Montag, 29. April 2013

User-Meinung zum Buch und zur Rezension "Wir sind der Staat"


Benutzernamen: Buhli (zitiert mit Genehmigung des Autoren aus einem Forum):

Wie gut diese Frau analysiert und hinterfragt, konnte ich schon im "Ohne Osten kein Westen" lesen.Sicher werde ich bald von www.Buchredaktion.de eine Bestellofferte erhalten. "West-Falschspieler ruinieren unserer Land", ist auch von den. Nix für die Gutmenschen dieses Forums. Alles nur Verschwörungstheorien oder fragwürdige Verlage. Von den Autoren wie G.Wisnewski, gar nicht zu sprechen. Der bringt seit einigen Jahren "Verheimlicht, vertuscht, vergessen." raus. Da sind auch mal Namen von ehemaligen hohen CIA Agenten zu finden. Das ist zwar nicht aufregend. Hat aber eine gewisse Brisanz, wenn diese Namen in der Führung von "Amnasty International" auftauchen.
Delta, die nächste Revolution in D wird mit viel Blut ablaufen. Nicht umsonst rüstet Vater Staat auf allen Ebenen gegen das Volk auf. Gegen die "Terroristen", denn es werden dann keine "Bürgerrechtler" sein, muss man ja vorbereitet sein. Was in Europa an Unruhen abläuft, ist ja auch den deutschen Geheimdiensten bekannt. Nicht erst seit es in der Tagespresse zu finden ist. In fragwürdigen Verlagen wurde das ja schon vor längerer Zeit veröffentlicht. Bei der 89er Rev. ging es ja"nur" um Politikänderung, und nicht um Besitzveränderungen. Die nächste Rev. wird sich gegen das Kapital richten. Es sieht für mich jedenfalls so aus. So eine Situation wie sie nach dem Krieg zur Enteignung genutzt wurde, kommt nicht gleich wieder.
…ich bin gerade dabei das Buch von "Einigkeit und Recht-Die DDR und die deutsche Justiz" von dem uns recht bekannten Anwalt, Friedrich Wolff zu lesen. Die juristische Ebene ergänzt die Daniela Dahn nochmal ein gutes Stück. Er beschäftigt sich auf dieser Ebene mit unserem derzeitigen und verabschiedeten (Un)Rechtsstaat. Ist nichts für die Gutmenschen von heute. Auch die wollen ihr Bild nicht mehr korrigieren.

Sonntag, 21. April 2013

"Schmerzliche Heimat - Deutschland und der Mord an meinem Vater“


 
Semiya Simseks verlorene Illusionen


Buchtipp von Harry Popow

 

Migranten in Deutschland. Ist für sie dieser Staat so anziehend, wie es den Anschein hat? Reicht man ihnen hilfreich die Hand? Oder sind Ungewissheiten vorprogrammiert? Zwischen Hoffnung und einer schmerzlichen Enttäuschung? Zwischen einem ehrlich erarbeiteten Auskommen und dem körperlichen und moralischen Absturz? Zwischen Illusionen und der Erkenntnis einer furchtbaren Wahrheit: Dass Ausländerhass allgegenwärtig ist? Dass die Vergangenheit längst nicht bewältigt ist? Dass der Ungeist des Neonazismus noch immer auf fruchtbaren Boden fällt? Dass er Köpfe vernebelt - nicht nur die der Mordtäter, sondern auch der oft einäugigen Justiz? Und sie so nahezu handlungsunfähig macht?
 
