„Multipolarisierung“ – Rainer Rupp über den Münchner Sicherheitsbericht 2025
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 15. FEBRUAR 2025 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Rainer Rupp – https://rtnewsde.com
Die globale Mehrheit setzt ihre Hoffnungen auf eine multipolare
Weltordnung. Im Bericht der bevorstehenden Münchner Sicherheitskonferenz
wird dagegen der konfliktreiche Charakter der „Multipolarisierung“
betont, was die westliche Präferenz für Konfrontation statt Kooperation
widerspiegelt.
Der Bericht, der die Konferenz begleitet, umfasst neun Kapitel auf
insgesamt 120 Seiten Text. Die Einleitung beginnt mit einer inzwischen
zur Binsenweisheit gewordenen außenpolitischen Feststellung, dass
nämlich die Welt immer multipolarer wird. Ob die Welt heute bereits
multipolar sei, ließe sich diskutieren, so die Autoren, doch die
„Multipolarisierung“ an sich sei eine Tatsache:
„Einerseits verschiebt sich die Macht zu einer größeren Anzahl von
Akteuren, die Einfluss auf globale Schlüsselprobleme nehmen können.
Andererseits erlebt die Welt eine zunehmende Polarisierung sowohl
zwischen als auch innerhalb vieler Staaten, was gemeinsame Ansätze zur
Bewältigung globaler Krisen und Bedrohungen erschwert.“
Das heutige internationale System zeige „Elemente von Unipolarität,
Bipolarität, Multipolarität und Nichtpolarität“. Dennoch sei eine
eindeutige Verschiebung hin zu einer größeren Anzahl von Staaten, die um
Einfluss ringen, erkennbar. Diese Multipolarisierung zeige sich nicht
nur in der Verteilung materieller Macht, sondern auch in der
ideologischen Polarisierung der Welt. Der politische und wirtschaftliche
Liberalismus, der die unipolare Nachkriegszeit geprägt hat, sei nicht
mehr der alleinige Maßstab. Er werde sowohl intern durch den Aufstieg
von nationalistischem Populismus in vielen liberalen Demokratien als
auch extern durch eine wachsende ideologische Spaltung zwischen
Demokratien und Autokratien herausgefordert, sowie durch die Existenz
mehrerer konkurrierender oder sich bekämpfender Ordnungsmodelle.
Diese Multipolarisierung löse laut der Autoren „weltweit gemischte Gefühle aus“.
„Optimisten sehen Chancen für eine inklusivere globale Regierungsführung
und mehr Beschränkungen für Washington, dessen Dominanz lange von
vielen als übermächtig angesehen wurde.
Pessimisten warnen vor einem erhöhten Risiko von Unordnung und Konflikten und einer untergrabenen effektiven Zusammenarbeit.“
Laut dem Münchner Sicherheitsindex 2025 stehen die Menschen in den
G7-Ländern einer multipolare Welt weniger optimistisch gegenüber als die
Befragten in den „BRICS“-Ländern, wobei nationale Ansichten durch
unterschiedliche Perspektiven auf die aktuelle und die jeweils
wünschenswerte zukünftige internationale Ordnung geprägt sind.
Kapitel 2 des Berichts beschäftigt sich mit Donald Trumps
Präsidentschaftssieg. Der habe den US-amerikanischen Konsens in der
Außenpolitik nach dem Kalten Krieg begraben, wonach der liberale
Internationalismus als Großstrategie den US-Interessen am besten dienen
würde. Für Trump und viele seiner Unterstützer stelle die von den USA
geschaffene internationale Ordnung einen schlechten Deal dar. Wörtlich
heißt es weiter:
„Als Konsequenz könnten die USA ihre historische Rolle als
Sicherheitsgarant Europas aufgeben – mit erheblichen Folgen für die
Ukraine. Die US-Außenpolitik der kommenden Jahre wird wahrscheinlich vom
bipolaren Wettstreit mit Peking geprägt sein, was die
Multipolarisierung des internationalen Systems beschleunigen könnte.“
In Kapitel 3 geht es um China als den angeblich „prominentesten und
mächtigsten Befürworter einer multipolaren Ordnung“ wobei sich Peking
gern als Anwalt für die Länder des sogenannten Globalen Südens ins Spiel
bringt. Viele im Westen würden jedoch hinter Pekings Plädoyer für
Multipolarität lediglich einen rhetorischen Vorhang sehen, hinter dem
„der große Machtwettbewerb mit den USA stattfindet.“ Trotz Chinas
erheblichem Erfolg, die Unzufriedenen der aktuellen Weltordnung zu
mobilisieren, stünde das Land aktuell vor hausgemachten Hindernissen.
