpflicht noch zu stoppen, wäre dies ein Beitrag zu Frieden und geopolitischer Entspannung."[2]

Von einem Jugendbündnis "Nein zu Wehrpflicht" wurde eine Petition "Gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und anderer Zwangsdienste – für die Selbstbestimmung Jugendlicher!" initiiert, an der federführend die DFG-VK, die Linksjugend [‘solid], Die Linke.SDS und die SDAJ beteiligt sind.

Die Initiatoren heben hervor: "Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sowie aller anderen Zwangsdienste liegt nicht im Interesse der Jugend. Die Petition ist auch gerade hierauf ausgerichtet, dass Jugendlichen gegen den Verlust eines Jahres ihres Lebens aktiv werden. Weitergehend wollen wir klar machen, dass sich die Wehrpflicht in die Kriegsvorbereitungen der Herrschenden zur Realisierung ihrer Profitinteressen und Sicherung ihrer Herrschaft einreiht. Ziel ist dabei, nicht bei einer bloßen Unterschrift stehen zu bleiben, sondern die Petition als Einstieg zu nutzen, um gemeinsam aktiv zu werden. https://www.openpetition.de/petition/online/gegen-eine-wiedereinfuehrung-der-wehrpflicht-und-anderer-zwangsdienste

Eben noch schnell den Kriegsdienst verweigern?
Da nicht klar ist, ob und wann die Wehrpflicht wieder auflebt, wen sie trifft, oder ob und wann ein "Spannungs- und Verteidigungsfall" ausgerufen wird (womit die Wehrpflicht sofort wieder in Kraft tritt), kann es für Jugendliche durchaus Sinn machen, den Kriegsdienst zu verweigern. Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG schützt den Wehrpflichtigen vor der Not seines Gewissens, im Kriegsfall selbst töten oder einen unmittelbaren Beitrag zum Töten leisten zu müssen.
Für ungediente und noch nicht gemusterte Wehrpflichtige gilt für eine Verweigerung des Wehrdienstes nach Art. 4 Abs. 3 GG folgender Verfahrensablauf: In der Regel können sie ein halbes Jahr vor ihrem 18. Geburtstag einen Antrag stellen, danach jederzeit. Die Antragstellung hindert aber weder die Erfassung des Wehrpflichtigen noch seine Musterung. Im Gegenteil. Das für die Verweigerung zuständige Bundesamt wird aus ökonomischen Gründen nämlich erst tätig, wenn feststeht, dass der Antragsteller für den Wehrdienst überhaupt zur Verfügung steht, vor allem also tauglich ist. Deswegen muss der Antrag auch beim Karrierecenter der Bundeswehr gestellt werden. Die Bundeswehr leitet den Antrag an das für den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zuständige Bundesamt erst weiter, wenn der (notwendig positive) Musterungsbescheid vorliegt.

Seit 1983 ist das schriftliche Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer die Regel. Es wird vom Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben, einer zivilen Behörde im Geschäftsbereich des Bundesfamilienministeriums, durchgeführt.

Der Antragsteller ist in der Beweispflicht und muss jeglichen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung aus dem Wege räumen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird verlangt, dass Kriegsdienstverweigerer ihre persönliche Entwicklung, ihre Lebensführung und ihre Motive darlegen. Bleiben im schriftlichen Verfahren Zweifel, können die Antragsteller:innen mündlich angehört werden. Können sie die Zweifel nicht ausräumen, wird ihr Antrag abgelehnt.

Und hier liegt aktuell das grundlegende Problem: Wird der Antrag auf Verweigerung abgelehnt, schickt das Bundesamt die Personalakte des Antragstellers an das Karrierecenter der Bundeswehr zurück. Dort verbleibt sie für einen schnellen Zugriff auf ihn "im Spannungs- und Verteidigungsfall" so lange, bis die Wehrpflicht des Betreffenden endet. Nicht jeder potentielle Kriegsdienstverweigerer möchte aber schon jetzt "im System" als tauglich gespeichert sein.

txt: Günther Stamer


Anmerkungen

[1] Z-Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 142 (Juni 2025), "Kriegstüchtigkeit – »Whatever it takes«" S. 6

[2] https://www.grundrechtekomitee.de/details/kritik-der-wehrpflicht

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