Es ist über ein äußerst wichtiges Buch zu berichten. Über ein Protokoll zur Aufdeckung einer zehnfachen Mordserie. Da werden die Täter nicht schon nach wenigen Monaten überführt, sondern erst nach elf Jahren. Elf Jahre Aufschub für Neonazis, für ein äußerst brutales Killerkommando, wie sich herausstellte. Elf Jahre Leidensweg von Opfern, von Türken und Griechen. Die Rede ist von dem soeben veröffentlichten Dokument von Semiya Simsek, geboren 1986 im hessischen Friedberg. Sie hat es gemeinsam mit dem Journalisten Peter Schwarz, Redakteur der „Waiblinger Kreiszeitung“, geschrieben: „Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater.“
 

Oktober 1985: Die Entscheidung nach Deutschland zu übersiedeln, fiel dem Vater der Autorin, dem vierundzwanzigjährigen Enver Simsek, nicht leicht. Warum verließ er seine Heimat, die Türkei? Die Tochter des Ermordeten beschreibt das Motiv so: „Nach Deutschland zu gehen bedeutete für einen Mann wie meinen Vater, der in kargen Verhältnissen aufgewachsen war, neue Chancen und Perspektiven, eine Aussicht auf Wohlstand, die er zu Hause nie gehabt hätte.“
 
Es folgten fünfzehn Jahre harter Arbeit. Als Bandarbeiter und später als Geschäftsmann. Als guter Mensch, wie die Tochter schreibt, sorgte er sehr für seine Frau und die Kinder. Die Marktwirtschaft hatte ihn aufgenommen und ihm und seiner Familie Wohlstand gebracht. Bei kräftezehrender Akkordarbeit. Doch dann wollte Vater Enver kürzer treten, sein Geschäft aufgeben, nur noch für Adile, seine Frau, die ihn in seinen Blumengeschäften unterstützte, und für seine Kinder da sein. Doch eines Tages wollte man zurückkehren in die Heimat.

Am 10. September 2000, fünfzehn Jahre nach dem Start in Deutschland, die Autorin war gerade erst vierzehn Jahre alt, passierte die Katastrophe. Der Tod des Vaters durch eine unerhörte Bluttat: Drei Projektile im Kopf, zwei im rechten Schulterbereich, zwei Durchschüsse im linken Unterarm und in der Unterlippe sowie in der linken Augenhöhle, ein Streifschuss im linken Ellenbogen und ein Fehlschuss. Neun Schüsse auf einen unschuldigen Bürger, auf einen Ausländer.
 
Aus mit den Träumen einer baldigen Rückkehr in die Heimat. Aus mit einem intakten Familienleben. Aus mit der Zuversicht für eine weitere glückliche Zukunft. Aus mit der Harmonie und der Ruhe. Fortan attakierten die Ermittler der Polizei und der Kripo die Familie Simsek und deren Verwandte und Bekannte. Hauten mitunter auf den Tisch, schrien nach den vermeintlichen Mördern. Deren Arsenal an Verdächtigungen reichte vom Kneipen- und Alkoholvorwurf bis zum angeblichen Drogenhandel, von vermuteter Geldgier bis zu schmutzigen Geschäften, vom unterstellten Fremdgehen des Ermordeten bis zum möglichen Konkurrenzverhalten einiger Geschäftsfreunde. Die Abläufe der Befragungen durch die Ermittler waren, so die Autorin, stets dieselben: Stereotyp, variantenlos, auf dem einen Auge blind und unsensibel. Die Frage nach einer möglichen Fremdenfeindlichkeit wiesen die Behörden energisch zurück: Es sei ja kein Bekennerschreiben aufgetaucht. Eine ergebnislose Spurensuche?
 
Bis zum 13. Juni 2001, da passierte der zweite kaltblütige Mord. Mit derselben Waffe wie bei den Schüssen auf Enver. Kurz darauf und in den folgenden Jahren die gleiche Barbarei: Insgesamt zehn Tote, brutal und hasserfüllt niedergeschossen. Der bisherigen Handlungsunfähigkeit der Justiz wurde nunmehr eine Grenze gesetzt. Mit Entsetzen mussten die Angehörigen der Opfer das ganze Dilemma, die falschen Beschuldigungen, die Hilflosigkeit, das Vorgaukeln von falschen Verdächtigungen hinnehmen, bestürzt und betroffen. Dreizehn Jahre (von der Durchsuchung eines Garagenkomplexes des Mordtrios am 26.01.1998 bis zum Untertauchen der Täter 2011) offensichtlich bewußt fehlgeleitete Untersuchungen. Eine lange Zeit, in der die Neonazis ihre Todesmaschinerie voll in Gang halten konnten. Dreizehn Jahre Irrtümer, bewusst in Szene gesetzt?
 
