Entnommen: https://rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2025/RF-327-05-25.pdf
Mai 2025
RotFuchs
Tribüne für Kommunisten, Sozialisten und andere Linke
Ein Ungeheuer kehrt zurück
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, warnte Bertolt Brecht im Arturo Ui. Für viele von uns ist das eine wirklich bedeutsame Mahnung davor, daß der Faschismus keine einmalige Entgleisung der Geschichte bleiben könnte. Manch anderer sieht das gegenwärtig nicht so dramatisch. Andreas Wehr vom Marx-Engels-Zentrum Berlin schreibt ausdrücklich: „Es gibt daher nicht die gegenwärtig so oft beschworene faschistische Gefahr.“ Ist das wirklich so? Auch nach 1945 sagten viele Deutsche: „Wir dachten damals, es würde schon nicht so schlimm kommen!“ Gefahren kann man schnell unterschätzen. Weniger gefährlich werden sie dadurch nicht, eher umgekehrt. „Nie wieder!“ hieß es damals. Und das meinte auch, sich nie wieder so leichtfertig verhalten zu wollen wie in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Blicken wir kurz in die heutige politische Landschaft der Länder des Westens: Faktisch gibt es dort kein einziges Land mehr ohne ultrarechte, halbfaschistische oder bekennend faschistische Parteien und Bewegungen. Ist das wirklich nur Zufall und völlig ungefährlich? Sind Größe und politische Bedeutung dieser Kräfte im letzten Jahrzehnt nicht besorgniserregend und in dramatischem Tempo gewachsen? Darf man wirklich übersehen, daß in einigen Ländern bereits „schlagkräftige“ Formationen in oder neben solchen Parteien existieren? Ich teile deshalb Andreas Wehrs Meinung nicht, daß sich „die Situation der Länder des ‚Westens‘ und damit Deutschlands grundlegend von der Zwischenkriegsphase (der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg) unterscheide“. Im Gegenteil, sie ähneln sich immer mehr. Auch damals erfolgte die Faschisierung der Gesellschaft schleichend und über einen längeren Zeitraum. Die ersten Anzeichen faschistischer Ideologie wurden weithin belächelt, vertraute man doch den Kräften der parlamentarischen Demokratie und des „gesunden Volksempfindens“. Clara Zetkin schrieb bereits 1923 dagegen an, die entstehende Gefahr zu verniedlichen: „Der Faschismus, mag er sich auch noch so kraftmeierisch gebärden, ist ein Ausfluß der Zerrüttung und des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaft und ein Symptom der Auflösung des bürgerlichen Staates. Nur wenn wir verstehen, daß er eine zündende, mitreißende Wirkung auf breite soziale Massen ausübt, die ihre frühere Existenzsicherheit und damit ihren Glauben an die Ordnung von heute schon verloren haben, werden wir ihn bekämpfen können“. Diesen Zerfall und die Zerrüttung kann man auch heute kaum übersehen. Nicht nur in Deutschland verliert der Staat zusehends an Handlungsfähigkeit und kaschiert das durch Großmäuligkeit, Populismus und repressive Maßnahmen.
Der Boden, auf dem die Saat des Faschismus aufgehen kann, ist längst bereitet. Die KP der Russischen Föderation hat auf ihrem Mai-Plenum 2024 analysiert, daß sich der Kapitalismus in „der schwersten Krise seit einhundert Jahren“ befinde. Die Möglichkeiten der Profiterzielung gerieten immer stärker in Kollision mit dem geschundenen Ökosystem unserer Erde, das nach 1945 installierte System der neokolonialen Ausbeutung bekäme immer spürbarere Risse, die euro-atlantische Hegemonie über das Weltgeschehen zerbröckele spürbar, die Situation in den USA entwickele sich immer dramatischer und unvorhersehbarer, und die EU als wirtschaftlicher Machtblock begebe sich zunehmend in politische und ökonomische Abenteuer, die sie schwächen und zunehmend fragiler werden lassen. Erkennbar zeichne sich „in den Staaten der westlichen Hemisphäre eine Periode des Ausbaus autoritärer Instrumente der Herrschaft und der Verengung demokratischer Diskurse ab“. Ausdrücklich genannt wird die Verfestigung neuer Blockbildungen, die Zuspitzung von Gegensätzen in den internationalen Beziehungen, die Militarisierung der Politik und ein schleichender Demokratieabbau. Was da in Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien, den USA und vielen anderen Ländern des Westens vorgeht, ist Ausdruck der Zuspitzung grundlegender Widersprüche, die im Rahmen bisheriger Staatslenkung immer weniger beherrschbar werden. Genau diese Widersprüche sind es, die die