Zudem würden unter Präsident Trump die Bemühungen der USA, China zu
behindern, wahrscheinlich intensiviert werden, aber im Gegenzug könnte
China auch von einem Rückzug der USA aus internationalen Verpflichtungen
oder der Entfremdung Washingtons von langjährigen Partnern profitieren.
Der EU widmet sich das Papier unter Kapitel 4. Weil – so die Autoren –
die EU die liberale internationale Ordnung verkörpert, stellten die
wachsenden Anfechtungen zentraler Elemente dieser Ordnungsvorstellung
eine besonders schwerwiegende Herausforderung für die EU dar. Russlands
Krieg gegen die Ukraine und der Aufstieg des nationalistischen
Populismus in vielen europäischen Gesellschaften gefährdeten ebenfalls
zentrale Elemente der liberalen Vision der EU. Weiter heißt es unter
Kapitel 4:
„Donald Trumps Wiederwahl könnte diese Herausforderungen noch verstärken
und die Debatte wiederbeleben, ob die EU zu einem autonomen Pol in der
internationalen Politik werden muss. Gleichzeitig könnte dies
populistische Bewegungen ermutigen, die die inneren Spaltungen Europas
vertiefen und die Fähigkeit der EU, die Krisen zu bewältigen,
untergraben.“
Die Abrechnung mit Russland kommt in Kapitel 5. In diesem Jahrhundert
habe „kein Staat mehr Energie darauf verwendet, die internationale
Ordnung zu erschüttern, als Russland“, heißt es dort. Moskau stelle sich
eine multipolare Weltordnung vor, die aus „Zivilisationsstaaten“
besteht, wie Russland sich selbst sieht. Kleinere Länder – für Russland
zählt die Ukraine dazu – gehören nach Moskauer Sichtweise in die
Einflusszone eines Zivilisationsstaats. Auch die nächste Passage aus
Kapitel 5 ist wichtig, um zu erkennen, wessen Geisteskind die Autoren
des Berichts sind, bzw. von welchem Informationsniveau aus sie
argumentieren, denn dort heißt es:
„Trotz der Diskrepanzen zwischen Moskaus Selbstbild und seiner
tatsächlichen Machtbasis sind Russland Bemühungen erfolgreich, die
Stabilisierung der internationalen Ordnung zu stören. Gleichzeitig steht
Russland vor wachsenden wirtschaftlichen Problemen und den Folgen
imperialer Überdehnung. Ob das Land seine Vision von multipolaren
Einflusszonen umsetzen kann, hängt vom Widerstand anderer ab.“
In Kapitel 6 heißt es:
„Indische Führungskräfte kritisieren die bestehende internationale
Ordnung und umarmen den Gedanken der Multipolarität, was untrennbar mit
der Suche Indiens nach einem Platz unter den führenden Mächten der Welt
verbunden ist.“
Während Neu-Delhi Fortschritte bei der Erhöhung des internationalen
Profils Indiens mache, stünde auch Indien vor Herausforderungen: Extern
wächst Chinas strategischer Fußabdruck unter Indiens Nachbarn. Zugleich
leide Indiens Wirtschaft an strukturellen Schwächen. Zudem sei im Inland
der politische und kulturelle Pluralismus im Niedergang. Und obwohl
Neu-Delhi sich als Stimme des Globalen Südens positioniert hat, erweckt
seine Politik der Mehrfachausrichtung Zweifel, ob Indien bereit ist,
eine prominentere Rolle bei globalen Friedensbemühungen zu übernehmen.
Letzteres ist eine kaum versteckte Kritik an Indiens Weigerung, sich für
die westliche, antirussische Sanktionspolitik gegen Russland zu
entscheiden.
In Teil II widmen sich die Autoren des Berichts mit multipolarem Fokus
Japan, Brasilien und Südafrika. Der Beitrag mündet in einer Analyse des
Polarisierungs- und Konfliktpotenzials, das in diesem Bericht der
Münchner Sicherheitskonferenz steckt.
https://rtnewsde.com/international/236587-multipolarisierung-teil-i-muenchner-sicherheitsbericht/
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