Den Ermittlern hätte nach etlichen schwerwiegenden Delikten des Trios aus Jena - Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe -, u.a. auch nach deren Teilnahme an einer Demonstration der NPD gegen die Wehrmachtsausstellung in Dresden klar sein können, so die Autorin, „dass diese drei jungen Leute nicht einfach Anhänger einer rechtsradikalen Ideologie waren, sondern brutale Neonazis auf einem gewaltsamen Weg, der immer tiefer in den Terrorismus hineinführte“. (S. 193)
 
Von rechtsextremen Parteien wusste Semiya Simsek. Aber jetzt erst wurde ihr klar, „dass Organisationen wie die NPD nur die Oberfläche sind und darunter eine zweite, versteckte und viel gefährlichere Schicht des Rassismus existiert…“ (S.196) Fragen über Fragen: Wieso ist die Polizei bisher blind gewesen? Weshalb hat sie Ausländerhass grundsätzlich ausgeschlossen? Selbst nach Bekanntwerden weiterer Folgen der Mordserie tippte zum Beispiel BILD lediglich auf organisierte Kriminalität, auf Geldwäsche. Die Autorin hingegen hegt „das Misstrauen, ob einzelne Beamte die Ermittlungen nicht vielleicht sogar bewusst in verkehrte Bahnen lenkten“. Und nun, nach der unumstößlichen Wahrheit, die den Medien angeborene Heuchelei: Plötzlich war die Familie Simsek das „gute Opfer“ und von höchstem Interesse. „Wir wissen nicht genau, was wir von diesem Deutschland halten sollen“, notiert Frau Semiya auf Seite 203. Sie fragt sich, ob sie hier, wo sie geboren wurde, überhaupt zu Hause, ob Deutschland ihre Heimat ist. Und sie gibt sich gleich selbst die Antwort: Ja, ihre Heimat ist Deutschland, „daran können auch die Enthüllungen nach dem November 2011 nichts ändern“.
 
Semiya Simsek will nicht tatenlos zusehen. Sie wird als Nebenklägerin im Prozess gegen den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) mitwirken, wird, so schreibt sie, der Beate Zschäpe gegenübertreten. Ihr Vorwurf: Niemand entzifferte rechtzeitig die Botschaft der Neonazis, deren Weltbild, deren Perversität und krankhaften Hass. Wer sind deren Hintermänner, fragt sie auf Seite 227? Sind es die Spitzel des Verfassungsschutzes? Sind die V-Leute „keine Staatsschützer, sondern eher staatlich bezahlte Neonazis“. Wird die versprochene Aufklärung wirklich stattfinden, bohrt sie weiter. Und wörtlich auf Seite 242: „Können wir überhaupt davon ausgehen, dass wenigstens im Gerichtsprozess gegen Beate Zschäpe und ihre Helfershelfer alle wichtigen Fakten auf den Tisch kommen und nichts unterschlagen wird?“
 
Semiya Simseks „Entlarvungsprotokoll“ ist keine der Ablenkung vom Alltag dienende Unterhaltungsliteratur, sondern ein brisantes Zeitdokument, eine Aufforderung, mitzuhelfen, den braunen Sumpf endgültig trockenzulegen, den Ursachen der Mordbereitschaft von faschistoiden Killerkommandos gegenüber Ausländern und jeglichem Rechtsextremismus und Rassismus den Nährboden zu entziehen.
 