Gesellschaft mit ungeheurer Wucht in Richtung einer erneuten Entartung ihres politischen Systems bewegen. Schon 12 Jahre nach den ersten Warnungen Clara Zetkins stand der Faschismus in Deutschland „in voller Blüte“. Diese mögliche Dynamik der Entartung dürfen wir nie wieder unterschätzen. Das Wesen des Faschismus, so Georgi Dimitroff 1935, besteht darin, daß er „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen und am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ ist. Die entscheidende Bedeutung dieser Definition besteht darin, daß sie die politische Form des Faschismus sehr präzise benennt, dort aber nicht stehenbleibt. Denn er hat Wurzeln, aus denen er zwangsläufig entsteht, wenn seine Zeit gekommen ist. Ohne die Benennung dieser Wurzeln ist eine sachgerechte und treffende Analyse nicht möglich. Die entscheidende Wurzel des Faschismus ist ökonomischer Natur und sie heißt mit Klarnamen Finanzkapital. Niemals dürfen wir dessen Rolle bei der Entstehung faschistischer Verhältnisse außer acht lassen. Natürlich legt das Finanzkapital keinen Wert darauf, als eigentliche Ursache des Faschismus benannt zu werden. Aber das ist eben keine bloße Behauptung. Es ist eine Tatsache, die in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen präzise nachgewiesen werden konnte. Der Einfluß dieses Teils des Kapitals ist inzwischen ins Unermeßliche gestiegen. Allein BlackRock, das größte Finanzinstitut der Erde, verwaltet die unvorstellbare Summe von 11,5 Billionen Dollar. Was ist das für ein Unterschied zu den 500 Milliarden eines Bundeshaushalts der BRD! Die künftige Politik des ehemaligen BlackRockers Friedrich Merz wird uns das in den nächsten Monaten immer deutlicher zeigen. Die erste Billion ist ja schon lockergemacht worden, um die Bedürfnisse des Finanzkapitals noch besser zu bedienen. Vom Finanzkapital ist Merz in seine politische Funktion geschoben worden. Nun muß er liefern und dessen Interessen bedienen. Denn Geld regiert die Welt, nicht die hehren Sprüche aus der Vorwahlzeit. In den USA kann man inzwischen verfolgen, wie es ist, wenn die Milliardäre die Regierung komplett in die eigenen Hände nehmen. Deutsche Politik schwieg angstvoll, als dem
Land die Gasversorgung aus dem Osten einfach weggesprengt wurde. Amerikanische Profitinteressen waren wichtiger, als eine stabile Versorgung des Landes. Auf ähnliche Weise dürfte das große Kapital künftig alles beiseite fegen, was es als Hindernis für maximale Profiterzielung ansieht. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um soziale Schutzrechte oder die Grenzen von Staaten handelt. Es wird jedes Mitredenwollen bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums unterbinden und nötigenfalls auch brutal unterdrücken. Es wird untergeordnete Kapitalinteressen, wie sie beispielsweise im Verkehrs- und Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft oder im Bauwesen existieren, an eine noch strengere Leine legen. Es wird die Rechte der Arbeitenden zusammenstutzen. Was diese zugemessen bekommen, hat ihnen zu reichen. Und es wird sich zunehmend auf jene Sphären konzentrieren, wo Profite fast unbeschränkt zu erzielen sind: Auf Finanzspekulation und Rüstung.
Wer meint, daß das ohne absolute Manipulation und Disziplinierung der Massen und ohne diktatorische Methoden funktionieren kann, ist blind für die Entwicklungen, die sich schon lange direkt vor unseren Augen abspielen. Oskar Lafontaine formulierte treffend: „Die wirklichen Rechtsextremen sitzen in Deutschland längst in der Regierung.“ Nach den Wahlen vom Februar gilt das um so mehr. Das Ungeheuer ist längst wieder auf dem Vormarsch. Wie man das Grundgesetz auf undemokratischste Weise und ohne nennenswerten Widerstand ändern kann, hat es unlängst bewiesen. Wir haben keinen Grund anzunehmen, andere demokratische Institutionen unseres Staates wären gegenüber dem Orkan, der uns da drohen könnte, deutlich widerstandsfähiger. 1933 hat gezeigt, in welche Katastrophe es führen kann, wenn man sich da irgendwelchen Illusionen hingibt.
Joachim Seider
SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS
„RotFuchs“ abonnieren einfach gemacht Für den Bezug des RF als Printausgabe genügt ein Anruf bei Rainer Behr: 030-98 38 98 30
Wolfgang Dockhorn: 030-241 26 73
oder die formlose Bestellung per E-Mail: vertrieb@rotfuchs.net