Diese Lektüre wirkt auf den Leser nicht nur auf einer spannungsgeladenen sachlichen Ebene, sondern vor allem in emotionaler Hinsicht. Die Autorin verleiht ihrem Buch einen unglaublich warmherzigen menschlichen Ton. Da schildert sie die Liebe zu ihren Eltern, deren liebevolle Zweisamkeit, den Zusammenhalt zwischen den Verwandten und Bekannten, auch zwischen Türken und Deutschen. Sie erzählt von ihrer sorglosen und unbeschwerten Kinder- und Jugendzeit, lobt die bei der Mutter so hochgeschätzte Toleranz, berichtet von ihren immer wiederkehrenden Träumen von ihrem ermordeten Vater, beschreibt die Schönheit türkischer Landschaften. Und sie verbindet dies mit einem Seitenhieb auf deutsche Medien, die den Alltag der Türken mitunter schildern, als wären diese mit ihren Traditionen und Ritualen in den 60er Jahren stehengeblieben. Die Autorin steht für eine moderne, zielstrebige, selbstbewusste und kritische deutsch-türkische Frau, die zuversichtlich in der Türkei mit ihrem Mann einen neuen Anfang finden will. Eine Frau ohne Illusionen.

 

Anmerkung zum Verfassungsschutz

 

Nicht die Unfähigkeit selbst ist die Ursache der zahlreichen Pannen in der Aufdeckung der Gewalttaten, sondern die „ideologischen Scheuklappen innerhalb der Sicherheitsorgane“, so der Jurist, Autor und Kölner Karls-Preis-Träger Rolf Gössner in seinem in der NRhZ 352 vorgestellten Buch „Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates“. Man folge alten Feindbildern, wie dem Linksextremismus, dem Ausländerextremismus und dem Islamismus. Man ignoriere die Tatsache, „dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit weit hinein in die Mitte der Gesellschaft reichen“, meint Gössner. (S. 33) Zum Kern der Ursachen des Versagens der Geheimdienste trifft er auf Seite 46 seines Buches aus dem Jahr 2003 folgende Feststellung: Der VS sei ein Kind des Kalten Krieges zur Absicherung des westdeutschen „Bollwerkes gegen den Kommunismus“. So erhielt der VS seine streng antisozialistische Ausrichtung bereits mit ehemaligen Nazis an der Führungsspitze. (S. 48) Im Kampf gegen „Linksextremismus“ sei die neonazistische Gefahr jahrzehntelang vernachlässigt worden. Nach dem Kalten Krieg – keine Gedanken daran, die Geheimorganisationen in Frage zu stellen. (PK)
 
Semiya Simsek: „Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater“, 272 Seiten, Verlag: Rowohlt Berlin (8. März 2013), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 387134480X , ISBN-13: 978-3871344800, Größe: 22 x 14,8 x 2,4 cm, Preis: 18,95 Euro
 
Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
 

 


Freitag, 5. April 2013

"Wir sind der Staat" - das neueste Buch von Daniela Dahn


 Die Mauer muß weg…

Buchtipp von Harry Popow


Die Mauer muß fallen. Eine Mauer, die seit der Antike für das größte marktbeherrschende Eigentumsrecht, das Privateigentum an Produktionsmitteln,  vor dem Zugriff des Volkes zu schützen hat. Es ist eine Mauer um das Big Business, wie man in den USA sagt. Ein Schutzwall, der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder durch Volksrevolutionen unter Beschuss geriet und sich doch noch hält, durchlöchert zwar, aber immerhin. Angeblich unzerstörbar…

Die neueste Kanonade gegen diese Mauer um das Reich der Kapitalmächtigen und der Politiker herum hat keine geringere losgelassen als Daniela Dahn, die Autorin von „Wehe dem Sieger“, zu DDR-Zeiten u.a. Gründungsmitglied des „Demokratischen Aufbruchs“. Ihre neueste Denkschrift: „Wir sind der Staat“. Die Autorin stellt darin „die morsch gewordenen Grundstützen des bürgerlichen Staates in Frage.“ Es gehe allerdings nicht um eine Schwächung des Staates, „sondern um seine stärkere demokratische Legitimierung“. (S. 107)

Mit scharfer Zunge geißelt sie den Kapitalismus mit einer erstaunlich analytischen Tiefgründigkeit. Ihr zentraler Gesichtspunkt: Das seit dem Römischen Reich zum Heiligtum erhobene Privateigentum an Dingen des Gemeinwohls. Es beherrsche jahrhundertelang die Völker und lasse eine demokratische Mitbestimmung in grundsätzlichen Fragen nicht zu.

Auf 176 Seiten  spannt sie den Bogen von der Antike, dem Römischen Recht, bis in die Gegenwart und in die Zukunft. Zum geistigen Genuss der deutschen Aktivbürger, die laut Forsa zu 84 Prozent gegen Privatisierungen sind. (S. 67). Bürger, die gegen Fluglärm, gegen Atomlager, gegen Stuttgart 21, gegen Drohnen, gegen Bundeswehreinsätze im Ausland, gegen Arbeitslosigkeit, gegen die Verdummung durch die Medien zunehmend energisch ihre Stimme erheben.

Und zum Verdruss derjenigen, die die unveränderlichen Prinzipien der im Grundgesetz festgeschriebenen freiheitlich demokratischen Grundordnung, das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, auf Volkssouveränität, auf Gewaltenteilung (S.133) und den Artikel 20 des Grundgesetzes „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ glatt unter den Tisch gefegt haben.  

Daniela Dahn stellt fest: Volkssouveränität und Gewaltenteilung existiere so gut wie nicht. Die Verantwortlichkeiten der Regierung seien längst auf die Wirtschaft übergegangen, die Unabhängigkeit der Justiz sei eingeschränkt und durch die Praxis der Parteienspenden und der ungleichen Zuwendung der Großmedien gäbe es keine Chancengleichheit. (S. 133)

Bleiben wir zunächst bei diesem Zustandsbericht, wie die Autorin den ersten Teil ihres Buches bezeichnet. Scharf kritisiert sie, dass zum Beispiel bundesweite Volksentscheide nicht vorgesehen sind, dass die wechselnden Eliten im Parteienkarussel um dieselbe Macht ringen und gar nicht gewillt sind, des Volkes Meinung zu hören. Es reiche doch, wenn die Wähler ihre Stimme abgeben und sich nicht einmischen, wenn es um die im Verborgenen herrschende Macht des Kapitals gehe. (S. 9) Die Beschränkung auf alle vier Jahre stattfindende Wahlen würde von vielen nicht mehr als zeitgemäße Demokratie akzeptiert. (S. 32) Die Autorin mahnt an, zum Beispiel bei Richtungsentscheidungen wie Krieg und Frieden – das sei der höchste Punkt der Souveränität – das Volk mitentscheiden zu lassen. (S.46)

Sehr interessant sind Ausagen von Autoritäten, die sie in den Zeugenstand ruft: So schrieb einst Aristoteles, das erste Ziel der Oligarchie sei, ihre Besitztümer zu verteidigen. (S.46) Die Griechen bestanden darauf, dass der Staat das Eigentum der Bürger sei. Die machtbewussten Römer pochten auf das egoistische Interesse der Grundeigentümer. „Das Recht, seine Sache zu gebrauchen und zu missbrauchen, soweit es die Idee des Rechts zulässt. Und diese Idee bestand gerade in der Heiligung des Eigentums.“ (S. 47/48) Jean-Jacques Rousseau fragte, „wie Menschen sich eines riesigen Landgebietes bemächtigen und es dem ganzen Menschengeschlecht rauben können, wenn nicht durch eine strafwürdige Aneignung…“ (S. 51)

Was war nach der Befreiung vom Faschismus 1945 angesagt und vordringlich? Der endgültige Bruch mit dem Römischen Recht! Der Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen besonders in Deutschland. Die Chancen waren da. In der damaligen SBZ wurden sie durch die Enteignung der Wirtschaftsmächtigen und Schuldigen am Weltkrieg genutzt. In den „westlichen Besatzungszonen verurteilten CDU/CSU und SPD gleichermaßen scharf das versagt habende ´kapitalistische Wirtschaftssystem´ und setzten auf eine ´gemeinschaftliche Ordnung´, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht“. (S. 52) Welch eine Chance für einen Neuanfang… Doch verpasst. Durch Marhallplan, Währungsunion und „eine Wachstum fördernde Gesetzgebung des Wirtschaftsrates unter dem Einfluß der Westallierten…“ (S. 54)

Gustav Heinemann klagte in den 50er Jahren nach seinem Austritt aus der CDU: „Sieht man denn wirklich nicht, dass die dominierende Weltanschauung (…) aus drei Sätzen besteht: viel verdienen, Soldaten, die das verteidigen, und Kirchen, die beides segnen.“ Für die sich für das Wirtschaftswunder Abrackernden war das schließlich, so Daniela Dahn, eine Luftnummer letztlich ohne Netz. (S. 57)

Das Defizit im System liege in der Allmacht der Besitzenden, in deren Einfluss auf die Politik im Interesse des weiteren Wachstums. In der unechten Demokratie, in der das Volk in Grundsatzentscheidungen überhaupt nicht einbezogen werde. „Demokratie und Freiheit“ als Aushängeschild einer untergehenden Gesllschaft, die nach dem Kollaps des Weltsozialismus nunmehr unverblümt einst soziale Fortschritte in Frage stellt. „Die repräsentative Demokratie der Bundesrepublik, die im Grunde eine Großparteienherrschaft ist, wehrt nach wie vor alle Ansätze direkter Demokratie und Kontrolle von unten ab.“ (S. 109)

 Der grosse Vorzug dieser Denkschrift von Daniela Dahn besteht nicht nur in ihrem Weitblick zurück, auch nach vorne lenkt sie mit klugen und diskussionswürdigen Überlegungen die Aufmerksamkeit der interessierten und nachdenklichen Leser. (Ab S. 103) Sie bleibt nicht stehen bei der Aufforderung nach Ungehorsam (S.15) und Empörung. So schwerwiegend das Problem der Mitbestimmung auch ist, jeder solle sich nicht nur fragen „hier bin ich Mensch, hier kaufe ich ein“, sondern auch „hier bin ich Mensch, hier greif ich ein“. (S. 18)

Aber wie? „Subversiv“, so bezeichnen die Geheimdienste diejenigen, die in den Augen der Obrigkeit aufgrund der krisenhaften Zerrüttung der Politik und der Wirtschaft eine friedliche Systemänderung anmahnen und mit Wort und Tat dafür einstehen. Wie dem „Heiligtum Privat“ und der Phrase von „Freiheit und Demokratie“ – vermittelt durch die in den Seilschaften der Oberen hängenden und von ihnen bezahlten bürgerlichen Medien - kurz- und langfristig beikommen, denn es ist keine Zeit zu verlieren?

Ein weiterer Bruch mit dem Römischen Recht sei dringend nötig, so die Publizistin. Sie wäre nicht die kluge und scharfsinnige Autorin, wenn sie nicht gleichzeitig Wege aufzeichnen würde, wie aus dieser Diktatur des Heiligtums herauszufinden sei. Im Gegensatz zu manchen Männern der Politik und der Medien appelliert sie nicht schlechthin an die Vernunft, schon gar nicht an Gott. Sie fordert dringlich dazu auf, die demokratischen Rechte des Volkes als dem eigentlichen Souverän endlich wahrzunehmen.

Wie soll das gehen? Sich einbringen. Sich rühren. Sich überwinden, um dem Kapital als Ganzem Paroli zu bieten. Der Einzelne – das steht fest – kann da wenig tun. Erst in der Gemeinschaft, im Zusammenhalt und der Solidarität von Hunderttausenden entstünde jene Kraft, die Veränderungen im System erzingen könnte. Was und wie muß etwas getan werden? Aufklären, teilnehmen, aufwachen. Lethargie, uneffektives Verhalten, Gleichgültigkeit - wie ist dieser Politverdrossenheit beizukommen?

Fertige Rezepte gibt es nicht, aber sie plädiert wiederholt für die Verwandlung von „Wutbürgern“ in Aktivbürger. Und diese wiederum müssten „ein ureigenstes Interesse haben, so viele Mitstreiter wie möglich zu gewinnen“. (S. 139) Sie erinnert an die zur Wende installierten „Runden Tische“ in der DDR, an zielgerichtete Aktionen, um Teilnahme an Bürgerversammlungen auf allen Ebenen, an die Installation von Räten und verweist dabei auf die Geschichte. Sie widerlegt das Argument, den Leuten fehle die Sachkunde. Dann könne die praktische Befähigung auf dem Nachweis „eines Zivildienstes, eines Praktikums, einer ehrenamtlichen oder öffentlichen Tätigkeit in sozialen und pflegerischen Einrichtungen,“ (…) in Vereinen usw. beruhen.

Sie schreibt ganz volkstümlich von einer Fahrerlaubnis für Demokratie, von einem „Demokratie-Diplom“, das man erlangen könne und schlägt in diesem Zusammenhang auch materielle Anreize vor. (S. 141) Wolle man aus der Zuschauerdemokratie heraustreten und die Teilnehmerdemokratie anstreben, meint die Autorin, dann ist eine Qualifikation nötig. Es gehe um eine beratende Parallelstruktur von Räten mit Befassungs- und Vetorecht dem Parlament gegenüber. (S. 140) Ohne Umschweife schreibt die Autorin auf Seite 170: „Die Räterepublik als Alternative wird die Parteien auf den zweit- oder drittrangigsten Platz verweisen, der ihnen gebührt.“ (S. 170)

Nur Quasseln ist kein Mitregieren. Dagegen sind Aktivbürger Vorreiter, sind Pioniere des klaren Denkens und Handelns, sind Menschen, die den Glauben an eine menschlichere Zukunft nicht verloren haben, die Veränderungen nicht nur herbeiwünschen, wie es nahzu 80% der BRD-Bürger im Grunde ihres Herzens anstreben, sondern dafür aktiv einstehen. „Wir sind der Staat – das ist Anspruch und Bedingung für Akzeptanz.“ (S. 174)

Der Vordenkerin Daniela Dahn sei gedankt für ihren Mut, für ihre aufklärerische Kraft, geistigen Widerstand zu leisten, für ihre klare Sprache, für ihre tiefe Menschlichkeit. Ja, es bleibt dabei, Unruhe stiften, „subversiv“ sein mit friedlichen Mitteln ist eine Ehre. Die alte Mauer zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich, zwischen Kapital und Arbeit muss weg! Wer winkt da ab? Lassen wir noch einmal Jean-Jacques Rousseau zu Wort kommen: „Ich besitze nicht die Kunst, für jemand klar zu sein, der nicht aufmerksam sein will.“ (S. 21)

Daniela Dahn: „Wir sind der Staat. Warum Volk sein nicht genügt“, gebundene Ausgabe: 176 Seiten, Verlag: Rowohlt (12. März 2013), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3498013335, ISBN-13: 978-3498013332, Größe und/oder Gewicht: 21 x 13,2 x 1,8 cm, Preis: 16,95 Euro

Daniela Dahn, geboren 1949 in Berlin, Journalistikstudium in Leipzig, danach Fernsehjournalistin. Seit 1981 arbeitet sie als freie Autorin; Mitglied des P.E.N seit 1991, Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs». Sie ist Trägerin des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises. Bei Rowohlt erschienen bislang neun Essay- und Sachbücher.

 

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung